Überleitung von Unterhaltsansprüchen wegen der Bewilligung von Hilfe zur Erziehung durch Übernahme der Kosten eines Erziehungsheims
Tatbestand:
Der Kläger macht übergeleitete Unterhaltsansprüche des am 17. November 1969 geborenen Sohnes Knut des Beklagten aus geschiedener
Ehe geltend. Knut wurde auf Veranlassung seiner sorgeberechtigten Mutter seit dem 17. August 1980 in einem pädagogischen Heim
untergebracht. Die Kosten dafür überstiegen monatlich 3.000 DM. Sie wurden vom Kläger im Rahmen der Hilfe zur Erziehung (§§
5, 6 JWG) getragen.
Durch Schreiben des Kreisjugendamts Kaiserslautern vom 28. August 1980 wurde der Beklagte davon unterrichtet, daß sein Sohn
"in Heimpflege" untergebracht sei, und daß die Eltern nach § 81 Abs. 1 JWG zu den Kosten beizutragen hätten, soweit es ihnen
aufgrund ihrer wirtschaftlichen Verhältnisse zumutbar sei.
Mit der im November 1985 erhobenen Klage hat der Kläger anteilige Unterhaltsansprüche des Sohnes gegen den Beklagten ab 17.
August 1980 geltend gemacht. Der Beklagte hat für die Zeit ab 1. September 1985 einen monatlichen Unterhaltsanspruch in Höhe
von 200 DM anerkannt; insoweit ist Teilanerkenntnisurteil ergangen.
Durch Schlußurteil hat das Amtsgericht - Familiengericht - die Klage abgewiesen, soweit mit ihr anteiliger Unterhalt für die
Zeit vor dem 1. September 1985 begehrt wird. Hiergegen hat der Kläger Berufung und gegen deren Zurückweisung - zugelassene
- Revision eingelegt.
Durch Entscheidung des erkennenden Senats vom 24. Februar 1988 (IVb ZR 28/87 - BGHR BSHG § 91 Abs. 2 - Unverzüglichkeit 1 = FamRZ 1988, 610 = DAVorm 1988, 415) ist das Urteil des Oberlandesgerichts Zweibrücken aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das
Berufungsgericht zurückverwiesen worden.
Im erneuten Berufungsverfahren hat der Kläger u.a. unwidersprochen vorgetragen:
Am 20. Mai 1980 habe das Kreisjugendamt mit der Mutter des Kindes die Sache ausführlich mündlich erörtert. Diese sei damit
einverstanden gewesen, Knut in dem Erziehungsheim der Arbeiterwohlfahrt unterzubringen. Das Jugendamt habe ihr als Hilfe zur
Erziehung zugesagt, nach Aufnahme des Kindes in das Erziehungsheim diesem eine Kostenzusage zu erteilen, "wobei die Eltern
entsprechend ihrem Einkommen gegebenenfalls an den Kosten beteiligt würden".
Die Mutter habe sodann mit dem Heim vereinbart, daß Knut am 17. August 1980 in das Heim aufgenommen werde. Auf schriftliches
Verlangen des Heimes vom 7. Juli 1980 habe das Kreisjugendamt ihm gegenüber mit Schreiben vom 30. Juli 1980 die Kostenersatzpflicht
für die entstehenden Aufwendungen für die Unterbringung des Kindes Knut anerkannt.
Durch Urteil vom 26. Januar 1989 hat das Oberlandesgericht die Berufung des Klägers erneut zurückgewiesen. Hiergegen hat der
Kläger wiederum - zugelassene - Revision eingelegt.
Entscheidungsgründe:
Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung und Zurückverweisung.
Das Oberlandesgericht stützt seine Entscheidung auf folgende Erwägungen:
Der Kläger könne gemäß §§ 82 JWG, 91 Abs. 2
BSHG den Beklagten für die Vergangenheit nur in Anspruch nehmen, wenn er ihm die Gewährung der Hilfe unverzüglich schriftlich
mitgeteilt habe (sog. Rechtswahrungsanzeige). Die Entscheidung über die Gewährung von Hilfe zur Erziehung sei am 20. Mai 1980
getroffen worden, als der gesetzlichen Vertreterin des Hilfeempfängers mündlich eröffnet worden sei, daß die Kosten der Unterbringung
des Kindes in dem heilpädagogischen Kinderheim von dem Landkreis getragen, die Eltern aber gegebenenfalls an diesen Kosten
entsprechend ihrem Einkommen beteiligt würden.
Die Entscheidung über die Gewährung von Hilfe liege nicht in der im Schreiben des Klägers an das Heim vom 30. Juli 1980 enthaltenen
Zusage, die durch die Heimunterbringung von Knut entstehenden Kosten zu erstatten. Durch diese Zusage sei lediglich die zuvor
getroffene und der Mutter des Kindes bekanntgemachte Entscheidung realisiert worden. Erst recht könne als Zeitpunkt der Gewährung
der Hilfe nicht der Zeitpunkt in Betracht kommen, in welchem Knut in dem Heim untergebracht worden sei.
Komme damit nur der 20. Mai 1980 als Zeitpunkt der Hilfegewährung in Betracht, so sei die früheste schriftliche Mitteilung
von der Hilfegewährung durch das Schreiben vom 28. August 1980 nicht mehr "unverzüglich" im Sinne des § 91 Abs. 2
BSHG, da dem Kreisjugendamt schon am 20. Mai 1980 Name und Anschrift des unterhaltspflichtigen Beklagten bekannt gewesen seien.
Gegen diese Beurteilung wendet sich die Revision mit Erfolg.
1. Das Berufungsgericht hat die Gewährung der Hilfe zur Erziehung anläßlich des Gesprächs mit der sorgeberechtigten Mutter
am 20. Mai 1980 darin gesehen, daß ihr mündlich eröffnet wurde, die Kosten der Heimunterbringung des Kindes würden vom Landkreis
getragen, die Eltern aber gegebenenfalls an diesen Kosten entsprechend ihrem Einkommen beteiligt. Dies begegnet keinen rechtlichen
Bedenken. Mit der - keiner Form bedürftigen (§ 33 Abs. 2
SGB X) - Zusage des Kreisjugendamts wurde eine verbindliche, konkrete Entscheidung über die - mit Kosten verbundene - Gewährung
von Hilfe zur Erziehung getroffen. Der Auffassung der Revision, daß in dieser Erklärung des Kreisjugendamts mangels Bestimmtheit
noch kein endgültiger Verwaltungsakt, sondern nur die Zusicherung eines späteren Bewilligungsbescheides liege, kann sich der
Senat angesichts der Feststellungen des Berufungsgerichts nicht anschließen. Die Zusage der Hilfegewährung war hinreichend
bestimmt im Sinne des § 33 Abs. 1
SGB X. Die Feststellungen des Berufungsgerichts stehen auch der Erwägung der Revision entgegen, bei der Erklärung des Kreisjugendamts
am 20. Mai 1980 könne es sich um einen Verwaltungsakt mit aufschiebender Wirkung gehandelt haben.
2. Dem Berufungsgericht ist auch darin zu folgen, daß die Gewährung von Hilfe nicht - wie die Revision meint - in dem Schreiben
des Kreisjugendamts an das Heim vom 30. Juli 1980 liegt, das die Zusage enthält, die Heimunterbringungskosten für Knut zu
erstatten. Dieses Schreiben stellt, wie das Berufungsgericht zu Recht ausführt, vielmehr nur die Durchführung der bereits
früher (am 20. Mai 1980) zugesagten Kostenübernahme dar. Es enthält keine über die Bewilligung vom 20. Mai 1980 hinausgehende
Begünstigung von Knut oder seiner Mutter. Es ist auch nicht gegenüber der gesetzlichen Vertreterin des Kindes ergangen (§
37 Abs. 1
SGB X).
3. Hingegen greift die Rüge der Revision durch, das Berufungsgericht habe den Begriff "unverzüglich" im Sinne des § 91 Abs. 2
BSHG rechtsirrtümlich angewendet.
Zutreffend geht allerdings das Berufungsgericht davon aus, daß "unverzüglich" gleichbedeutend mit "ohne schuldhaftes Zögern"
ist (Knopp/Fichtner, Bundessozialhilfegesetz, 6. Aufl., § 91 Rdn. 19; Schellhorn/Jirasek/Seipp, Bundessozialhilfegesetz, 13. Aufl., § 91 Rdn. 62; Gottschick/Giese, Bundessozialhilfegesetz, 9. Aufl., Rdn. 9. 2.). Im Rahmen der Prüfung, ob eine Rechtswahrungsanzeige schuldhaft verspätet ist, ist aber zu beachten,
daß der Behörde eine angemessene Überlegungsfrist einzuräumen ist, ob sie ihre Rechte durch Anzeige wahren muß (OLG Düsseldorf
FamRZ 1979, 701, 702; Knopp/Fichtner aaO., Rdn. 19 a; ähnlich BVerwGE 29, 229, 232). Welche Überlegungsfrist angemessen ist, kann nur nach den Umständen des Einzelfalles beurteilt werden.
Bei der Gewährung der Hilfe zur Erziehung am 20. Mai 1980 war noch offen, ob Knut das Erziehungsheim - wie besprochen - tatsächlich
aufsuchen werde; ein Sinneswandel der Mutter oder sonstige Gründe konnten dies verhindern. Da eine Rechtswahrungsanzeige nur
sinnvoll war, wenn wirklich Unterbringungskosten entstanden und zu tragen waren, gereicht es dem Kläger nicht zum Verschulden,
wenn das Kreisjugendamt zunächst abwartete, ob Knut das Erziehungsheim ab 17. August 1980 auch besuchte. Dieser Termin, der
durch das Ende der Schulferien vorgegeben war, lag noch innerhalb eines überschaubaren Zeitraums. Das Interesse des Beklagten,
nicht mit einer Unterhaltsforderung für einen zurückliegenden längeren Zeitraum überrascht zu werden, wurde nicht berührt,
weil der Kläger Unterhaltsansprüche des Kindes ohnehin nur für die Zeit ab dessen Aufnahme in das Heim auf sich überleiten
und geltend machen konnte. Das Verhalten des Kreisjugendamts ist ihm deshalb bis zu diesem Zeitpunkt nicht vorzuwerfen. Die
anschließend nach nur elf Tagen abgesandte Mitteilung vom 28. August 1980 kann daher nicht als verspätet betrachtet werden.
Das angegriffene Urteil kann deshalb keinen Bestand haben, ohne daß es noch darauf ankommt, ob die Rechtswahrungsanzeige,
wäre sie nicht unverzüglich mitgeteilt worden, wirkungslos wäre, wie der Senat in einem in dem früheren Urteil vom 24. Februar
1988 gegebenen Hinweis gemeint hat, oder ob sie dann die Inanspruchnahme des Beklagten wenigstens für die Zeit ab ihrem Zugang
eröffnet hätte (vgl. auch Senatsurteil vom 21. Juni 1989 - IVb ZR 73/88 - BGHR BSHG § 91 Abs. 2 - Unverzüglichkeit 2 = FamRZ 1989, 1054, 1055).
4. Dem Senat ist eine eigene Sachentscheidung verwehrt, da bisher keine Feststellungen über die Leistungsfähigkeit des Beklagten
für die Zeit zwischen 17. August 1980 und 31. August 1985 getroffen sind. Die Sache ist daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung
zurückzuverweisen.