Erstattung von Kosten für ein Widerspruchsverfahren
Vertretung durch einen Sozialverband
Zeitpunkt der Beurteilung
Nicht erstattungsfähiges Erfolgshonorar
Tatbestand
Streitig ist die Erstattung von Kosten für das Widerspruchsverfahren.
Der Kläger ist Mitglied des Sozialverbandes VdK Nordrhein-Westfalen e.V. (im Folgenden: VdK NRW).
Die "Satzung der Verbandsstufen 2012" des VdK NRW (eingetragen im Vereinsregister des Amtsgerichts Düsseldorf unter der Nr.
VR 3923 am 16.10.2012) regelt unter § 8 Abs 1 c): "Der Landesverbandstag verabschiedet für Mitglieder, die ein Widerspruchs-
oder Klageverfahren durch den Verband betreiben, eine Gebührenordnung, die Näheres regelt."
Die "Gebührenordnung des Sozialverbandes VdK NRW e.V. für Rechtsbehelfs- und Rechtsmittelverfahren" in der zum 01.07.2012
in Kraft getretenen und bis zum 30.06.2014 gültigen Fassung vom 20.06.2012 (im Folgenden: Gebührenordnung) regelt unter §
2 die Bearbeitungsgebühren. Nach § 2 Abs 2 der Gebührenordnung betragen die Bearbeitungsgebühren in Angelegenheiten des Rechts
der gesetzlichen Rentenversicherung im Widerspruchsverfahren 66,00 Euro. § 4 der Gebührenordnung trägt die Überschrift: "Fälligkeit
und sonstige Pflichten". § 4 Abs 2 der Gebührenordnung lautet: "Der Anspruch des Verbandes auf die Bearbeitungsgebühr gemäß
§ 2 Abs 2 entsteht in Höhe eines Drittels des Gesamtbetrages, sobald der Verband die Rechtsvertretung übernimmt, in Höhe der
beiden weiteren Drittel bei erfolgreichem Abschluss des Verfahrens, das heißt bei teilweisem oder vollem Obsiegen."
Der VdK NRW hat den Kläger im Widerspruchsverfahren gegen die Beklagte vertreten. Aufgrund des Widerspruchs vom 07.03.2013
gewährte die Beklagte dem Kläger Rente wegen voller Erwerbsminderung (Rentenbescheid vom 01.07.2013).
Mit dem angefochtenen Bescheid vom 23.06.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.08.2014 setzte die Beklagte
die nach § 63 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) - für das Widerspruchsverfahren zu erstattenden Kosten auf 22,00 Euro fest. Die Übernahme der mit Schreiben vom 07.08.2013
beantragten vollständigen Aufwendungen in Höhe von 66,00 Euro lehnte die Beklagte ab. Die satzungsrechtliche Regelung des
VdK NRW in Verbindung mit der Gebührenordnung für Rechtsbehelfs- und Rechtsmittelverfahren stelle keine taugliche Grundlage
dar, die Entstehung und Höhe einer Kostenforderung analog einer gesetzlichen Gebührenordnung nachvollziehbar und transparent
darzulegen und zu begründen.
Wegen der Erstattung weiterer Kosten des Widerspruchsverfahrens in Höhe von 44,00 Euro hat der Kläger am 26.09.2014 Klage
erhoben. Der VdK NRW hat darauf hingewiesen, das vorliegende Verfahren sei als Musterverfahren zur grundsätzlichen Klärung
wegen der Vielzahl insoweit streitiger Ansprüche bzw. offener Antragsverfahrens ausgewählt worden.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 23.06.2014 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 27.08.2014 zu verurteilen,
den Kläger von Kosten in Höhe von 44,00 Euro frei zu stellen,
hilfsweise, die Berufung zuzulassen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen,
hilfsweise,
die Berufung zuzulassen.
Sie hat auf ihre Ausführungen im Widerspruchsbescheid Bezug genommen.
Mit Urteil vom 25.02.2016 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und die Berufung zugelassen. Die Erstattung der zur zweckentsprechenden
Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen nach § 63 Abs 1 S 1 SGB X setze eine rechtswirksame Forderung des VdK gegen den Kläger für dessen Vertretung im Widerspruchsverfahren voraus. Eine
solche bestehe ausschließlich in Höhe der von der Beklagten bereits übernommenen 22,00 Euro, nicht jedoch in Höhe weiterer
44,00 Euro. Dies ergebe sich schon aus dem Wortlaut des § 4 Abs 2 der Gebührenordnung, der vorsehe, dass der Anspruch des
Verbandes auf die Bearbeitungsgebühr gemäß § 2 Abs 2 in Höhe eines Drittels des Gesamtbetrages entstehe, sobald der Verband
die Rechtsvertretung übernehme, in Höhe der beiden weiteren Drittel erst bei erfolgreichem Abschluss des Verfahrens, das heißt
bei teilweisem oder vollem Obsiegen. Das Mitglied des Verbandes verpflichte sich somit bei Mandatierung, also Abschluss des
entgeltlichen Geschäftsbesorgungsvertrages, lediglich zur Zahlung von 22,00 Euro. § 4 der Gebührenordnung des VdK NRW sehe
nach dem Wortlaut ausdrücklich vor, wann ein Anspruch des VdK NRW auf Zahlung der in § 2 Gebührenordnung genannten Bearbeitungsgebühren
in welcher Höhe entstehe und fällig werde. Vor diesem Hintergrund handele es sich bei der begehrten Freistellung von weiteren
Kosten in Höhe von 44,00 Euro nicht um notwendige Aufwendungen im Sinne von § 63 Abs 1 S 1 SGB X. Auch der Hinweis auf die in § 4 a Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) vorgesehene Möglichkeit der Vereinbarung eines Erfolgshonorars ändere hieran nichts. Ein Erfolgshonorar zähle nicht zu den
gesetzlichen Gebühren und Auslagen und sei nicht erstattungsfähig. Schließlich sei auch nicht die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts
zur Konstellation des VdK Baden-Württemberg (Urteil vom 18.09.2014 - S 14 AS 5/14 R) heranzuziehen. Denn dort werde die Rechtsberatung und Rechtsvertretung mittels einer eigens für diesen Zweck gegründeten
gemeinnützigen GmbH organisiert.
Gegen dieses ihm am 24.03.2016 zugestellte Urteil hat der Kläger am Montag, den 25.04.2016 Berufung eingelegt.
Der Kläger macht eine grundsätzlich vergleichbare Situation zur Regelung in § 4 a RVG geltend. Er beruft sich erneut auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur Satzung des VdK Baden-Württemberg. Eine
vergleichsbare Dreieckskonstellation liege auch im vorliegenden Fall vor, es werde lediglich auf eine nur fiktiv vorzunehmende
Rechnungsstellung verzichtet.
Der Kläger beantragt,
dass Urteil des Sozialgerichts Münster vom 25.02.2016 abzuändern und die Beklagte unter Änderung des Bescheides vom 23.06.2014
in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 27.08.2014 zu verurteilen, ihn von weiteren Kosten des Widerspruchsverfahrens
in Höhe von 44,00 Euro freizustellen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält demgegenüber das erstinstanzliche Urteil für zutreffend.
Die Verwaltungsakte der Beklagten hat neben der Prozessakte vorgelegen. Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes
wird auf den Inhalt der Akten, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom
23.06.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.08.2014 ist rechtmäßig.
Auch zur Überzeugung des Senats hat der Kläger keinen Anspruch auf Freistellung bzw. Erstattung von weiteren Kosten für das
Widerspruchsverfahren in Höhe von 44,00 Euro.
Rechtsgrundlage ist § 63 Abs 1 S 1 SGB X, wonach der Rechtsträger, dessen Behörde den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat, demjenigen, der Widerspruch erhoben
hat, die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung und Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen zu erstatten hat, soweit
der Widerspruch erfolgreich ist.
Vorliegend war der Widerspruch des Klägers vom 07.03.2013 erfolgreich, denn die Beklagte gewährte ihm mit Bescheid vom 01.07.2013
die beantragte Rente wegen voller Erwerbsminderung. Für einen Erfolg im Sinne des § 63 SGB X spielt es keine Rolle, ob ein Widerspruchsbescheid das Begehren bestätigt oder ob sich der Erfolg, wie hier, aus einem Abhilfebescheid
im Sinne des §
85 Abs
1 SGG ergibt.
Darüber hinaus sind Kosten, die durch die Beauftragung von Sozialverbänden entstehen, als notwendige Aufwendungen nach § 63 Abs 1 S 1 SBG X erstattungsfähig (BSG Urteil vom 18.09.2014 - B 14 AS 5/14 R, Rn 15).
Der Senat kann offen lassen, ob die Beklagte bei Erfolg des Widerspruchsverfahrens keine Kosten zu erstatten hat, solange
der VdK NRW diese gegenüber dem Kläger nicht geltend gemacht hat. So hat etwa der 19. Senats des LSG NRW (Urteil vom 20.04.2012
- L 19 S 26/12 B) zur Vergütung eines Rechtsanwalts für dessen Tätigkeit im Widerspruchsverfahrens entschieden, dass dem Auftraggeber des
Rechtsanwalts bisher keine Aufwendungen für dessen Inanspruchnahme entstanden sind, wenn eine Berechnung des Vergütungsanspruchs
ihm gegenüber vor Rechnungslegung gegenüber der Behörde nicht erfolgt ist. Vorliegend sind die streitigen weiteren 44,00 Euro
dem Kläger entsprechend der gängigen Praxis des VdK NRW nicht in Rechnung gestellt worden.
Für die Festlegung dessen, was unter die in § 63 SGB X normierten "notwenigen Aufwendungen" fällt, ist auf den Zeitpunkt abzustellen, zu dem der Auftrag zur Rechtsvertretung im
Widerspruchsverfahren erteilt wird (Feddern in: Schlegel/Voelzke, jurisPk-SGB X, § 63 Rn 34; Becker in Hauck/Noftz, SGB X, § 63 Rn 48; jedenfalls für die Frage der Notwendigkeit der Zuziehung eines Rechtsanwaltes im Vorverfahren: BSG Urteil vom 31.05.2006 - B 6 KA 78/04 R, Rn 19). An einer Kostenforderung fehlt es, wenn unklar bleibt, ob das Verbandsmitglied die Forderung dieser Höhe auch endgültig
trägt (Feddern, aaO, § 63 Rn 76).
Streitentscheidend ist somit, welcher Kostenforderung der Kläger gegenüber dem ihn vertretenden Sozialverband zum Zeitpunkt
der Erteilung des Auftrages zur Durchführung des Widerspruchsverfahrens - des Abschlusses eines Geschäftsbesorgungsvertrags
im Sinne der §§
611,
675 Abs
1 Bürgerliches Gesetzbuch (
BGB) - ausgesetzt gewesen ist.
Nach Auffassung des Senats bestand zum Zeitpunkt der Übernahme der Geschäftsbesorgung durch den VdK NRW kein ernsthaftes Risiko
des Klägers, die hier geltend gemachten weiteren zwei Drittel des Betrages von 66,00 Euro endgültig zu tragen. Denn ein Anspruch
des Verbandes hierauf müsste sich aus dem Geschäftsbesorgungsvertrag und der Gebührenordnung, hier einschlägig in der Fassung
vom 20.06.2012, ergeben.
Nach § 2 Abs 2 der Gebührenordnung betragen die Bearbeitungsgebühren für das Widerspruchsverfahren in Angelegenheiten des
Rechts der gesetzlichen Rentenversicherung zwar 66,00 Euro. § 4 Abs 2 der Gebührenordnung regelt jedoch eine inhaltliche Bedingung
für das Entstehen der vollen Gebühr. Danach entsteht der Anspruch auf die Gebühr bei Übernahme der Rechtsvertretung nur in
Höhe eines Drittels des Gesamtbetrages, "in Höhe der beiden weiteren Dritteln bei erfolgreichen Abschluss des Verfahrens,
das heißt bei teilweisen oder vollem Obsiegen". Das Sozialgericht hat in diesem Zusammenhang zutreffend eine grammatikalische
Auslegung vorgenommen und darauf abgestellt, dass nach dem ausdrücklichen Wortlaut dieser Regelung die Bearbeitungsgebühr
in Höhe der beiden weiteren Drittel erst bei erfolgreichen Abschluss des Verfahrens "entsteht". Der Wortlaut stellt somit
auf das Entstehen des Anspruchs ab und nicht etwa auf die Durchsetzbarkeit; die Gebührenordnung regelt damit ausdrücklich
das Entstehen des Anspruchs dem Grunde nach und nicht die Fälligkeit. Dass dies unter der Überschrift "Fälligkeit" geschieht,
ändert an dem klaren Regelungsinhalt nichts.
Da bei Übernahme der Rechtsvertretung nicht erkennbar ist, ob der Widerspruch teilweisen oder vollen Erfolg haben wird, entsteht
zu diesem Zeitpunkt nur der Anspruch auf eine Bearbeitungsgebühr in Höhe eines Drittels des Gesamtbetrages, mithin in Höhe
von 22,00 Euro.
Da nach vorstehenden Ausführungen zum streitentscheidenden Zeitpunkt ein Anspruch auf die weiteren 44,00 Euro überhaupt nicht
entstanden ist, bedarf es hier auch nicht der Beantwortung der Frage, ob dem Kläger grundsätzlich höchstens diejenigen Kosten
erstattet werden können, denen er auch bei negativem Ausgang des Widerspruchsverfahren ausgesetzt gewesen wäre.
Der Kläger kann auch nicht mit Erfolg geltend machen, die gewählte Regelung laufe materiell auf die Vereinbarung eines Erfolgshonorars
hinaus. Es ist schon fraglich, ob die Satzung des Sozialverbandes die Variante eines Erfolgshonorars eröffnet und die Gebührenordnung
mit vorstehender Regelung ein Erfolgshonorar im Sinne des § 4 a Abs 2 RVG normiert, wonach die erfolgsunabhängige vertragliche Vergütung geregelt und angegeben sein müsste, welche Vergütung bei Eintritt
welcher Bedingung verdient sein soll. Jedenfalls zählt ein Erfolgshonorar gem. § 4 a RVG nicht zu den gesetzlichen Gebühren und Auslagen und ist somit nicht erstattungsfähig, wie das Sozialgericht zutreffend entschieden
hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor, §
160 Abs
2 Nr
1 oder 2
SGG.