Verfassungsmäßigkeit des im Sozialhilferecht geltenden Individualisierungsgrundsatzes
1. Die fachgerichtliche Auslegung von § 88 Abs. 2 Nr. 7 BSHG, wonach bei der Bewertung eines "kleinen Hausgrundstücks" nicht allein auf den Verkehrswert abgestellt wird, ist von Verfassungs
wegen nicht zu beanstanden.
2. Sie würde nur dann gegen Art.
3 Abs.
1 GG verstoßen, wenn bei demselben Grundstück der Miteigentümer gegenüber dem Alleineigentümer ungleich behandelt werden würde,
nicht aber wenn das Grundstück auch dann nicht zum Schonvermögen zählte, wenn es im Alleineigentum des Hilfeempfängers stünde.
3. Ein Verstoß gegen Art.
6 Abs.
1 GG ist ebenso wenig zu erkennen, da die Rechtsfolgen jeden treffen, der über nicht geschütztes Grundvermögen verfügt, mithin
diese Bestimmungen nicht ehebenachteiligend, sondern "eheneutral" sind.
Gründe:
Die Verfassungsbeschwerde hat, ihre Zulässigkeit unterstellt, keine hinreichende Aussicht auf Erfolg (§ 93 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BVerfGG).
Auslegung und Anwendung des Gesetzesrechts, wie hier des § 88 Abs. 2 Nr. 7 des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) i.d.F. vom 24. Mai 1983 (BGBl. I S. 613), sind Aufgabe der Fachgerichte und können vom Bundesverfassungsgericht - abgesehen
von Verstößen gegen das Willkürverbot des Art.
3 Abs.
1 GG - nur darauf überprüft werden, ob sie Auslegungsfehler enthalten, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von
der Bedeutung des betroffenen Grundrechts, insbesondere vom Umfang seines Schutzbereichs, beruhen. Das ist der Fall, wenn
die von den Fachgerichten vorgenommene Auslegung der Norm die Tragweite des Grundrechts nicht hinreichend berücksichtigt oder
im Ergebnis zu einer unverhältnismäßigen Beschränkung der grundrechtlichen Freiheit führt (vgl. BVerfGE 18, 85 [92 f., 96]; 33, 125 [168]; 85, 248 [257 f.]; st. Rspr.).
a) Ein Verstoß gegen Art.
3 Abs.
1 GG in seiner Ausprägung als Willkürverbot liegt hier ersichtlich nicht vor (vgl. dazu BVerfGE 4, 1 [7]; 80, 48 [51]; 81, 132
[137]).
b) Die Verwaltungsgerichte, insbesondere das Bundesverwaltungsgericht, haben bei der Auslegung und Anwendung des § 88 Abs. 2 Nr. 7 BSHG a.F. auch nicht gegen den Gleichheitssatz in seiner Ausprägung als Verbot ungerechtfertigter Verschiedenbehandlung mehrerer
Personengruppen verstoßen. Danach ist es dem Gesetzgeber verwehrt, eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen
Normadressaten anders zu behandeln, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht
bestehen, daß sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten (vgl. BVerfGE 55, 72 [88]; 81, 156 [205]; st. Rspr.). Die Auslegung der Gerichte führt nicht zu Differenzierungen, die dem Gesetzgeber nicht erlaubt
wären (vgl. BVerfGE 58, 369 [374]; 69, 88 [205]; 70, 230 [240]).
Soweit der Beschwerdeführer geltend macht, er werde gegenüber Alleineigentümern, die eine Eigentumswohnung im Wert von mehr
als 50.000,-- DM besäßen, ungleich behandelt, so ergibt sich der sachliche Differenzierungsgrund, der Art und Gewicht der
tatsächlichen Unterschiede Rechnung trägt, bereits aus dem im Sozialhilferecht geltenden Individualisierungsgrundsatz (§ 3 Abs. 1 BSHG). Unter Beachtung dieses Grundsatzes und im Einklang mit dem von der fachgerichtlichen Rechtsprechung hervorgehobenen Schutzzweck
des § 88 Abs. 2 Nr. 7 BSHG a.F., dem Hilfesuchenden (oder dem Unterhaltspflichtigen) und seinen mit ihm zusammenwohnenden Angehörigen die (sozialhilferechtlich
angemessene) Wohnstatt zu erhalten, hat sich das Bundesverwaltungsgericht vorliegend in verfassungsrechtlich unbedenklicher
Weise der sogenannten Kombinationstheorie angeschlossen. Danach ist für die Auslegung des Begriffs "kleines Hausgrundstück"
im Sinne von § 88 Abs. 2 Nr. 7 BSHG a.F. nicht allein der Verkehrswert entscheidend, sondern es sind verschiedene personen-, sach- und wertbezogene Kriterien
heranzuziehen, wie Größe der Familie; Größe des Grundstücks; Größe, Zuschnitt und Ausstattung der Baulichkeit sowie Wert des
Grundstücks einschließlich der Baulichkeit, und in Verhältnis zu den Wohnbedürfnissen zu setzen (vgl. BVerwGE 47, 103 [107 f.]; 59, 294 [296 f.]; 87, 278 [281]). Ob ein Hausgrundstück "klein" ist, läßt sich demnach nur im Rahmen einer umfassenden
Einzelfallentscheidung feststellen. Daß sich dabei im Einzelfall bei gleichem Verkehrswert für verschiedene Grundstücke unterschiedliche
Ergebnisse ergeben können - und zwar unabhängig von den jeweiligen Eigentumsverhältnissen an den Grundstücken - ist mangels
vergleichbarer Sachverhalte von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden. Ein Verstoß gegen Art.
3 Abs.
1 GG könnte allenfalls dann vorliegen, wenn bei demselben Grundstück der Miteigentümer gegenüber dem Alleineigentümer ungleich
behandelt würde. Dies ist jedoch nicht der Fall. Unstreitig würde das streitbefangene Grundstück auch dann nicht zum Schonvermögen
gehören, wenn der Beschwerdeführer Alleineigentümer wäre.
c) Das Bundesverwaltungsgericht hat bei der Auslegung und Anwendung des § 88 Abs. 2 Nr. 7 BSHG a.F. auch den besonderen Schutz, den der Staat nach Art.
6 Abs.
1 GG Ehe und Familie schuldet, beachtet (vgl. BVerfGE 18, 257 [269 f.]; 67, 186 [195 f.]). Im Rahmen der oben dargelegten Kombinationstheorie werden die Größe der Familie und deren Wohnbedürfnisse
bei der Prüfung der Voraussetzungen des § 88 Abs. 2 Nr. 7 BSHG a.F. berücksichtigt. Ergibt sich danach, daß das Grundstück nicht "klein" ist und damit nicht zum Schonvermögen gehört, dann
dürfen entsprechend dem im Sozialhilferecht geltenden Nachrangprinzip (§ 2 Abs. 1 BSHG) die Gewährung der Sozialhilfe und. die Überleitung nach §§ 90, 91 BSHG von der Verwertung dieses Grundstücks abhängig gemacht werden (§§ 88 Abs. 2, 91 Abs. 1 Satz 2 BSHG). Da die Rechtsfolgen jeden treffen, der über nicht geschütztes Grundvermögen verfügt, sind diese Bestimmungen nicht ehebenachteiligend,
sondern "eheneutral" (vgl. dazu BVerfGE 15, 328 [333]). Es kann auch nicht davon ausgegangen werden, daß durch die hier streitige Überleitung der Ehe die räumlich-gegenständliche
Grundlage entzogen wird, da die Verwertung durch den Abschluß eines Darlehensvertrags nach § 89 BSHG vermieden werden kann. Es kann demnach offen bleiben, ob die eheliche Wohnung als räumlich-gegenständliche Grundlage zu dem
von Art.
6 Abs.
1 GG geschützten Kernbereich der Ehe gehört, wie der Beschwerdeführer meint.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.