BVerwG, Urteil vom 12.06.1986 - 5 C 48.84, FEVS 36, 9
Keine Anerkennung eines erhöhten Bedarfssatzes für auswärtige Unterbringung (Abs. 2), die allein mit dem Fehlen eines Eltern-Kind-Verhältnisses
begründet wird.
Fundstellen: BVerwGE 74, 260 , DRsp V(545)98d, FEVS 36, 9, FamRZ 1986, 1157
»... Nach § 12 Abs. 2 Satz 2 BAföG ist die Zuerkennung der in § 12 Abs. 2 Satz 1 BAföG vorgesehenen Bedarfssätze für nicht bei ihren Eltern wohnende Schüler davon abhängig, daß «von der Wohnung der Eltern aus
eine entsprechende zumutbare Ausbildungsstätte nicht erreichbar ist«. Daran fehlt es. Die Kl. stellt selbst nicht in Abrede,
daß sie das Gymnasium M. von der Wohnung der Mutter aus hätte erreichen können. Sie macht vielmehr ausschließlich geltend,
da sie keine elterliche Wohnung mehr habe, weil zwischen ihr und ihrer Mutter eine völlige Entfremdung eingetreten sei und
eine Mutter-Kind-Beziehung deshalb nicht mehr bestehe. Mit diesem Vorbringen läßt sich indessen .. ein Anspruch auf Ausbildungsförderung
nach erhöhten Bedarfssätzen nicht begründen.
Wie der erk. Senat schon wiederholt klargestellt hat, ist der weder in § 12 Abs. 2 Satz 2 BAföG noch in einer anderen Norm des Ausbildungsförderungsrechtes näher bestimmte Begriff der elterlichen Wohnung nach Wortlaut
und Sinn der gesetzl. Regelung zu definieren. Bereits der Wortlaut des § 12 Abs. 2
BAföG deutet darauf hin, daß die Begriffe »Wohnen« und »Wohnung« eine umfassende Bedeutung haben sollen. Entscheidend ist die nach
rein tatsächlichen Merkmalen zu beurteilende Frage des länger andauernden, also nicht nur vorübergehenden Unterkunftnehmens.
... Das Gesetz knüpft damit als Ausgangspunkt für die hier maßgebende Regelung an den typischen Lebenssachverhalt an, daß
die Eltern ihren Kindern regelmäßig in den Räumen Unterkunft gewähren, die ihnen selbst als Wohnung zur Verfügung stehen (so
das Urteil v. 15. 11. 1979 [in] FamRZ 1980, 506 und ferner Urteil v. 5. 5. 1983 [in] FamRZ 1984, 214, 215). Von dieser Annahme ist auch dann auszugehen, wenn im Einzelfall zwischen dem Auszubildenden und seinen Eltern oder
dem überlebenden Elternteil kein Eltern-Kind-Verhältnis mehr besteht. Daß § 12 Abs. 2
BAföG Eltern-Kind-Beziehungen voraussetze, die ein Wohnen bei den Eltern tatsächlich ermöglichen, kann der Vorschrift nicht entnommen
werden. ...
Die vom Senat bisher offengelassene Frage, ob der erhöhte Bedarf nach dieser Vorschrift anerkannt werden kann, wenn zwischen
dem Auszubildenden und seinen Eltern (dem überlebenden Elternteil) ein Eltern-Kind-Verhältnis nicht mehr besteht (s. dazu
die Urteile v. 15. 11. 1979 und 5. 5. 1983 sowie Beschluß v. 23. 11. 1983 Ä BVerwG 5 B 121.82 Ä), ist deshalb zu verneinen. Zumutbarkeitserwägungen führen zu keinem anderen Ergebnis. ... Die Härte, die sich für Schüler
daraus ergibt, daß ihnen ungeachtet des Fehlens von Eltern-Kind-Beziehungen für die auswärtige Unterbringung der erhöhte Bedarf
nach § 12 Abs. 2 Satz 1 BAföG nicht zugebilligt werden kann, ist notwendige Folge der typisierenden Regelung, die der Gesetzgeber, was die Möglichkeit
des Wohnens des Auszubildenden bei seinen Eltern und die Zumutbarkeit des Unterkunftnehmens in deren Wohnung angeht, in §
12 Abs. 2 und Abs. 3
BAföG getroffen hat. ...
Auch im Blick auf die von der Kl. geltend gemachten Lebensumstände bleibt es nach allem dabei, daß unter dem Begriff »Wohnung
der Eltern« in § 12 Abs. 2 Satz 2 BAföG die Räumlichkeiten zu verstehen sind, in denen die Eltern des Auszubildenden ihre nicht nur vorübergehende, sondern auf eine
gewisse Dauer abzielende Unterkunft nehmen, unabhängig davon, ob sie willens und tatsächlich in der Lage sind, den Auszubildenden
bei sich aufzunehmen (vgl. zuletzt Senatsurteil in FamRZ 1984, 214). Ob etwas anderes dann gelten muß, wenn das Wohnen des Auszubildenden bei seinen Eltern an rechtlichen Hindernissen scheitert
.., kann offenbleiben. ...«
Anmerkung von Prof. Dr. F. W. Bosch in FamRZ aaO. S. 1159.
|