Versicherungspflicht in der Krankenversicherung der Studenten
Grundsatzrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren
Gründe
I
In dem zugrunde liegenden Rechtsstreit streiten die Beteiligten um die Versicherungspflicht des Klägers in der Krankenversicherung
der Studenten (KVdS) nach §
5 Abs
1 Nr
9 SGB V über den 31.8.2014 hinaus.
Der am 5.5.1984 geborene Kläger erwarb die Hochschulzugangsberechtigung im Juli 2004 über den Zweiten Bildungsweg, leistete
vom 1.9.2004 bis 31.5.2005 Zivildienst und studierte seit Oktober 2005, zunächst bis einschließlich August 2007 Mathematik,
dann ab Oktober 2007 bis 30.9.2019 Umwelttechnik und seit dem Wintersemester 2011/2012 Informatik, jeweils ohne Abschluss.
Er hatte seinen Wohnsitz in den Niederlanden und war versicherungspflichtig in der KVdS und Mitglied der Beklagten. Diese
stellte nach vorheriger Anhörung des Klägers das Ende seiner Versicherungspflicht in der KVdS zum Ablauf des Semesters am
31.8.2014 fest, da er das 30. Lebensjahr im Mai 2014 vollendet habe (Bescheid vom 18.6.2014, Widerspruchsbescheid vom 8.3.2016). Die Beklagte meldete dies - da der Kläger keine freiwillige Weiterversicherung beantragte - dem niederländischen Krankenversicherungsträger,
der den Kläger ab 1.9.2014 als versichert eintrug.
Klage und Berufung sind erfolglos geblieben (Urteil des SG Hamburg vom 30.9.2019; Urteil des LSG Hamburg vom 28.5.2020). Das SG hat ausgeführt, die Überschreitung der Altersgrenze sei nicht wegen der Hinderungsgründe gerechtfertigt. Zwar seien für die
Zeiten des Zivildienstes sowie des Zweiten Bildungswegs einschließlich Berufsoberschule und Berufsausbildung Hinderungsgründe
anzuerkennen; für die Überschreitung der Altersgrenze seien aber nicht diese, sondern die Länge der Studienzeit durch den
zweifachen Studienplatzwechsel wesentlich gewesen. Dies aufgreifend hat das LSG klargestellt, dass die genannten Hinderungszeiten
insgesamt knapp dreieinhalb Jahre, die vorangegangenen beiden Studiengänge knapp sechs Jahre in Anspruch genommen hätten.
Angesichts dieses Verhältnisses könne eine Kausalität der Hinderungszeiten für das Überschreiten der Altersgrenze nicht festgestellt
werden. Das BSG habe bereits in ständiger Rechtsprechung überzeugend entschieden, dass die Regelung des §
5 Abs
1 Nr
9 SGB V nicht verfassungswidrig sei. Dem Bund stehe für die Festlegung der Altersgrenze nach Art
74 Abs
1 Nr
12 iVm Art
72 Abs
1 GG die Gesetzgebungskompetenz zu.
Gegen die Nichtzulassung der Revision wendet sich der Kläger mit seiner Beschwerde.
II
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in der angefochtenen Entscheidung des LSG ist als unzulässig zu verwerfen
(§
160a Abs
4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm §
169 Satz 2 und
3 SGG). Der Kläger hat entgegen §
160a Abs
2 Satz 3
SGG den geltend gemachten Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung (§
160 Abs
2 Nr
1 SGG) nicht hinreichend dargelegt.
1. Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine abstrakt-generelle Rechtsfrage aufwirft, die - über
den Einzelfall hinaus - allgemeine Bedeutung hat und aus Gründen der Rechtseinheit oder der Rechtsfortbildung einer Klärung
durch das Revisionsgericht bedarf und fähig ist. Mit der Beschwerdebegründung ist daher zunächst aufzuzeigen, welche rechtliche
Frage sich zu einer bestimmten Norm des Bundesrechts iS des §
162 SGG stellt. Sodann ist anhand des anwendbaren Rechts sowie unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung und
des Schrifttums darzutun, weshalb deren Klärung erforderlich (Klärungsbedürftigkeit) und im angestrebten Revisionsverfahren
zu erwarten ist (Klärungsfähigkeit). Schließlich ist aufzuzeigen, dass der angestrebten Entscheidung eine über den Einzelfall
hinausgehende Breitenwirkung zukommt (BSG vom 17.4.2012 - B 13 R 347/11 B - SozR 4-2600 § 72 Nr 5 RdNr 17 mwN).
Der Kläger misst folgenden Fragen grundsätzliche Bedeutung bei:
"ob die Gesetzgebungskompetenz für die Einführung einer Altersgrenze in §
5 Abs.
1 Nr.
9 SGB V nach Art.
74 Abs.
1 Nr.
12 i.V.m. Art.
72 Abs.
1 GG beim Bund liegt oder bei den Bundesländern" (Bl 2 Beschwerdebegründung vom 6.8.2020),
"ob grundsätzlich berücksichtigungsfähige Hinderungszeiten (2. Bildungsweg, Zivildienst) stets nicht als ursächlich dafür
angesehen werden können, dass ein Studium nicht vor Vollendung des 30. Lebensjahres abgeschlossen werden konnte, wenn andere
Nichthinderungszeiten gegeben sind, die grundsätzlich nicht berücksichtigungsfähig sind und die berücksichtigungsfähigen Hinderungszeiten
überwiegen" (Bl 3 Beschwerdebegründung vom 6.8.2020),
"ob auch inhaltlich anknüpfende oder teilidentische Lehrinhalte aufweisende Vorstudienzeiten nach §
5 Abs.
1 Nr.
9 Halbsatz 2
SGB V berücksichtigungsfähig sind" (Bl 2 Beschwerdebegründung vom 4.11.2020),
"ob die mit gegen den Studierenden gerichteten, strafrechtlichen Ermittlungsverfahren einhergehenden psychischen Belastungen
mögliche Gründe im Sinne des §
5 Abs.
1 Nr.
9 Halbsatz 2
SGB V darstellen" (Bl 3 Beschwerdebegründung vom 4.11.2020),
"ob die Altersgrenze des §
5 Abs.
1 Nr.
9 SGB V gegen Unionsrecht verstößt" (Bl 3 Beschwerdebegründung vom 4.11.2020).
Die Beschwerdebegründung wird den dargestellten Anforderungen nicht gerecht. Insbesondere fehlt es an hinreichenden Darlegungen
zur Klärungsbedürftigkeit der aufgeworfenen Fragen. Eine Rechtsfrage ist dann höchstrichterlich geklärt und damit als nicht
(mehr) klärungsbedürftig anzusehen, wenn diese bereits beantwortet ist. Ist sie noch nicht ausdrücklich entschieden, genügt
es, dass schon eine oder mehrere höchstrichterliche Entscheidungen ergangen sind, die ausreichende Anhaltspunkte zur Beantwortung
der von der Beschwerde als grundsätzlich herausgestellten Rechtsfrage geben (BSG Beschluss vom 30.8.2016 - B 2 U 40/16 B - SozR 4-1500 § 183 Nr 12 RdNr 7 mwN). Die Beschwerdebegründung hat deshalb auszuführen, inwiefern die Rechtsfrage nach dem Stand von Rechtsprechung und Lehre nicht
ohne Weiteres zu beantworten ist, und den Schritt darzustellen, den das Revisionsgericht zur Klärung der Rechtsfrage im allgemeinen
Interesse vornehmen soll (vgl BSG Beschluss vom 25.7.2011 - B 12 KR 114/10 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 22 RdNr 5 mwN). Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht.
a) Wird die Beschwerde mit einem Verstoß gegen die Verfassung begründet, hat sie unter Einbeziehung der einschlägigen Literatur
und Rechtsprechung - insbesondere des BVerfG, aber auch des BSG - die Verfassungswidrigkeit im Einzelnen zu begründen (vgl BSG Beschluss vom 22.8.1975 - 11 BA 8/75 - BSGE 40, 158 = SozR 1500 § 160a Nr 11 S 14; ferner zB BSG Beschluss vom 8.12.2008 - B 12 R 38/07 B - juris RdNr 7 mwN). Die Beschwerdebegründung darf sich nicht darauf beschränken, die Verfassungswidrigkeit zu behaupten und die als verletzt
angesehenen Normen des
Grundgesetzes zu benennen (BSG Beschluss vom 30.4.2015 - B 10 EG 17/14 B - juris RdNr 5 mwN). Die Beschwerdebegründung des Klägers geht aber über die Behauptung der Verfassungswidrigkeit unter Bezeichnung der vermeintlich
verletzten Normen des
Grundgesetzes nicht hinaus. Sie enthält insbesondere keine Auseinandersetzung mit der zur Gesetzgebungskompetenz bereits ergangenen Rechtsprechung
des BVerfG und auch nicht mit der diesbezüglichen Argumentation des LSG.
Das Gleiche gilt für die Behauptung eines Verstoßes gegen das Unionsrecht. Auch hierzu werden zwar unionsrechtliche Richtlinien
benannt, es fehlt aber an jeglicher Auseinandersetzung mit deren Reichweite und Inhalten unter Einbeziehung einschlägiger
Literatur und Rechtsprechung, sodass es letztlich bei der bloßen Behauptung eines Verstoßes bleibt.
b) Die übrigen Fragen beziehen sich auf die Gründe für die Überschreitung der Altersgrenze nach §
5 Abs
1 Nr
9 SGB V sowie deren Gewichtung. Insoweit hätte es zur Darlegung der Klärungsbedürftigkeit der Rechtsfragen einer Auseinandersetzung
mit der hierzu bereits vorliegenden Rechtsprechung des BSG bedurft (vgl hierzu insbesondere das bereits in den Vorinstanzen zitierte Urteil des BSG vom 30.9.1992 - 12 RK 50/91 - SozR 3-2500 § 5 Nr 6; BSG Urteil vom 30.9.1992 - 12 RK 40/91 - BSGE 71, 150 = SozR 3-2500 § 5 Nr 4; BSG Urteil vom 30.6.1993 - 12 RK 6/93 - SozR 3-2500 § 5 Nr 13 sowie die ebenfalls zitierte Kommentarliteratur). Inwieweit sich die aufgeworfenen Fragen nicht anhand dieser Rechtsprechung beantworten lassen, geht aus der Beschwerdebegründung
nicht hinreichend deutlich hervor.
Den dargestellten Anforderungen genügt insbesondere nicht, dass der Kläger ausführt, die Entscheidung des BSG vom 30.6.1993 (12 RK 6/93 - SozR 3-2500 § 5 Nr 13) sei nicht abschließend, da danach die Ursächlichkeit anzuerkennender Hinderungsgründe für die späte Aufnahme des Studiums
jeweils im Einzelfall geprüft und festgestellt werden müsse (Bl 3 der Beschwerdebegründung vom 6.8.2020). Wenn höchstrichterlich bereits geklärt ist, dass die Ursächlichkeit von Hinderungsgründen eine Frage des Einzelfalls ist,
steht dies der vom Kläger behaupteten grundsätzlichen Bedeutung schon im Ansatz entgegen.
Die Behauptung des Klägers, die Zeiten der dem Informatikstudium vorangehenden Studiengänge zählten nach zutreffender Würdigung
zu den Hinderungsgründen (Bl 1 f der Beschwerdebegründung vom 4.11.2020), bleibt ohne jegliche rechtliche Anbindung.
Für die Ansicht des Klägers, die mit strafrechtlichen Ermittlungsverfahren einhergehenden psychischen Belastungen stellten
berücksichtigungsfähige Hinderungsgründe dar, bezieht sich der Kläger zwar auf ein Urteil des BSG vom 30.9.1992 (12 RK 40/91 - BSGE 71, 150 = SozR 3-2500 § 5 Nr 4 = juris RdNr 19; vgl Bl 2 der Beschwerdebegründung vom 4.11.2020). Es geht aus der Beschwerdebegründung aber nicht hervor, inwieweit sich die hierzu aufgeworfene Frage nicht anhand dieser
Rechtsprechung beantworten lässt. Insoweit erschöpft sich das Beschwerdevorbringen darin, die Würdigung der tatsächlichen
Umstände des Einzelfalls durch das LSG zu kritisieren.
2. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung
beizutragen (§
160a Abs
4 Satz 2 Halbsatz 2
SGG).
3. Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des §
193 SGG.