Gründe:
I
Streitig ist die Genehmigung der Versorgung mit getrockneten Cannabisblüten zur Vaporisation sowie die Kostenerstattung für
in der Vergangenheit selbst beschaffte Cannabisprodukte.
Der 1979 geborene und bei der beklagten Krankenkasse versicherte Kläger beantragte bei dieser die "Übernahme von medizinischen
Cannabisprodukten" zur Behandlung seiner ADHS-Erkrankung. Die Behandlung mit Medikinet Adult 20 mg und 10 mg sei nicht erfolgreich
gewesen und habe zudem gravierende Nebenwirkungen gehabt. Die Beklagte lehnte den Antrag mangels Vorliegen der erforderlichen
medizinischen Voraussetzungen ab (Bescheid vom 19.6.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.8.2017). Das SG hat die Klage nach Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 9.10.2019).
Beim Kläger liege ein langjähriges chronisches Abhängigkeitssyndrom von Cannabis vor, die Behandlungsmöglichkeiten seiner
ADHS seien nicht ausgeschöpft und der medizinische Einsatz von Cannabis sei bei ihm kontraindiziert. Das LSG hat die Berufung
zurückgewiesen (Urteil vom 18.11.2020), sich der Begründung des SG angeschlossen und ergänzt, als Voraussetzung für die Genehmigung einer Cannabistherapie müssten alle verfügbaren Therapiealternativen
tatsächlich ausgeschöpft sein (Ultima-Ratio-Versorgung). Ein Kostenerstattungsanspruch bestehe nicht, weil die Beklagte rechtzeitig
über den Antrag entschieden habe und damit auch die Voraussetzungen für einen Kostenerstattungsanspruch kraft Genehmigungsfiktion
nicht vorlägen.
Mit seiner Revision rügt der Kläger eine Verletzung des §
31 Abs
6 SGB V. Eine Ausschöpfung aller Therapiealternativen werde nicht verlangt, wenn der behandelnde Vertragsarzt im konkreten Fall -
wie hier - zu der begründeten Einschätzung gelange, dass diese unter Abwägung der zu erwartenden Nebenwirkungen und unter
Berücksichtigung des Krankheitszustandes nicht zur Anwendung kommen könnten. Der behandelnde Vertragsarzt habe bestätigt,
dass beim Kläger mit der gesicherten Diagnose ADHS eine schwerwiegende Erkrankung vorliege, kein Cannabis-Missbrauch bestehe
und die Anwendung getrockneter Cannabisblüten eine spürbar positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf habe. Die Empfehlung
der aktuellen S3-Leitlinie, Cannabis bei ADHS nicht anzuwenden, stehe dem Anspruch des Klägers nicht entgegen. Die Leitlinie
vermöge die Therapiehoheit des Arztes nicht einzuschränken.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 18. November 2020 und den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts
Osnabrück vom 9. Oktober 2019 sowie den Bescheid der Beklagten vom 19. Juni 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 16. August 2017 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, die Genehmigung der vertragsärztlichen Verordnung von Cannabisblüten
zu erteilen sowie die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 12 252,99 Euro zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie trägt vor, es liege schon keine schwerwiegende Erkrankung vor. Überdies fehle es an einer vertragsärztlichen Verordnung
von Cannabis und es bestünden Therapiealternativen.
II
Die zulässige Revision des Klägers ist im Sinne der Aufhebung und Zurückverweisung des Rechtsstreits an das LSG begründet
(§
170 Abs
2 Satz 2
SGG).
Das klägerische Begehren (§
123 SGG) ist bei sachdienlicher Auslegung auf die Erteilung einer Genehmigung für die vertragsärztliche Verordnung von Cannabisblüten
nach §
31 Abs
6 Satz 1
SGB V gerichtet. Hierfür ist die kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§
54 Abs
1 Satz 1
SGG) die statthafte Klageart. Den daneben geltend gemachten (§
56 SGG) Kostenerstattungsanspruch verfolgt der Kläger in zulässiger Weise mit der Leistungsklage (§
54 Abs
4 SGG).
I. Als Rechtsgrundlage für die begehrte Versorgung mit Cannabisblüten kommt allein §
31 Abs
6 SGB V in Betracht. Ob dessen Voraussetzungen erfüllt sind, vermag der Senat auf Grundlage der Feststellungen des LSG aber nicht
abschließend zu entscheiden. Entsprechende Feststellungen muss das LSG - soweit nötig - im wiedereröffneten Berufungsverfahren
nachholen. Dazu muss es auch die Unterlagen berücksichtigen, die dem Antrag vom 22.5.2017 in einem verschlossenen Umschlag
beigefügt waren.
Nach §
31 Abs
6 SGB V haben Versicherte Anspruch auf die Versorgung mit Cannabis in Form von getrockneten Blüten oder Extrakten in standardisierter
Qualität und auf Versorgung mit Arzneimitteln mit den Wirkstoffen Dronabinol und Nabilon (nachfolgend zusammengefasst: Cannabis),
wenn sie an einer schwerwiegenden Erkrankung leiden (Satz 1; dazu 1.), eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard
entsprechende Leistung nicht zur Verfügung steht oder im Einzelfall nach einer begründeten Einschätzung des behandelnden Vertragsarztes
unter Abwägung der zu erwartenden Nebenwirkungen und unter Berücksichtigung des Krankheitszustandes des Versicherten nicht
zur Anwendung kommen kann (Satz 1 Nr 1; dazu 2.) und eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbar positive
Einwirkung auf den Krankheitsverlauf oder auf schwerwiegenden Symptome besteht (Satz 1 Nr 2; dazu 3.). Die Leistung bedarf
bei der ersten Verordnung der nur in begründeten Ausnahmefällen (dazu 5.) abzulehnenden Genehmigung der Krankenkasse, die
vor Beginn der Leistung zu erteilen ist (Satz 2); hierzu bedarf es jedoch keiner Verordnung auf einem Rezept für Betäubungsmittel
nach der Verordnung über das Verschreiben, die Abgabe und den Nachweis des Verbleibs von Betäubungsmitteln (Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung - BtMVV; dazu 4.). Schließlich ist auch bei der Versorgung mit Cannabis das allgemeine Wirtschaftlichkeitsgebot zu beachten (§
12 Abs
1 Satz 1
SGB V, dazu 6.).
1. Der Anspruch auf Versorgung mit Cannabis besteht nur zur Behandlung einer schwerwiegenden Erkrankung (§
31 Abs
6 Satz 1
SGB V). Eine Erkrankung ist schwerwiegend, wenn sie lebensbedrohlich ist oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigt
(vgl BSG vom 19.3.2002 - B 1 KR 37/00 R - BSGE 89, 184, 191 f = SozR 3-2500 § 31 Nr 8 S 36 und vom 25.3.2021 - B 1 KR 25/20 R - BSGE 132, 67 = SozR 4-2500 § 137c Nr 15, RdNr 40).
Das LSG hat festgestellt, dass der Kläger an einer Aktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörung (nachfolgend ADHS) und einer Cannabisabhängigkeit
leidet. Hieraus ergeben sich keine Anhaltspunkte für die Lebensbedrohlichkeit der Erkrankungen in dem Sinne, dass die Gefahr
eines tödlichen Krankheitsverlaufs nach allgemeiner Erkenntnis oder nach der Beurteilung im konkreten Einzelfall innerhalb
eines kürzeren, überschaubaren Zeitraums drohen würde (vgl BSG vom 14.12.2006 - B 1 KR 12/06 R - SozR 4-2500 § 31 Nr 8 RdNr 19).
Ist die Erkrankung nicht lebensbedrohlich, besteht ein Anspruch auf Versorgung mit Cannabis nur, wenn die Lebensqualität auf
Dauer nachhaltig beeinträchtigt ist. Von einer dauerhaften Beeinträchtigung der Lebensqualität ist in Anlehnung an entsprechende
Regelungen in §§
43,
101 Abs
1 SGB VI, §
2 Abs
1 Satz 1
SGB IX, §
14 Abs
1 Satz 3
SGB XI, § 30 Abs 1 Satz 3 BVG ab einem Zeitraum von (voraussichtlich) sechs Monaten auszugehen. Die Beeinträchtigung der Lebensqualität ergibt sich nicht
aus der gestellten Diagnose, sondern aus den konkreten Auswirkungen der Erkrankung (dazu a). Diese müssen den Betroffenen
überdurchschnittlich schwer beeinträchtigen, wofür die GdS(Grad der Schädigungsfolgen)-Tabelle aus Teil 2 der Anlage zu §
2 der Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) als Anhaltspunkt dienen kann (dazu b). Die beim Kläger bestehende ADHS, zu deren Behandlung Cannabis eingesetzt werden soll,
ist danach in der Regel nur dann eine schwerwiegende Erkrankung, wenn die Integration in den Arbeitsmarkt, in das öffentliche
Leben und in das häusliche Leben ohne Unterstützung nicht gelingt (dazu c).
a) Die Lebensqualität wird im Wesentlichen nicht durch die Diagnose einer Erkrankung beeinflusst, sondern durch die Auswirkungen
der Erkrankung auf das Leben der Betroffenen. Lebensqualität umschreibt das Vermögen, die Befriedigung von Grundbedürfnissen
selbst zu gewährleisten, soziale Beziehungen einzugehen und aufrechtzuerhalten sowie am Erwerbs- und Gesellschaftsleben teilzunehmen.
Ob und inwieweit eine erkrankte Person noch dazu in der Lage ist, hängt von der Art und Schwere der durch die Erkrankung verursachten
Gesundheitsstörungen ab. Die dauerhafte und nachhaltige Beeinträchtigung der Lebensqualität ergibt sich deshalb nicht allein
aus einer ärztlich gestellten Diagnose. Entscheidend sind die durch die Erkrankung hervorgerufenen Funktionsstörungen und
-verluste, Schmerzen, Schwäche und Hilfebedarf bei den Verrichtungen des täglichen Lebens, welche die Lebensqualität beeinträchtigen.
b) Die Auswirkungen der Krankheit mit den sich aus dieser ergebenden Beeinträchtigungen müssen sich durch ihre Schwere vom
Durchschnitt der Erkrankungen abheben. Nur dann liegt auch eine nachhaltige Beeinträchtigung der Lebensqualität vor. Insoweit
hält es der Senat für gerechtfertigt, sich an die Bewertung der Auswirkungen von Krankheiten in Teil 2 der Anlage zu § 2 VersMedV anzulehnen. Diese dient zur Beurteilung des GdS (§ 30 Abs 1, Abs 16 BVG) sowie des Grades der Behinderung (GdB) als Maß für die Beeinträchtigung der Teilhabe an der Gesellschaft (§
2 Abs
2, §
153 Abs
2, § 241 Abs 5
SGB IX) und stellt einen sozialrechtlichen Maßstab für die Schwere krankheitsbedingter Beeinträchtigungen dar. Sowohl GdS als auch
GdB stellen auf die Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen in der Gesellschaft ab (§ 30 Abs 1 Satz 1 BVG; §
2 Abs
1 SGB IX). Davon sind neben Arbeit und Beruf auch die Stellung des Betroffenen in der Gesellschaft und seine sozialen Beziehungen
umfasst (vgl Oppermann in Knickrehm, Soziales Entschädigungsrecht, 2012, §
2 SGB IX RdNr 14; Götze in Hauck/Noftz, §
2 SGB IX, RdNr 8, 9). Dies deckt sich mit dem medizinisch geprägten Begriff der Lebensqualität, der die Wahrnehmung des Betroffenen
zu seiner Position im Leben im Blick hat.
Entsprechen die Auswirkungen nach der GdS-Tabelle bereits allein ohne Einbezug weiterer Erkrankungen einem GdS von 50, kann
im Regelfall von einer schwerwiegenden Erkrankung ausgegangen werden. Die mit einem GdS/GdB von mindestens 50 definierte Schwerbeschädigten-
bzw Schwerbehinderteneigenschaft (§ 31 Abs 2 BVG, §
2 Abs
2 SGB IX) eröffnet den Zugang zu besonderen Leistungen oder Nachteilsausgleichen. Sie markiert eine Zumutbarkeitsschwelle, ab welcher
der Gesetzgeber die Beeinträchtigungen als derart schwerwiegend angesehen hat, dass zum Ausgleich übermäßiger Nachteile weitere
Leistungen, Vergünstigungen und Schutzvorschriften geboten sind.
Die Heranziehung eines GdS von 50 ist weder im Sinne eines starren Grenzwertes zu verstehen, noch ist eine formelle Feststellung
eines GdS oder GdB erforderlich, um einen Anspruch auf Versorgung mit Cannabis zu begründen. Entscheidend sind vielmehr die
in der GdS-Tabelle enthaltenen Kriterien zur Schwere der Beeinträchtigung der Lebensqualität aufgrund der Auswirkungen einer
Erkrankung. Das gilt in besonderem Maße für die Beeinträchtigung der Lebensqualität durch psychische Erkrankungen, für die
sich der GdS-Tabelle die Orientierung an der Fähigkeit zur Integration in den Arbeitsmarkt sowie das öffentliche und häusliche
Leben entnehmen lässt (so LSG Berlin-Brandenburg vom 27.4.2022 - L 9 KR 233/20 - juris RdNr 30 ohne Rückgriff auf die VersMedV). Bei multimorbiden Patienten, bei denen Cannabis zur Behandlung mehrerer Erkrankungen eingesetzt werden soll, ist auf die
Gesamtauswirkungen dieser Erkrankungen abzustellen. Schränken deren sich ggf überschneidende und sich wechselseitig verstärkende
Auswirkungen die Lebensqualität in einer einem Einzel-GdS von 50 vergleichbaren Schwere ein, kann grundsätzlich auch vom Vorliegen
einer schwerwiegenden Erkrankung ausgegangen werden.
Erreichen die Auswirkungen der Erkrankung(en) nicht die Schwere, die einem Einzel-GdS von 50 vergleichbar sind, ist die Annahme
einer nachhaltigen Beeinträchtigung der Lebensqualität nicht ausgeschlossen. Sie kommt im Einzelfall in Betracht, etwa wenn
ihre Auswirkungen aufgrund weiterer Erkrankungen schwerer wiegen oder die Teilhabe am Arbeitsleben oder in einem anderen Bereich
besonders einschränken.
c) Nach den Feststellungen des LSG leidet der Kläger an einer einfachen Aktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörung, für die vom
Vertragsarzt eine Behandlung mit Cannabisblüten vorgesehen ist. Ob die ADHS eine schwerwiegende Erkrankung ist, hängt dabei
ua von der Schwere der dadurch verursachten sozialen Anpassungsschwierigkeiten ab. Diese liegen nach der Definition der VersMedV vor, wenn die Integration in den allgemeinen Arbeitsmarkt, in das öffentliche Leben und das häusliche Leben nicht ohne besondere
Förderung und Unterstützung gegeben ist. Ein Einzel-GdS von 50 wird in der Regel nur erreicht, wenn die Integration in die
genannten Lebensbereiche nicht ohne umfassende Unterstützung möglich ist (Versorgungsmedizinische Grundsätze Teil B Nr 3.5.2).
Dazu fehlen Feststellungen des LSG.
2. Die Genehmigung einer Cannabis-Verordnung setzt weiter voraus, dass eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard
entsprechende Leistung entweder nicht zur Verfügung steht (dazu a) oder im Einzelfall nach der begründeten Einschätzung des
behandelnden Vertragsarztes nicht zur Anwendung kommen kann (dazu b).
Das LSG ist davon ausgegangen, die Behandlung mit Cannabis müsse ultima ratio sein, sodass das Ausschöpfen aller verfügbaren
Therapiealternativen Voraussetzung der Genehmigung einer Verordnung von Cannabis sei. Es hat deshalb den Anspruch verneint.
Dem Vertragsarzt steht jedoch eine Einschätzungsprärogative hinsichtlich der Anwendbarkeit einer Standardtherapie zu. Ob eine
begründete Einschätzung des Vertragsarztes vorliegt, hat das LSG nicht festgestellt. Zwar ergibt sich aus der Entscheidung
des SG, dass als Anlage zum Antrag vom 22.5.2017 medizinische Unterlagen in einem verschlossenen Umschlag bei der KK vorgelegt worden
seien. Feststellungen zu deren Inhalt hat das LSG nicht getroffen.
a) Eine Standardtherapie steht nicht zur Verfügung (§
31 Abs
6 Satz 1 Nr
1 Buchst a
SGB V), wenn es sie generell nicht gibt, sie im konkreten Einzelfall ausscheidet, weil der Versicherte sie nachgewiesenermaßen
nicht verträgt oder erhebliche gesundheitliche Risiken bestehen (vgl BSG vom 4.4.2006 - B 1 KR 7/05 R - BSGE 96, 170 = SozR 4-2500 § 31 Nr 4, RdNr 31; BSG vom 7.11.2006 - B 1 KR 24/06 R - BSGE 97, 190 = SozR 4-2500 § 27 Nr 12, RdNr 22) oder sie trotz ordnungsgemäßer Anwendung im Hinblick auf das beim Patienten angestrebte
Behandlungsziel ohne Erfolg geblieben ist (vgl BSG vom 25.3.2021 - B 1 KR 25/20 R - BSGE 132, 67 = SozR 4-2500 § 137c Nr 15, RdNr 42).
Ob es zur Behandlung der Erkrankung und zur Erreichung des angestrebten Behandlungsziels eine dem allgemein anerkannten Stand
der medizinischen Wissenschaft entsprechende Therapie überhaupt gibt, bestimmt sich nach den Grundsätzen der evidenzbasierten
Medizin (so auch LSG Baden-Württemberg vom 22.3.2022 - L 11 KR 3804/21 - juris RdNr 27). Gibt es danach eine Standardtherapie, scheidet sie aus, wenn die Therapie bereits zu schwerwiegenden Nebenwirkungen
iS des Art 1 Nr 12 RL 2001/83/EG (Richtlinie zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel), wie etwa stationärer Behandlungsbedürftigkeit
oder deren Verlängerung, geführt hat oder ein erhebliches Risiko solcher Nebenwirkungen im Fall des Patienten besteht (vgl
auch BSG vom 4.4.2006 - B 1 KR 7/05 R - BSGE 96, 170 = SozR 4-2500 § 31 Nr 4, RdNr 31).
b) Das LSG hat bindend (§
163 SGG) festgestellt, das für die Behandlung der ADHS Methoden zur Verfügung stehen, die dem medizinischen Standard entsprechen.
In solchen Fällen bedarf es der begründeten Einschätzung des behandelnden Vertragsarztes, warum diese Methoden unter Abwägung
der zu erwartenden Nebenwirkungen und unter Berücksichtigung des Krankheitszustandes dennoch nicht zur Anwendung kommen können
(§
31 Abs
6 Satz 1 Nr
1 Buchst b
SGB V). Das Gesetz gesteht dem behandelnden Vertragsarzt insoweit eine Einschätzungsprärogative zu (dazu aa). An die begründete
Einschätzung sind aber hohe Anforderungen zu stellen. Dies ergibt sich aus der Geltung des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG), die durch §
31 Abs
6 SGB V nicht aufgehoben ist (dazu bb), aus einem Vergleich mit den Vorgaben des Arzthaftungsrechts für die Behandlung mit einer
(noch) nicht allgemein anerkannten medizinischen Behandlungsmethode (dazu cc) sowie aus Gründen des Patientenschutzes (dazu
dd). Die begründete Einschätzung des Vertragsarztes muss die mit Cannabis zu behandelnde Erkrankung und das Behandlungsziel
benennen, die für die Abwägung der Anwendbarkeit verfügbarer Standardtherapien mit der Anwendung von Cannabis erforderlichen
Tatsachen vollständig darlegen und eine Abwägung unter Einschluss möglicher schädlicher Wirkungen von Cannabis beinhalten
(dazu ee). Sind diese Anforderungen spätestens zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der letzten Tatsacheninstanz
erfüllt, ist eine Überprüfung des Abwägungsergebnisses nur auf völlige Unplausibilität zulässig (dazu ff).
aa) Mit der Regelung des §
31 Abs
6 Satz 1 Nr
1 Buchst b
SGB V wollte der Gesetzgeber die ärztliche Therapiefreiheit auch innerhalb der Vorgaben des Leistungsrechts der GKV stärken (BT-Drucks
18/10902 S 20). Dem entsprechend darf die KK die Genehmigung nur in begründeten Ausnahmefällen verweigern (§
31 Abs
6 Satz 2
SGB V). Die Abwägung des Vertragsarztes, ob eine verfügbare Standardtherapie zur Behandlung der Erkrankung angewendet werden kann
oder ob Cannabis zur Anwendung kommen soll, ist damit der Überprüfung durch KKn und Gerichte weitgehend entzogen. Daraus folgt
eine Einschätzungsprärogative des Vertragsarztes.
bb) Die Verschreibung und die Abgabe von Cannabis zulasten der GKV unterfällt den Beschränkungen des BtMG. Mit der Schaffung des Anspruchs auf Versorgung mit Cannabis hat der Gesetzgeber keine Erleichterung der betäubungsmittelrechtlichen
Anforderungen an die Verschreibungsfähigkeit beabsichtigt, sondern sah die Ärzte als verpflichtet an, diese Anforderungen
zu berücksichtigen (BT-Drucks 18/8965 S 13). Die in §
31 Abs
6 Satz 1
SGB V genannten Produkte sind nach der zum 10.3.2017 erfolgten Änderung des BtMG zwar verkehrs- und verschreibungsfähige Betäubungsmittel nach den § 1 Abs 1, § 13 Abs 1 BtMG iVm Anlage III BtMG und dürfen durch Ärzte verschrieben werden. Die Verschreibung ist aber nur dann erlaubt, wenn ihre Anwendung am oder im menschlichen
Körper begründet ist (§ 13 Abs 1 Satz 1 BtMG). An einer begründeten Anwendung fehlt es insbesondere dann, wenn der beabsichtigte Zweck auf andere Weise erreicht werden
kann (§ 13 Abs 1 Satz 2 BtMG).
Die Verschreibung der in Anlage III BtMG genannten Betäubungsmittel ist nach § 13 Abs 1, Abs 3 BtMG lediglich dann gestattet, wenn für die Anwendung am oder im menschlichen Körper eine Indikation nach dem Stand der medizinischen
Wissenschaft besteht (vgl BGH vom 28.1.2014 - 1 StR 494/13 - BGHSt 59, 150, 156) oder die Verschreibung, wenn auch außerhalb der Schulmedizin, zumindest ärztlich vertretbar ist (vgl BGH vom 17.5.1991
- 3 StR 8/91 - BGHSt 37, 383, 385). Das setzt die Geeignetheit des Mittels als Heilmittel für das Leiden des Patienten voraus (vgl BGH vom 8.5.1979 -
1 StR 118/79 - BGHSt 29, 6, 9; BGH vom 17.5.1991 - 3 StR 8/91 - BGHSt 37, 383, 384). Mit § 13 Abs 1 Satz 2 BtMG wird die Anwendung von Betäubungsmitteln bei Vorhandensein anderer Möglichkeiten der Zweckerreichung im Sinne einer ultima
ratio ausgeschlossen, wenn auch andere, den Patienten weniger gefährdende Heilmaßnahmen in Betracht kommen (vgl BGH vom 8.5.1979,
aaO - zu einer früheren Fassung des BtMG und der BtMVV; BGH vom 2.2.2012 - 3 StR 321/11 - NStZ 2012, 337, 338; BGH vom 28.1.2014, aaO; näher Patzak in Patzak/Volkmer/Fabricius, BtMG, 10. Aufl 2022, § 13 RdNr 22 f). Der Arzt muss unter Beachtung der medizinischen Sorgfalt bei Anamnese, Untersuchung, Diagnose und Behandlungsplanung
zu der Überzeugung gelangen, dass für diesen Patienten das angestrebte Behandlungsziel nicht auf andere Weise erreicht werden
kann. Die Vorschriften des BtMG sollen im Sinne des Gesundheitsschutzes sicherstellen, dass Betäubungsmittel nur bei unumgänglicher medizinischer Notwendigkeit
eingesetzt werden, um der Entstehung und Aufrechterhaltung einer Sucht entgegenzuwirken (vgl § 5 Abs 1 Nr 6 BtMG; BGH vom 8.5.1979, aaO, S 10).
Nicht erst aus §
31 Abs
6 Satz 1 Nr
1 Buchst b
SGB V, sondern bereits aus der älteren Vorschrift des § 13 Abs 1 Satz 1 und 2 BtMG ergibt sich damit für den behandelnden Arzt die Notwendigkeit einer Abwägung, ob im konkreten Behandlungsfall andere, den
Patienten weniger gefährdende oder weniger belastende, ggf nicht dem BtMG unterfallende Behandlungsmethoden bei vergleichbarem Erfolg zur Anwendung kommen können. Insoweit hat §
31 Abs
6 Satz 1 Nr
1 Buchst b
SGB V nunmehr klargestellt, dass es zwar auf die Einschätzung des behandelnden Vertragsarztes ankommt, ob Cannabis die verbleibende
Behandlungsalternative ist. Die Beachtlichkeit seiner Einschätzung ist aber an das Erfordernis einer von ihm zu erbringenden
Begründung gebunden, die eine Prüfung ihrer objektiven Grundlagen ermöglicht.
cc) Die Anwendung einer (noch) nicht allgemein anerkannten medizinischen Behandlungsmethode (sog Neulandmethode) stellt nicht
per se einen Behandlungsfehler dar, unterliegt aber erhöhten Anforderungen an die dem Arzt zugewiesene Therapieentscheidung
und an die Aufklärung des Patienten (vgl BGH vom 13.6.2006 - VI ZR 323/04 - BGHZ 168, 103, 108 f; BGH vom 15.10.2019 - VI ZR 105/18 - juris RdNr 14; BGH vom 18.5.2021 - VI ZR 401/19 - MDR 2021, 871 = MedR 2021, 897, 898). Der Arzt muss eine medizinische Abwägung treffen und vergleichen, ob die zu erwartenden Vorteile dieser Methode und
ihrer abzusehenden und zu vermutenden Nachteile mit der standardgemäßen Behandlung unter Berücksichtigung des Wohles des Patienten
die Anwendung dieser Methode rechtfertigt (vgl BGH vom 13.6.2006 - VI ZR 323/04 - BGHZ 168, 103, 108 f; BGH vom 15.10.2019 - VI ZR 105/18 - juris RdNr 15). Eine solche Abwägung setzt eine hinreichende Sachkunde sowohl hinsichtlich der Standardbehandlungsmethoden
als auch der Außenseitermethode sowie eine vollständige Untersuchung des Patienten voraus (vgl Katzenmeier in Laufs/Katzenmeier/Lipp,
Arztrecht, 8. Aufl 2021, X. Arztfehler und Haftpflicht, RdNr 96; Müller/Raschke, NJW 2013, 428, 430; Sternberg-Lieben in Hilgendorf/Kudlich/Valerius, Handbuch des Strafrechts, Band 6, 2022, § 52 Ärztliche Heilbehandlung
und Fahrlässigkeitsstrafbarkeit RdNr 31; Schumacher, MedR 2019, 786, 789).
Der Anspruch auf die Versorgung mit Cannabis wurde trotz fehlender Evidenz zur Wirksamkeit der Therapie bewusst geschaffen
und das Qualitätsgebot des §
2 Abs
1 Satz 3
SGB V abgeschwächt (vgl BT-Drucks 18/8695 S 23). Der Vertragsarzt verlässt mit der Verordnung von Cannabis den Standard der medizinischen
Wissenschaft und wählt im Rahmen seiner Therapiefreiheit eine grundsätzlich erlaubte Außenseiter- bzw Neulandmethode. Die
damit einhergehende Ausweitung der Leistungspflicht der GKV auf Methoden außerhalb des medizinischen Standards ist mit der
nach §
31 Abs
6 Satz 1 Nr
1 Buchst b
SGB V geforderten Einschätzung gegenüber der KK in der gleichen Weise zu begründen, wie eine Abwägung und Begründung wie sie nach
haftungsrechtlichen Maßstäben geboten ist.
dd) Bei Einsatz einer Behandlungsmethode, zu deren Anwendung, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit noch keine gesicherten Erkenntnisse
vorliegen, gebietet es der Schutz des Patienten, den Weg des gesicherten Nutzens zu wählen (vgl BSG vom 25.3.2021 - B 1 KR 25/20 R - BSGE 132, 67 = SozR 4-2500 § 137c Nr 15, RdNr 42; BSG vom 16.8.2021 - B 1 KR 18/20 R - BSGE 133, 24 = SozR 4-2500 § 2 Nr 17, RdNr 11). Auch wenn der Gesetzgeber bewusst unter Verzicht auf eine hinreichende Evidenz zur Wirksamkeit
und Unbedenklichkeit einer Cannabis-Therapie einen entsprechenden Versorgungsanspruch geschaffen hat (vgl BT-Drucks 18/8695
S 23) und damit von einem gesicherten Nutzen der Therapie mit Cannabis gerade nicht gesprochen werden kann, sind mit §
31 Abs
6 SGB V nicht sämtliche Vorgaben des Leistungsrechts außer Kraft gesetzt. Die Leistungen zur Krankenbehandlung werden von den KKn
mit dem Ziel erbracht, Krankheiten zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu
lindern (§
27 Abs
1 Satz 1
SGB V). Die Leistungen müssen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein und dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten
(§
12 Abs
1 SGB V). Das Individualinteresse der Versicherten an einer wirkungsvollen und qualitätsgesicherten Behandlung und an einem Schutz
vor vermeidbaren Gesundheitsgefahren korrespondiert insofern mit dem öffentlichen Interesse an einem verantwortungsvollen
Umgang mit den beschränkten Mitteln der Beitragszahler (vgl BSG vom 25.3.2021, aaO; BSG vom 16.8.2021, aaO, RdNr 18). Daher ist durch gründliche Abwägung aller therapeutischen Alternativen zur Cannabismedikation
zu verhindern, dass der Patient eine allgemein anerkannte, wirksame Behandlungsmethode nicht nutzt, er vermeidbaren Gesundheitsgefahren
ausgesetzt wird und die Gemeinschaft der Beitragszahler nicht mit Kosten für eine unwirksame oder den Patienten gefährdende
Therapie oder mit Mehrkosten gegenüber einer verfügbaren Standardtherapie belastet wird.
ee) Der notwendige Inhalt der begründeten Einschätzung bestimmt sich nach dem Wortlaut von §
31 Abs
6 Satz 1 Nr
1 Buchst b
SGB V und den aus dem Betäubungsmittel- und Arzthaftungsrecht abzuleitenden Vorgaben.
Dabei ist zu unterscheiden zwischen den der Abwägung zugrunde liegenden Tatsachen, die maßgeblich für die Frage sind, ob eine
Standardtherapie zur Anwendung kommen kann, und der Abwägung selbst. Der Wortlaut der Norm gibt bereits vor, dass die zu erwartenden
oder bereits aufgetretenen Nebenwirkungen der zur Verfügung stehenden, allgemein anerkannten und dem medizinischen Standard
entsprechenden Leistungen und der Krankheitszustand darzustellen sind (so auch LSG Baden-Württemberg, zuletzt vom 22.3.2022
- L 11 KR 3804/21 - juris RdNr 28 mwN; LSG Berlin-Brandenburg vom 27.4.2022 - L 9 KR 233/20 - juris RdNr 38). Dies ist auch in Abstimmung mit den betäubungsmittel- und arzthaftungsrechtlichen Anforderungen dahin zu
konkretisieren, dass der Krankheitszustand mit den bestehenden Funktions- und Fähigkeitseinschränkungen aufgrund eigener Untersuchung
des Patienten und ggf unter Hinzuziehung von Befunden anderer behandelnder Ärzte zu beschreiben ist. Hierzu gehört auch ein
evtl Suchtmittelgebrauch in der Vergangenheit sowie das Bestehen oder der Verdacht einer Suchtmittelabhängigkeit. Der Vertragsarzt
muss die mit Cannabis zu behandelnde(n) Erkrankung(en), ihre Symptome und das angestrebte Behandlungsziel sowie die bereits
angewendeten Standardbehandlungen, deren Erfolg im Hinblick auf das Behandlungsziel und dabei aufgetretene Nebenwirkungen
benennen. Der Vertragsarzt kann dazu auch seine Patientendokumentation und die Befunde anderer behandelnder Ärzte der begründeten
Einschätzung beifügen und auf diese verweisen. Das Behandlungsziel muss entweder in einer Einwirkung auf den Krankheitsverlauf
oder auf schwerwiegende Symptome der Erkrankung bestehen (s dazu RdNr 40 ff). Dies ergibt sich aus der Voraussetzung, dass
für die Therapie mit Cannabis eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbar positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf
oder auf schwerwiegende Symptome bestehen muss (§
31 Abs
6 Satz 1 Nr
2 SGB V).
Die Abwägung der Anwendbarkeit von Standardtherapien erfordert es, dass der Vertragsarzt überdies alle noch verfügbaren Standardtherapien
benennt und deren zu erwartenden Erfolg im Hinblick auf das Behandlungsziel und die zu erwartenden Nebenwirkungen darlegt.
Im Ergebnis müssen sämtliche verfügbare Standardtherapien entweder durch den Vertragsarzt bereits erfolglos angewendet worden
sein oder in die Abwägung einbezogen werden.
Auf der Grundlage der dargelegten Tatsachen ist die Abwägung der Nebenwirkungen der noch verfügbaren Standardtherapien mit
dem beschriebenen Krankheitszustand und den möglichen schädlichen Auswirkungen einer Therapie mit Cannabis (zur Cannabisabhängigkeit
s auch RdNr 38, 51) vorzunehmen. In die Abwägung einfließen dürfen dabei nur Nebenwirkungen, die das Ausmaß einer behandlungsbedürftigen
Erkrankung erreichen (BT-Drucks 18/8965 S 24). Die entsprechende gesetzgeberische Vorstellung hat zwar im Wortlaut des §
31 Abs
6 Satz 1
SGB V keinen Niederschlag gefunden. Sie fügt sich aber in die im
SGB V angelegten abgestuften Voraussetzungen, unter denen von den Vorgaben des Qualitätsgebotes abgewichen werden kann, sowie in
die Rechtsprechung des Senats zur Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebotes bei der Arzneimittelversorgung systematisch ein.
Auch wenn die für den Versorgungsanspruch nach §
2 Abs
1a SGB V und den Anspruch auf Versorgung mit Arzneimitteln unter Überschreitung der Zulassung geltende hohe Schwelle der objektiven
Nichtverfügbarkeit einer Standardtherapie (vgl BSG vom 4.4.2006 - B 1 KR 7/05 R - BSGE 96, 170 = SozR 4-2500 § 31 Nr 4, RdNr 31; BSG vom 19.3.2002 - B 1 KR 37/00 R - BSGE 89, 184, 192 = SozR 3-2500 § 31 Nr 8 S 36) hier nicht gilt, besteht gleichwohl kein Anspruch auf eine nebenwirkungsfreie Arzneimitteltherapie.
Aus der Abwägung des Vertragsarztes muss hervorgehen, warum zu erwartende Nebenwirkungen bei dem beschriebenen Krankheitszustand
des Patienten auch im Hinblick auf das mögliche Erreichen der angestrebten Behandlungsziele nicht tolerierbar sind oder warum
keine hinreichende Aussicht auf Erreichen des Behandlungsziels besteht, weil etwa Arzneimittel mit vergleichbarem Wirkmechanismus
erfolglos geblieben sind. Die Abwägung schließt ein, auch bei dem Krankheitszustand des Patienten mögliche schädliche Auswirkungen
einer Therapie mit Cannabis, wie das Entstehen, Unterhalten oder Verfestigen einer Abhängigkeit oder das Auftreten von Psychosen,
zu erfassen und mit den Nebenwirkungen einer Standardtherapie abzuwägen. Der Vertragsarzt muss in seine Abwägung einbeziehen,
in welcher Darreichungsform die Anwendung von Cannabis das geringste Risiko in Bezug auf schädliche Wirkungen und auf einen
möglichen Missbrauch des verordneten Cannabis in sich birgt. Das gilt insbesondere bei einem vorbestehenden Suchtmittelkonsum
oder einer vorbestehenden Suchtmittelabhängigkeit.
ff) KKn und Gerichte dürfen die vom Vertragsarzt abgegebene begründete Einschätzung nur daraufhin überprüfen, ob die erforderlichen
Angaben als Grundlage der Abwägung vollständig und inhaltlich nachvollziehbar sind, und das Abwägungsergebnis nicht völlig
unplausibel ist. Die dem Vertragsarzt eingeräumte Einschätzungsprärogative schließt eine weitergehende Prüfung des Abwägungsergebnisses
auf Richtigkeit aus. Insbesondere steht es KKn und Gerichten nicht zu, die Anwendbarkeit einer verfügbaren Standardtherapie
selbst zu beurteilen und diese Beurteilung an die Stelle der Abwägung des Vertragsarztes zu setzen (so auch LSG Nordrhein-Westfalen
vom 30.1.2019 - L 11 KR 442/18 B ER - juris RdNr 32; LSG Hamburg vom 31.8.2022 - L 1 KR 18/22 - juris RdNr 36). Hat der Vertragsarzt in seiner begründeten Einschätzung grundsätzlich verfügbare Standardtherapien nicht
aufgeführt und damit keiner Abwägung unterzogen, erschöpft sich die verwaltungsseitige und gerichtliche Überprüfung in der
Feststellung, dass es weitere Standardtherapien gibt.
Die eingeschränkte Überprüfbarkeit der begründeten Einschätzung gilt auch im Fall eines vorbestehenden Suchtmittelkonsums
oder einer vorbestehenden Suchtmittelabhängigkeit. Ob dieser Umstand eine Kontraindikation für die Behandlung mit Cannabis
darstellt, ist vom Vertragsarzt im jeweiligen Einzelfall abzuwägen und in der begründeten Einschätzung darzulegen. Er hat
sich möglichst genaue Kenntnis vom bisherigen Konsumverhalten, möglichen schädlichen Wirkungen des bisherigen Konsums und
einer eventuellen Abhängigkeit zu verschaffen. Auf dieser Grundlage unterfällt es seiner Beurteilung, ob eine Kontraindikation
vorliegt oder welche Vorkehrungen gegen einen Missbrauch des verordneten Cannabis zu treffen sind.
Ob eine den Anforderungen entsprechende begründete Einschätzung des Vertragsarztes vorliegt, bestimmt sich nach den vorliegenden
Stellungnahmen des behandelnden Vertragsarztes zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung der Tatsacheninstanz. Der
Versicherte hat die begründete Einschätzung als Voraussetzung des Versorgungs- und Genehmigungsanspruchs beizubringen. Es
ist ihm nicht verwehrt, auch im gerichtlichen Verfahren in Reaktion auf die bisherigen Erkenntnisse eine Ergänzung der bisher
abgegebenen Einschätzung durch den Vertragsarzt noch vorzulegen (anders ua LSG Hamburg vom 31.8.2022 - L 1 KR 18/22 - juris RdNr 36; offengelassen von LSG Berlin-Brandenburg vom 14.4.2021 - L 9 KR 402/19 - juris RdNr
30). Eine klare und eindeutige Präklusionsregelung enthält §
31 Abs
6 SGB V nicht (vgl zu den Anforderungen an eine Präklusionsregelung BSG vom 18.5.2021 - B 1 KR 32/20 R - BSGE 132, 143 = SozR 4-2500 § 275 Nr 33, RdNr 33 mwN). Allerdings besteht keine Verpflichtung des Gerichts (§
103 SGG), beim behandelnden Vertragsarzt eine begründete Einschätzung oder ihre Ergänzung um bisher nicht berücksichtigte Umstände
anzufordern. Die begründete Einschätzung dokumentiert die Abwägung des Vertragsarztes, die als Ergebnis seines Entscheidungsprozesses
keine Tatsache darstellt, die durch das Gericht mit den zur Verfügung stehenden prozessualen Mitteln erforscht werden könnte.
3. Weiter setzt der Anspruch voraus, dass durch die Behandlung mit Cannabis eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf
eine spürbar positive Auswirkung auf den Krankheitsverlauf oder auf schwerwiegende Symptome besteht (Erfolgsaussicht).
Die Erfolgsaussicht muss sich auf die ursächliche Behandlung der schwerwiegenden Erkrankung oder auf besonders schwere Symptome
bzw Auswirkungen der schwerwiegenden Erkrankung oder Erkrankungen beziehen. Besonders schwer sind Symptome bzw Auswirkungen
bereits dann, wenn sie das Bild der schwerwiegenden Erkrankung prägen, ohne dass sie selbst einen GdS von 50 erreichen müssen.
In der Gesetzesbegründung wird hierzu die Behandlung von Appetitlosigkeit und Übelkeit bei Behandlung einer Krebserkrankung
mit Chemotherapie genannt.
An die Prognose der Erfolgsaussicht sind keine hohen Anforderungen zu stellen. Diese Anspruchsvoraussetzung knüpft an §
2 Abs
1a Satz 1
SGB V an, geht aber insoweit darüber hinaus, als eine spürbar positive Einwirkung auf schwerwiegende Krankheitssymptome ohne Einwirkung
auf die Grunderkrankung ausreichend ist (BT-Drucks 18/8965 S 24).
Ausreichend ist, dass im Hinblick auf den Krankheitsverlauf oder auf schwerwiegende Symptome nach wissenschaftlichen Maßstäben
objektivierbare Erkenntnisse dazu vorliegen, dass die Behandlung im Ergebnis mehr nutzt als schadet (vgl BSG vom 7.11.2006 - B 1 KR 24/06 R - BSGE 97, 190 = SozR 4-2500 § 27 Nr 12, RdNr 24 ff; BSG vom 7.5.2013 - B 1 KR 26/12 R - SozR 4-2500 § 18 Nr 8 RdNr 19). Dies können Unterlagen und Nachweise der Evidenzstufen IV und V (2. Kap § 11 Abs 2 Satz
1 Nr 2 Buchst f und g Verfahrensordnung des GBA) sein (so auch Knispel, GesR 2018, 273, 276). Dazu gehören auch Fallserien
und Einzelfallberichte. Die fachliche Einschätzung des behandelnden Arztes, der Einsatz von Cannabis werde positive Wirkung
haben, genügt allein nicht, wenn aus der wissenschaftlichen Untersuchung und Diskussion bereits Erkenntnisse vorliegen, die
mangels Nutzen oder wegen beobachteter Nebenwirkungen gegen den Einsatz von Cannabis sprechen (vgl BSG vom 31.5.2006 - B 6 KA 53/05 B - juris RdNr 12). Bei Fehlen theoretisch-wissenschaftlicher Erklärungsmuster kann im Einzelfall bei vertretbaren Risiken
auch die bloße ärztliche Erfahrung für die Annahme eines Behandlungserfolgs entscheidend sein, wenn sich diese Erkenntnisse
durch andere Ärzte in ähnlicher Weise wiederholen lassen, die fachliche Einschätzung des behandelnden Arztes also durch objektive
Hinweise unterstützt wird (vgl BSG vom 4.4.2006 - B 1 KR 7/05 R - BSGE 96, 170 = SozR 4-2500 § 31 Nr 4, RdNr 43; BSG vom 25.3.2021 - B 1 KR 36/20 B - juris RdNr 9). Eine der gerichtlichen Prüfung entzogene Einschätzungsprärogative des behandelnden Arztes besteht insoweit
nicht.
Anders als im Rahmen von §
2 Abs
1a SGB V hängen die Anforderungen an die Prognose der Erfolgsaussicht nicht von der Schwere der Erkrankung ab (zur Abstufung der Evidenzgrade
bei §
2 Abs
1a SGB V s BSG vom 4.4.2006 - B 1 KR 7/05 R - BSGE 96, 170 = SozR 4-2500 § 31 Nr 4, RdNr 40; BSG vom 2.9.2014 - B 1 KR 4/13 R - SozR 4-2500 § 18 Nr 9 RdNr 17).
Das LSG hat ausgehend von seiner Rechtsansicht keine Feststellungen zu der Frage getroffen, ob eine nicht ganz entfernt liegende
Aussicht auf eine spürbar positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf oder auf schwerwiegende Symptome besteht. Allein der
Verweis auf Leitlinien, die den Einsatz von Cannabis bei bestimmten Krankheitsbildern nicht empfehlen, reicht jedenfalls nicht
aus, um die Erfolgsaussicht iS des §
31 Abs
6 Satz 1 Nr
2 SGB V zu verneinen.
4. Die Leistung bedarf bei der ersten Verordnung für Versicherte überdies der Genehmigung der KK, die vor Beginn der Leistung
zu erteilen ist. Für die Erteilung einer Genehmigung für die vertragsärztliche Verordnung von Cannabis reicht es aus, dass
der Vertragsarzt der KK den Inhalt der geplanten Verordnung mitteilt oder der Versicherte der KK eine entsprechende Erklärung
des Vertragsarztes übermittelt. Die Vorlage einer vom Arzt bereits ausgestellten Verordnung ist dagegen nicht erforderlich.
a) Auch der Leistungsanspruch auf Versorgung mit Cannabis bedarf zu seiner Realisierung gemäß §
73 Abs
2 Nr
7 SGB V, §
11 Abs
1 Arzneimittel-Richtlinie (AM-RL, Richtlinie nach §
92 Abs
1 Satz 2 Nr
6 SGB V) einer vertragsärztlichen Verordnung. Die Verordnung dokumentiert gegenüber der Apotheke, dass das Mittel an den Versicherten
zulasten der GKV abgegeben werden darf (BSG vom 17.12.2009 - B 3 KR 13/08 R - BSGE 105, 157 = SozR 4-2500 § 129 Nr 5, RdNr 17; BSG vom 28.9.2010 - B 1 KR 3/10 R - BSGE 106, 303 = SozR 4-2500 § 129 Nr 6, RdNr 13). Mit ihr übernimmt der Vertragsarzt die therapeutische Verantwortung für den Einsatz des
Mittels. Dies kommt aber auch hinreichend zum Ausdruck, wenn der Vertragsarzt selbst der KK den Inhalt der geplanten Verordnung
mitteilt oder der Versicherte ihr eine entsprechende Erklärung des Vertragsarztes übermittelt.
Eine über die Dokumentation der therapeutischen Verantwortung hinausgehende Funktion kommt der Ausstellung der Verordnung
jedenfalls für das Genehmigungsverfahren nach §
31 Abs
6 Satz 2
SGB V nicht zu. Die in §
31 Abs
6 Satz 2
SGB V vorgesehene Genehmigung ermöglicht - abweichend vom sonst üblichen Weg der Versorgung mit Arzneimitteln - eine präventive
Kontrolle der KK, ob die in Satz 1 benannten Voraussetzungen für einen Anspruch des Versicherten auf Versorgung mit Cannabis
erfüllt sind. Diese Kontrolle kann die KK auch ohne Vorlage einer Verordnung allein in Kenntnis der geplanten Verordnung mit
den Angaben iS des § 9 Abs 1 Nr 3 bis 5 BtMVV ausüben (anders Bayerisches LSG vom 13.7.2022 - L 4 KR 366/21 - juris RdNr 59; Bayerisches LSG vom 3.3.2022 - L 4 KR 307/19 - juris RdNr 24 ff; LSG Baden-Württemberg vom 26.11.2018 - L 11 KR 3464/18 ER-B - juris RdNr 16; LSG Baden-Württemberg vom 18.12.2019 - L 11 KR 772/19 - RdNr
40). Denn die Voraussetzungen des Genehmigungsanspruchs nach §
31 Abs
6 Satz 1
SGB V, wie das Vorliegen einer schwerwiegenden Erkrankung und die begründete Einschätzung des Vertragsarztes, können sich nicht
aus einer Verordnung ergeben. Die Ausstellung eines BtM-Rezeptes würde ohne Mehrwert für das Genehmigungsverfahren in Anbetracht
der auf sieben Tage begrenzten Gültigkeit (§ 12 Abs 1 Nr 1 Buchst c BtMVV) idR allein zur Vorlage im Genehmigungsverfahren erfolgen. Denn das BtM-Rezept bedarf nach dem Betäubungsmittelrecht zu seiner
Gültigkeit keiner Genehmigung der KK, ein entsprechendes Feld zur Genehmigung durch die KK ist auf dem BtM-Rezept nicht vorgesehen.
Und die Apotheke darf das verordnete Mittel bei Vorlage eines ordnungsgemäß ausgefüllten BtM-Rezeptes auch zulasten der GKV
abgeben, weil im Verhältnis zwischen KKn und Apotheken kein Genehmigungsvorbehalt solcher Verordnungen vorgesehen ist (unzutreffend
LSG Baden-Württemberg vom 26.11.2018 - L 11 KR 3464/18 ER-B - juris RdNr 16 zur Anwendung der für § 73 AMG bestimmten Pflicht der Apotheker, sich bei Abgabe die Genehmigung vorlegen zu lassen).
Etwas anderes ergibt sich nicht aus §
31 Abs
6 Satz 2
SGB V, der die Erteilung der Genehmigung vor Beginn der Leistung anordnet. Wenn die Leistung "bei" der ersten Verordnung der Genehmigung
bedarf, kann das durchaus auch rein zeitlich verstanden werden: Bei Ausstellung der ersten einlösbaren Verordnung, die dem
Versicherten ausgehändigt wird, muss die Genehmigung der KK erteilt sein. Dem steht auch nicht der zweite Halbsatz zur Genehmigungserteilung
vor Leistungsbeginn entgegen. Dieser Halbsatz schließt allein die Rückwirkung der Genehmigung für den Bezug von Cannabisprodukten
aus, denen eine vor Genehmigung ausgestellte vertragsärztliche Verordnung zugrunde liegt.
bb) Ob der Kläger eine der BtMVV entsprechende Verordnung vorgelegt hat oder die vom behandelnden Vertragsarzt geplante und mit den og Angaben nach § 9 Abs 1 Nr 3 bis 5 BtMVV hinreichend genau bezeichnete Verordnung der Beklagten mitgeteilt wurde, lässt sich den Feststellungen des LSG nicht entnehmen.
Diesen ist lediglich zu entnehmen, dass sich das LSG mit der Frage der Konkretisierung des Antrages und der Notwendigkeit
der Vorlage einer Verordnung befasst und insoweit nicht auf die Entscheidungsgründe im Gerichtsbescheid des SG Bezug genommen hat (§
153 Abs
2 SGG; zur beschränkten Bezugnahme vgl auch BSG vom 5.12.2017 - B 12 KR 16/15 R - SozR 4-2400 § 8 Nr 8 RdNr 14 mwN). Die Feststellungen im Gerichtsbescheid des SG, dass der Kläger eine ärztliche Verordnung nicht vorgelegt habe und ein BtM-Rezept sowie die nach der BtMVV erforderlichen Verordnungsangaben fehlten, stellen damit keine den Senat bindenden Feststellungen des LSG dar (§
163 SGG). Das LSG muss danach Feststellungen nachholen, ob die KK Kenntnis vom Inhalt einer entsprechenden ärztlichen Verordnung
erlangt hat.
5. Liegen die vorgenannten Tatbestandsvoraussetzungen vor, darf die KK die Genehmigung der Verordnung gemäß §
31 Abs
6 Satz 2
SGB V nur in begründeten Ausnahmefällen ablehnen. Hierfür ist sie darlegungs- und beweispflichtig. Die dem Vertragsarzt eingeräumte
Einschätzungsprärogative zur Unanwendbarkeit einer Standardtherapie darf hierbei nicht unterlaufen werden. Ein begründeter
Ausnahmefall setzt voraus, dass über die Anspruchsvoraussetzungen nach §
31 Abs
6 Satz 1
SGB V hinausgehende, besondere Umstände vorliegen. Jegliche Umstände, die bereits in die Abwägung des Vertragsarztes zur Abgabe
der begründeten Einschätzung (§
31 Abs
6 Satz 1 Nr
1 Buchst b
SGB V) einzustellen sind, sind nicht geeignet, als begründeter Ausnahmefall eine Ablehnung der Genehmigung zu rechtfertigen. Das
gilt auch für einen Vorkonsum und eine Cannabisabhängigkeit, die Gegenstand der begründeten Einschätzung sind und regelmäßig
keinen begründeten Ausnahmefall darstellen. Sollte der Vertragsarzt die notwendige Abwägung nicht auf vollständiger und zutreffender
Tatsachengrundlage unter Berücksichtigung der Gründe, die einer Therapie mit Cannabis entgegenstehen können, vorgenommen haben,
scheitert der Genehmigungsanspruch bereits an der unzureichend begründeten Einschätzung (s dazu oben RdNr 32 ff). In Betracht
kommen deshalb in erster Linie nichtmedizinische Gründe, etwa die unbefugte Weitergabe des verordneten Cannabis an Dritte.
Dazu, ob ein solcher Ausnahmefall hier vorliegt, hat das LSG - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - aber keine Feststellungen
getroffen.
6. Abschließend ist auch bei der Versorgung mit Cannabis das allgemeine Wirtschaftlichkeitsgebot zu beachten. Insoweit steht
auch dem Vertragsarzt keine Einschätzungsprärogative zu.
Nach dem allgemeinen Wirtschaftlichkeitsgebot müssen die Leistungen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein und dürfen
das Maß des Notwendigen nicht überschreiten (§
12 Abs
1 Satz 1
SGB V). Der KK ist es verwehrt, Leistungen zu bewilligen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind (§
12 Abs
1 Satz 2
SGB V). Das Wirtschaftlichkeitsgebot kommt grundsätzlich erst zum Tragen, wenn zur Behandlung mehrere ausreichende, zweckmäßige
und notwendige Alternativen bestehen. In diesem Fall beschränkt sich die Leistungspflicht der KK auf die Leistung mit der
besten Kosten-Nutzen-Relation (vgl BSG vom 22.7.1981 - 3 RK 50/79 - BSGE 52, 70, 75 = SozR 2200 § 182 Nr 72 S 125; BSG vom 7.5.2013 - B 1 KR 12/12 R - BSGE 113, 231 = SozR 4-2500 § 40 Nr 7, RdNr 16; BSG vom 13.5.2015 - B 6 KA 18/14 R - SozR 4-2500 § 106 Nr 51 RdNr 38). Neben der KK ist auch der Vertragsarzt dem Wirtschaftlichkeitsgebot verpflichtet und
hat deshalb bei mehreren zur Verfügung stehenden, medizinisch gleichwertigen Therapieansätzen im Regelfall verpflichtend den
kostengünstigeren zu wählen (§
70 Abs
1 Satz 2
SGB V; BSG vom 31.5.2006 - B 1 KR 13/05 R - BSGE 96, 261 = SozR 4-2500 § 92 Nr 5, RdNr 44; BSG vom 17.2.2016 - B 6 KA 3/15 R - SozR 4-2500 § 106 Nr 54 RdNr
19). Eine Ausnahme von der Geltung des Wirtschaftlichkeitsgebotes sieht §
31 Abs
6 SGB V nicht vor.
Bei voraussichtlich gleicher Geeignetheit von Cannabisblüten, Cannabisextrakten und Arzneimitteln mit den Wirkstoffen Dronabinol
oder Nabilon besteht nur ein Anspruch auf Versorgung mit dem kostengünstigsten Mittel. Die KK ist berechtigt, trotz Erfüllung
der Anspruchsvoraussetzungen die Genehmigung der vom Vertragsarzt beabsichtigten Verordnung zu verweigern und auf ein günstigeres,
voraussichtlich gleich geeignetes Mittel oder eine voraussichtlich gleich geeignete Darreichungsform zu verweisen. Hierzu
hat das LSG bislang keine Feststellungen getroffen.
II. Auch über das Bestehen eines Kostenerstattungsanspruchs für die vom Kläger auf privatärztliche Verordnung selbst beschafften
Cannabisblüten kann der Senat nicht abschließend entscheiden. Ein Anspruch nach §
13 Abs
3a Satz 7
SGB V besteht allerdings nicht, da eine Genehmigungsfiktion (§
13 Abs
3a Satz 6
SGB V) nicht eingetreten ist. Nach den Feststellungen des LSG hat die Beklagte den Kläger mit Schreiben vom 29.5.2017 über die
Anhörung des MDK informiert und am 19.6.2017 - und damit nach knapp vier Wochen - über den Antrag vom 22.5.2017 entschieden.
Ob die Beklagte den Genehmigungsantrag des Klägers zu Unrecht abgelehnt hat (§
13 Abs
3 Satz 1 Alt 2
SGB V), kann der Senat auf der Grundlage der Feststellungen des LSG dagegen nicht entscheiden (zu den Voraussetzungen des Genehmigungsanspruchs
oben unter I.). Dem Kostenerstattungsanspruch steht jedenfalls nicht entgegen, dass der Anspruch auf die Versorgung mit Cannabis
bei der ersten Verordnung der Genehmigung der KK bedarf (§
31 Abs
6 Satz 2
SGB V). Die Genehmigung stellt die maßgebliche Voraussetzung für den Sachleistungsanspruch auf Versorgung mit Cannabis dar. Ohne
sie kann der Versicherte die Leistung nicht beanspruchen und darf der Vertragsarzt die Leistung nicht mittels einer vertragsärztlichen
Verordnung zulasten der GKV veranlassen (zur Unzulässigkeit einer Verordnung ohne Genehmigung mit der Folge eines Regresses
nach §§
106,
106b SGB V SG Stuttgart vom 2.6.2021 - S 4 KA 3885/20 - juris RdNr 25 ff). Die rechtswidrige Nichterteilung der Genehmigung schließt jedoch den Kostenerstattungsanspruch nicht
aus. Es kommt nur darauf an, ob die Voraussetzungen für die Erteilung der Genehmigung und die sonstigen Anspruchsvoraussetzungen
im Beschaffungszeitpunkt vorgelegen haben.
Im wiedereröffneten Berufungsverfahren ist festzustellen, ob die Genehmigungsvoraussetzungen bei Erlass des Bescheides vom
19.6.2017 oder zu einem späteren Zeitpunkt vorgelegen haben. Hierzu muss das LSG ua ermitteln, ob eine hinreichende Bezeichnung
der geplanten Verordnung und eine begründete Einschätzung bereits in den Unterlagen enthalten waren, die dem Antrag vom 22.5.2017
in einem verschlossenen Umschlag beigefügt waren. War dies nicht der Fall, wird weiter zu prüfen und festzustellen sein, ob
diese Angaben zu einem späteren Zeitpunkt in das Verfahren eingebracht worden sind. Sollte eine den Anforderungen entsprechende
begründete Einschätzung nachgereicht worden sein, kann diese Ergänzung aber erst ab diesem Zeitpunkt einen Anspruch auf Genehmigung
für die Zukunft begründen.
III. Die Kostenentscheidung bleibt dem LSG vorbehalten.