Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Zahlung von Krankengeld für den Zeitraum 1. Dezember 2016 bis 21. März 2017.
Die im Jahre 1963 geborene Klägerin ist bei der Beklagten krankenversichert. Bis zum 30. April 2016 stand sie in einem Beschäftigungsverhältnis,
das eine Pflichtversicherung begründete.
Vom 1. Mai 2016 bis zum 14. November 2016 bezog die Klägerin Arbeitslosengeld.
Für die Zeiträume vom 4. Oktober 2016 bis zum 19. Oktober 2016, vom 20. Oktober 2016 bis zum 16. November 2016 und vom 17.
November 2016 bis zum 30. November 2016 stellte der Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. H Arbeitsunfähigkeit fest, jeweils aufgrund
der Diagnosen F41.9 (Angststörung, nicht näher bezeichnet) sowie F 32.9 (Depressive Episode, nicht näher bezeichnet).
Vom 15. November 2016 bis zum 30. November 2016 bezog die Klägerin auf dieser Grundlage von der Beklagten Krankengeld.
Mit Schreiben vom 27. Oktober 2016 übersandte die Beklagte der Klägerin ein Merkblatt, in dem sie u.a. darüber belehrt wurde,
dass die Aufrechterhaltung des Krankengeldanspruchs eine lückenlose und zeitnahe Bescheinigung bzw. Meldung der Arbeitsunfähigkeit
erfordere.
Eine nächste Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, wiederum aufgrund der Diagnosen F41.9 und F 32.9, erstellte der Arzt Dr. H
am 2. Dezember 2016 (Freitag), mit Geltung bis voraussichtlich 19. Dezember 2016; die Zeit vom 2. Dezember 2016 bis zum 21.
März 2017 ist durchgehend mit Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen belegt. Seit dem 20. Dezember 2016 erfolgte die Ausstellung
von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen durch die Fachärztin Psychiatrie Dr. KB, jeweils unter Angabe der Diagnose F32.2 (schwere
depressive Episode ohne psychotische Symptome).
Mit Bescheid vom 5. Dezember 2016, gegen den die Klägerin keinen Widerspruch einlegte, teilte die Beklagte ihr mit, dass der
Krankengeldbezug am 30. November 2016 ende, weil es am 1. Dezember 2016 (Donnerstag) zu einer Lücke in der Bescheinigung von
Arbeitsunfähigkeit gekommen sei.
Für den Zeitraum 1. Dezember 2016 bis 21. März 2017 führt die Beklagte die Klägerin als freiwillig Krankenversicherte ohne
Anspruch auf Krankengeld.
Seit dem 22. März 2017 bezog die Klägerin wieder Arbeitslosengeld.
Am 23. März 2017 beantragte die Klägerin die Überprüfung des Bescheides vom 5. Dezember 2016 bzw. ihres Anspruchs auf Krankengeld
für die Zeit ab 1. Dezember 2016. Sie habe Ende November 2016 unter einer schweren depressiven Episode (F32.2) gelitten, derentwegen
sie von der Psychiaterin B krankgeschrieben sei. Im Falle einer schweren Depression sei man typischer Weise nicht mehr in
der Lage, alltägliche Pflichten durchgehend zu erfüllen. Insbesondere Ende November 2016 sei sie vollkommen erschöpft gewesen
und habe keiner Tätigkeit nachgehen können. Erst am 1. Dezember 2016 habe sie die Praxis von Dr. H aufgesucht. Zum damaligen
Zeitpunkt sei sie falsch behandelt worden und hätte psychiatrischer Versorgung bedurft. Als sie am 1. Dezember 2016 in der
Praxis angekommen sei, habe man ihr dort gesagt, es sei zu voll, sie solle am nächsten Tag wiederkommen, Probleme werde es
dadurch nicht geben. Aufgrund ihrer depressiven Erkrankung habe sie dagegen keinen Widerstand geleistet. Die Krankschreibung
sei dann erst am nächsten Tag, 2. Dezember 2016, erfolgt.
Mit Bescheid vom 14. Juli 2017, bestätigt durch Widerspruchsbescheid vom 30. August 2017, lehnte die Beklagte die Aufhebung
ihres Bescheides vom 5. Dezember 2016 ab. Weder sei das Recht sei nicht unrichtig angewandt, noch sei ein unzutreffender Sachverhalt
zugrunde gelegt worden.
Zur Begründung ihrer hiergegen erhobenen Klage hat die Klägerin ihr Vorbringen aus dem Überprüfungsantrag vertieft. Sie sei
im streitigen Zeitraum arbeitsunfähig gewesen. Die verzögerte Ausstellung einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung liege im
Verantwortungsbereich des Arztes Dr. Hund damit der Beklagten. Aufgrund ihrer schweren Depression sei sie generell antriebslos
und müde gewesen. Ihre schwere Erschöpfung im Sinne einer Tumor-assoziierten Fatigue sei auf Tumoroperationen im Jahre 2015
zurückzuführen, hinzu getreten seien der Tod ihres Vaters und die Insolvenz ihres Arbeitgebers. Letztlich sei sie handlungsunfähig
gewesen. Zum Beleg hat die Klägerin einen Arztbrief des Fatigue-Centrums der C vom 12. März 2018 (Untersuchung vom selben
Tage) zu den Akten gereicht.
Die Beklagte ist dem entgegen getreten und hat darauf hingewiesen, dass eine Lücke in der Bescheinigung der Arbeitsunfähigkeit
bei lediglich nach §
192 Abs.
1 Nr.
2 SGB V aufrecht erhaltener Mitgliedschaft zu einem Wechsel des Versichertenstatus und Verlust der Anspruchs auf Krankengeld führe.
Eine am 1. Dezember 2016 bestehende Handlungs- oder Geschäftsunfähigkeit sei nicht belegt.
Das Sozialgericht Berlin hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 28. Januar 2019 abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen
ausgeführt: Am 2. Dezember 2016 sei die Klägerin nicht mehr mit Anspruch auf Krankengeld versichert gewesen. Vom Erfordernis
fortlaufender ärztlich bescheinigter Arbeitsunfähigkeit könne nicht abgewichen werden. Denn die Klägerin habe nicht alles
in ihrer Macht stehende unternommen, um eine rechtzeitige Feststellung ihrer Arbeitsunfähigkeit herbeizuführen. Aufgrund des
nicht lange zurückliegenden Schreibens der Beklagten von Ende Oktober 2016 habe ihr klar sein müssen, dass eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung
spätestens vom 1. Dezember 2016 Voraussetzung für die Weiterbewilligung von Krankengeld sei. Es sei nichts dafür ersichtlich,
dass sie etwa mental oder psychisch außer Stande gewesen sei, am 1. Dezember 2016 auf eine Vorstellung beim Arzt zu warten.
Auch eine allgemeine Handlungsunfähigkeit sei nicht erkennbar, zumal es ihr am 1. und am 2. Dezember 2016 möglich gewesen
sei, die Arztpraxis aufzusuchen.
Gegen den ihr am 29. Januar 2019 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 7. Februar 2019 Berufung eingelegt. Zur
Begründung trägt sie im Wesentlichen vor: Zu Unrecht sei das Sozialgericht nicht vom Vorliegen einer schweren Depression ausgegangen.
Eine solche führe zu schwersten Schwierigkeiten in der Lebensbewältigung. Eine Leistungsfähigkeit der Klägerin hätte nicht
ohne weitere Ermittlungen zum Sachverhalt vermutet werden dürfen.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 28. Januar 2019 sowie den Bescheid der Beklagten vom 14. Juli 2017 in der
Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. August 2017 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, den Bescheid vom 5. Dezember
2016 aufzuheben und der Klägerin Krankengeld für die Zeit vom 1. Dezember 2016 bis 21. März 2017 zu gewähren,
hilfsweise,
Beweis zu erheben durch ein fachpsychiatrisches Sachverständigengutachten zu der Beweisfrage, ob bei einer unstreitig diagnostizierten
schweren Depression nach ICD F32.2 eine Einschränkung der Handlungsfreiheit des Er-krankten vorliegt, die eine taggenaue Krankschreibung
generell ausschließt bzw. jedenfalls dann ausschließt, wenn der Erkrankte auf einen späteren Arzttermin an einem Folgetag
verwiesen wird.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend. Zudem sei der Höchstanspruch für den Bezug von Krankengeld wegen
der psychischen Erkrankung der Klägerin ausgeschöpft, denn sie sei ab dem 10. November 2017 wegen psychiatrischer Diagnosen
erneut arbeitsunfähig gewesen und habe innerhalb der maßgeblichen Blockfrist nach §
48 SGB V Krankengeld bis zur Aussteuerung am 9. Mai 2019 erhalten (Bescheid vom 11. Februar 2019).
Mit Beschluss vom 28. April 2020 hat der Senat den Rechtsstreit dem Berichterstatter übertragen, der zusammen mit den ehrenamtlichen
Richtern entscheidet.
Wegen des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird im Übrigen auf den Inhalt der Gerichtsakte und des Verwaltungsvorgangs
der Beklagten Bezug genommen, der, soweit wesentlich, Gegenstand der Erörterung in der mündlichen Verhandlung und der Entscheidungsfindung
war.
Die Berufung der Klägerin hat keinen Erfolg.
Zu ergänzen und zu betonen bleibt: Für den 1. Dezember 2016 besteht mangels einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung kein Anspruch
auf Zahlung von Krankengeld (vgl. § 46 Satz 1 Nr. 2 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch [SGB V]). Durch die so entstandene Lücke
ist auch für die Zukunft der Anspruch auf Krankengeld entfallen, denn das Versicherungsverhältnis mit Krankengeldanspruch
besteht nach §
192 Abs.
1 Nr.
2 SGB V nur so lange fort, wie Arbeitsunfähigkeit nahtlos bescheinigt wurde. Ein Ausnahmefall besteht im Falle der Klägerin nicht,
denn sie war am 1. Dezember 2016 nicht handlungs- oder geschäftsunfähig (vgl. zu diesem Erfordernis Bundessozialgericht, Urteil
vom 11. Mai 2017, B 3 KR 22/15 R, zitiert nach juris, dort Rdnr. 22). Die Klägerin war in der Lage (und damit "handlungsfähig"), die Praxis des Allgemeinmediziners
Dr. H am 1. und auch am 2. Dezember 2016 aufzusuchen. Zugleich war ihr wenige Wochen vorher von der Beklagten ausdrücklich
schriftlich mitgeteilt worden, dass eine lückenlose Bescheinigung von Arbeitsunfähigkeit unentbehrlich sei für die Aufrechterhaltung
des Krankengeldanspruchs. Damit fällt ihr die Entstehung der "Lücke" zur Last; die insoweit strenge Betrachtung ist geboten,
weil der Fall sich hier im Bereich einer Ausnahmekonstellation bewegt, die sich einer extensiven Handhabung verschließt. Nicht
vergleichbar ist der Sachverhalt in-soweit mit demjenigen, der der zitierten BSG-Entscheidung zugrunde lag. Denn dort kam es zu einem Arzt-Patienten-Kontakt und die Krankschreibung unterblieb aufgrund der
medizinischen Fehleinschätzung des Behandlers. Der Klägerin war klar, dass es der Erstellung einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung
am 1. Dezember 2016 bedurft hätte; es oblag ihr, sich darum auch mit Erfolg zu kümmern.
Anlass zur Beweiserhebung hat der Senat nicht gesehen, denn es würde sich um Ermittlungen ins Blaue hinein handeln. Zum einen
hat der Aussteller der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen bis zum 19. Dezember 2016 ausdrücklich (nur) die Diagnosen F41.9
(Angststörung, nicht näher bezeichnet) sowie F 32.9 (Depressive Episode, nicht näher bezeichnet) angeführt. Es kann nicht
unterstellt werden, dass ein Allgemeinmediziner nicht in der Lage wäre, psychiatrische Diagnosen korrekt zu handhaben. Vom
Vorliegen dieser Diagnosen darf der Senat daher nach Art eines gesicherten Sachverhalts bis einschließlich 19. Dezember 2019
ausgehen. Eine Behandlung bei der Psychiaterin Dr. B ist erst für die Zeit ab 20. Dezember 2016 ersichtlich. Die Frage, wie
sie die psychische Erkrankung der Klägerin drei Wochen vorher beurteilt hätte, geht daher fehl und ist zur Sachaufklärung
nicht geeignet. Dem ausdrücklich gestellten Beweisantrag der Klägerin musste der Senat ebenso wenig folgen. Denn er zielt
nicht auf für das Ergebnis erhebliche konkrete Sachaufklärung, sondern auf die Erstellung eines abstrakten medizinisch-juristischen
Gutachtens bzw. eines Glaubenssatzes zu der Frage, wie weit eine schwere Depression grundsätzlich die Handlungsfreiheit eines
Betroffenen einschränkt. Damit wäre schon deswegen nicht geholfen, weil aus den oben genannten Gründen nicht hinreichend sicher
feststeht, dass die Klägerin am 1. Dezember 2016 unter einer schweren Depression litt. Zudem verbietet sich abstrakte Betrachtung
in Fällen wie dem vorliegenden, in denen es auf die konkreten Abläufe ankommt. Diese bestehen darin, dass die Klägerin am
1. Dezember 2016 handlungsfähig war, was der wiederholte Arztbesuch unter Beweis stellte.