Beiträge für die Teilnahme an einem Nothilfsdienst und für eine Notrufanlage keine Hilfsmittel-Leistungen
Gründe:
I. Die beklagte Ersatzkasse hat es abgelehnt, der bei ihr versicherten Klägerin, die an einer schweren Multiplen Sklerose
leidet, allein in einer behindertengerecht eingerichteten Wohnung lebt und im Falle eines Sturzes sich nicht mehr aus eigener
Kraft aufrichten kann, die Teilnahmekosten an einem Haus-Notrufsystem zu zahlen; insoweit handele es sich nicht um ein gesetzliches
Hilfsmittel (Widerspruchsbescheid vom 28. Januar 1986). Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt, die laufenden Teilnehmergebühren für die Haus-Notrufanlage zu übernehmen. Diese
Anlage stelle ein Hilfsmittel dar; die Klägerin könne den ihr von der Beklagten zur Verfügung gestellten Turnbarren auch gar
nicht benutzen, wenn sie nicht die Möglichkeit habe, nach einem Sturz Hilfe herbeizurufen. Auf die Berufung der Beklagten
hat das Landessozialgericht (LSG) das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen. Mit dem Begriff des Hilfsmittels
seien sächliche Mittel gemeint, nicht aber laufende Zahlungen. Die Rufanlage sei untrennbar mit Dienstleistungen verknüpft;
Dienstleistungen von Personen seien aber als Hilfsmittel ausgeschlossen. Es sei nicht die Aufgabe der Krankenkassen dafür
zu sorgen, daß Behinderte Hilfe herbeirufen könnten. Hier komme eine Eingliederungshilfe nach § 39
Bundessozialhilfegesetz (BSHG) in Betracht.
Die Klägerin hat Revision eingelegt. Sie beantragt,
das Urteil das Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 30. August 1989 aufzuheben und die Berufung der Beklagten
gegen das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 21. Mai 1986 zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
II. Die Revision ist nicht begründet.
Der Versicherte hat Anspruch auf Hilfsmittel i.S. der früheren §§ 182 Abs. 1 Nr. 1c, 182b
Reichsversicherungsordnung (
RVO) bzw. des jetzigen §
33 Abs.
1 Sozialgesetzbuch/Gesetzliche Krankenversicherung (
SGB V), soweit das Mittel nicht als Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens anzusehen oder gesetzlich ausgeschlossen ist (§ 33f
SGB V). Hilfsmittel ist jede bewegliche Sache, die geeignet und erforderlich ist, den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern oder
eine Behinderung auszugleichen.
Soweit die Klägerin Ersatz der Beiträge in Höhe von monatlich 25,-- DM begehrt, die ihr durch den telefonischen Anschluß an
ein Haus-Notrufsystem des Arbeiter-Samariter-Bundes entstehen, ist ein Anspruch deshalb nicht gegeben, weil es sich bei dem
Telefonanschluß als solchem um einen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens, bei dem damit nutzbaren Hilfssystem aber nicht
um ein sächliches Mittel, sondern um ein (personales) Dienstleistungssystem handelt. Mit dem Begriff des Hilfsmittels hat
der Gesetzgeber in den genannten Bestimmungen aber keine persönlichen Dienstleistungen, sondern ausschließlich sächliche Mittel
gemeint (Urteil vom 27. Juni 1985, 8 RK 30/84, betr. Blindenführer, SozR 2200 § 182b
RVO Nr. 31 und Urteil vom 18. Mai 1978, 3 RK 70/77, SozR a.a.O. Nr. 8). Das ergibt sich nicht nur aus der allgemeinen Bedeutung, die dem Wort "Mittel" beigegeben wird, sondern
auch aus den der Wendung "und anderen Hilfsmitteln" vorangestellten Begriffen der Körperersatzstücke, der orthopädischen Hilfsmittel
und der Seh- und Hörhilfen, ferner aus dem ausdrücklichen Ausschluß der allgemeinen "Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens"
und schließlich aus der Formulierung des § 182b Satz 2 RVO/§ 33 Abs. 1 Satz 2
SGB V: "Der Anspruch umfaßt auch die notwendige Änderung, Instandsetzung und Ersatzbeschaffung von Hilfsmitteln sowie die Ausbildung
in ihrem Gebrauch." Zwar können krankhafte Funktionseinbußen auch durch persönliche Dienstleistungen zu einem gewissen Ausgleich
gebracht werden. Solche Hilfen gehören jedoch entweder nicht zu den Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung (vgl.
etwa die Pflegehilfe nach § 68 oder bedürfen als Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung jedenfalls der ausdrücklichen
gesetzlichen Erwähnung (vgl. die Leistungen bei Schwerpflegebedürftigkeit nach den §§
53 ff
SGB V).
Soweit die Klägerin aber Mietbeiträge für ein am Körper zu tragendes Gerät verlangt, durch das der Arbeiter-Samariter-Bund
unmittelbar - ohne Fernsprecher - zu Hilfe gerufen werden kann, besteht ebenfalls kein Anspruch. Bei diesem Rufgerät handelt
es sich zwar nicht um ein als Gegenstand des täglichen Lebens anzusehendes Mittel, und entgegen der Ansicht des LSG steht
seiner Qualifizierung als Hilfsmittel auch nicht entgegen, daß es nicht als Eigentum oder leihweise, sondern gegen eine Mietzahlung
zur Verfügung gestellt wird. Dieses Rufgerät ist jedoch deswegen kein gesetzliches Hilfsmittel, weil sein eigentlicher Zweck,
in dem die vom Hilfsmittel zu fordernde Ausgleichsfunktion liegt, nämlich die Klägerin aus einer hilflosen Lage zu befreien,
nicht ohne fremde Dienstleistung erfüllt werden kann.
Zwar steht der Hilfsmitteleigenschaft nicht entgegen, daß das Mittel nur, einen beschränkten Funktionsausgleich erbringt (BSG
SozR 2200 § 182b
RVO Nr. 29, S. 74; Treppenrampe), daß hier also der Bewegungsunfähigkeit nur in einer Augenblickslage abgeholfen wird, wenn es
sich nur, wie hier, um einen wesentlichen Ausgleich handelt. Ein Mittel hat auch nicht deshalb als Hilfsmittel auszuscheiden,
weil es vom Versicherten nicht ohne Hilfe anderer Personen benutzt werden kann (vgl. BSG, Urteil vom 1. April 1981, 5a/5 RKn 12/79, SozR 2200 § 182b
RVO Nr. 20, S. 56/57; Krankenlifter). Hier ist es aber so, daß die Klägerin zum Gebrauch des Rufgeräts nicht der Hilfe anderer
Personen bedarf, sondern der mit dem Gerät verfolgte weitere Zweck der Hilfeleistung und damit die eigentliche Ausgleichsleistung
erst durch fremde Dienstleistungen erfolgen kann. Dem Gerät kommt daher in diesem Sinne keine selbständige Erfüllung des auf
einen Funktionsausgleich gerichteten Hilfsmittelzweckes zu. Es ist kein gesetzliches Hilfsmittel, da es als solches nicht
geeignet ist, die krankhafte Funktionseinbuße der Klägerin auszugleichen und weil der über das Gerät hinausweisende Zweck
auf eine pflegerische Leistung zielt, wobei es denn auch in erster Linie diese Leistung ist, die mit den eingeklagten Teilnehmergebühren
abgegolten werden soll. Solche Dienstleistungskosten zu erbringen ist die Beklagte nach § 182b
RVO, §
33
SGB V nicht verpflichtet, auch nicht deshalb, weil sie der Klägerin ein Turngerät zur Verfügung stellt, dessen Benutzung die Gefahr
eines Sturzes mit sich bringt.
Nach den §§
53 ff
SGB V erhalten Schwerpflegebedürftige, bei denen die (weiteren) Anspruchsvoraussetzungen des § 54
SGB V gegeben sind, häusliche Pflegehilfe bzw. ein Pflegegeld ab 1. Januar 1991. Es kann hier dahingestellt bleiben, ob die Beklagte
aufgrund dieser Vorschriften ab 1. Januar 1991 verpflichtet sein könnte, der Klägerin die begehrte Leistung zu erbringen.
Dies ist jedenfalls nicht der Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits.
Die Revision der Klägerin konnte daher keinen Erfolg haben.