Gewährung einer stationären Liposuktion
Verfahrensrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren
Gründe
I
Die Klägerin ist mit ihrem Begehren auf Gewährung einer stationären Liposuktion an beiden Knieinnenseiten bei der Beklagten
und den Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben. Das LSG hat die Berufung gegen das klageabweisende Urteil des SG Dortmund vom
3.12.2018 als unzulässig verworfen: Die Berufung sei verfristet. Das SG-Urteil sei dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin ausweislich des Empfangsbekenntnisses vom 29.12.2018 an diesem Tag, einem
Samstag, zugestellt worden, sodass die Berufungsfrist am 29.1.2019, einem Dienstag, abgelaufen sei. Die Berufungsschrift sei
erst am Donnerstag, dem 31.1.2019 und damit nach Ablauf der Berufungsfrist bei Gericht eingegangen (Beschluss vom 12.9.2019).
Mit ihrer Beschwerde wendet sich die Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im LSG-Beschluss. Die Klägerin trägt vor,
das LSG habe ihre Berufung zu Unrecht als verfristet angesehen. Maßgeblich sei nicht das Datum des Empfangsbekenntnisses,
sondern der Zeitpunkt, zu dem nach allgemeiner Verkehrsanschauung damit zu rechnen gewesen sei, dass ihr Prozessbevollmächtigter
von dem Urteil Kenntnis genommen habe. Dies sei nicht der auf dem Empfangsbekenntnis vermerkte Samstag gewesen, an dem Rechtsanwaltskanzleien
üblicherweise geschlossen hätten, sondern der darauffolgende Montag, der 31.12.2018. Das auf dem Empfangsbekenntnis aufgedruckte
Datum des 29.12.2018 beruhe auf einem Versehen; tatsächlich sei es am 31.12.2018 ausgefüllt worden. Die Berufungsfrist sei
folglich erst am 31.1.2019 abgelaufen, sodass die Berufungsschrift fristgerecht bei Gericht eingegangen sei.
II
Die Beschwerde, mit der die Klägerin allein den Revisionszulassungsgrund des Verfahrensmangels (§
160 Abs
2 Nr
3 SGG) rügt, ist zulässig, in der Sache jedoch unbegründet.
1. Die Klägerin rügt mit ihren Ausführungen sinngemäß, das LSG habe verfahrensfehlerhaft statt des beantragten Sachurteils
ein Prozessurteil erlassen und damit gegen §
158 SGG verstoßen (vgl zum Verfahrensmangel "Prozessurteil statt Sachurteil" zB BSG vom 17.6.2020 - B 5 R 302/19 B - SozR 4-1500 §
151 Nr
6 RdNr
5 mwN). Nach §
160 Abs
2 Nr
3 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen
kann; der Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung von §
109 SGG und §
128 Abs
1 Satz 1
SGG (Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung) und auf eine Verletzung des §
103 SGG (Amtsermittlungsgrundsatz) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende
Begründung nicht gefolgt ist. Um einen Verfahrensmangel in diesem Sinne geltend zu machen, müssen die Umstände bezeichnet
werden, die den entscheidungserheblichen Mangel ergeben sollen (stRspr, vgl zB BSG vom 18.2.1980 - 10 BV 109/79 - SozR 1500 § 160a Nr 36 mwN). Mit ihrem Vortrag legt die Klägerin die diesen Verfahrensfehler begründenden Tatsachen und deren rechtliche Würdigung noch
ausreichend substantiiert dar. Der gerügte Verfahrensfehler liegt jedoch nicht vor.
Das LSG hat die Berufung zu Recht als unzulässig verworfen. Denn die Berufungsfrist von einem Monat nach §
151 Abs
1 SGG war bei Eingang der Berufungsschrift am 31.1.2019 bereits abgelaufen. Sie begann mit dem Tag der Zustellung des SG-Urteils an den Prozessbevollmächtigten der Klägerin (§
64 Abs
1 SGG) am 29.12.2018 und lief folglich am 29.1.2019 ab (§
64 Abs
2 SGG).
a) Die Zustellung des SG-Urteils erfolgte gegen Empfangsbekenntnis am 29.12.2018. Dieses - auf dem Empfangsbekenntnis des Prozessbevollmächtigten
der Klägerin vermerkte - Datum ist maßgeblich. Nach §
174 Abs
1 ZPO iVm §
63 Abs
2 Satz 2
SGG kann ein Schriftstück einem Anwalt gegen Empfangsbekenntnis zugestellt werden. Zum Nachweis der Zustellung nach §
174 Abs
1 ZPO genügt das mit Datum und Unterschrift des Adressaten versehene Empfangsbekenntnis, das an das Gericht zurückzusenden ist
(§
174 Abs
4 Satz 1
ZPO). Das datierte und unterschriebene Empfangsbekenntnis erbringt Beweis für die Entgegennahme des darin bezeichneten Schriftstücks
als zugestellt und für den Zeitpunkt dieser Entgegennahme (BSG vom 23.4.2009 - B 9 VG 22/08 B - SozR 4-1750 § 174 Nr 1; BSG vom 13.5.2015 - B 6 KA 18/14 R - SozR 4-2500 § 106 Nr 51 RdNr 18; BGH vom 13.1.2015 - VIII ZB 55/14 - NJW-RR 2015, 953 RdNr 7; BFH vom 21.2.2007 - VII B 84/06 - BFHE 216, 481). Eine tatsächliche Kenntnisnahme vom Inhalt des Schriftstücks ist nicht erforderlich (BSG vom 16.11.2005 - B 2 U 342/04 B - SozR 4-1500 § 164 Nr 2; BGH vom 20.7.2006 - I ZB 39/05 - NJW 2007, 600). Entgegen der Auffassung der Klägerin ist deshalb unerheblich, ob Rechtsanwaltskanzleien an dem auf einem Empfangsbekenntnis
vermerkten Tag üblicherweise geöffnet haben. Der von der Klägerin insoweit eingenommene abweichende Rechtsstandpunkt bedarf
auch keiner Klärung in einem Revisionsverfahren. Denn die Rechtslage ergibt sich eindeutig aus dem Gesetz und ist - wie oben
dargelegt - bereits durch die übereinstimmende Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des Bundes seit Längerem geklärt.
Das Bedürfnis für die Klärung einer Rechtsfrage in einem Revisionsverfahren besteht aber nur, wenn ernsthafte Zweifel an deren
Beantwortung bestehen, die durch die dazu ergangene höchstrichterliche Rechtsprechung nicht bereits ausgeräumt sind, sodass
eine weitere Klärung oder Fortentwicklung des Rechts zu erwarten ist (vgl nur BSG vom 9.4.2019 - B 1 KR 46/18 B - juris RdNr 6). Daran fehlt es hier.
b) Der Gegenbeweis der Unrichtigkeit der im Empfangsbekenntnis enthaltenen Angaben ist zwar grundsätzlich zulässig. Er ist
jedoch nur geführt, wenn die von dem Empfangsbekenntnis ausgehende Beweiswirkung vollständig entkräftet und jede Möglichkeit
ausgeschlossen ist, dass die Angaben des Empfangsbekenntnisses richtig sind (BSG vom 8.7.2002 - B 3 P 3/02 R - SozR 3-1500 § 164 Nr 13; BGH vom 13.6.1996 - VII ZB 12/96 - NJW 1996, 2514, jeweils mwN; vgl auch BVerfG vom 27.3.2001 - 2 BvR 2211/97 - NJW 2001, 1563). Die Klägerin hat diesen Beweis nicht geführt. Ihre Ausführungen sind nicht geeignet, die Unrichtigkeit des auf dem Empfangsbekenntnis
angegebenen Zustellungsdatums zu beweisen. Der Senat ist daher davon überzeugt, dass die Beweiskraft des Empfangsbekenntnisses
hier nicht entkräftet ist. Gegen die von der Klägerin behauptete Ausfertigung des Empfangsbekenntnisses erst am 31.12.2018
mit falschem Datum spricht zwar nicht, wie das LSG meint, dass es am 30.1.2019 (also fast einen Monat später) per Telefax
bei Gericht eingegangen ist. Die Klägerin benennt aber keine Indizien zum tatsächlichen Hergang oder Beweise, die ihre Sachverhaltsdarstellung
nachvollziehbar belegen könnten. Für die Richtigkeit des Empfangsbekenntnisses und dafür, dass die Fristberechnung auf einem
Rechtsirrtum beruht, spricht hingegen, dass ihr Prozessbevollmächtigter in der am 31.1.2019 per Telefax beim SG eingegangenen Berufungsschrift selbst den Zugang des SG-Urteils am 29.12.2018 mitgeteilt hat.
2. Selbst wenn dem Vortrag der Klägerin sinngemäß weiter die Rüge der grundsätzlichen Bedeutung der Sache (§
160 Abs
2 Nr
1 SGG) zu entnehmen sein sollte, erfüllt sie insoweit jedenfalls schon nicht die Darlegungsanforderungen. Sie legt insbesondere
nicht dar, warum im Hinblick auf die oben zitierte ständige Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des Bundes noch Klärungsbedarf
in Bezug auf die Rechtsfrage bestehen soll, ob das im Empfangsbekenntnis ausgewiesene Datum, für den Zeitpunkt der Zustellung
maßgeblich sein soll, oder etwa der Zeitpunkt, zu dem Rechtsanwaltskanzleien üblicherweise geöffnet haben.
3. Der Senat sieht von einer weiteren Begründung ab (§
160a Abs
4 Satz 2 Halbsatz 2
SGG).
4. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des §
193 SGG.