Gründe:
I. Der Kläger begehrt von der Beklagten die Erstattung der Kosten für einen schwenkbaren Autositz. Nach den Feststellungen
des Landessozialgerichts (LSG) ist er wegen einer ausgeprägten Varusgonarthrose mit Kniegelenksinstabilität rechts, eines
chronischen Lumbalsyndroms bei schweren degenerativen Veränderungen der Lendenwirbelsäule und eines Zustandes nach Lungenoperation
bei Bronchialcarzinom sowie wegen einer Hemiparese links außerstande, sich allein fortzubewegen.
Die Beklagte hat mit dem Bescheid vom 26. Oktober 1988 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Oktober 1989 die
Gewährung eines schwenkbaren Autositzes mit der Begründung abgelehnt, die Benutzung eines Autos gehöre nicht zur alltäglichen
Lebensbetätigung im Rahmen der allgemeinen Grundbedürfnisse. Ein Kraftwagen diene vielmehr nur der Befriedigung der privaten,
beruflichen oder allgemein gesellschaftlichen Bedürfnisse.
Das Sozialgericht (SG) Duisburg hat die Beklagte mit Urteil vom 16. März 1990 antragsgemäß verurteilt, dem Kläger die Kosten eines schwenkbaren
Autositzes zu erstatten. Auf die - vom SG zugelassene - Berufung hat das Landessozialgericht (LSG) das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen:
Der Anspruch auf Kostenerstattung richte sich nach § 13 Abs 2, zweite Alternative des Fünften Buches des Sozialgesetzbuches
(SGV V). Danach habe die Beklagte dem Kläger die Kosten für die Beschaffung eines schwenkbaren Beifahrersitzes nicht zu erstatten,
weil die Beklagte dem Kläger bereits einen Rollstuhl zur Verfügung gestellt habe und der Einbau des Sitzes in den von der
Ehefrau des Klägers geführten Kraftwagens nicht zum Ausgleich der Behinderung erforderlich sei. Die Benutzung eines Kraftfahrzeuges
gehöre nicht zu den Grundbedürfnissen des täglichen Lebens, weil der Kläger zur Wahrung seines persönlichen Freiraumes nicht
unumgänglich auf Fahrten mit einem Auto angewiesen sei.
Der Kläger trägt zur Begründung seiner - vom LSG zugelassenen - Revision vor, der schwenkbare Autositz sei ein Hilfsmittel
iS des § 182b der
Reichsversicherungsordnung (
RVO), das er auch benötige, um elementare Lebensbedürfnisse zu befriedigen. Der Sitz sei zum unmitelbaren Ausgleich seiner Gehunfähigkeit
erforderlich. Zu den von der Beklagten zu befriedigenden Grundbedürfnissen des täglichen Lebens gehöre auch die Herstellung
und die Aufrechterhaltung sozialer Kontakte, die nur mit Hilfe des von seiner Ehefrau gesteuerten Kraftfahrzeuges möglich
seien.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 21. August 1990 aufzuheben und die Berufung der Beklagten
gegen das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 16. März 1990 zurückzu-
weisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
II
Der Senat hat ohne mündliche Verhandlung entschieden, nachdem die Beteiligten sich hiermit einverstanden erklärt haben (§
124 Abs
2 des Sozialgerichtsgesetzes -
SGG-).
Die Revision des Klägers ist im Sinne der Zurückverweisung begründet. Ob die Beklagte es zutreffend abgelehnt hat, den Kläger
- über die Versorgung mit einem Rollstuhl und die Finanzierung der Fahrten zu Ärzten und therapeutischen Maßnahmen hinaus
- mit dem begehrten schwenkbaren Autositz auszustatten, läßt sich anhand der vom LSG getroffenen Tatsachenfeststellungen noch
nicht entscheiden.
Die Feststellungen des LSG lassen - wie schon die des SG -zunächst nicht erkennen, ob der Kläger die Ausstattung eines Personenkraftwagens mit einem schwenkbaren Autositz begehrt,
oder ob er - wie der Tenor des erstinstanzlichen Urteils lautet - die Erstattung der - von ihm selbst bereits aufgewendeten
- Kosten für einen schwenkbaren Autositz nach der Ablehnung der Leistungsgewährung durch die Beklagte anstrebt. Das LSG wird
also zunächst festzustellen haben, ob der Kläger sich den schwenkbaren Autositz im Hinblick auf die Ablehnung der Leistung
durch die Beklagte inzwischen selbst beschafft hat. Nur in diesem Fall kann er Kostenerstattung von der Beklagten verlangen,
sofern die leistungsrechtlichen Voraussetzungen vorliegen (vgl dazu Urteil vom 14. Dezember 1982 - 8 RK 23/81 -, SozR 2200 § 182 Nr 86). Andernfalls hat er nur die Möglichkeit, im Wege der kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage
die Gewährung des Hilfsmittels zu beanspruchen.
Die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide richtet sich auch nicht, wie das LSG meint, nach den Vorschriften des
SGB V idF des Art 1 des Gesetzes zur Strukturreform im Gesundheitswesen (Gesundheitsreformgesetz -GRG-) vom 20. Dezember 1988 (BGBl I 2477). Dieses Gesetz ist erst am 1. Januar 1989 in Kraft getreten (Art 79
GRG), es hat sich keine Rückwirkung beigelegt. Weil der Kläger nur eine Einmal-Leistung begehrt, ist in seinem Falle das Recht
zur Zeit der Erteilung des Widerspruchsbescheides anzuwenden. Das ist entgegen der vom LSG vertretenen Auffassung das Leistungsrecht
der
RVO (§§ 182 Abs 2, 182b
RVO aF).
Der erkennende Senat - in seiner früheren Funktion als Senat für Angelegenheiten der Krankenversicherung - hat bereits wiederholt
dargelegt, daß das maßgebliche Kriterium für die Leistungspflicht einer Krankenkasse neben der Eignung des Geräts als Hilfsmittel
iS des § 182b
RVO aF dessen Notwendigkeit gemäß § 182 Abs 2
RVO aF ist (vgl Urteil vom 22. Mai 1984 - 8 RK 45/83 -, SozR 2200 § 182b Nr 30 mwN - Schreibtelefon -; Urteil vom 20. Mai 1987 - 8 RK 45/85 -, SozR 2200 § 182b Nr 34 - Optacon-Lesegerät -). Insoweit haben der 3. und der erkennende Senat ferner in ständiger Rechtsprechung
darauf abgehoben, daß es bei der Anwendung des § 182b
RVO aF auch unter Berücksichtigung der Zielsetzung des Rehabilitations-Angleichungsgesetzes (RehaAnglG) vom 7. August 1974 (BGBl I 1881) darauf ankommt, ob der Einsatz des Hilfsmittels zur Lebensbetätigung im Rahmen der allgemeinen
Grundbedürfnisse benötigt wird. Soweit es dagegen nur besonderen, insbesondere dem gesellschaftlichen oder privaten Bereich
allein zuzurechnenden Tätigkeiten dient, gehört es nicht zu den notwendigen, nach § 182 Abs 2
RVO aF zu gewährenden Leistungen (erkennender Senat aaO mwN). Zu den allgemeinen Grundbedürfnissen gehören nicht nur die Ernährung
oder die elementare Körperpflege (BSG SozR 2200 § 182b Nrn 10, 17 mwN), sondern auch die Schaffung eines gewissen körperlichen oder geistigen Freiraumes (BSG SozR 2200 § 182b Nrn 12, 17, 29), wozu auch die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben rechnet (BSGE 66, 245, 246 = SozR 3-2500 § 33 Nr 1). Immer aber muß, wie der erkennende Senat in ständiger Rechtsprechung verdeutlicht hat, das
Hilfsmittel im Einzelfall für die elementare Lebensbetätigung des Behinderten oder deren wesentliche Verbesserung im Rahmen
der allgemeinen Grundbedürfnisse notwendig sein (Urteile vom 22. Mai 1984 und 20. Mai 1987 - aaO -, Urteil vom 3. November
1987 - 8 RK 14/87 -, BKK 1988, 275 = Die Leistungen 1988, 285). An dieser Inhaltsbestimmung des Begriffes der Notwendigkeit der Ausstattung
mit einem Hilfsmittel hält der erkennende Senat auch für die knappschaftliche Krankenversicherung fest. Auch das LSG hat sie
seiner weiteren Begründung zutreffend zugrunde gelegt. Es ist deshalb im Ausgangspunkt zutreffend davon ausgegangen, daß die
Beklagte nur leistungspflichtig ist, wenn der schwenkbare Autositz ein Hilfsmittel wäre, das erforderlich ist, um - allein
diese Variante des § 182b
RVO aF kommt nach den Tatsachenfeststellungen des LSG hier in Betracht - die Auswirkungen der körperlichen Behinderung - hier
die Unfähigkeit, zu gehen und einen Personenkraftwagen zu besteigen - auszugleichen und der zum Ausgleich dieser Behinderung
dienende schwenkbare Autositz zur Befriedigung elementarer Grundbedürfnisse und Lebensbetätigungen notwendig ist (§ 182 Abs 2
RVO aF).
Im Hinblick darauf, daß nach den Feststellungen des LSG der schwenkbare Autositz dem Kläger ermöglicht, einen Pkw zu benutzen,
ist davon auszugehen, daß dieses Gerät ein Hilfsmittel iS des § 182b
RVO ist. Nach der neueren Rechtsprechung des BSG ist unerheblich, daß das Gerät nicht unmittelbar am Körper wirkt und die Behinderung
der Gehunfähigkeit nur im Zusammenwirken mit der Benutzung eines PKW ausgleicht (vgl dazu BSG, Urteil vom 1. April 1981 -
5a/5 RKn 12/79, SozR 2200 § 182b Nr 20, Urteil vom 24. Mai 1984 - 8 RK 33/83 - Telefonverstärker -, nicht veröffentlicht). Es geht daher hier nicht, wie das LSG meint, um die Gewährung eines Gebrauchsgegenstandes
des täglichen Lebens, sondern darum, einen solchen nur und erst benutzen zu können, wenn, wie der Kläger behauptet, sein Pkw
mit einem schwenkbaren Autositz versehen ist.
Ob der Kläger den schwenkbaren Autositz zur Befriedigung seines notwendigen körperlichen Freiraumes trotz des Vorhandenseins
der von der Beklagten zur Verfügung gestellten Leistungen - dem Rollstuhl und der Finanzierung der Fahrten zu Ärzten und zur
Rehabilitation - zur Befriedigung seines Grundbedürfnisses auf Fortbewegung in einem der Zielsetzung des § 182 Abs 2
RVO entsprechenden Umfang benötigt, ist eine Frage des Einzelfalls (vgl Urteil des 3. Senats des BSG vom 24. Januar 1990 - 3/8 RK 16/87 -, nicht veröffentlicht). Die für dessen Beurteilung notwendigen Tatsachen hat das LSG nicht in hinreichendem Umfange festgestellt.
Es hat sich mit der Feststellung der "Gehunfähigkeit" des Klägers begnügt, jedoch nicht festgestellt, daß der Kläger nur mit
dem schwenkbaren Autositz in einen Pkw einsteigen kann; letzteres kann nicht ohne weiteres aus der erstgenannten Tatsache
geschlossen werden. Zudem hätte das LSG auch die Gehunfähigkeit des Klägers nicht allein aufgrund der von ihm vorgelegten
hausärztlichen Atteste annehmen dürfen, weil in ihnen weder ausreichende Befundangaben enthalten sind, noch aus ihnen der
Gesundheitszustand des Klägers ersichtlich ist, der im Zeitpunkt der Entscheidung durch das LSG bestand. Im übrigen hätte
das LSG auch feststellen müssen, welche der ärztlich bescheinigten Gesundheitsstörungen es erforderlich machten, den Kläger
mit dem schwenkbaren Autositz zu versorgen.
Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.