Wirksamkeit einer Klagerücknahme
Widerruf und Anfechtung von Prozesshandlungen
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob ein Klageverfahren auf Gewährung einer Erwerbsminderungsrente wirksam durch Klagerücknahme
beendet worden ist.
Der 1962 geborene Kläger beantragte am 16.12.2008 bei der Beklagte eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit. Er gab
hierbei an, von 1978 bis 1981 den Beruf eines Elektroinstallateurs erlernt zu haben und später zum Industriekaufmann (ohne
Abschluss) und zum Mikroelektroniker umgeschult worden zu sein. Außerdem sei er als Nebenerwerbslandwirt tätig.
Am 03.02.2009 wurde der Kläger auf Veranlassung der Beklagten durch den Allgemein- und Sozialmediziner Dr. M. untersucht,
der wiederkehrende Beschwerden der Brust- und Lendenwirbelsäule bei leichter Fehlhaltung ohne wesentliche Funktionsminderung
und ohne Wurzelreizsyndrom bei geringer Adipositas sowie einen Nikotinmissbrauch feststellte. Der Kläger könne die Tätigkeit
eines Mikroelektronikers ebenso wie mittelschwere Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes im Umfang von täglich 6 Stunden
und mehr verrichten. Vermieden werden müssten lange Zwangshaltungen.
Mit Bescheid vom 12.02.2009 lehnte die Beklagte den Antrag auf eine Rente wegen Erwerbsminderung ab, da weder eine teilweise
noch eine volle Erwerbsminderung vorliegen würden, nachdem der Kläger auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ohne zeitliche Einschränkung
einsatzfähig sei und auch darauf verwiesen werden könne.
Mit Schreiben vom 09.03.2009 legte der Kläger hiergegen Widerspruch ein und machte einen Arbeitsunfall im Jahr 2008 geltend,
der Folgebeeinträchtigungen am Schlüsselbein nach sich gezogen habe. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid
vom 21.08.2009 zurück: Im Widerspruchsverfahren hätten sich keine neuen Erkenntnisse ergeben.
Mit Schreiben vom 15.09.2009 hat der Kläger am 16.09.2009 per Telefax Klage zum Sozialgericht Bayreuth erhoben und die Gewährung
von Prozesskostenhilfe beantragt. In der Akte des Sozialgerichts findet sich für den 04.11.2009 ein Vermerk über einen Anruf
des Klägers, in dem er mitgeteilt hat, dass er seinen Prozesskostenhilfeantrag zurückziehe. Diese Gesprächsnotiz ist dem Kläger
am selben Tag zur Kenntnis übermittelt worden. In einem Schreiben vom 16.03.2010, das das Aktenzeichen S 16 R 894/09 getragen hatte, ist der Kläger darauf hingewiesen worden, dass für einen Prozesskostenhilfeantrag im sozialgerichtlichen
Verfahren praktisch nur die Beiordnung eines Rechtsanwaltes von Bedeutung sei und er aufgefordert werde, einen solchen Anwalt
zu benennen.
Am 19.03.2010 ist beim Sozialgericht Bayreuth ein Schreiben des Klägers eingegangen, das auf den 17.03.2010 datiert war und
in dem der Kläger geschrieben hatte: "Die Klage S 16 R 894/09 ziehe ich zurück." Dieser Text ist vom Kläger unterschrieben gewesen.
Das Sozialgericht Bayreuth hat dem Kläger mit Schreiben vom 19.03.2010 bestätigt, dass er mit Schreiben vom 17.03.2010 die
Klage zurückgenommen habe und der Rechtsstreit damit erledigt sei.
Mit einem auf den 19.05.2013 datierten Schreiben hat sich der Kläger an die Präsidentin des Bayer. Landessozialgerichts gewandt
und die Wiederaufnahme des Verfahrens S 16 R 894/09 vor dem Sozialgericht Bayreuth beantragt. Ihm sei mit Schreiben vom 16.03.2010 Prozesskostenhilfe gewährt worden und mit
Schreiben vom 06.10.2010 sei er zur Benennung eines Rechtsanwaltes aufgefordert worden. Mit der Verpachtung von Grund und
Boden zum 01.01.2010 sei die AOK M. mit Beiträgen als Rentenantragsteller gegen ihn tätig geworden und habe bis zur Lohnpfändung
gefordert. Da er über kein Geld verfügt habe, sei ihm keine Wahl geblieben, als die Klage zurückzuziehen.
Dieses Schreiben ist an das Sozialgericht Bayreuth zur weiteren Behandlung in der dortigen Zuständigkeit übermittelt worden.
Das Sozialgericht hat das Verfahren S 16 R 894/09 unter dem Az. S 16 R 448/13 fortgeführt. Es hat die Beteiligten dazu angehört, dass es beabsichtige, durch Gerichtsbescheid zu entscheiden. Die Beklagte
hat hiermit ihr Einverständnis erteilt, der Kläger hat sich hierzu nicht geäußert.
Das Sozialgericht hat mit Gerichtsbescheid vom 06.09.2013 festgestellt, dass sich der Rechtsstreit durch die Klagerücknahme
vom 17.03.2010 erledigt gehabt habe. Die Klage sei durch das am 19.03.2010 eingegangene Schreiben wirksam zurückgenommen worden
mit der Folge, dass der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt gewesen sei. Eine Sachentscheidung könne das Gericht daher
nicht mehr treffen. Eine Fortsetzung des Verfahrens könne nur bei einem begründeten Widerruf entsprechend den Regeln über
die Wiederaufnahme eines durch rechtskräftiges Endurteil abgeschlossenen Verfahrens erreicht werden. Im Fall des Klägers würde
jedoch ein Wiederaufnahmegrund nach den Vorschriften der §§
179 ff
Sozialgerichtsgesetz (
SGG) und 580 ff
Zivilprozessordnung (
ZPO) nicht vorliegen, wobei diese im Einzelnen aufgezählt worden sind. Selbst wenn das Schreiben vom 16.03.2010, das aufgrund
der telefonischen Rücknahme des Antrags auf Gewährung von Prozesskostenhilfe im Verfahren S 16 R 894/09 am 04.11.2009 für jedermann erkennbar nur das Parallelverfahren S 16 R 4/10 betreffen konnte, eine dem für das Verfahren S 16 R 4/10 zuständigen Richter zurechenbare Amtspflichtverletzung darstellen würde, wäre damit kein Wiederaufnahmegrund für das Verfahren
S 16 R 894/09 sondern allerhöchsten für das Verfahren S 16 R 4/10 gegeben.
Mit Schreiben vom 01.10.2013 hat der Kläger am 02.10.2013 Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth
vom 06.09.2013 eingelegt und hierfür Prozesskostenhilfe beantragt. Er hat auf anderweitige Verfahren im Bereich der Grundsicherung
Bezug genommen, die dazu geführt hätten, dass er ärztliche Behandlungen nicht habe in Anspruch nehmen können. Er habe wegen
Prozesskostenhilfeverweigerung und der damit verbundenen absichtlichen Prozessverzögerung seine Klage zurückziehen müssen.
Bei einer Eingliederungsmaßnahme seien für den Eingliederungszuschuss keinerlei entsprechende Leistungen erbracht worden.
Dafür sei bei ihm ein Krankenstand ausgelöst worden. Auch liege bei ihm eine unbegründete doppelte Krankenversicherung vor.
Der Senat hat mit Beschluss vom 04.04.2014 den Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe wegen fehlender Erfolgsaussichten
abgelehnt.
Mit weiterem Beschluss vom 15.04.2014 hat der Senat die Berufung dem Berichterstatter zur Entscheidung übertragen.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 06.09.2013 aufzuheben und die Beklagte zur Gewährung einer Rente wegen
voller, hilfsweise teilweiser Erwerbsminderung ab frühest möglichem Zeitpunkt unter Aufhebung der entgegenstehenden Bescheide
zu verurteilen, hilfsweise die Streitsache an das Sozialgericht Bayreuth zur weiteren Sachverhaltsaufklärung und Entscheidung
in der Sache zurück zu verweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung gegen den Gerichtsbescheid vom 06.09.2013 zurückzuweisen.
Zur Ergänzung wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Instanzen sowie der beigezogenen Akte der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§
143,
144,
151 SGG) ist zulässig, jedoch nicht begründet. Das Sozialgericht hat zu Recht die Beendigung des Klageverfahrens S 16 R 894/09 durch Klagerücknahme festgestellt.
Nach §
102 Abs.
1 SGG kann der Kläger die Klage bis zur Rechtskraft des Urteils zurücknehmen; die Klagerücknahme erledigt den Rechtsstreit in der
Hauptsache. Im vorliegenden Fall hat der Kläger noch vor einer mündlichen Verhandlung oder einem Urteilsspruch schriftlich
die Rücknahme der Klage erklärt und die Rücknahmeerklärung bezieht sich eindeutig auf das entsprechende Klageverfahren.
Die Klagerücknahme kann grundsätzlich nicht widerrufen und nicht angefochten werden (Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
Kommentar zum
SGG, §
102 Rn 7c). Ausnahmen hiervon stellen lediglich Fälle dar, in denen die Voraussetzungen der Wiederaufnahme eines Verfahrens entsprechend
den Regeln der §§
179,
180 SGG i.V.m. §
579,
580,
586 ZPO erfüllt sind.
Nachdem es keine gerichtliche Entscheidung gegeben hat und eine Prozessvertretung vor dem Sozialgericht nicht vorgeschrieben
ist, scheiden die Gründe nach §§
179 Abs.
1 Nrn 1 bis 4
ZPO bereits von vornherein aus. Es ist auch nicht ersichtlich, dass die Klagerücknahme aufgrund einer falschen Eidesleistung,
einer falschen Urkunde, eines falschen Gutachtens, durch eine Straftat oder durch ein zwischenzeitlich aufgehobenes anderes
Urteil bewirkt worden wäre oder das Auffinden einer Urkunde die maßgebliche Situation nachträglich wesentlich anders hätte
erscheinen lassen, so dass keiner der genannten Wiederaufnahmegründe besteht.
Soweit im erstinstanzlichen Gerichtsbescheid auf eine zu diskutierende Möglichkeit eines richterlichen Fehlverhaltens im Zusammenhang
mit einem anderweitigen PKH-Verfahren abgehoben worden war, ist der Schlussfolgerung zuzustimmen, dass jenes Fehlverhalten
unabhängig davon ob es überhaupt als solches anzusehen wäre nicht das hier in Rede stehende Verfahren betroffen haben kann
und somit jedenfalls keine rechtliche Grundlage für eine Wiederaufnahme dieses Verfahrens entfaltet hat. Wenn der Kläger am
16.03.2010 irrtümlich eine Bewilligung von Prozesskostenhilfe angenommen gehabt hätte, wäre eine Rücknahme der Klage am Folgetag
umso weniger dadurch zu begründen.
Die Hinweise des Klägers auf eine unzureichende ärztliche Behandlung und den aus seiner Sicht hierfür maßgeblichen Gründen,
könnten allenfalls für die Frage eines Rentenanspruchs, nicht aber für die Frage der Wirksamkeit einer Klagerücknahme von
Bedeutung sein. Eine Versagung von Prozesskostenhilfe liegt formal nicht vor, da der Kläger seinen entsprechenden Antrag zurückgezogen
hatte. Soweit im Bereich der Krankenversicherung tatsächlich Unregelmäßigkeiten vorgelegen hätten, wäre dagegen außerhalb
des Rentenverfahrens entsprechend vorzugehen gewesen. Einen nachträglichen Grund, ein abgeschlossenes Klageverfahren wieder
aufzunehmen, stellt dies nicht dar. Für die Angaben des Klägers zu Vorgängen bei einer Eingliederungsmaßnahme lässt sich überhaupt
kein Bezug zum vorliegenden Rechtsstreit erkennen.
Hinzuweisen ist außerdem darauf, dass der Kläger sich mehr als 3 Jahre nicht um das Klageverfahren mehr gekümmert hatte, obwohl
ihm die Klagerücknahme seitens des Sozialgerichtes bestätigt worden war. Dies stellt ein weiteres Indiz dafür dar, dass Vorgänge
im zeitlichen Umfeld der Klagerücknahme keine Rolle für die vom Kläger drei Jahre später geltend gemachte Unwirksamkeit der
Klagerücknahme gespielt haben dürften.
Das Sozialgericht hat zur Überzeugung des Senats zu Recht die Rechtswirksamkeit der Klagerücknahme festgestellt und die Fortführung
der Klage gegen den ablehnenden Rentenbescheid der Beklagten damit aus formalen Gründen als unzulässig angesehen. Die Berufung
war dementsprechend zurückzuweisen.
Dem Kläger verbleiben zur Verfolgung der letztlich angestrebten Rentengewährung somit derzeit allein die Möglichkeiten eines
neuerlichen Rentenantrags sofern die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen noch erfüllt sind oder eines Verfahrens auf
Überprüfung eines bestandskräftigen Bescheids (§ 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch SGB X).
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Gründe, die Revision gemäß §
160 Abs
2 Nrn 1 und 2
SGG zuzulassen, liegen nicht vor.