Anspruch auf große Witwenrente
Grundsatzrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren
Gründe
Mit Urteil vom 19.6.2018 hat das LSG Baden-Württemberg einen Anspruch der Klägerin auf große Witwenrente über den 30.9.2016
hinaus verneint. Der Anspruch nach §
46 Abs
2 SGB VI ende mit Vollendung des 18. Lebensjahres ihres Sohnes. Erst nach Vollendung ihres 45. Lebensjahres erhalte die Klägerin ab
1.6.2017 wieder große Witwenrente.
Dagegen hat die Klägerin Beschwerde beim BSG eingelegt und die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§
160 Abs
2 Nr
1 SGG) geltend gemacht.
Die Beschwerde ist unzulässig, weil die Begründung vom 28.8.2018 nicht den gesetzlichen Anforderungen genügt. Der allein geltend
gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung (§
160 Abs
2 Nr
1 SGG) wird nicht in der hierfür erforderlichen Weise dargelegt (§
160 Abs
2 Satz 3
SGG).
Zur Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtssache ist in der Beschwerdebegründung eine Rechtsfrage zu bezeichnen
und schlüssig aufzuzeigen, dass diese klärungsbedürftig, in dem angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig (entscheidungserheblich)
sowie über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (vgl BSG SozR 4-1500 § 160 Nr 13 RdNr 19, Nr 22 RdNr 5; BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 5 RdNr 2 ff, Nr 9 RdNr 4, jeweils mwN). Um die Klärungsbedürftigkeit aufzuzeigen, muss aus der Beschwerdebegründung ersichtlich sein, dass sich die Antwort auf
die Rechtsfrage nicht ohne Weiteres aus dem Gesetz oder der bisherigen Rechtsprechung ergibt; hierzu bedarf es der Auseinandersetzung
mit den vorinstanzlichen Entscheidungen und sonstiger einschlägiger Rechtsprechung. Im Hinblick hierauf muss in der Beschwerdebegründung
substantiiert vorgetragen werden, dass das BSG zu diesem Fragenkreis noch keine Entscheidung getroffen hat bzw dass sich aus der bereits ergangenen höchstrichterlichen
Rechtsprechung keine Anhaltspunkte für dessen Beantwortung ergeben (vgl Senatsbeschluss vom 3.1.2011 - B 13 R 195/10 B - juris RdNr 9). Auch und insbesondere zur Darlegung verfassungsrechtlicher Bedenken gegen Regelungen, auf die das Berufungsgericht seine
Entscheidung stützt, genügt die bloße Behauptung der Verfassungswidrigkeit nicht. Vielmehr muss unter Einbeziehung der einschlägigen
Literatur und Rechtsprechung, insbesondere des BVerfG, aber auch des BSG, im Einzelnen aufgezeigt werden, woraus sich im konkreten Fall die Verfassungswidrigkeit ergeben soll (vgl BSG Beschluss vom 3.4.2017 - B 12 KR 92/16 B - juris RdNr 16 mwN).
Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht.
Die Klägerin hält folgende Fragen für grundsätzlich bedeutsam:
"Ist der Begriff der 'Erziehung' im Sinne des §
46 SGB VI so auszulegen, dass eine solche nach den Umständen des Einzelfalles auch nach Erreichen des 18. Lebensjahres erfolgen kann?"
"Ist die Sachlage in einem Grenzfall, in dem ein zu erziehendes Kind das 18. Lebensjahr erreicht aber weiterhin die Schule
besucht und entsprechend keine eigenes Arbeitseinkommen hat, das bis dahin rentenberechtigte Elternteil jedoch das Rentenalter
im Sinne des §
46 SGB VI noch nicht erreicht hat, anders zu beurteilen?"
"Hat im Rahmen von §
46 SGB VI eine Einzelfallbeurteilung im Wege verfassungskonformer Auslegung zu erfolgen?"
Hierzu trägt sie vor, dass sich das LSG auf Rechtsprechung zu einer Vorgängervorschrift (§ 1268 Abs 2
RVO, § 45 Abs 2 Satz 1 Nr 2 AVG) stütze; folglich liege zu der aktuellen Norm noch keine höchstrichterliche Entscheidung vor. Allein aus der Übernahme von
Formulierungen könne nicht geschlossen werden, dass sich der Gesetzgeber über alle Inhalte einer Norm Gedanken gemacht habe.
Die frühere Rechtsprechung sei aufgrund der neuen Rechtslage und aufgrund des demografischen Wandels überholt, zumal eine
Schulausbildung mit Erreichen des 18. Lebensjahres aus heutiger Sicht regelmäßig noch nicht abgeschlossen sei. Der Begriff
der Erziehung sei weit auszulegen, er habe keinen Bezug zum bürgerlich-rechtlichen Volljährigkeitsalter. Maßgebend sei die
Sicherung des Status Quo der Witwe und des Kindes; es könne nicht Sinn des Gesetzes sein, Heranwachsende um ihren Schulabschluss
zu bringen. Vorliegend sei ein Zeitraum von 8 Monaten zu überbrücken.
Damit hat die Klägerin die Klärungsbedürftigkeit der Fragen nicht hinreichend aufgezeigt.
Sie setzt sich nicht ansatzweise mit dem Wortlaut der Vorschrift auseinander, der nach §
46 Abs
2 Nr
1 SGB VI ausdrücklich darauf abstellt, das die Witwe ein Kind erzieht, das das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hat. Selbst wenn
sich allein aus dem Begriff der Erziehung noch kein Bezug zur Volljährigkeit ableiten lassen sollte, so vermag dies nicht
zu erklären, weshalb damit die zusätzliche gesetzliche Voraussetzung, die an das Alter des Kindes anknüpft, übergangen werden
könnte. Die Klägerin verhält sich auch nicht dazu, dass §
46 Abs
2 Satz 3
SGB VI ausdrücklich der Erziehung nur dann die Sorge für ein Kind nach dessen vollendetem 18. Lebensjahr gleichsetzt, wenn dieses
wegen körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung außerstande ist, sich selbst zu unterhalten. Weiterhin fehlen Erklärungsansätze
dazu, warum auch in anderen Regelungen wie §
47 SGB VI (Erziehungsrente) ausdrücklich auf §
46 Abs
2 Bezug genommen wird, während nur nach §
48 Abs
4 SGB VI (Waisenrente) eine Verlängerung des Anspruchs bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres in Betracht kommt, wenn sich die Waise
in Schul- oder Berufsausbildung befindet. Insofern hätte auch eine Auseinandersetzung mit den verschiedenen Anspruchsinhabern
dieser Normen und der Zielsetzung des §
46 Abs
2 SGB VI (vgl BSG Urteil vom 16.5.2001 - B 5 RJ 26/00 R - SozR 3-2600 § 243 Nr 8 - juris RdNr 32 zur mangelnden Zumutbarkeit einer Erwerbstätigkeit der Witwe im Rahmen der Kindererziehung) nahegelegen.
Es fehlt insoweit auch an ausreichenden Darlegungen, ob der höchstrichterlichen Rechtsprechung Anhaltspunkte zur Auslegung
der Norm zu entnehmen sind (vgl etwa BSG Urteil vom 5.12.1996 - 4 RA 119/95 - SozR 3-2600 § 24 Nr 1 - juris RdNr 19, wonach §
46 Abs
2 SGB VI auf ein Kind bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres unabhängig von einer noch nach diesem Zeitpunkt bestehenden Unterhaltspflicht
infolge Ausbildung abstellt). Allein der Hinweis, dass (jedenfalls) die vom LSG zitierte Rechtsprechung aus lange zurückliegenden Jahren stamme und zu
einer Vorgängervorschrift ergangen sei, genügt nicht, um einen erneuten Klärungsbedarf darzulegen. Die Beschwerde breitet
lediglich ihre eigene Rechtsmeinung aus, ohne sich substantiiert mit der vorliegenden Rechtsprechung auseinanderzusetzen oder
aufzuzeigen, dass dieser mit gewichtigen Argumenten etwa in Literatur und Rechtsprechung substantiell widersprochen würde
(vgl zu diesem Erfordernis BSG Beschluss vom 21.6.2016 - B 10 EG 5/16 B - juris RdNr 10; Karmanski in Roos/Wahrendorf,
SGG, Stand Juli 2014, §
160a RdNr 53, 54 mwN).
Soweit die Klägerin die Möglichkeit einer Auslegung "im Grenzfall" anspricht, hätte sie darauf eingehen müssen, unter welchen
Voraussetzungen es überhaupt in Betracht kommen kann, von dem eindeutigen Wortlaut einer Norm abzuweichen (vgl zB BSG Urteil vom 28.8.1997 - 14/10 RKg 26/96 - juris RdNr 16; Senatsurteil vom 6.9.2017 - B 13 R 33/16 R - SozR 4-2600 § 96a Nr 17, RdNr 38), und ob solche hier vorliegen. Auch die bloße Infragestellung der Verfassungsmäßigkeit einer Norm genügt den Darlegungsanforderungen
nicht. Wer sich - wie hier die Klägerin - sinngemäß auf die Notwendigkeit einer verfassungskonformen Auslegung einer Vorschrift
beruft, darf sich nicht auf die Benennung ansonsten angeblich verletzter Rechtsgrundsätze beschränken. Er muss vielmehr unter
Berücksichtigung der Rechtsprechung des BVerfG und des BSG darlegen, woraus sich im konkreten Fall die Verfassungswidrigkeit ergeben soll. Hierzu müssen der Bedeutungsgehalt der in
Frage stehenden einfachgesetzlichen Normen aufgezeigt, die Sachgründe ihrer jeweiligen Ausgestaltung erörtert und die Verletzung
der konkreten Regelung des
GG dargelegt werden (vgl BSG Beschluss vom 22.2.2017 - B 1 KR 73/16 B - juris RdNr 8). Hier hätte es insbesondere einer Auseinandersetzung mit der verfassungsrechtlichen Rechtsprechung bedurft, wonach die im
Elternrecht wurzelnden Rechtsbefugnisse im Sinne des Art
6 Abs
2 GG mit Erreichen der Volljährigkeit erlöschen (vgl BVerfG Urteil vom 9.2.1982 - 1 BvR 845/79 - BVerfGE 59, 360 - 392, juris RdNr 77; BVerfG Beschluss vom 18.6.1986 - 1 BvR 857/85 - BVerfGE 72, 122-141, juris RdNr 49 f).
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl §
160a Abs
4 Satz 2 Halbsatz 2
SGG).
Die Verwerfung der Beschwerde erfolgt gemäß §
160a Abs
4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm §
169 Satz 2 und
3 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.
Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung von §
193 SGG.