Gründe:
I.
Der Beklagte gewährte der Klägerin und ihren minderjährigen Kindern, darunter ihrem Sohn Robert W., seit November 1991 Hilfe
zum Lebensunterhalt im Rahmen der Sozialhilfe unter Hinweis auf die Verpflichtung des Hilfeempfängers, dem Träger der Sozialhilfe
alle Tatsachen und Änderungen in den Verhältnissen, die für die Sozialleistungen erheblich sind, unverzüglich und unaufgefordert
mitzuteilen, insbesondere jegliche Änderung des Einkommens. Dies gelte auch für Haushaltsangehörige. Seit dem 1. Januar 1993
zahlte das Jugendamt des Landkreises M. Kreis für Robert W. Leistungen nach dem Unterhaltsvorschußgesetz (UVG) in Höhe von monatlich 318 DM. Die Klägerin unterließ es, dies dem Beklagten mitzuteilen. Sie beherrscht nach den Feststellungen
des Beklagten die deutsche Sprache nur bruchstückhaft. Der Beklagte erhielt von dem Bezug der Leistungen nach dem Unterhaltsvorschußgesetz
erst im Jahre 1995 Kenntnis. Hierdurch kam es zu einer Überzahlung an Sozialhilfe.
Einen an die Klägerin gerichteten und auf § 45 Abs. 1, § 50 Abs. 3
SGB X gestützten Rücknahme- und Erstattungsbescheid vom 18. Mai 1995 hob der Beklagte auf, nachdem er erkannt hatte, daß nicht
die Klägerin, sondern ihr Sohn Robert W. durch die Sozialhilfebewilligung begünstigt war.
Nach Anhörung der Klägerin erging an sie unter dem 28. November 1995 ein auf § 92 a Abs. 4
BSHG gestützter Leistungsbescheid des Beklagten, in dem dieser die Klägerin zur Rückzahlung der in der Zeit vom 1. Januar 1993
bis 30. April 1995 für Robert W. zuviel gewährten Sozialhilfeaufwendungen in Höhe von 8904 DM aufforderte und ausführte, die
Klägerin habe die Sozialhilfegewährung für ihren Sohn Robert zumindest grob fahrlässig herbeigeführt, weil sie nicht mitgeteilt
habe, daß sie für das Kind Leistungen nach dem Unterhaltsvorschußgesetz beziehe. Sie sei durch die monatlichen Sozialhilfebescheide
aufgefordert worden, jede Änderung in ihren persönlichen Verhältnissen mitzuteilen. Den Großteil der Behördengänge habe sie
im Beisein ihres Vaters erledigt, der die deutsche Sprache beherrsche. In der Heranziehung zum Kostenersatz liege keine Härte;
denn die Klägerin habe die Heranziehung durch ihr Verhalten selbst zu vertreten und könne trotz der Rückzahlung auch künftig
am Leben in der Gemeinschaft teilnehmen.
Nach Zurückweisung ihres Widerspruchs hat die Klägerin gegen die Kostenheranziehung Klage erhoben. Das Verwaltungsgericht
hat der Klage stattgegeben: Die Voraussetzungen einer Kostenersatzverpflichtung auf der Grundlage von § 92 a Abs. 4 Satz 1 BSHG seien nicht erfüllt. Dabei könne offenbleiben, ob der Klägerin grob fahrlässiges Verhalten wegen der Nichtangabe der nach
dem Unterhaltsvorschußgesetz für ihren Sohn bewilligten Leistungen angelastet werden könne. Des weiteren brauche nicht entschieden
zu werden, ob der geltend gemachte Kostenersatzanspruch bereits insoweit - teilweise - ausscheide, als das die Überzahlung
verursachende Verhalten der Klägerin und die Überzahlung der Sozialhilfe vor Inkrafttreten des § 92 a Abs. 4
BSHG am 1. Januar 1994 lägen. Jedenfalls handele es sich bei der Hilfe zum Lebensunterhalt, deren Rückzahlung der Beklagte verlange,
nicht um eine zu Unrecht erbrachte Leistung der Sozialhilfe. Der Gesetzgeber habe die Ersatzpflicht nicht von der Rechtswidrigkeit
der Leistungen abhängig gemacht, sondern - wie in § 50
SGB X, auf den § 92 a Abs. 4
BSHG ausdrücklich verweise - mit dem Merkmal der "zu Unrecht erbrachten" Leistungen der Sozialhilfe verknüpft. Das Merkmal "zu
Unrecht" bedeute nach üblichem juristischem Sprachgebrauch "ohne Rechtsgrund" und habe damit einen anderen Sinngehalt als
etwa das Merkmal "rechtswidrig". Hier habe ein "Rechtsgrund" für das Behaltendürfen der Leistung (fort-)bestanden; denn gegenüber
Robert W. sei kein Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid nach § 44 ff. SGB X ergangen.
Gegen dieses Urteil wendet sich der Beklagte mit der unter Übergehung der Berufungsinstanz und mit Zustimmung der Klägerin
eingelegten Revision. Er rügt eine Verletzung von § 92 a Abs. 4
BSHG.
Die Klägerin tritt der Revision entgegen.
II.
Die unter Übergehung der Berufungsinstanz vom Beklagten eingelegte Revision ist nach §
134
VwGO zulässig. Über sie konnte nach §
141 Satz 1 i.V.m. §
102 Abs.
2
VwGO auch in Abwesenheit des ordnungsgemäß zum Termin geladenen Beklagten verhandelt und entschieden werden.
Die Revision ist aber nicht begründet. Das Urteil des Verwaltungsgerichts steht mit Bundesrecht (vgl. §
137 Abs.
1 Nr.
1
VwGO) im Einklang, so daß die Revision zurückzuweisen ist (§
144 Abs.
3 Satz 1 Nr.
1
VwGO).
Als Rechtsgrundlage für eine Kostenheranziehung der Klägerin kommt hier allein § 92 a Abs. 4 Satz 1 BSHG in Betracht. Diese Vorschrift bestimmt, daß zum Ersatz der Kosten zu Unrecht erbrachter Leistungen der Sozialhilfe (§ 50
des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch) in entsprechender Anwendung der Absätze 1 bis 3 verpflichtet ist, wer die Leistung durch
vorsätzliches oder grob fahrlässiges Verhalten herbeigeführt hat. Dem Verwaltungsgericht ist darin zuzustimmen, daß die Anwendung
dieser Vorschrift voraussetzt, daß der Bescheid oder die Bescheide aufgehoben wurden, durch die dem Leistungsempfänger Sozialhilfe
bewilligt und auf dessen bzw. deren Grundlage ihm Sozialhilfe geleistet worden ist.
Dabei kann dahinstehen, ob dies zwingend schon aus der Wortwahl des Gesetzes "zu Unrecht erbracht" folgt, wie dies das Verwaltungsgericht
angenommen hat. Das Normverständnis der Vorinstanz wird jedenfalls durch den Klammerzusatz "(§ 50 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch)"
bestätigt.
§ 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X knüpft eine Erstattungspflicht daran, daß "ein Verwaltungsakt aufgehoben worden ist"; damit ist die Aufhebung des Verwaltungsakts
gemeint, auf dessen Grundlage die Leistung, deren Erstattung verlangt wird, erbracht worden ist. Allerdings begründet § 50 Abs. 2 Satz 1 SGB X eine Erstattungspflicht, soweit Leistungen ohne Verwaltungsakt zu Unrecht erbracht worden sind, ohne vorherige Aufhebung
eines Verwaltungsakts. Diese Vorschrift ist indessen unanwendbar, wenn die Leistungen auf der Grundlage eines - wenn auch
materiell rechtswidrigen - Verwaltungsakts erbracht worden sind (vgl. auch BSG, Urteil vom 21. April 1988 - 4/11a RA 24/87 - [SozR 1300 § 50
SGB X Nr. 21, S. 46 f.] und Urteil vom 29. Oktober 1992 - 10 RKg 4/92 - [SozR 3 - 1300 § 50
SGB X Nr. 13, S. 34]). Demzufolge ist der Leistungsträger nach § 50
SGB X nicht berechtigt, Erstattung statt auf der Grundlage von Absatz 1 ohne vorherige oder gleichzeitige Aufhebung des Bewilligungsbescheides
nach Absatz 2 zu verlangen (ebenso BSG, Urteil vom 29. Oktober 1992, aaO, S. 31).
Auf diese Rechtslage nimmt der Klammerzusatz in § 92 a Abs. 4 Satz 1 BSHG Bezug. Es handelt sich hierbei nicht um eine Rechtsfolgen-, sondern um eine Rechtsgrundverweisung. Der Annahme, daß es sich
um eine Rechtsfolgenverweisung handele, steht entgegen, daß § 92 a Abs. 4
BSHG als Haftungsregelung mit einer eigenständigen Kostenersatzpflicht seinerseits eigenständige Rechtsfolgen begründet. Dem Klammerzusatz
in dieser Vorschrift kann somit - soll er Sinn machen - nur die Bedeutung beigemessen werden, daß die danach begründete Kostenersatzpflicht
an dieselben rechtlichen Voraussetzungen geknüpft ist, die für eine Erstattungspflicht nach § 50
SGB X gelten.
Die mit der Einfügung des § 92 a Abs. 4
BSHG durch das Zweite Gesetz zur Umsetzung des Spar-, Konsolidierungs- und Wachstumsprogramms - 2. SKWPG - vom 21. Dezember 1993
(BGBl I S. 2374) bezweckte personelle und sachliche Haftungserweiterung in Fällen unrechtmäßigen Sozialhilfebezugs (vgl. dazu BTDrucks 12/5930
vom 20. Oktober 1993, S. 4 unter 6. C b) steht daher unter dem Vorbehalt, daß ein Bewilligungsbescheid gegenüber dem Hilfeempfänger
rechtswirksam aufgehoben ist. Eine davon unabhängige Heranziehung des Verursachers rechtswidriger Sozialhilfeleistungen ist
folglich, anders als bei rechtmäßiger Sozialhilfebewilligung, nach wie vor nicht möglich (ebenso Schubert, ZfS 1996, 246 [248]).
Dieses Verständnis des § 92 a Abs. 4 Satz 1 BSHG wird durch die Regelung des Satzes 2 bestätigt, der eine gesamtschuldnerische Haftung des nach Satz 1 Ersatz- und des nach
§ 50
SGB X Erstattungspflichtigen wegen derselben Sozialhilfekosten begründet. Hiermit hat der Gesetzgeber zum Ausdruck gebracht, daß
er von der Heranziehung sowohl des Leistungsverursachers als auch des Leistungsempfängers ausgeht.
Es kann offenbleiben, ob bei dieser Auslegung die Zielsetzung des Gesetzgebers in vollem Umfang verwirklicht ist, durch die
"Einfügung einer ergänzenden Regelung in § 92 a
BSHG" eine im Erstattungsrecht der Sozialhilfe bis dahin vorhandene Lücke im Interesse der Einsparung erheblicher Mehrkosten infolge
unrechtmäßigen Sozialhilfebezugs bzw. der Vermeidung von Einnahmeausfällen der Sozialhilfe zu schließen (vgl. BTDrucks, aaO).
Auch wenn der Gesetzgeber beabsichtigt haben sollte, diese Lücke vollständig zu schließen (vgl. Schubert, aaO), mit § 92 a Abs. 4
BSHG eine eigenständige Regelung hinsichtlich der Ersatzpflicht hat schaffen wollen (vgl. Mergler/Zink, Bundessozialhilfegesetz, Kommentar, Stand: Februar 1996, § 92 a
BSHG Rn. 44) und diese im Vergleich zur Erstattungspflicht aus § 50
SGB X wesensverschieden ist (vgl. Linhart, NDV 1996, 354 [358]), so daß § 50
SGB X im Verhältnis zu § 92 a Abs. 4
BSHG dem Vorbehalt abweichender Regelungen im Sinne von §
37 Satz 1
SGB I untersteht (vgl. Zeitler, NDV 1994, 173 [176]), so hat der Gesetzgeber doch durch die Verweisung auf § 50
SGB X in § 92 a Abs. 4 Satz 1 BSHG zu erkennen gegeben, daß Unterschieden beider Haftungsregelungen im vorliegenden Zusammenhang gerade keine rechtliche Bedeutung
zukommen, sondern eine Heranziehung Dritter zu den Kosten der Sozialhilfe nur unter der Voraussetzung der rechtswirksamen
Aufhebung des Leistungsbescheides gegenüber dem Hilfeempfänger erfolgen soll. § 92 a Abs. 4 Satz 1 BSHG stellt eine Eingriffsermächtigung dar; gesetzgeberischen Absichten bei ihrer Schaffung kann auch deswegen im Rahmen der Gesetzesauslegung
nur insoweit Rechnung getragen werden, als sie ins Gesetz Eingang gefunden haben.
Da der Beklagte davon abgesehen hat, die Bewilligung der Sozialhilfeleistungen, derentwegen er von der Klägerin Kostenersatz
verlangt, gegenüber ihrem Sohn Robert als dem Empfänger der Leistungen zurückzunehmen, ist die Klägerin nach alledem nicht
nach § 92 a Abs. 4
BSHG ersatzpflichtig und ihrer Klage gegen die Kostenheranziehung zu Recht stattgegeben worden.
Die Kostenentscheidung folgt aus §
154 Abs.
2
VwGO. Die Gerichtskostenfreiheit beruht auf §
188 Satz 2
VwGO.