BVerwG, Urteil vom 14.03.1985 - 5 C 145.83
d-e. Einschränkbarkeit laufender Geldleistungen gegenüber (hier: türkischen) Asylbewerbern auf das zum Lebensunterhalt Unerläßliche
(Abs. 2)
(d) ohne Hinderung durch das Europäische Fürsorgeabkommen (kein »erlaubter« Aufenthalt im Sinne des Abkommens);
(e) im Sinne einer Ausnahmeregelung.
Fundstellen: BVerwGE 71, 139
, DRsp V(545)91d-e, DVBl 1986, 105
, DÖV 1985, 625
, JuS 1986, 820
, NVwZ 1986, 48
Normenkette: ,
BSHG § 120 Abs.1 S.1, Abs.2 S.1
,
Der Senat betont zunächst die Verfassungsmäßigkeit der in § 120 Abs. 2
BSHG vorgesehenen Einschränkungsmöglichkeit (im Hinblick auf Art.
16 Abs.
2 Satz 2
GG) und führt sodann aus:
(d) »... Die laufenden Geldleistungen auf das zum Lebensunterhalt Unerläßliche einschränken zu können, ist die Bekl. nicht
mit Rücksicht auf das Europäische Fürsorgeabkommen (EFA) v. 11. 12. 1953.. gehindert gewesen. ... Dessen Zweck liegt darin,
auf den Gebieten der sozialen und der Gesundheitsfürsorge den Angehörigen der Vertragsstaaten Gleichbehandlung mit den Inländern
einzuräumen. ...
Der Anspruch des [türkischen] Kl. auf inländergleiche Behandlung durch Gewährung der Hilfe zum Lebensunterhalt ist daher danach
zu beurteilen, ob die Voraussetzungen hierfür nach Art. 1 EFA erfüllt waren, insbesondere ob er sich in der Bundesrepublik
Deutschland »erlaubt aufgehalten« hat.
»Erlaubt« i. S. des Art. 1 EFA hält sich in der Bundesrepublik Deutschland nicht derjenige Staatsangehörige eines Vertragsstaates
auf, der einen Asylantrag gestellt hat und dem allein aufgrund dessen nach §
19 Abs.
1
AsylVfG der Aufenthalt im Geltungsbereich dieses Gesetzes .. gestattet ist; denn bei dieser Gestattung .. handelt es sich weder um
eine Aufenthaltserlaubnis noch um eine andere .. Aufenthaltserlaubnis .., vermöge deren nach Art. 11 Abs. a Satz 1 EFA der
Aufenthalt des Ausländers als erlaubt gilt. Um welche Art von Erlaubnis es sich dabei handeln kann, wird durch den Anhang
III zum Abkommen bestimmt, der .. Bestandteil dieses Abkommens ist. In ihm sind die Urkunden verzeichnet, die als Nachweis
des Aufenthalts i. S. des Artikels 11 des Abkommens anerkannt werden. ... Vor allem aber hat [der Anhang III] rechtsbegründenden
(konstitutiven) Charakter in der Weise, daß mit den dort aufgeführten Urkunden die Erlaubnistatbestände abschließend genannt
sind, aufgrund deren der Aufenthalt des ausländischen Staatsangehörigen im Sinne des Abkommens erlaubt ist. ...
Die .. Bescheinigung nach §
20 Abs.
4 Satz 1
AsylVfG [über die Aufenthaltsgestattung für Asylbewerber] ist [im Anhang III] nicht genannt. Hierfür gibt es sachgerechte Gründe.
... Die Gestattung ist die kraft Gesetzes eintretende Folge einseitigen Handelns des Ausländers, ohne daß der Zufluchtstaat
hierauf Einfluß nehmen kann .. . Die Aufenthaltserlaubnis wird dagegen nur nach individueller Prüfung der vom Ausländer für
die Aufenthaltnahme geltend gemachten Gründe und nach Abwägung der Belange des Ausländers einerseits und der Bundesrepublik
Deutschland andererseits erteilt. Diesen Unterschied zwischen der asylverfahrensunabhängigen Aufenthaltserlaubnis und derjenigen,
die .. lediglich zur Durchführung des Asylverfahrens erteilt worden war .., hat das BVerwG in BVerwGE 62, 206 [214] deutlich hervorgehoben. ...
(e) Ist die Bekl. nicht .. gehindert, die laufende Geldleistung zur Sicherstellung des Lebensunterhalts eines asylsuchenden
Ausländers türkischer Staatsangehörigkeit einzuschränken, so erlaubt doch Satz 3 des § 120 Abs. 2
BSHG nicht, die Leistung im Regelfall auf das zum Lebensunterhalt Unerläßliche einzuschränken und sie nur ausnahmsweise ungekürzt
zu gewähren. Mit einer solchen Verwaltungspraxis werden die gesetzl. Grenzen des Ermessens .. überschritten. ... Für die Hilfegewährung
an einen asylsuchenden Ausländer gilt auch der Individualisierungsgrundsatz (§ 3 Abs. 1
BSHG). Nach § 120 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 BSHG hat jeder Ausländer einen Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt (vorbehaltlich des § 120 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 BSHG), und zwar nach Maßgabe der §§ 11 ff. BSHG .. . Hieran ist durch die Einfügung des neuen Absatzes 2 in den § 120
BSHG (im Grundsatz) nichts geändert worden. Mit dem Halbsatz 1 des § 120 Abs. 2 Satz 1 BSHG ist in bezug auf den asylsuchenden Ausländer der genannte Rechtsanspruch gerade bestätigt worden. ... Das ist eine Grundsatzregelung.
Im Verhältnis dazu ist die Einschränkbarkeit der laufenden Geldleistungen die Ausnahme, wobei mit dem zum Lebensunterhalt
Unerläßlichen die äußerste Grenze der Einschränkbarkeit bezeichnet ist. ...«