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BVerwG, Urteil vom 27.06.1991 - 5 C 4.88
»Die Auflösung eines Vorbehalts nach § 24 Abs. 2 Satz 2 BAföG ermöglicht nicht die Rückforderung von Ausbildungsförderung wegen eines Rechtsanwendungsfehlers, der dem Amt für Ausbildungsförderung bei der förderungsrechtlichen Beurteilung der glaubhaft gemachten Einkommensverhältnisse des in § 24 Abs. 1 BAföG genannten Personenkreises im Rahmen der Vorbehaltsentscheidung unterlaufen ist.«
Fundstellen: BVerwGE 88, 342, DRsp V(545)118a, DVBl 1992, 618, DÖV 1992, 309
Normenkette:
BAföG § 24 Abs. 2, § 50 Abs. 1 Satz 2
,
BAföGöG (1981) § 1 Hs. 2, § 20 Abs. 1 Nr.4
,
SGB X § 43 Abs. 3, § 45
a. »Unter Rückforderungsvorbehalt können nach § 50 Abs. 1 Satz 2 BAföG Bescheide nur ergehen, soweit dies im BAföG vorgesehen ist. Ob einer der im BAföG abschließend normierten Fälle zulässiger Vorbehalte (vgl. §§ 2 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 Satz 3, 50 Abs. 4 Satz 1, 51 Abs. 2 BAföG) vorliegt, ist noch im Rahmen des Rechtsbehelfsverfahrens gegen den Rückforderungsbescheid zu prüfen (vgl. BVerwGE 60,99,104 ff. sowie Urteil, FamRZ l984,314,315). Insoweit hat das BerGer. zutreffend § 24 Abs. 2 Satz 2 BAföG herangezogen. Denn im Zeitpunkt des Erlasses des Bewilligungsbescheides lag ... der für die Anrechnung des Einkommens der Eltern [der Kl.] maßgebliche Einkommensteuerbescheid für das Jahr 1980 (vgl. § 24 Abs. 1 BAföG) noch nicht vor, so daß über den Förderungsantrag der Kl. nach § 24 Abs. 2 Satz 1 BAföG unter Berücksichtigung der glaubhaft gemachten Einkommensverhältnisse zu entscheiden war; Ausbildungsförderung wird insoweit unter dem Vorbehalt der Rückforderung geleistet (§ 24 Abs. 2 Satz 2 BAföG).
Sobald der Steuerbescheid dem Amt für Ausbildungsförderung vorliegt, wird über den Förderungsantrag abschließend entschieden (§ 24 Abs. 2 Satz 3 BAföG). Erweist sich bei der Auflösung des Vorbehalts, daß auf der Grundlage der durch den Steuerbescheid ausgewiesenen Einkommensverhältnisse der Eltern die Voraussetzungen für die Leistung von Ausbildungsförderung an keinem Tage des Kalendermonats vorgelegen haben, für den sie gezahlt worden ist, so ist insoweit der Bewilligungsbescheid aufzuheben und der Förderungsbetrag zu erstatten, als Ausbildungsförderung unter dem Vorbehalt der Rückforderung geleistet worden ist (§ 20 Abs. 1 Nr. 4 BAföG); Vertrauensschutz zugunsten des Auszubildenden sieht das Gesetz nicht vor ... .
Die Auflösung eines Vorbehalts nach § 24 Abs. 2 Satz 2 BAföG [ermöglicht nicht] die Rückforderung von Ausbildungsförderung wegen eines Rechtsanwendungsfehlers, der dem Amt bei der förderungsrechtlichen Beurteilung der glaubhaft gemachten Einkommensverhältnisse im Rahmen der Vorbehaltsentscheidung unterlaufen ist.
Die Vorbehaltsermächtigung in § 24 Abs. 2 Satz 2 BAföG ist getreu ihrem Wortlaut (»insoweit«) eng auszulegen ... und auf den in ihr anerkannten Vorbehaltsgrund zu beschränken. ... Der von § 24 Abs. 2 Satz 2 BAföG als Vorbehaltsgrund anerkannte Anlaß ist das in § 24 Abs. 2 Satz 1 BAföG umschriebene Ausstehen des Steuerbescheids für den nach § 24 Abs. 1 BAföG maßgebenden Berechnungszeitraum und die damit verbundene Folge, daß das Einkommen des in § 24 Abs. 1 BAföG genannten Personenkreises noch nicht feststeht (vgl. BVerwG, Beschluß v. 13.11.1987 - BVerwG 5 B 152.86 - , Buchholz 436.36 § 24 BAföG Nr. 10). Die Behörde darf und muß deshalb auf nur glaubhaft gemachte Einkommensverhältnisse zurückgreifen (§ 24 Abs. 2 Satz 1 BAföG); sie darf und muß insoweit einen Rückforderungsvorbehalt aussprechen (§ 24 Abs. 2 Satz 2 BAföG). ... Wird Ausbildungsförderung grundsätzlich nur dem Auszubildenden gewährt, dem die für seinen Lebensunterhalt und seine Ausbildung erforderlichen Mittel anderweitig nicht zur Verfügung stehen (§ 1 Halbs. 2 BAföG), ist es folgerichtig, die im Interesse einer effektiven Förderung des Auszubildenden angeordnete Ausbildungsförderung bei ungesicherten, weil nur glaubhaft gemachten Einkommensverhältnissen nur als vorläufige, unter den Vorbehalt der Rückforderung gestellte Staatsleistung auszugestalten.
Ansonsten aber unterscheidet sich die vorläufige Bescheidung des Förderungsantrags nicht von der endgültigen; denn Unsicherheit besteht nur hinsichtlich der endgültigen, im Einkommensteuerbescheid auszuweisenden Einkommensverhältnisse, nicht aber hinsichtlich der für die Einkommensanrechnung maßgeblichen förderungsrechtlichen Beurteilungsmaßstäbe. Das Förderungsamt hat hier wie dort dieselbe Rechtsanwendung zu leisten und das Förderungsrecht im Einzelfall mit Verbindlichkeitsanspruch zu konkretisieren. Auch das nur glaubhaft gemachte Einkommen der Eltern ist deshalb nach denselben förderungsrechtlichen Maßstäben, die für die endgültige Förderung gelten, daraufhin zu bewerten, ob und inwieweit es für die Deckung des Bedarfs des Auszubildenden im Sinne des § 11 Abs. 2 BAföG ausreicht oder aber staatliche Ausbildungsförderung notwendig ist. Rechtsanwendungsfehler, die dem Förderungsamt hierbei unterlaufen, sind grundsätzlich dem Verantwortungsbereich der Behörde zuzuordnen; das gehört zum Pflichtenkorrelat des hoheitlichen Vorrechts zur Rechtskonkretisierung im Einzelfall. Es besteht deshalb auch kein Anlaß, Fehler bei der Anwendung des Förderungsrechts im Rahmen der Vorbehaltsentscheidung zu privilegieren und die Behörde insoweit von Vertrauensschutzbindungen freizustellen. Vielmehr entspricht es der auch sonst für Rechtsanwendungsfehler der Förderungsverwaltung gesetzlich vorgehaltenen Interessenwertung, daß der rechtswidrige Bescheid, soweit er den Auszubildenden begünstigt, nur unter den Voraussetzungen des § 45 des SGB X v. 18.8.1980 (BGBl. I S. 1469, ber. S. 2218), hier anzuwenden i. d. F. des Art. II § 17 des Gesetzes v. 4.11.1982 (BGBl. I S. 1450) und, soweit er den Auszubildenden nicht begünstigt, nur unter den Voraussetzungen des § 44 SGB X rücknehmbar ist ...
Nach alledem kann die Rückforderung des geleisteten Förderungsbetrages nicht auf eine Auflösung des Vorbehalts nach § 24 Abs. 2 Satz 3 i.V.m. § 20 Abs. 1 Nr. 4 BAföG gestützt werden. Denn ... die nach § 24 Abs. 2 Satz 1 BAföG glaubhaft gemachten Einkommensverhältnisse weichen von den im Einkommensteuerbescheid 1980 festgestellten nicht ab; die Rechtswidrigkeit des Vorbehaltsbescheids beruht vielmehr auf anderen Gründen als der Änderung von Umständen, die nach § 24 Abs. 2 Satz 2 BAföG Anlaß für den Vorbehalt sein dürfen, nämlich auf der gesetzeswidrigen Anwendung eines durch Rechtsänderung überholten Einkommensbegriffs (Zubilligung des durch § 21 Abs. 1 Satz 2 BAföG i. d. F. des 7. BAföGÄndG v. 13.7.l981 - BGBl. I S. 625 - mit Wirkung für alle nach dem 31. Juli 1981 beginnenden Bewilligungszeiträume abgeschafften einkunftsartübergreifenden Verlustausgleiches). ...
[Der Rückforderungsbescheid läßt sich auch nicht mit] der ... Vorschrift des Sozialgesetzbuches über die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes (§ 45 SGB X) rechtfertigen. Denn die Widerspruchsbehörde hat ihn auf die §§ 24 Abs. 2 Satz 3, 20 Abs. 1 Nr. 4 BAföG gestützt und damit als gebundenen Verwaltungsakt ausgegeben; § 45 SGB X dagegen ist eine Ermessensnorm, die eine Abwägung zwischen dem Vertrauen des Begünstigten auf den Bestand des Verwaltungsakts und dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme erfordert (vgl. BVerwGE 78, 101 , 105; BSGE 63, 37 ff.). Entsprechende Ermessenserwägungen aber hat weder die Ausgangs- noch die Widerspruchsbehörde angestellt, so daß aus der Sicht des § 45 SGB X Wesentliches an dem Rückforderungsbescheid geändert werden müßte. Das steht einer richterlichen Rechtfertigung aus anderen Gründen ebenso entgegen wie wegen § 43 Abs. 3 SGB X einer richterlichen Umdeutung (vgl. BVerwGE 64, 356 ,358; 82, 185 , 188 f. sowie BVerwGE 78, 165 ,171). Dafür, daß sich das Rücknahmeermessen des Bekl. im vorl. Fall zu einer Rücknahmepflicht verdichtet haben könnte, sieht der Senat vor dem Hintergrund der gesetzl. Interessenwertung in § 45 Abs. 2 Satz 2 SGB X keinerlei Anhaltspunkte.«