Unterhaltspflicht der geschiedenen Ehefrau gegenüber einem Kind aus erster Ehe nach Wiederverheiratung
Tatbestand:
Der Kläger verlangt von der Beklagten, seiner Mutter, Kindesunterhalt.
Der Kläger, geboren am 7. Januar 1991, lebt seit der Scheidung der Ehe seiner Eltern im Jahre 1997 im Haushalt seines sorgeberechtigten
Vaters, der ihn betreut. Der Vater des Klägers ist wieder verheiratet. Sein Einkommen aus einer halbschichtigen Tätigkeit
beträgt 1.800 DM monatlich. Auch die Beklagte, die in der Ehe mit dem Vater des Klägers in geringem Umfang erwerbstätig war,
ist wieder verheiratet. Aus ihrer neuen Ehe ist ein Kind, geboren im Januar 1998, hervorgegangen, das sie betreut. Sie ist
nicht erwerbstätig. Ihr Ehemann verdient aus nichtselbständiger Arbeit monatlich netto 2.600 DM zuzüglich Jahreszuwendungen;
er führt außerdem einen landwirtschaftlichen Nebenbetrieb. Das Familiengericht hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt, an
den Kläger ab Februar 2000 einen monatlichen Unterhalt von 296 DM (431 DM Regelbetrag abzüglich 135 DM hälftiges Kindergeld)
zu zahlen. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht das Urteil des Amtsgerichts abgeändert und den von der
Beklagten monatlich zu zahlenden Unterhalt auf 159 DM herabgesetzt. Hiergegen richtet sich die zugelassene Revision des Klägers,
mit der er die Wiederherstellung des familiengerichtlichen Urteils erstrebt.
Entscheidungsgründe:
Das Rechtsmittel ist begründet.
1. Da die Beklagte im Verhandlungstermin trotz dessen ordnungsgemäßer Bekanntgabe nicht erschienen ist, ist durch Versäumnisurteil
zu entscheiden, das jedoch inhaltlich nicht auf der Säumnis, sondern auf einer Sachprüfung beruht (vgl. BGHZ 37, 79, 82).
2. Das Oberlandesgericht, dessen Urteil in FamRZ 2001, 1477 abgedruckt ist, hat ausgeführt: Nach den schon vom Amtsgericht getroffenen Feststellungen, denen es beipflichte, sei die
Beklagte in der Lage, neben der Betreuung des kleinen Kindes aus ihrer jetzigen Ehe eine stundenweise Beschäftigung auszuüben,
etwa durch eine Putzstelle in den Abendstunden, in denen ihr Ehemann das Kind betreuen könne und mit der sie den geforderten
Unterhaltsbetrag von knapp 300 DM monatlich verdienen könne. Ihr Ehemann sei in der Lage, mit seinem Erwerbseinkommen von
monatlich 2.600 DM zuzüglich jahresbezogener Sonderzuwendungen und etwaiger weiterer Einkünfte aus seinem landwirtschaftlichen
Nebenbetrieb den Unterhalt der neuen Familie voll zu bestreiten. Etwaige verbleibende Zweifel hieran gingen zu Lasten der
für ihre (mangelnde) Leistungsfähigkeit beweisbelasteten Beklagten.
Gegen diese Ausführungen sind angesichts der festgestellten tatsächlichen Verhältnisse aus Rechtsgründen keine Einwendungen
zu erheben. Das Berufungsgericht hat beachtet, daß der Beklagten eine Erwerbstätigkeit nur so weit zugemutet werden kann,
als die Betreuung ihres Kleinkindes sichergestellt ist, und sie bei entsprechenden Bemühungen auch eine Stelle auf dem Arbeitsmarkt
zu finden vermag. Weiter geht das Oberlandesgericht im Einklang mit der Rechtsprechung des Senats (vgl. Senatsurteile vom
18. Oktober 2000 - XII ZR 191/98 - FamRZ 2001, 1065 und vom 20. März 2002 - XII ZR 216/00 - FamRZ 2002, 742) davon aus, daß die Beklagte die durch einen Nebenerwerb erzielten Einkünfte für den Unterhalt des Klägers nur zu verwenden
hat, wenn und soweit ihr eigener angemessener Unterhalt (§§
1360,
1360a BGB) von ihrem berufstätigen Ehemann gedeckt wird. Die Voraussetzungen hierfür hat das Berufungsgericht in revisionsrechtlich
nicht zu beanstandender Weise bejaht.
3. Das Oberlandesgericht hält aber eine Einschränkung der Leistungsfähigkeit der Beklagten aufgrund einer Kontrollberechnung
für gegeben. Es führt dazu aus, die Beklagte müsse höchstens den Unterhalt an den Kläger zahlen, den sie zahlen müßte, wenn
sie voll erwerbstätig wäre und sie ihrem Ehemann, der dann das zweijährige Kind betreuen würde und selbst nicht mehr erwerbstätig
wäre, sowie ihren beiden Kindern Unterhalt leistete. Da aber die Beklagte bei einer vollschichtigen Erwerbstätigkeit nur 2.100
DM monatlich verdienen könnte, läge ein Mangelfall vor: Es bestände ein Unterhaltsbedarf von insgesamt 1.626 DM (Ehegattenunterhalt:
840 DM; Kindesunterhalt: 431 DM für den Kläger, 355 DM für das zweite Kind). Für Unterhaltszwecke wären nach Abzug des Selbstbehalts
der Klägerin lediglich 600 DM (2.100 DM - 1.500 DM) vorhanden. Die Kürzungsquote betrüge daher 0,369 (600 DM : 1.626 DM).
Der Unterhaltsanspruch des Klägers beliefe sich dann auf lediglich 159 DM (431 DM x 0,369). Ein höherer Unterhalt stehe dem
Kläger aber nicht zu. Dies ergebe sich aus der sogenannten Hausmann-Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs. Danach dürfe der
Unterhaltspflichtige, der sich in einer neuen Ehe obliegenheitswidrig auf seine Rolle als Hausmann zurückgezogen habe, deswegen
nicht schlechter stehen, als er stehen würde, wenn er erwerbstätig geblieben wäre. Dies müsse aber erst recht gelten, wenn,
wie hier, die Rollenwahl der unterhaltspflichtigen Beklagten offensichtlich obliegenheitsgemäß gewesen sei.
4. Diese Ausführungen halten, wie die Revision zu Recht rügt, einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Die vom Oberlandesgericht
vorgenommene Kontrollrechnung ist nicht durchzuführen; der Unterhaltsanspruch des Klägers ist nicht auf den Betrag begrenzt,
den die Beklagte zu leisten hätte, wenn allein sie - und nicht wie tatsächlich ihr Ehemann - voll erwerbstätig wäre.
Richtig ist zwar, daß der Senat im Rahmen seiner sogenannten Hausmann-Rechtsprechung in bestimmten Konstellationen eine Kontrollberechnung
für erforderlich hält (vgl. Senatsurteil vom 26. September 1984 - IVb ZR 32/83 - NJW 1985, 318). Dies bezieht sich jedoch nur auf solche Fälle, in denen ein Ehegatte, der in seiner früheren Ehe voll erwerbstätig war,
in einer neuen Verbindung wegen der Betreuung seines minderjährigen Kindes die Haushaltsführung übernimmt. Brauchen die Unterhaltsberechtigten
aus der geschiedenen Ehe des Verpflichteten diesen Rollenwechsel nicht hinzunehmen, ist dem Hausmann/der Hausfrau sein/ihr
früheres Einkommen fiktiv zuzurechnen. Ist hingegen der Rollenwechsel gegenüber der früheren Familie gerechtfertigt (vgl.
zu den strengen Voraussetzungen Senatsurteile vom 13. März 1996 - XII ZR 2/95 - FamRZ 1996, 796, 797 und vom 21. Februar 2001 - XII ZR 308/98 - FamRZ 2001, 614, 616 m.Anm. Büttner), ist die dann regelmäßig vorliegende Obliegenheit zur Aufnahme einer Nebenerwerbstätigkeit, um Barunterhalt
leisten zu können, begrenzt: Der Hausmann darf dadurch, daß er sich auf seine Rolle als Hausmann zurückgezogen hat, nicht
schlechter stehen, als wenn er erwerbstätig geblieben wäre. Dies bedeutet zugleich, daß die minderjährigen unterhaltsberechtigten
Kinder aus der früheren Ehe unter den genannten Voraussetzungen nicht besser gestellt werden dürfen als bei einer Fortführung
der Erwerbstätigkeit des Unterhaltspflichtigen (vgl. hierzu insbesondere Senatsurteil vom 18. Oktober 2000 aaO., 1067).
Die Hausmann-Rechtsprechung beruht im wesentlichen auf der Gleichrangigkeit der Kindesunterhaltsansprüche und dem Grundgedanken
des §
1603 Abs.
1, §
1609 BGB. Aus diesen beiden Gesichtspunkten folgt, daß bei einem Rollenwechsel zum Hausmann die Obliegenheit zum Nebenerwerb nur so
weit reichen kann, daß die unterhaltsberechtigten Kinder aus der früheren Ehe nicht schlechter stehen als wenn der Unterhaltspflichtige
sich in seiner neuen Ehe nicht auf die Rolle des Hausmanns zurückgezogen hätte, sondern erwerbstätig geblieben wäre. Eine
solche Begrenzung der Obliegenheit zum Nebenerwerb kann aber dann nicht angenommen werden, wenn es, wie hier, nicht zu einem
Rollentausch gekommen ist, der Unterhaltspflichtige vielmehr in der alten wie in der neuen Familie in erster Linie die Haushaltsführung
und die Kindesbetreuung übernommen hat. Denn §
1603 Abs.
1 BGB bestimmt die Leistungsfähigkeit des Unterhaltsverpflichteten aufgrund der tatsächlichen Verhältnisse und nicht aufgrund von
hypothetischen Situationen, die in der Realität noch nie vorgelegen haben und zu deren Herbeiführung den Unterhaltsverpflichteten
auch keine Obliegenheit trifft. Da auf die realen Verhältnisse abzustellen ist, ist die Tatsache der Wiederverheiratung des
unterhaltspflichtigen Elternteils unterhaltsrechtlich zu beachten. Ebenso wie die Wiederheirat dazu führen kann, daß sich
das ersteheliche Kind eine Schmälerung seines Unterhaltsanspruchs als Folge des Hinzutritts weiterer minderjähriger Kinder
aus der neuen Ehe des Unterhaltspflichtigen entgegenhalten lassen muß, kann sich die Wiederverheiratung auch, wie im vorliegenden
Fall, zum Vorteil des erstehelichen Kindes auswirken. Da §
1603 BGB darauf abstellt, ob und inwieweit der Unterhaltsverpflichtete imstande ist, den begehrten Unterhalt ohne Gefährdung seines
eigenen angemessenen Unterhalts zu gewähren, ist hier die Sicherstellung des eigenen Unterhalts der Beklagten in der neuen
Ehe als Folge ihrer Wiederheirat unterhaltsrechtlich zu berücksichtigen. Es besteht daher kein Anlaß und auch kein rechtfertigender
Grund, eine volle Erwerbstätigkeit der Beklagten zu unterstellen (vgl. Senatsurteil vom 18. Oktober 2000 aaO., 1066, 1067).
Da die Beklagte nach den Feststellungen des Oberlandesgerichts in der Lage ist, den geforderten Unterhalt ohne Gefährdung
ihres angemessenen Selbstbehalts zu erbringen, braucht nicht geprüft zu werden, ob eine gesteigerte Unterhaltspflicht der
Beklagten nach §
1603 Abs.
2 Satz 1
BGB besteht. Es kommt daher auch nicht darauf an, ob eine solche gesteigerte Unterhaltspflicht nach §
1603 Abs.
2 Satz 3
BGB entfallen würde, weil der das Kind betreuende Vater als anderer unterhaltspflichtiger Verwandter im Sinne dieser Vorschrift
in Betracht käme.
Zwar kann der das Kind betreuende Elternteil in besonderen Ausnahmefällen selbst dann, wenn bei Inanspruchnahme des anderen
Elternteils dessen angemessener Selbstbehalt nicht gefährdet würde, dazu verpflichtet sein, zusätzlich zu seiner Betreuungsleistung
zum Barunterhalt des Kindes beizutragen, wenn nämlich anderenfalls ein erhebliches finanzielles Ungleichgewicht zwischen den
Eltern aufträte (vgl. Senatsurteil vom 20. März 2002 aaO. S. 742 m.w.N.). Diese Voraussetzungen sind hier indes weder vom
Oberlandesgericht festgestellt noch von der insoweit darlegungs- und beweispflichtigen Beklagten dargetan worden. Auch sonst
sind keine hinreichenden Anhaltspunkte hierfür ersichtlich.