BVerwG, Urteil vom 18.04.1985 - 5 C 4.82
b-c. Eignungsvermutung (Abs.2 Satz 1)
(b) ist widerlegt, wenn vom Auszubildenden zu vertretende Fehlzeiten die Schlußfolgerung rechtfertigen, er strebe das Ausbildungsziel
endgültig nicht mehr an;
(c) entfällt nicht rückwirkend wegen Abbruchs der Ausbildung bzw. Nichtbestehens der Abschlußprüfung.
Fundstellen: BVerwGE 71, 199
, DRsp V(545)88b-c, FamRZ 1985, 841
»... Mit Recht ist der VGH davon ausgegangen, daß die Förderungsvoraussetzungen des § 9
BAföG in der hier anzuwendenden Fassung des 6. BAföGÄndG v. 16. 7. 1979 (BGBl I 1037) erfüllt sind. Nach [§ 9] Abs. 1 wird die
Ausbildung gefördert, wenn die Leistungen des Auszubildenden erwarten lassen, daß er das angestrebte Ausbildungsziel erreicht.
Bei dem Besuch der in § 2 Abs. 1 Nrn. 1 bis 3 BAföG genannten Schulen, wozu auch das Kolleg gehört (Nr. 2), wird dies gemäß § 9 Abs. 2 Satz 1 BAföG in der Regel angenommen [vermutet], solange der Auszubildende die Ausbildungsstätte besucht. Das kann bei der Kl. für das
hier zu beurteilende Schuljahr nicht in Abrede gestellt werden. ... Daß der Auszubildende die Ausbildungsstätte in diesem
Sinne besucht, kann nicht bereits dann verneint werden, wenn er für kürzere Zeitabschnitte nicht an den Lehrveranstaltungen
teilnimmt. In diesen Fällen unterbricht der Auszubildende zwar seine Ausbildung, wenn er, wie vorliegend, grundsätzlich zur
Teilnahme an allen Lehrveranstaltungen verpflichtet ist und aus Gründen, die er zu vertreten hat, dem Unterricht fernbleibt.
Bei solchen kürzeren Unterbrechungen, nach denen die Ausbildung immer wieder fortgesetzt wird, hat der Auszubildende den in
§ 9 Abs. 2 Satz 1 BAföG verlangten Besuch der Ausbildungsstätte aber noch nicht eingestellt. Erst wenn die zu vertretenden Fehlzeiten ein solches
Ausmaß annehmen, daß die Schlußfolgerung gerechtfertigt ist, der Auszubildende habe die Ausbildung beendet, weil er das Ziel
des förderungsfähigen Ausbildungsabschnitts endgültig nicht mehr anstrebe (§ 15 a Abs. 4
BAföG), kann von einem Besuch der Ausbildungsstätte i. S. von § 9 Abs. 2 Satz 1 BAföG nicht mehr die Rede sein. Das ist im Falle der Kl. nicht anzunehmen. Bei den erheblichen Fehlzeiten von immerhin 38 v. H.
der Pflichtstundenzahl muß zu ihren Gunsten in Rechnung gestellt werden, daß davon ein nicht unerheblicher Teil durch Krankheit,
für deren Nachweis die Kl. ärztliche Atteste vorgelegt hat, verursacht worden ist.
Die Förderungsvoraussetzung des § 9 Abs. 1
BAföG ist ferner nicht deshalb entfallen, weil die Kl. im Dezember 1981, also zu einem Zeitpunkt, der nicht mehr in das hier zu
beurteilende Schuljahr 1980/81 fällt, vom Kolleg ausgeschlossen worden ist, ohne die Hochschulreife erworben zu haben. Die
in § 9 Abs. 2 Satz 1 BAföG normierte Eignungsvermutung ist zwar widerlegbar. Dies ergibt sich daraus, daß sie nur »in der Regel« besteht. Allein aus
der Tatsache, daß ein Auszubildender die Abschlußprüfung einer unternommenen Ausbildung nicht ablegt oder nicht besteht, ergibt
sich jedoch nicht die Schlußfolgerung, dem Auszubildenden fehle für die Zeit der vorangegangenen Ausbildung die in § 9 Abs. 1
BAföG vorausgesetzte Eignung. Bei dem Besuch einer allgemeinbildenden Schule, in der, wie hier bei dem Kolleg, der Auszubildende
bis zur Abschlußprüfung eine Reihe von Klassen durchlaufen muß, ist zwar angestrebtes Ausbildungsziel i. S. von § 9 Abs. 1
BAföG die Abschlußprüfung und nicht .. das jeweilige Klassenziel. Gleichwohl ist .. für die nach § 9 Abs. 1
BAföG anzustellende Prognose, ob das angestrebte Ausbildungsziel erreicht wird, jedenfalls für Klassen, die der Abschlußklasse
vorausgehen, maßgeblich darauf abzustellen, ob der Auszubildende das jeweilige Klassenziel erreichen wird oder, wenn erst
nachträglich über den Bewilligungszeitraum zu entscheiden ist, erreicht hat. Grundlage für die Prognose sind die von dem Auszubildenden
erbrachten Leistungen. Das können regelmäßig nur die Leistungen sein, die sich nach dem jeweils zu fordernden Leistungsstand,
also dem Klassenziels beurteilen lassen. Da die Kl. in dem Schuljahr 1980/81 mit der Versetzung in die nächsthöhere Klasse
das Klassenziel erreicht hat, läßt sich vom Leistungsstand her die Eignung der Kl., das angestrebte Ausbildungsziel zu erreichen,
nicht verneinen. Daß die Kl., wie die spätere Entwicklung gezeigt hat, die Abschlußprüfung nicht abgelegt hat, setzt die Eignungsvermutung
nicht rückwirkend außer kraft.
.. Vor allem [sind] die Grundsätze, die das BVerwG bei der Prüfung anwendet, ob nach § 15 Abs. 3
BAföG eine Forderung über die Förderungshöchstdauer hinaus zulässig ist ..., auf die Eignungsvermutung des § 9
BAföG nicht übertragbar. ...«
Bei einer nachträglichen Entscheidung über die Ausbildungsförderung seien jedoch die Forderungsleistungen um die Beträge zu
kürzen, die der Auszubildende, sofern ihm die Ausbildungsförderung bereits gewährt worden wäre, nach § 20 Abs. 2
BAföG zurückzuzahlen hätte.
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