Begriff der Divergenz
Aufstellen eines abstrakten Rechtssatzes
Widerspruch in der Begründung
Gründe:
Die Beteiligten streiten in dem der Nichtzulassungsbeschwerde zugrunde liegenden Rechtsstreit darüber, ob die Beigeladene
zu 4. in ihren für die Klägerin in der Zeit vom 1.5. bis 30.8.2007 ausgeübten Tätigkeiten im Bereich "Ausführung von Schreibarbeiten"
in der gesetzlichen Rentenversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung der Versicherungspflicht unterlag.
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG BerlinBrandenburg vom 15.12.2015 ist in
entsprechender Anwendung von §
169 S 2 und 3
SGG als unzulässig zu verwerfen. Die Klägern hat in der Begründung des Rechtsmittels entgegen §
160a Abs
2 S 3
SGG keinen Zulassungsgrund hinreichend dargelegt oder bezeichnet.
Das BSG darf gemäß §
160 Abs
2 SGG die Revision gegen eine Entscheidung des LSG nur dann zulassen, wenn
- die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr 1) oder
- das angefochtene Urteil von der höchstrichterlichen Rechtsprechung abweicht (Nr 2) oder
- bestimmte Verfahrensmängel geltend gemacht werden (Nr 3).
Mit der Behauptung, das Berufungsgericht habe inhaltlich unzutreffend entschieden, lässt sich die Zulassung der Revision demgegenüber
nicht erreichen.
Die Klägerin stützt sich in ihrer Beschwerdebegründung vom 17.6.2016 auf die Zulassungsgründe der Divergenz (§
160 Abs
2 Nr
2 SGG) und des Verfahrensmangels (§
160 Abs
2 Nr
3 SGG).
1. a) Die Klägerin macht auf S 10 ff ihrer Beschwerdebegründung zunächst eine Abweichung des Berufungsurteils vom Urteil des
BSG vom 24.10.1978 (12 RK 58/76 - SozR 2200 § 1227 Nr 19) geltend.
Divergenz (§
160 Abs
2 Nr
2 SGG) bedeutet Widerspruch im Rechtssatz, nämlich das Nichtübereinstimmen tragender abstrakter Rechtssätze, die zwei Urteilen
zugrunde gelegt sind. Eine Abweichung liegt nicht schon dann vor, wenn das Urteil eine höchstrichterliche Entscheidung unrichtig
ausgelegt oder das Recht unrichtig angewendet hat, sondern erst, wenn das LSG Kriterien, die eines der in der Norm genannten
Gerichte aufgestellt hat, widersprochen, also andere Maßstäbe entwickelt hat. Das LSG weicht damit nur dann iS von §
160 Abs
2 Nr
2 SGG von einer Entscheidung ua des BSG ab, wenn es einen abstrakten Rechtssatz aufstellt, der der zum selben Gegenstand gemachten fortbestehenden aktuellen abstrakten
Aussage des BSG entgegensteht und dem Berufungsurteil tragend zugrunde liegt. Die Beschwerdebegründung muss deshalb erkennen lassen, welcher
abstrakte Rechtssatz in den genannten höchstrichterlichen Urteilen enthalten ist und welcher im Urteil des LSG enthaltene
Rechtssatz dazu im Widerspruch steht sowie, dass die Entscheidung hierauf beruht (BSG SozR 1500 § 160a Nr 14, 21, 29 und 67; BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 26 mwN).
Im Kern bedeutet Divergenz danach Widerspruch im abstrakten Rechtssatz, nicht in der Begründung. Kommt das Berufungsgericht
zum gleichen Ergebnis wie eines der in §
160 Abs
2 Nr
2 SGG genannten Gerichte, stellt es also denselben Rechtssatz auf und begründet ihn nur anders, liegt eine Abweichung nicht vor.
Entsprechend liegt auch in einer angeblich unrichtigen Anwendung eines in der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelten
und vom Berufungsgericht nicht infrage gestellten - und in diesem Sinne zwischen Tatsachengericht und BSG unumstrittenen - Rechts(grund)satzes auf den zu entscheidenden Einzelfall keine Divergenz iS des §
160 Abs
2 Nr
2 SGG.
Die Klägerin arbeitet als tragenden abstrakten Rechtssatz des Berufungsurteils heraus (S 10 der Beschwerdebegründung),
"dass im Zweifel eine abhängige, sozialversicherungspflichtige Beschäftigung besteht, denn nur dann können Beweislastfragen
streitentscheidend sein ...".
Zur Erläuterung trägt sie vor, das LSG habe die Auffassung vertreten, sie - die Klägerin - müsse sich exkulpieren, es sei
zu ihren Lasten davon auszugehen, dass für den gesamten offenen Zeitraum Versicherungspflicht anzunehmen sei. Eine gesetzliche
Regel - quasi mit dem Charakter einer widerleglichen Vermutung -, dass im Zweifel eine versicherungspflichtige Beschäftigung
anzunehmen sei, existiere nicht (S 11 der Beschwerdebegründung). Schon die betroffenen Grundrechtspositionen und der Unterschied
zwischen Leistungs- und Eingriffsverwaltung (S 12 f der Beschwerdebegründung) gestatteten eine solche "Zweifelsregelung" nicht,
sondern verlangten, dass der abhängige Charakter der Tätigkeit und damit die Sozialversicherungspflicht positiv festgestellt
werde. Die Klägerin verweist in diesem Zusammenhang auf ein Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 17.7.2015 (L 4 R 1570/12 - Juris) und des Weiteren auf zwei Urteile des BSG vom 4.6.2009 (B 12 KR 31/07 R - SozR 4-2400 § 7a Nr 3; B 12 R 6/08 R - Juris).
Die Klägerin stellt der von ihr als Rechtssatz angenommenen Aussage des LSG als widersprechenden Rechtssatz aus dem Urteil
des BSG vom 24.10.1978 gegenüber (S 11 der Beschwerdebegründung):
"Es ist nicht erlaubt, die - von der atypischen Form der Pflichtversicherung der Selbständigen abgesehen - unerlässliche Voraussetzung
der abhängigen Beschäftigung gleichsam im Wege einer dem Grundsatz von der objektiven Beweislast entgegenstehenden Beweisregelung
aus Gründen als gegeben zu unterstellen, die mit dem Tatbestand der Abhängigkeit nichts zu tun haben müssen."
Danach - so die Klägerin - sei die Beklagte verpflichtet, den Nachweis abhängiger Beschäftigung und damit auch des Tätigwerdens
überhaupt zu führen. Indem das Berufungsgericht eine Beweislastumkehr propagiere, dh verlange, dass sie - die Klägerin - den
Nachweis des Nichttätigwerdens zu führen habe, weiche es von der höchstrichterlichen Rechtsprechung ab.
Mit diesem Vorbringen legt die Klägerin den Zulassungsgrund der Divergenz (§
160 Abs
2 Nr
2 SGG) nicht in der gebotenen Weise dar. Sie begründet nicht hinreichend, warum die Möglichkeit ausscheiden soll, dass das LSG
die höchstrichterliche Rechtsprechung - ohne einen eigenen abweichenden fallübergreifenden Rechtssatz zu bilden - einfach
nur nicht beachtet oder unzutreffend angewendet hat. Sie selbst nimmt zwar die insoweit einschlägige höchstrichterliche Rechtsprechung
in Bezug (S 13 f der Beschwerdebegründung), setzt sich indessen mit den darin beschriebenen Folgen für den konkreten Fall
nicht weiter auseinander, resümiert vielmehr lediglich, die "abstrakte Rechtsaussage" des Berufungsgerichts sei mit der Rechtsprechung
des BSG "nicht in Übereinstimmung zu bringen". Ist das Bestehen eines Rechtssatzes des Berufungsgerichts nicht offensichtlich, muss
sich der Beschwerdeführer mit der Möglichkeit einer "Nichtabweichung" eingehend befassen. Daran fehlt es hier.
b) Soweit die Klägerin die von ihr geltend gemachte - als solche bezeichnete - Abweichung auf S 14 f der Beschwerdebegründung
auch auf den Teil des Berufungsurteils bezieht, der sich mit der Frage höchstpersönlicher Leistungserbringung durch die Beigeladene
zu 4. und der möglichen Indizwirkung dieses Umstandes im Rahmen der Abwägungsentscheidung befasst, ist auf die Ausführungen
unter 1. a) zu verweisen. Aus den Darlegungen der Klägerin wird deutlich, dass sie sich mit ihren Angriffen nur gegen die
Rechtsauffassung der Vorinstanz wendet; so stellt sie der Bewertung des LSG ihre eigene Beurteilung gegenüber, wonach etwa
aus den in Bezug genommenen Zeitnachweisen entnommen werden müsse, dass die Tätigkeit der Beigeladenen zu 4. "nicht als höchstpersönliche
Pflicht ausgeprägt war" (S 15 der Beschwerdebegründung).
2. Die Klägerin bezeichnet auch keinen entscheidungserheblichen Mangel des Berufungsverfahrens (§
160 Abs
2 Nr
3 SGG) in der erforderlichen Weise.
Sie sieht einen Verfahrensmangel darin, dass das LSG es unterlassen habe, näher beschriebene Aussagen der Beigeladenen zu
4. und der Beauftragten der Klägerin zu protokollieren, solche aber gleichwohl - und dann auch noch unzutreffend - zur Grundlage
seiner Entscheidung gemacht habe (S 10 der Beschwerdebegründung).
Zwar können Verstöße gegen die Bestimmungen über den Inhalt der Sitzungsniederschrift nach §
122 SGG iVm §
160 ZPO Verfahrensfehler iS des §
160 Abs
2 Nr
3 SGG darstellen. Es kann jedoch offenbleiben, ob das Verfahren vor dem LSG nach dem Vorbringen der Klägerin diesen Vorschriften
in jeder Hinsicht entsprach (vgl §
160 Abs
3 Nr
4 ZPO: Ergebnis einer Parteivernehmung iS der
ZPO als zwingender Protokollinhalt). Denn jedenfalls legt sie nicht substantiiert dar, dass das angegriffene Berufungsurteil
auf einem solchermaßen angenommenen Verfahrensfehler beruht; eines entsprechenden Vortrags bedarf es aber, weil diese Verfahrensfehler
keine absoluten Revisionsgründe darstellen. Darüber hinaus trägt die in der mündlichen Verhandlung am 15.12.2015 anwaltlich
vertretene Klägerin nicht vor, dass sie eine Verletzung der Pflicht zur Aufnahme von Aussagen in die Sitzungsniederschrift
gerügt bzw nach §
160 Abs
4 S 1
ZPO einen Antrag auf Aufnahme der genannten Angaben der Beigeladenen zu 4. und ihrer Beauftragten in das Protokoll gestellt hat.
Im Hinblick auf die Möglichkeit eines Verlustes des Rügerechts (vgl §
295 Abs
1 ZPO) hätte die Klägerin erörtern müssen, warum sie auf die Befolgung der Vorschriften über den Inhalt der Sitzungsniederschrift
gleichwohl nicht verzichtet hat.
Dass das LSG "Unmögliches verlangt" und damit einen Verfahrensfehler begangen habe (S 12 der Beschwerdebegründung), wird lediglich
unter Hinweis auf einen Widerspruch zu "einfachen Denkgesetzen" und damit nicht substantiiert begründet.
3. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung
beizutragen (§
160 Abs
4 S 2 Halbs 2
SGG).
5. Der Streitwert war für das Beschwerdeverfahren gemäß §
197a Abs
1 S 1 Teils 1
SGG iVm § 63 Abs 2 S 1, § 52 Abs 2, § 47 Abs 1 und 3 GKG in Höhe des Auffangstreitwertes festzusetzen.