Berücksichtigung des Überbrückungsgeldes nach § 51 StVollzG
Tatbestand:
Die Beklagte, in deren Bereich sich der Kläger nach seiner Entlassung aufhielt, übernahm die Kosten der Unterkunft und gewährte
ihm den Regelsatz der Hilfe zum Lebensunterhalt vom 23. Februar 1983 an, lehnte es aber mit Bescheid vom 24. März 1983 ab,
ihm die regelsatzmäßige Hilfe zum Lebensunterhalt auch für die Zeit vom 18. bis zum 22. Februar 1983 zu gewähren. Sie verwies
ihn für diese Zeit auf das Überbrückungsgeld, das er für seinen Lebensunterhalt einsetzen könne und müsse.
Auf die nach erfolglosem Widerspruch erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 26. Oktober 1984 den Bescheid
der Beklagten vom 24. März 1983 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 21. Oktober 1983 aufgehoben und die Beklagte
verpflichtet, dem Kläger für die Zeit vom 18. Februar 1983 bis zum 22. Februar 1983 Hilfe zum Lebensunterhalt zu gewähren.
Das Überbrückungsgeld sei nicht vom Kläger einzusetzendes Einkommen, sondern während der Haft zwangsweise angespartes und
bei der Entlassung ausgezahltes Vermögen. Wegen seiner geringen Höhe sei es nach § 88 Abs. 2 Nr. 8 des in der Fassung der
Bekanntmachung vom 24. Mai 1983 (BGBl. I S. 613) anzuwendenden Bundessozialhilfegesetzes - BSHG - als Schonvermögen geschützt.
Die Berufung der Beklagten hat der Verwaltungsgerichtshof mit Urteil vom 26. August 1986 (abgedruckt in HessVGRspr. 1987,
15) zurückgewiesen, im wesentlichen aus den folgenden Gründen: Beim Überbrückungsgeld handele es sich nicht um Einkommen, nicht
um eine Leistung in Geld oder Geldeswert, die im Bedarfszeitraum auf den Kläger übergegangen sei. Nach §
51 Abs.
1 StVollzG werde das Überbrückungsgeld aus Teilen der Bezüge, insbesondere des Arbeitsentgelts (§
43 StVollzG), des Gefangenen gebildet. Diese würden seiner Verfügung entzogen und einem für ihn geführten Konto gutgeschrieben. Die so
zwangsweise angesparten Beträge gehörten zum Vermögen des Gefangenen. Dem stehe nicht entgegen, daß nach §
51 Abs.
1 StVollzG das Überbrückungsgeld dazu dienen solle, den notwendigen Lebensunterhalt des Gefangenen und seiner Unterhaltsberechtigten
für die ersten vier Wochen nach der Entlassung aus der Haft zu sichern. Diese Zweckbestimmung habe hier lediglich die Funktion,
die Höhe des Betrages zu bestimmen, bis zu dem die Bezüge des Gefangenen zwangsweise anzusparen seien.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Beklagten. Sie beantragt, die Urteile des Verwaltungsgerichtshofs und des
Verwaltungsgerichts aufzuheben und die Klage abzuweisen. Zur Begründung weist sie auf § 77 BSHG hin und vertritt die Ansicht, daß das Überbrückungsgeld gerade seiner Zweckbestimmung wegen für den notwendigen Lebensunterhalt
nach der Entlassung eingesetzt werden müsse und Sozialhilfe insofern folgerichtig nicht beansprucht werden könne.
Der Kläger tritt der Revision unter Hinweis auf die Entscheidungen der Vorinstanzen mit der Begründung entgegen, daß das Überbrückungsgeld
Vermögen und damit in den Grenzen des Schonvermögens nach § 88 Abs. 2 Nr. 8 BSHG geschützt sei.
Der Oberbundesanwalt beim Bundesverwaltungsgericht stimmt der im angefochtenen Urteil vertretenen Auffassung zu.
Entscheidungsgründe:
Die Revision ist begründet. Das Berufungsurteil beruht auf der Verletzung von Bundesrecht. Es geht zu Unrecht davon aus, daß
die Hilfe zum Lebensunterhalt nicht vom Einsatz des ausgezahlten Überbrückungsgeldes abhängig gemacht werden darf.
Der Verwaltungsgerichtshof hätte das Urteil des Verwaltungsgerichts aufheben und die Klage abweisen müssen. Dafür brauchte
nicht entschieden zu werden, ob und für welche Zeit das dem Kläger am Entlassungstag ausgezahlte Überbrückungsgeld in Höhe
von 631,89 DM (nur dieses aus den Bezügen des Klägers angesparte Überbrückungsgeld ist hier im Streit, nicht dagegen ein bis
zum Erreichen des insgesamt erforderlichen Überbrückungsgeldes nach §
51 Abs.
4 Satz 2
StVollzG unpfändbares und nach §
83 Abs.
2 Satz 3
StVollzG verfügungsbeschränktes Eigengeld) Einkommen oder Vermögen ist. Denn unabhängig von der Einordnung des Überbrückungsgeldes
als Einkommen oder Vermögen bleibt dem Kläger kein Schonbetrag geschützt. Für Einkommen sieht das Bundessozialhilfegesetz (§§ 76 ff.) eine Schongrenze bei der Hilfe zum Lebensunterhalt nicht vor. Und bei Einordnung als Vermögen steht dem Schutz eines
kleineren Barbetrages nach § 88 Abs. 2 Nr. 8 BSHG in Verbindung mit § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a der Verordnung zur Durchführung des § 88 Abs. 2 Nr. 8 des Bundessozialhilfegesetzes in der Fassung vom 6. Dezember
1979 (BGBl. I S. 2004) im Streitfall der besondere Zweck des Überbrückungsgeldes entgegen.
§ 88 Abs. 2 Nr. 8 BSHG regelt ohne Einschränkung, daß ein kleinerer Barbetrag geschützt ist. Andererseits bestimmt §
51 StVollzG, daß aus den Bezügen des Gefangenen ein Überbrückungsgeld zu bilden ist, das den notwendigen Lebensunterhalt des Gefangenen
und seiner Unterhaltsberechtigten für die ersten vier Wochen nach seiner Entlassung sichern soll. Die Anwendung beider Normen
führt scheinbar zur Kollision. Denn nach § 88 Abs. 2 Nr. 8 BSHG bliebe das als Überbrückungsgeld angesparte Arbeitsentgelt des Klägers unterhalb der Barbetragsgrenze - in der streitgegenständlichen
Zeit 2 000 DM - geschont, während es nach §
51 StVollzG gerade angespart werden soll, damit dem Gefangenen für die Übergangszeit nach der Entlassung die notwendigen wirtschaftlichen
Mittel zur Verfügung stehen (vgl. BT-Drucks. 7/918 S. 70 f. zu § 47 - Überbrückungsgeld -). Das Berufungsgericht vermeidet
einen Konflikt, indem es dem Zweck des Überbrückungsgeldes zu Unrecht lediglich die Funktion zuweist, die Höhe des Betrages
zu bestimmen, bis zu dem die Bezüge des Gefangenen zwangsweise anzusparen sind. Mit dieser Beschränkung verkennt es die Bedeutung
des §
51 StVollzG.
Das Überbrückungsgeld dient nach seiner gesetzlichen Zweckbestimmung der Sicherung des notwendigen Lebensunterhalts nach der
Entlassung des Gefangenen. Dieser soll seinen Lebensunterhalt nach der Entlassung mit eigenen Mitteln bestreiten können und
nicht auf Sozialhilfe angewiesen sein, die dem Mittellosen sonst den notwendigen Lebensunterhalt sichert. Die Verpflichtung,
ein Überbrückungsgeld zu bilden, dient also der Freistellung von Sozialhilfe. Dieser Funktion entsprechend muß es geeignet
sein, in vorhandener Höhe einen ohne Überbrückungsgeld bestehenden Sozialhilfeanspruch zu beseitigen. An dieser Funktion gemessen
können weder das ganze Überbrückungsgeld noch Teile davon Schonvermögen sein. Denn soweit es Schonvermögen wäre, minderte
es die Sozialhilfebedürftigkeit nicht. Ordnete man das Überbrückungsgeld oder Teile davon als Schonvermögen ein, könnte damit
der in §
51 StVollzG für das Überbrückungsgeld festgesetzte Zweck, die Sicherung des notwendigen Lebensunterhalts, nicht erreicht werden.
Die dargelegte, insbesondere am Normzweck orientierte Auslegung weist das Überbrückungsgeld als einen Geldbetrag aus, der
gerade für den notwendigen Lebensunterhalt nach der Entlassung bestimmt und dafür ohne Schongrenze zu verwenden ist. Wenn
Überbrückungsgeld Vermögen ist, geht §
51 StVollzG als speziellere Norm mit seiner Zweckbestimmung zum Einsatz ohne Schongrenze der allgemeinen Schutzvorschrift des § 88 Abs. 2 Nr. 8 BSHG vor.