Schutz der Einrichtungsorte vor Tragung von Jugendhilfekosten; Zuständigkeit und Kostentragung für Hilfe für junge Volljährige;
Kostentragung für Aufwendungen der Jugendhilfe für Vollzeitpflege
Gründe:
I.
Der Kläger gewährte für die am 26. Juli 1978 geborene A. D. ab 1991 Hilfe zur Erziehung und vom 26. Juli 1996 bis zum 30.
Juni 1998 Hilfe für junge Volljährige. Er erbrachte in diesem Rahmen unter anderem ab dem 14. Februar 1993 ein monatliches
Pflegegeld für ihre Unterbringung bei einer Pflegemutter in seinem örtlichen Zuständigkeitsbereich, später daneben auch Leistungen
für die Kosten betreuten Wohnens (ebenfalls im örtlichen Zuständigkeitsbereich des Klägers). Ihre allein sorgeberechtigte
und zunächst im Bereich des Klägers wohnhaft gewesene Mutter verzog am 7. April 1994 in den Zuständigkeitsbereich des Beklagten
und hielt sich ab dem 1. Januar 1996 in einem Frauenwohnheim im Zuständigkeitsbereich der Beigeladenen auf, am 3. Juli 1997
bezog sie dort eine eigene Wohnung.
Der Kläger nimmt den Beklagten im vorliegenden Rechtsstreit auf Erstattung seiner in der Zeit vom 3. Juli 1997 bis zum 30.
Juni 1998 entstandenen Jugendhilfeaufwendungen in Anspruch. Der Beklagte lehnt eine Kostenerstattung gegenüber dem Kläger
ab, weil die Mutter der Hilfeempfängerin ihren gewöhnlichen Aufenthalt in seinem - des Beklagten - Zuständigkeitsbereich aufgegeben
habe und mit Verlassen des Frauenhauses seine bis dahin im Rahmen des Schutzes der Einrichtungsorte gegenüber dem Kläger bestehende
Kostenerstattungspflicht weggefallen sei; seitdem sei die Beigeladene kostenerstattungspflichtig.
Das Verwaltungsgericht hat den Beklagten auf der Grundlage von § 89a Abs. 1 Satz 2 zweite Alternative SGB VIII zur Kostenerstattung an den Kläger in Höhe von 17 738,27 DM verurteilt, weil der Beklagte nach dem Zuzug der allein sorgeberechtigten
Mutter in seinen Zuständigkeitsbereich für die Jugendhilfe zunächst zuständig gewesen und, nachdem der Kläger gemäß § 86 Abs. 6 SGB VIII (wieder) zuständig geworden sei, ihm gegenüber nach § 89a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII auch über die Volljährigkeit von A. D. hinaus kostenerstattungspflichtig sei; der vor der Volljährigkeit erfolgte Umzug ihrer
Mutter in ein im Zuständigkeitsbereich der Beigeladenen gelegenes Frauenwohnheim habe an der Kostenerstattungspflicht des
Beklagten nichts geändert, weil zu Gunsten der Beigeladenen der kostenerstattungsrechtliche Schutz der Einrichtungsorte nach
§ 89e SGB VIII eingegriffen habe. Der Umzug der Mutter in eine eigene Wohnung nach Eintritt der Volljährigkeit ihrer Tochter habe für die
Zuständigkeit zu Jugendhilfeleistungen und für die Kostenerstattungspflicht keine Rolle gespielt.
Das Oberverwaltungsgericht hat die Klage dagegen abgewiesen: Erstattungspflichtig sei nicht der Beklagte, sondern die Beigeladene,
in deren Zuständigkeitsbereich die Mutter der Hilfeempfängerin unter Aufgabe ihres gewöhnlichen Aufenthalts im Zuständigkeitsbereich
des Beklagten verzogen sei. Dieser sei zwar vor dem Zuzug in den Zuständigkeitsbereich der Beigeladenen dem Kläger gegenüber
nach § 89a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII kostenerstattungspflichtig gewesen, weil die Mutter zu dem Zeitpunkt, zu dem der Kläger nach § 86 Abs. 6 Satz 1 SGB VIII zuständig geworden sei, ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Zuständigkeitsbereich des Beklagten gehabt habe; nach ihrem Wegzug
in den Zuständigkeitsbereich der Beigeladenen sei aber diese gegenüber dem nach § 86 Abs. 6 Satz 1 SGB VIII weiterhin leistungsverpflichteten Kläger nach § 89a Abs. 3 SGB VIII kostenerstattungspflichtig geworden, weil sich der für die örtliche Zuständigkeit nach § 86 Abs. 1 bis 5 SGB VIII maßgebliche gewöhnliche Aufenthalt geändert habe. Dabei könne offen bleiben, ob die Beigeladene nach § 89e Abs. 1 SGB VIII ihrerseits einen Kostenerstattungsanspruch gegenüber dem Beklagten gehabt habe und deshalb der Beklagte gemäß § 89a Abs. 2 SGB VIII unmittelbar gegenüber dem Kläger kostenerstattungspflichtig geworden sei; denn ein eventueller Kostenerstattungsanspruch
der Beigeladenen nach § 89a Abs. 2 SGB VIII habe mit dem Verlassen des Frauenhauses (dem Beginn des streitigen Erstattungszeitraums) geendet.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers. Er rügt die Verletzung von § 89e SGB VIII, der einen lückenlosen Schutz der Einrichtungsorte auf der Erstattungsebene gewährleiste.
Der Beklagte verteidigt das Berufungsurteil und trägt hierzu unter anderem vor, der Schutz aus § 89e SGB VIII gelte nur, solange die entsprechende schutzwürdige Einrichtung in Anspruch genommen werde.
Die Beigeladene unterstützt, ohne einen förmlichen Antrag zum Verfahren zu stellen, die Revision des Klägers.
II.
Die Revision des Klägers ist begründet. Die Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils und die Abweisung der Klage verletzen
Bundesrecht (§
137 Abs.
1 Nr.
1 VwGO); das Berufungsurteil ist deshalb seinerseits aufzuheben und das Urteil des Verwaltungsgerichts unter Zurückweisung der dagegen
eingelegten Berufung des Beklagten wieder herzustellen (§
144 Abs.
3 Satz 1 Nr.
1 VwGO).
Das Oberverwaltungsgericht hat § 89a Abs. 1 bis 3 in Verbindung mit § 89e Abs. 1 und § 86a Abs. 4 Satz 1 SGB VIII nicht in dem gebotenen Maß Rechnung getragen.
Der Kläger verlangt vom Beklagten Erstattung von Aufwendungen für nach § 41 SGB VIII geleistete Hilfe für junge Volljährige. Wenn dieser Hilfe eine Hilfe nach den §§ 27 bis 35a SGB VIII vorausgeht, bleibt nach § 86a Abs. 4 Satz 1 SGB VIII der örtliche Träger zuständig, der bis zu diesem Zeitpunkt zuständig war. Der Hilfe für junge Volljährige nach § 41 SGB VIII ist vorliegend Hilfe nach §§ 27 ff. SGB VIII vorausgegangen. Für sie war nach § 86 Abs. 6 SGB VIII zwei Jahre nach Aufnahme der Hilfeempfängerin durch eine Pflegemutter (erneut) der Kläger örtlich zuständig geworden, weil
die Pflegemutter zu diesem Zeitpunkt ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Zuständigkeitsbereich des Klägers hatte. Diese Zuständigkeit
wird - wie der Senat bereits in seinem Urteil vom 14. November 2002 - BVerwG 5 C 56.01 - (BVerwGE 117, 194 >196 f.<) ausgeführt hat - durch § 86a Abs. 4 Satz 1 SGB VIII mit Eintritt der Volljährigkeit "stichtagsbezogen" auf diesen Zeitpunkt für die Hilfe für junge Volljährige nach § 41 SGB VIII festgeschrieben, ohne dass daran der nachträgliche Eintritt von Umständen, die nach § 86 SGB VIII in der Zeit vor Eintritt der Volljährigkeit eine bestimmte (andere) örtliche Zuständigkeit begründet hätten, etwas ändert.
Aufgrund von § 89a Abs. 1 Satz 2 SGB VIII bleibt eine Kostenerstattungspflicht nach § 89a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII unter anderem dann bestehen, wenn die Leistung über die Volljährigkeit hinaus nach § 41 SGB VIII fortgesetzt wird. Die durch Aufwendungen im Rahmen der Zuständigkeit nach § 86a Abs. 4 SGB VIII entstandenen Kosten der Hilfe für junge Volljährige sind von dem örtlichen Träger zu erstatten, der zuvor, d.h. bis zum Eintritt
der Volljährigkeit, die Kosten, die ein örtlicher Träger aufgrund seiner Zuständigkeit nach § 86 Abs. 6 SGB VIII aufgewendet hat, nach § 89a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII zu erstatten verpflichtet gewesen ist. Durch § 89a Abs. 1 Satz 2 SGB VIII wird demnach - wie der Senat (a.a.O., S. 197) ebenfalls entschieden hat - auch die vor Eintritt der Volljährigkeit bestehende
Kostenerstattungspflicht für die Dauer der Fortsetzung der Leistung - gewissermaßen "stichtagsbezogen" auf den Eintritt der
Volljährigkeit - festgeschrieben.
Der für die Kosten der Hilfe für junge Volljährige gegenüber dem zuständigen örtlichen Träger der Hilfe erstattungspflichtige
Träger ist folglich nach Maßgabe der Verhältnisse im Zeitpunkt des Eintritts der Volljährigkeit des Hilfeempfängers zu bestimmen.
Dies war hier der 26. Juli 1996. Die bis zu diesem Zeitpunkt bestehende Kostenerstattungspflicht aus § 89a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII traf den Beklagten; denn er war (nach § 86 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII) wegen des gewöhnlichen Aufenthalts der allein sorgeberechtigten Mutter der Hilfeempfängerin in seinem Zuständigkeitsbereich
für die Hilfe zur Erziehung zuständig gewesen, bevor die Zuständigkeit aufgrund von § 86 Abs. 6 SGB VIII (am 14. Februar 1995) auf den Kläger überging.
Die hiernach den Beklagten treffende Kostenerstattungspflicht hat auch nicht nach § 89a Abs. 3 SGB VIII auf die Beigeladene gewechselt, nachdem die Mutter dort (am 1. Januar 1996) in ein Frauenwohnheim aufgenommen worden war;
denn die Beigeladene war - was unter den Beteiligten unstreitig ist - jedenfalls für die Dauer der Betreuung der Mutter nach
§ 89e SGB VIII als Einrichtungsort nicht selbst kostentragungspflichtig. Die Kosten der Jugendhilfe, hier der Hilfe zur Erziehung, werden
durch § 89e Abs. 1 SGB VIII im Wege eines nach § 89a Abs. 2 SGB VIII zu berücksichtigenden Kostenerstattungsanspruchs von einem Träger abgewendet, wenn der für die Zuständigkeit maßgebliche
gewöhnliche Aufenthalt in seinem Bereich in einer Einrichtung, einer anderen Familie oder sonstigen Wohnform begründet wird.
Dies war bei der Aufnahme der Mutter in ein Frauenwohnheim, das nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts auch der Betreuung
seiner Bewohnerinnen diente, unstreitig der Fall. Kostenerstattungspflichtig blieb mithin nach § 89a Abs. 2 SGB VIII weiterhin der Beklagte, weil die Mutter vor der Aufnahme in die Einrichtung ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Zuständigkeitsbereich
des Beklagten und daher die Beigeladene, die ohne die Anwendung des § 89e Abs. 1 SGB VIII dem Kläger nach § 89a Abs. 3 SGB VIII kostenerstattungspflichtig geworden wäre, nach § 89e Abs. 1 SGB VIII ihrerseits einen Kostenerstattungsanspruch gegen den Beklagten hatte. § 89a Abs. 3 SGB VIII bestimmt in den Fällen, in denen sich der für die örtliche Zuständigkeit maßgebliche gewöhnliche Aufenthalt nach § 86 Abs. 1 bis 5 SGB VIII richtet, den nach § 89a Abs. 1 SGB VIII kostenerstattungspflichtigen Träger, an dessen Stelle in den Fällen des § 89a Abs. 2 SGB VIII der nach dieser Regelung zur Kostenerstattung verpflichtete Träger tritt.
Die Kostenerstattungspflicht, die sonach in dem wegen des § 89a Abs. 1 Satz 2 SGB VIII maßgeblichen Zeitpunkt des Eintritts der Volljährigkeit den Beklagten traf, ist - wie die örtliche Hilfezuständigkeit - ungeachtet
nachträglich eingetretener Umstände bestehen geblieben, die sonst - handelte es sich nicht um Hilfen nach § 41 SGB VIII - möglicherweise zu einem Wechsel der Kostentragungspflicht geführt hätten. Dementsprechend haben der Auszug der Mutter aus
dem Frauenwohnheim und ihr Verbleib im Zuständigkeitsbereich der Beigeladenen auf die Pflicht des Beklagten, dem Kläger (auch)
die von diesem Zeitpunkt an aufgewendeten Hilfekosten zu erstatten, keinen Einfluss.
Insbesondere konnte der Auszug der Mutter der Hilfeempfängerin aus dem Frauenhaus und der Bezug einer eigenen Wohnung im Zuständigkeitsbereich
der Beigeladenen ab diesem Zeitpunkt (3. Juli 1997) nicht nach § 89a Abs. 3 SGB VIII eine Kostentragungspflicht der Beigeladenen begründen. Denn zu diesem Zeitpunkt war die Hilfeempfängerin bereits volljährig;
damit waren auch die Zuständigkeit nach § 86a Abs. 4 SGB VIII sowie die Kostenerstattungspflicht nach § 89a Abs. 1 Satz 2 SGB VIII - gewissermaßen "stichtagsbezogen" auf den Eintritt der Volljährigkeit - festgeschrieben. Diese Festschreibung für die Leistung
von Hilfe für junge Volljährige kann nach § 89a Abs. 3 SGB VIII durch eine Änderung des für die örtliche Zuständigkeit nach § 86 Abs. 1 bis 5 SGB VIII maßgeblichen gewöhnlichen Aufenthalts der bis zum Eintritt der Volljährigkeit personensorgeberechtigten Eltern(teile) eines
Hilfeempfängers nicht berührt werden, weil es mit Eintritt der Volljährigkeit auf deren gewöhnlichen Aufenthalt für die Bestimmung
der Hilfezuständigkeit und der Kostentragungspflicht nicht mehr ankommt.
Die nach § 89a Abs. 1 Satz 2 SGB VIII fortbestehende Kostenerstattungspflicht wird bei der Hilfe an junge Volljährige nach § 41 SGB VIII auch nicht berührt, wenn und soweit nach dem maßgeblichen Zeitpunkt des Eintritts der Volljährigkeit der Schutz der Einrichtungsorte
aus § 89e Abs. 1 SGB VIII entfallen sein sollte. In Anbetracht dessen kommt es auf die vom Berufungsgericht im Sinne des Beklagten und zu Lasten der
Beigeladenen beantwortete Frage, ob der Schutz der Einrichtungsorte nach § 89e SGB VIII über die Dauer des Einrichtungsaufenthaltes des Betreffenden hinaus "nachwirkt", im vorliegenden Fall nicht an.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
154 Abs.
1, §
162 Abs.
3 VwGO. Gerichtskostenfreiheit besteht nach §
188 Satz 2 Halbsatz 2
VwGO (in der Fassung des Gesetzes vom 20. Dezember 2001, BGBl I S. 3987) nicht. Diese Fassung des Gesetzes ist nach §
194 Abs.
5 VwGO anzuwenden, weil das Revisionsverfahren erst nach dem 1. Januar 2002 bei dem Gericht anhängig geworden ist.
B e s c h l u s s
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren auf 9 069,43 EURO (entspricht 17 738,27 DM) festgesetzt.