Zulassung der Rechtsbeschwerde im Prozeßkostenhilfeverfahren; Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung oder -verteidigung
Gründe:
I. Mit notariellem Vertrag vom 30. Juli 1970 übertrug die Antragstellerin ihrer Tochter, der Ehefrau des Antragsgegners, das
Eigentum an ihrem Hausgrundstück. Im Vertrag ist folgendes bestimmt:
"III. Die Beteiligte zu 2. [das ist die Ehefrau des Antragsgegners] räumt ihrer Mutter, der Beteiligten zu 1. [das ist die
Antragstellerin] ein lebenslängliches unentgeltliches Wohnrecht an sämtlichen Räumen in der ersten Etage, mit Ausnahme eines
Zimmers straßenwärts gelegen, ein.
IV. Die Beteiligte zu 2. verpflichtet sich auf jederzeit zulässiges Verlangen der Beteiligten zu 1., dieser bis zum Lebensende
unentgeltlich Pflege und Aufwartung zu gewähren."
Der Vertrag wurde im Grundbuch vollzogen. Die bei Abschluß des Vertrages 54 Jahre alte Antragstellerin lebte bis zum Ablauf
des März 2001 weiterhin in dem Anwesen. Der Antragsgegner und seine Ehefrau lebten in den Räumen des Erdgeschosses. Am 21.
November 1994 verstarb die Ehefrau des Antragsgegners. Sie wurde von diesem beerbt. Er zog Ende Februar 1998 aus dem Hause
aus.
Seit dem 1. April 2001 lebt die Antragstellerin in einem Altenheim, weil sie pflegebedürftig ist. Sie hat beantragt, ihr Prozeßkostenhilfe
für eine auf Zahlung einer monatlichen Rente und von Rückständen auf eine solche Rente gerichtete Klage zu gewähren. Die Antragstellerin
ist der Auffassung, daß sie von dem Antragsgegner als Rechtsnachfolger seiner Ehefrau die Zahlung einer monatlichen Rente
verlangen könne, da sie infolge ihrer Pflegebedürftigkeit außerstande sei, das ausbedungene Wohnrecht weiterhin in Anspruch
zu nehmen. Sie stützt den Antrag in erster Linie auf Art. 15 § 9 Abs. 3 des Preußischen "Allgemeinen Landrechts" und hilfsweise
auf ergänzende Vertragsauslegung sowie den Wegfall der Geschäftsgrundlage.
Der Antrag ist vor dem Landgericht und dem Oberlandesgericht ohne Erfolg geblieben. Mit der - zugelassenen - Rechtsbeschwerde
verfolgt die Antragsstellerin ihren Antrag weiter.
II. Die Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg. Das Beschwerdegericht hat rechtsfehlerfrei die Erfolgsaussicht der beabsichtigten
Rechtsverfolgung verneint.
1. Die Rechtsbeschwerde hätte allerdings nicht zugelassen werden dürfen. Die Zulassung setzt nach §
574 Abs.
3 Satz 1 i. V. m. Abs.
2 ZPO voraus, daß die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§
574 Abs.
2 Nr.
1 ZPO) oder daß die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung sie erfordert (§
574 Abs.
2 Nr.
2 ZPO). Diese Voraussetzungen kommen bei der Bewilligung von Prozeßkostenhilfe nur in Betracht, wenn es um Fragen des Verfahrens
der Prozeßkostenhilfe oder der persönlichen Voraussetzungen ihrer Bewilligung geht. Hängt die Bewilligung der Prozeßkostenhilfe,
wie im vorliegenden Fall, allein von Frage ab, ob die beabsichtigte Rechtsverfolgung (oder Rechtsverteidigung) hinreichende
Aussicht auf Erfolg bietet, kommt eine Rechtsbeschwerde dagegen nicht in Betracht. Die beabsichtigte Rechtsverfolgung kann
zwar Fragen aufwerfen, die einer höchstrichterlichen Klärung bedürfen oder Veranlassung für eine Vertiefung der höchstrichterlichen
Rechtsprechung geben. Das Prozeßkostenhilfeverfahren hat aber nicht den Zweck, über zweifelhafte Rechtsfragen vorweg zu entscheiden
(BVerfG, Beschl. v. 13. März 1990, 2 BvR 94/88 u. a., NJW 1991, 413, 414; BGH, Beschl. v. 9. September 1997, IX ZB 92/97, MDR 1997, 1147, 1148; Baumbach/Lauterbach/Hartmann,
ZPO, 61. Aufl., §
114 Rdn. 100; MünchKomm-ZPO/Wax, 2. Aufl., §
114 Rdn. 104; Musielak/Fischer,
ZPO, 3. Aufl., §
114 Rdn. 20; Zöller/Philippi,
ZPO, 23. Aufl., §
114 Rdn. 21). Deshalb ist die Erfolgsaussicht einer beabsichtigten Rechtsverfolgung zu bejahen und Prozeßkostenhilfe, wenn die
persönlichen Voraussetzungen gegeben sind, zu gewähren, wenn ein Rechtsmittel zugelassen werden müßte, weil die durch die
Rechtsverfolgung aufgeworfenen Rechtsfragen einer höchstrichterlichen Klärung bedürfen (OLG Karlsruhe, IPRax 1988, 176; OLG Köln, MDR 2000, 601; OLG Celle, FamRZ 2001, 700, 701). Ein Beschwerdegericht, das wegen der Erfolgsaussichten der beabsichtigten Rechtsverfolgung die Voraussetzungen des
§
574 Abs.
3 Satz 1 i. V. m. Abs.
2 ZPO für gegeben hält, muß deshalb Prozesskostenhilfe bewilligen; es darf die Prozeßkostenhilfe nicht ablehnen, gleichzeitig aber
die Rechtsbeschwerde wegen eben jener Fragen zulassen. Geschieht dies dennoch, ist das Rechtsbeschwerdegericht allerdings
daran gebunden, §
574 Abs.
3 Satz 2
ZPO.
2. Die Rechtsbeschwerde ist nicht begründet.
a) Der von der Antragstellerin geltend gemachte Anspruch auf Zahlung einer Geldrente läßt sich nicht auf Art. 15 § 9 Abs.
3 i.V.m. Abs. 2 des Preußischen Ausführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch (PrAGBGB) vom 20. September 1899 in der im
Land Nordrhein-Westfalen fortgeltenden Fassung (SGVNW Nr. 40) stützen. Bei dem Vertrag vom 30. Juli 1970 handelt es sich,
wie das Beschwerdegericht mit Recht ausgeführt hat, nicht um einen Altenteils- oder Leibgedingvertrag im Sinne des Einleitungssatzes
von Art.
15 PrAGBGB, Art.
96 EGBGB. Nach gefestigter Rechtsprechung des Senats wird eine Grundstücksübertragung noch nicht allein durch eine Wohnrechtsgewährung
mit Pflege- und Versorgungsverpflichtung zu einem Altenteils- oder Leibgedingvertrag (Senatsurt. v. 3. April 1981, V ZR 55/80, NJW 1981, 2568, 2569; v. 28. Oktober 1988, V ZR 60/87, NJW 1989, 451, 452; v. 23. September 1994, V ZR 113/93, NJW-RR 1995, 77, 78, v. 28. Januar 2000, V ZR 252/98, WM 2000, 586; u. v. 25. Oktober 2002, V ZR 293/01, zur Veröffentlichung vorgesehen). Vielmehr ist zusätzlich erforderlich, daß dem Übernehmer ein Gut oder Grundstück überlassen
wird, kraft dessen Nutzung er sich eine eigene Lebensgrundlage verschaffen und gleichzeitig den dem Altenteil geschuldeten
Unterhalt gewinnen kann (BGHZ 53, 41, 43). Der verstorbenen Ehefrau des Antragsgegners war indessen nur ein Hausgrundstück übertragen worden, das keine eine Existenz
- wenigstens teilweise - begründende Wirtschaftseinheit (Senatsurt. v. 28. Oktober 1988, V ZR 60/87, NJW 1989, 451, 452; u. v. 25. Oktober 2002, V ZR 293/01) darstellt.
b) Der Beschluß hat im Ergebnis auch insoweit Bestand, als er einen Anspruch unter dem Gesichtspunkt der ergänzenden Vertragsauslegung
verneint.
aa) Beim Abschluß des Übergabevertrags vom 30. Juli 1970 mögen die Vertragsparteien nicht im einzelnen erwogen haben, daß
die Antragstellerin ihre Tochter überleben werde. Das würde aber nichts daran ändern, daß der in diesem Vertrag ausbedungene
Anspruch der Antragstellerin auf Wart und Pflege nunmehr auf den Antragsgegner als Erben seiner zunächst verpflichteten Ehefrau
übergegangen ist. Nach der Rechtsprechung des Senats sind solche Pflichten grundsätzlich nicht höchstpersönlicher Natur (BGHZ
25, 293, 299). Dem entspricht auch die Formulierung des Vertrags ("hat zu gewähren"), zumal die Ehefrau des Antragsgegners damals
schon verheiratet war und kaum anzunehmen ist, daß die Antragstellerin die Erfüllung der Pflegeverpflichtung durch ihren Schwiegersohn
oder andere Mitglieder der Familie ihrer Tochter abgelehnt hätte.
bb) Die Vertragsparteien sind, wie sich aus dem Text des Vertrags ergibt, davon ausgegangen, daß die Antragstellerin zu Hause
würde gepflegt werden können. Diese Erwartung hat sich nicht erfüllt. Das macht eine Anpassung des Vertrags unter dem Gesichtspunkt
der ergänzenden Vertragsauslegung erforderlich. Bei einem Übergabevertrag stellt die Einräumung des Anspruchs auf Wart und
Pflege (zusammen mit dem Wohnrecht) die Gegenleistung für die Übertragung des Eigentums an dem Hausgrundstück dar. Dem Absicherungsinteresse
des Übergebenden entspricht es, daß ihm im Umfang der ersparten Aufwendungen ein Anspruch auf Beteiligung an den Pflegekosten
zusteht, wenn der Pflegeverpflichtete seine Pflegeverpflichtung nicht mehr selbst erfüllen kann, weil der Übergebende in einem
Maße pflegbedürftig wird, daß er professionelle Pflege braucht (Senatsurt. v. 21. September 2001, V ZR 14/01, WM 2002, 598, 599; OLG Koblenz, MittBayNK 1999, 284). Der Umfang der ersparten Aufwendung richtet sich nach dem Inhalt der ursprünglich
bestehenden Pflicht zu Wart und Pflege (Senatsurt. v. 21. September 2001, V ZR 14/01, WM 2002, 598, 599). Diese Verpflichtung ist in dem vorliegenden Vertrag in allgemeiner Form bestimmt. Das bedeutet nicht, daß sich die
Ehefrau des Antragsgegners und Tochter der Antragstellerin in unbegrenztem Umfang zu Wart und Pflege verpflichtet hätte. Sie
war bei Abschluß des Vertrags verheiratet und Hausfrau. Daraus ergibt sich, daß die Ehefrau des Antragsgegners die Antragstellerin
in einem Umfang pflegen sollte, wie es einer Tochter auch unter Berücksichtigung ihrer Pflichten gegenüber der eigenen Familie
und ihrer berechtigten eigenen Lebensführungsinteressen zumutbar ist (vgl. Krauß, DNotZ 2002, 705, 711, 712). Hierzu findet sich in dem Antrag nichts. Auf seiner Grundlage konnte der Antragstellerin daher auch nicht teilweise
Prozeßkostenhilfe bewilligt werden. Der Antragstellerin bleibt es jedoch unbenommen, mit einem neuen Prozeßkostenhilfeantrag
das Streitverhältnis umfassend, auch unter diesem Gesichtspunkt, darzustellen.