Anerkennung eines Hörschadens wegen einer chronischen Mittelohrentzündung als Schädigungsfolge während einer Internierung
Verfahrensrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren
Rüge einer Gehörsverletzung
Gründe
I
In der Hauptsache begehrt die im Juni 1930 geborene Klägerin im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens die Anerkennung eines
Hörschadens wegen einer chronischen Mittelohrentzündung links als Schädigungsfolge und die Gewährung einer höheren Grundrente
nach dem Bundesversorgungsgesetz. Mit Urteil vom 23.7.2020 hat das LSG den geltend gemachten Anspruch verneint. Die Anerkennung der Taubheit des linken Ohres
als Schädigungsfolge der Internierung der Klägerin von Ende 1944/Anfang 1945 bis 1951 in W. komme nicht in Betracht. Der Empfehlung
des auf Antrag der Klägerin gehörten Sachverständigen M., den Innenohrschaden auf dem linken Ohr "als Folge der traumatischen
Ereignisse" im Internierungslager anzuerkennen, ist das LSG nicht gefolgt, weil diese schon nach den eigenen Feststellungen
des Sachverständigen nicht gerechtfertigt sei.
Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem ohne mündliche Verhandlung ergangenen Urteil hat die Klägerin beim BSG Beschwerde eingelegt. Sie rügt eine Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör und eine unzureichende Sachaufklärung
durch das LSG.
II
Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist unzulässig. Die Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen. Die
Klägerin hat die von ihr geltend gemachten Verfahrensmängel (§
160 Abs
2 Nr
3 SGG) nicht ordnungsgemäß bezeichnet (§
160a Abs
2 Satz 3
SGG).
Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung
beruhen könne (§
160 Abs
2 Nr
3 SGG), so müssen bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels zunächst die diesen (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert
dargetan werden. Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG - ausgehend von dessen
materieller Rechtsansicht - auf dem Mangel beruhen kann, dass also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht.
Gemäß §
160 Abs
2 Nr
3 Halbsatz 2
SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel allerdings nicht auf eine Verletzung der §§
109 und
128 Abs
1 Satz 1
SGG und auf eine Verletzung des §
103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt
ist. Den sich daraus ergebenden Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht.
Die Klägerin rügt eine Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör (§
62 SGG, Art
103 Abs
1 GG). Das LSG habe eine für sie überraschende Entscheidung getroffen. Es habe dem Umstand, dass der Sachverständige seiner Begutachtung
die erlittene körperliche Gewalt durch Schläge auf den Kopf, teilweise bis zur Bewusstlosigkeit mit häufigem Nasenbluten,
zugrunde gelegt und zudem ausgeführt habe, dass eine traumatisch bedingte Schädigung des Innenohres nicht auszuschließen sei,
weil stumpfe Schädeltraumata mit Gewalteinwirkung auf den oberen oder seitlichen Kopf Innenohrschäden bedingen könnten, völlig
überraschend keinerlei Bedeutung beigemessen. Vor diesem Hintergrund sei die erfolgte Entscheidung ohne mündliche Verhandlung
verfahrensfehlerhaft zustande gekommen. In der mündlichen Verhandlung hätten die beim LSG offenbar bestehenden Zweifel an
den Schilderungen der Klägerin, körperlichen Misshandlungen/Schlägen ausgesetzt gewesen zu sein, ausgeräumt werden können.
Mit diesem und ihrem weiteren Vortrag hat die Klägerin jedoch einen Verstoß gegen ihr rechtliches Gehör nicht hinreichend
bezeichnet. Sie behauptet nicht, dass sie und/oder der Beklagte einer Entscheidung des LSG durch Urteil ohne mündliche Verhandlung
nicht zugestimmt haben (vgl §
153 Abs
1, §
124 Abs
2 SGG). Auch wenn das SG ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid nach §
105 Abs
1 SGG entschieden hat, können die Beteiligten im Berufungsverfahren auf eine mündliche Verhandlung verzichten. Der Anspruch der
Beteiligten auf rechtliches Gehör verpflichtet das Prozessgericht grundsätzlich nicht, die für die richterliche Überzeugungsbildung
möglicherweise leitenden Gesichtspunkte vorher mit den Beteiligten zu erörtern (stRspr; zB Senatsbeschluss vom 1.7.2019 - B 9 SB 19/19 B - juris RdNr 6 mwN). Etwas anderes gilt allerdings dann, wenn das Gericht seine Entscheidung auf einen rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt
stützt, mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter selbst unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer
Rechtsauffassungen nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht zu rechnen brauchte (stRspr; zB Senatsbeschluss vom 27.8.2018 - B 9 SB 19/18 B - juris RdNr 7; Senatsbeschluss vom 26.1.2017 - B 9 V 72/16 B - juris RdNr 8; Senatsbeschluss vom 25.2.2016 - B 9 V 69/15 B - juris RdNr 11). Dies ist nach der Beschwerdebegründung aber nicht anzunehmen.
Hierzu hätte die Klägerin aufzeigen müssen, dass sie unter keinen Umständen mit der vom LSG getroffenen Sachentscheidung habe
rechnen können. Es besteht nämlich insbesondere gegenüber rechtskundig vertretenen Beteiligten weder eine allgemeine Aufklärungspflicht
des Gerichts über die Rechtslage noch die Pflicht, bei der Erörterung der Sach- und Rechtslage bereits die endgültige Beweiswürdigung
darzulegen, denn das Gericht kann und darf das Ergebnis der Entscheidung, die in seiner nachfolgenden Beratung erst gefunden
werden soll, nicht vorwegnehmen. Es gibt keinen allgemeinen Verfahrensgrundsatz, der das Gericht verpflichten würde, die Beteiligten
vor einer Entscheidung auf eine in Aussicht genommene Beweiswürdigung hinzuweisen oder die für die richterliche Überzeugungsbildung
möglicherweise leitenden Gründe zuvor mit den Beteiligten zu erörtern (stRspr; zB Senatsbeschluss vom 18.6.2018 - B 9 V 1/18 B - juris RdNr 22; Senatsbeschluss vom 24.8.2017 - B 9 SB 44/17 B - juris RdNr
8). Art
103 Abs
1 GG gebietet vielmehr lediglich dann einen Hinweis, wenn das Gericht auf einen Gesichtspunkt abstellen will, mit dem ein gewissenhafter
und kundiger Prozessbevollmächtigter nach dem Prozessverlauf nicht zu rechnen brauchte (stRspr; zB Senatsbeschluss vom 1.7.2019 - B 9 SB 19/19 B - juris RdNr 6; Senatsbeschluss vom 16.3.2016 - B 9 V 6/15 R - juris RdNr 26). Die Klägerin legt nicht substantiiert dar, dass sie nach dem bisherigen Prozessverlauf unter keinen Umständen mit der vom
LSG getroffenen Entscheidung habe rechnen können. Hierzu hätte sie unter Bezugnahme auf den Gang des Gerichtsverfahrens und
das Vorbringen der Beteiligten sowie unter Hervorhebung von Äußerungen des Berufungsgerichts darlegen müssen, dass die Entscheidung
des LSG nach dem bisherigen Sach- und Streitstand von keiner Seite als möglich vorausgesehen werden konnte (vgl Senatsbeschluss vom 20.2.2019 - B 9 SB 67/18 B - juris RdNr 10; BSG Beschluss vom 12.3.2019 - B 13 R 273/17 B - juris RdNr 26; BSG Beschluss vom 21.9.2006 - B 12 KR 24/06 B - juris RdNr 9). Dies hat die Klägerin aber nicht getan. Sie behauptet auch nicht, dass der Beklagte oder gar das LSG im Vorfeld der Entscheidung
Äußerungen getätigt habe, aus denen sie entnehmen hätte können, dass das Urteil zu ihren Gunsten ausfallen werde. Ebenso wenig
rügt die Klägerin, dass das Berufungsgericht sein Urteil auf Tatsachen oder Beweisergebnisse gestützt hat, zu denen sie sich
nicht äußern hätte können (vgl §
128 Abs
2 SGG). Sofern sie mit der Auswertung und Würdigung des Sachverständigengutachtens von M. vom 22.2.2020 durch das LSG nicht einverstanden
ist, wendet sie sich gegen dessen Beweiswürdigung (§
128 Abs
1 Satz 1
SGG). Auf eine Verletzung des §
128 Abs
1 Satz 1
SGG kann jedoch eine Nichtzulassungsbeschwerde gemäß §
160 Abs
1 Nr
3 Halbsatz 2
SGG von vornherein nicht gestützt werden.
Des Weiteren rügt die Klägerin eine fehlerhafte Sachaufklärung (§
103 SGG) durch das LSG. Ihr diesbezügliches Vorbringen erfüllt jedoch nicht die besonderen Anforderungen an eine Sachaufklärungsrüge.
Hierzu muss die Beschwerdebegründung folgende Punkte enthalten: (1) Bezeichnung eines für das Revisionsgericht ohne Weiteres
auffindbaren und bis zuletzt aufrechterhaltenen Beweisantrags, dem das LSG nicht gefolgt ist, (2) Wiedergabe der Rechtsauffassung
des LSG, aufgrund derer bestimmte Tatfragen als klärungsbedürftig hätten erscheinen und zur weiteren Sachaufklärung drängen
müssen, (3) Angabe des voraussichtlichen Ergebnisses der unterbliebenen Beweisaufnahme und (4) Schilderung, dass und warum
die Entscheidung des LSG auf einer angeblich fehlerhaft unterlassenen Beweisaufnahme beruhen kann, das LSG mithin bei Kenntnis
des behaupteten Ergebnisses der unterbliebenen Beweisaufnahme von seinem Standpunkt aus zu einem anderen, dem Beschwerdeführer
günstigeren Ergebnis hätte gelangen können (zum Ganzen s Senatsbeschluss vom 11.9.2019 - B 9 SB 50/19 B - juris RdNr 6 mwN). Diese besonderen Darlegungsanforderungen an eine Sachaufklärungsrüge erfüllt der Beschwerdevortrag der Klägerin nicht.
Ein - wie hier - in der Berufungsinstanz rechtsanwaltlich vertretener Beteiligter kann nur dann mit der Rüge des Übergehens
eines Beweisantrags gehört werden, wenn er diesen bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung durch entsprechenden Hinweis
zu Protokoll aufrechterhalten hat oder das Gericht den Beweisantrag in seinem Urteil wiedergibt (stRspr; zB BSG Beschluss vom 5.2.2015 - B 13 R 372/14 B - juris RdNr 10). Denn nur dann hätte nach Sinn und Zweck des §
160 Abs
2 Nr
3 SGG ein Beweisantrag die Warnfunktion dahingehend erfüllt, dass ein Beteiligter die Sachaufklärungspflicht des Gerichts (§
103 SGG) noch nicht als erfüllt ansieht (BSG Beschluss vom 5.2.2015, aaO). Wird ein Rechtsstreit - wie vorliegend - ohne mündliche Verhandlung entschieden, tritt an die Stelle des Schlusses der mündlichen
Verhandlung der Zeitpunkt der Zustimmung zu einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gemäß §
124 Abs
2 SGG (stRspr; zB Senatsbeschluss vom 11.9.2019 - B 9 SB 50/19 B - juris RdNr 7; Senatsbeschluss vom 1.9.1999 - B 9 V 42/99 B - SozR 3-1500 § 124 Nr 3 S 4 f; BSG Beschluss vom 7.2.2017 - B 13 R 379/16 B - juris RdNr 7).
In der Beschwerdebegründung wird von der Klägerin jedoch schon nicht dargelegt, dass ein im Berufungsverfahren prozessordnungsgemäß
gestellter Beweisantrag (zu den Anforderungen an die Bezeichnung eines prozessordnungsgemäßen Beweisantrags iS des §
160 Abs
2 Nr
3 SGG iVm §
118 Abs
1 Satz 1
SGG, §
403 ZPO s Senatsbeschluss vom 26.3.2019 - B 9 V 51/18 B - juris RdNr 9 mwN) auch bei der Erklärung ihres Einverständnisses mit einer Entscheidung des Berufungsgerichts durch Urteil ohne mündliche Verhandlung
noch weiter aufrechterhalten worden ist. Denn nur dann kann - wie ausgeführt - ein Beweisantrag seine Warnfunktion dahingehend
erfüllen, dass dem LSG verdeutlicht wird, ein Beteiligter sehe die Sachaufklärungspflicht des Gerichts noch nicht als erfüllt
an.
Im Übrigen sind die Tatsachengerichte nicht verpflichtet, auf die Stellung von Beweisanträgen hinzuwirken (Senatsbeschluss vom 22.3.2018 - B 9 SB 78/17 B - juris RdNr 17). Dass die Klägerin vom LSG darin gehindert worden sei, weitere aus ihrer Sicht sachdienliche Beweisanträge zu stellen, behauptet
sie nicht.
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl §
160a Abs
4 Satz 2 Halbsatz 2
SGG).
Die Beschwerde ist somit ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen (§
160a Abs
4 Satz 1 Halbsatz 2, §
169 Satz 2 und
3 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des §
193 SGG.