BVerwG, Urteil vom 21.06.1990 - 5 C 45.87
»Bricht ein Auszubildender ein zwei Semester lang betriebenes Studium nach Eintritt eines ernsthaften Neigungswandels nicht
unverzüglich ab, sondern führt es ein Semester lang fort, um die Zeit bis zur Zulassung zum (neuen) Wunschstudium zu überbrücken,
kommt die Anerkennung eines wichtigen Grundes im Sinne des §
7 Abs.
3
BAföG auch unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit sowie des allgemeinen Gleichheitssatzes nicht in Betracht.«
Fundstellen: BVerwGE 85, 194, DRsp V(545)115b, DÖV 1991, 204, FamRZ 1991, 119, NJW 1991, 510, NVwZ 1990, 1168
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kl. nach einem Fachrichtungswechsel aus einem drei Semester lang betriebenen Studium
der Rechtswissenschaft in ein Medizinstudium Ausbildungsförderung (Afö) zusteht.
b. »Das BerGer. [OVG Rheinland-Pfalz] hat der Kl. einen Anspruch auf Afö nach dem
BAföG in der hier anzuwendenden Fassung des 8.
BAföG-ÄndG v. 24. 5. 1984 (BGBl. I S. 707) für ihr Medizinstudium [zu Recht] abgesprochen. ...
Die Kl. hatte aufgrund ihres ernsthaften Neigungswandels nicht mehr den Willen, das rechtswissenschaftliche Studium berufsqualifizierend
abzuschließen, vielmehr hatte ihre Immatrikulation im dritten Semester letztlich nur den Zweck, auch weiterhin bis zum Beginn
des Medizinstudiums in den Genuß von Ausbildungsförderungsmitteln zu kommen. Hierin kann ein ausbildungsbezogener Rechtfertigungsgrund
für eine Verzögerung des Studienabbruchs nicht gesehen werden. Im Ergebnis zu Recht hat es das BerGer. auch abgelehnt, aus
dem Beschluß des BVerfG v. 3. 7. 1985 (BVerfGE 70, 230, 240 f. [hier: V (545) 92 a]) den Schluß zu ziehen, eine Entscheidung zugunsten der Kl. sei verfassungsrechtlich geboten.
... Als unverhältnismäßig und daher mit Art.
3 Abs.
1
GG nicht vereinbar hat das BVerfG .. die Versagung eines wichtigen Grundes und damit den Ausschluß des Auszubildenden von jeder
weiteren Förderung dann gewertet, wenn der Auszubildende bei einem Neigungswandel seine Ausbildung nach dem ersten Semester
nicht sofort abbricht, sondern den Abbruch um einige Monate (im entschiedenen Fall um ein volles Studiensemester) verzögert,
um abzuwarten, ob er eine Zulassung zu der von ihm gewünschten anderen Ausbildung erhält. Der Unterschied zwischen Fällen
dieser Art und Fällen, in denen Auszubildende nach der Erkenntnis des Neigungswandels ihre bisherige Ausbildung nach dem ersten
Semester sofort abbrechen, ist nämlich aus der Sicht des BVerfG nicht von solcher Art und solchem Gewicht, daß er eine Ungleichbehandlung
mit derart schweren Auswirkungen (umfassender Erhalt des Förderungsanspruchs für die Zukunft bei der zuletzt genannten Fallgruppe,
vollkommene Versagung der Förderung bei der ersten) zu rechtfertigen vermag. Ausdrücklich offengelassen hat dagegen das BVerfG,
ob ohne Verstoß gegen Verfassungsrecht ein wichtiger Grund i. S. des §
7 Abs.
3
BAföG in Fällen verneint werden kann, in denen Auszubildende in höheren Semestern bei einem für sie erkennbaren Neigungswandel
nicht alsbald ihr Studium abbrechen, oder in denen Auszubildende erst nach einer längeren Überlegungsfrist den Fachrichtungswechsel
vornehmen oder ihn ohne erkennbaren Anlaß hinauszögern.
Bei Abwägung zwischen der Schwere der Sanktion und dem Gewicht des sanktionsauslösenden Pflichtenverstoßes ist ausschlaggebend
zu berücksichtigen, daß in der Eingangsphase eines Studiums bei Anwendung des §
7 Abs.
3
BAföG geringere Anforderungen an das Gewicht der im Bereich der Interessen des Auszubildenden liegenden Umstände zu stellen sind
... Verzögerungsverschulden, das in seinen Auswirkungen über die Eingangsphase des Studiums, d. h. über den Ablauf des ersten
Studienjahres.. nicht hinausreicht, mag deshalb im Einzelfall mit dem umfassenden Verlust des Förderungsanspruches zu hart
sanktioniert sein. Für Studien dagegen, die die Eingangsphase bereits überschritten haben und bei denen die Verzögerung des
Fachrichtungswechsels dazu führt, daß der Auszubildende insgesamt drei Semester lang oder mehr einen Studienplatz mit oder
ohne Förderungsleistungen für eine Ausbildung in Anspruch genommen hat, die ohne berufsqualifizierenden Abschluß geblieben
ist, kann die umfassende Versagung des Förderungsanspruches für die Zukunft nicht als unverhältnismäßige, unangemessene Sanktion
des Verzögerungsverschuldens bezeichnet werden. Dies hat der Senat bereits für den Fall des bis zum Ende des vierten Studiensemesters
verzögerten Abbruchs einer bereits drei Semester lang betriebenen Hochschulausbildung entschieden (Beschluß v. 3. 9. 1987,
Buchholz 436.36 §
7
BAföG Nr. 65). Für den vorl. Fall eines bis zum Ende des dritten Studiensemesters verzögerten Abbruchs kann nichts anderes gelten.«