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BVerwG, Urteil vom 12.04.1984 - 5 C 95.80
a. Gewährung von Weihnachtsbeihilfen als einmalige Leistung zum notwendigen Lebensunterhalt.
Fundstellen: BVerwGE 69, 146 , DRsp V(545)85a, NVwZ 1984, 728
Normenkette:
BSHG § 12 Abs.1, § 21 Abs.1, § 22 Abs.1
»... Der in § 12 Abs. 1 BSHG näher umschriebene notwendige Lebensunterhalt, der durch Sozialhilfeleistungen sicherzustellen ist (§§ 11, 21 BSHG), umfaßt »besonders Ernährung, Unterkunft, Kleidung, Körperpflege, Hausrat, Heizung und persönliche Bedürfnisse des täglichen Lebens« (Satz 1). Nach Satz 2 des § 12 Abs. 1 BSHG gehören zu den Bedürfnissen des täglichen Lebens »in vertretbarem Umfange auch Beziehungen zur Umwelt und eine Teilnahme am kulturellen Leben«. Die laufenden Leistungen zum Lebensunterhalt außerhalb von Anstalten, Heimen und gleichartigen Einrichtungen werden dabei gemäß § 22 Abs. 1 Satz 1 BSHG nach Regelsätzen gewährt. Sie umfassen jedoch nicht den durch das Weihnachtsfest entstehenden besonderen Bedarf. Das Weihnachtsfest veranlaßt in allen Kreisen der Bevölkerung aufgrund eines allgemeinen Bedürfnisses nach festlicher Gestaltung erhöhte Aufwendungen für den Lebensunterhalt. Das VG hat bereits zutreffend auf die herausragende Bedeutung hingewiesen, die das Weihnachtsfest unabhängig von der Konfession und dem Grad der religiösen Bindung vor allem in Deutschland hat. In dieser Hinsicht ist es .. mit anderen regelmäßig wiederkehrenden Fest- und Feiertagen im Jahresablauf nicht vergleichbar. Nach allgemeiner Übung ist die Feier des Weihnachtsfestes mit einem höheren Aufwand für die Ernährung und den Schmuck der Wohnung verbunden. Üblich sind auch Mehraufwendungen für die Pflege mitmenschlicher Beziehungen durch Geschenke an Nahestehende. Demgegenüber erfassen die laufenden Leistungen zum Lebensunterhalt, soweit sie nach Regelsätzen gewährt werden, lediglich den laufenden, in allen Monaten annähernd gleichmäßigen Lebensbedarf. Weder die gesetzliche Begriffsbestimmung in § 12 Abs. 1 BSHG noch die nähere Umschreibung der laufenden Leistungen in § 1 Abs. 1 der Regelsatzverordnung vom 20. Juli 1962 (BGBl I S. 515) i. d. F. der Änderungsverordnung vom 10. Mai 1971 (BGBl I S. 451) ergibt, daß der Weihnachtsbedarf durch eine gleichmäßige Verteilung auf die übrige Zeit des Jahres und die dafür zu gewährenden Beträge gedeckt wäre. Dem Hilfeempfänger ist auch nicht zumutbar, seinen erhöhten Lebensbedarf anläßlich des Weihnachtsfestes durch Ersparnisse aus den Regelsätzen abzudecken. Dies widerspräche dem Zweck der Regelsätze, nur den allgemein und regelmäßig auftretenden Bedarf für den Lebensunterhalt sicherzustellen.
Daß der weihnachtliche Mehrbedarf nicht von den Regelsätzen erfaßt wird, hat .. nicht zur Folge, daß entsprechende Leistungen nur zulässig seien, wenn der Verordnungsgeber den entsprechenden Mehrbedarf in das Regelsatzsystem einbeziehe. Nach § 21 Abs. 1 BSHG kann die Hilfe zum Lebensunterhalt durch laufende und einmalige Leistungen gewährt werden. Nur für die laufenden Leistungen sieht § 22 Abs. 1 Satz 1 BSHG Regelsätze vor. Die Weihnachtsbeihilfe ist eine einmalige Leistung i. S. von § 21 Abs. 1 BSHG. Dieser Begriff ist nicht so eng zu verstehen, daß darunter nur Hilfen zu fassen seien, die einen im Einzelfall außerordentlichen, einmalig auftretenden Bedarf abdecken sollen. Der Begriff erfaßt auch solche Bedürfnisse, die während der Regelung des Sozialhilfefalles nicht fortlaufend, wohl aber in größeren Zeitabständen im Jahresablauf mehr oder weniger regelmäßig auftreten, wie es zum Beispiel für den Bedarf an größeren und daher auch teureren Kleidungsstücken zutrifft, der in den Regelsätzen nicht berücksichtigt wird (§ 1 Abs. 1 Regelsatzverordnung). Dafür sind zusätzlich einmalige Leistungen als Hilfe zum Lebensunterhalt zu gewähren (so für die Beihilfe zu den Kosten der Wohnraumheizung BVerwGE 35, 178 [179]). Das ist auch für den durch das Weihnachtsfest entstehenden besonderen Bedarf anzunehmen.
Die Deckung dieses Bedarfs erfüllt insbesondere das Merkmal der Notwendigkeit im Sinne von § 12 BSHG. Der notwendige Lebensunterhalt umfaßt nicht nur das für die menschliche Existenz unerläßliche Minimum. Für die Begriffsbestimmung ist das allgemeine Ziel der Sozialhilfe zu berücksichtigen, wie es in § 1 Abs. 2 Satz 1 BSHG zum Ausdruck kommt. Danach ist es Aufgabe der Sozialhilfe, dem Empfänger der Hilfe die Führung eines Lebens zu ermöglichen, das der Würde des Menschen entspricht. Es sind damit auch die herrschenden Lebensgewohnheiten und Erfahrungen zu berücksichtigen (BVerwGE 35, 178 [180 f.]). Ihnen entspricht es, daß erhöhte Aufwendungen für den allgemeinen Lebensunterhalt während der Weihnachtsfeiertage und auch besondere Aufwendungen für kleinere Geschenke oder ähnliche Aufmerksamkeiten zur Pflege mitmenschlicher Beziehungen zum allgemeinen Lebenszuschnitt gehören. Erhielten die Empfänger von laufender Hilfe zum Lebensunterhalt keine zusätzlichen Leistungen zur Deckung dieses Bedarfs, so waren sie gezwungen, auf weihnachtliche Aufwendungen zu verzichten. Sie wären deshalb darauf verwiesen, .. Empfänger von Gaben anderer zu sein .. . Das widerspräche den Zielsetzungen von § 1 Abs. 2 Satz 1 BSHG. ...«