Kindergeldabzweigung bei vollstationärer Unterbringung eines behinderten Kindes auf Kosten des Sozialhilfeträgers
Tatbestand:
Der Kläger stellt seit mehreren Jahren als Träger der Sozialhilfe den Unterhalt des im Jahre 1971 geborenen und wegen Behinderung
vollstationär untergebrachten Kindes A.... durch Gewährung von Eingliederungshilfe gemäß §§ 53 ff. Sozialgesetzbuch - SGB - XII (vormals §§ 39 ff. Bundessozialhilfegesetz - BSHG -) sicher. Dessen Vater, der Beigeladene, wurde seit dem 1. Januar 2002 zu einem Kostenbeitrag in Höhe von 26,00 EUR herangezogen,
der sich seit dem 1. Januar 2005 auf 46,00 EUR erhöht hat. Der Kostenbeitrag wurde regelmäßig gezahlt. Das Kind hält sich
im Rahmen von sogenannten Urlauben jeweils im Winter, im Frühjahr und zur Sommerzeit an durchschnittlich 42 bis 48 Tagen jährlich
im elterlichen Haushalt oder auswärts mit der Familie in Ferienquartieren auf. Zuhause hält der Beigeladene hierfür ein eigenes
Zimmer vor. Außerdem besuchen die Eltern ihr Kind in der Behinderteneinrichtung zweimal jährlich für die Dauer von jeweils
vier Tagen (einschließlich des An- und Abreisetages) aus Anlass von Elterntagungen. Zu Weihnachten und zum Geburtstag erhält
das Kind Geschenkpakete und unabhängig hiervon nach Bedarf Zuwendungen in Form von zumeist Bekleidung und Schuhwerk.
Für das Kind wurde dem Beigeladenen laufend Kindergeld bewilligt, das jedoch bis Juni 2000 zunächst abgezweigt wurde. Den
vom Kläger gestellten Antrag vom 14. August 2000 auf Abzweigung des Kindergeldes ab Juli 2000 lehnte die Beklagte zunächst
mit Bescheid vom 19. September 2000, bestätigt durch Einspruchsentscheidung vom 28. Oktober 2003 mit der Begründung ab, eine
zur Abzweigung führende Unterhaltspflichtverletzung liege nicht vor, zumal die Eltern ihrer Unterhaltsverpflichtung auch in
Form von Sach- und Betreuungsleistungen nachkämen. Im hiergegen gerichteten Klageverfahren 10 K 10510/03 hat das Finanzgericht Berlin die Beklagte durch rechtskräftiges Urteil vom 30. August 2005 unter Aufhebung der vorgenannten
Bescheide wegen des Vorliegens einer Ermessensunterschreitung verpflichtet, über den Antrag auf Abzweigung des Kindergeldes
unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden. Eine Ermessensreduzierung sah es noch nicht als ausreichend
bewiesen an.
Daraufhin lehnte die Beklagte den Antrag auf Abzweigung des Kindergeldes erneut - mit Bescheid vom 25. November 2005, korrigiert
durch Bescheid vom 6. Dezember 2005, und diesmal mit der Begründung ab, die Interessenabwägung hinsichtlich der Belastung
der Eltern für ihr behindertes Kind und demgegenüber mit dem Entlastungsbedürfnis für die Sozialkasse falle vollständig zugunsten
des Beigeladenen aus. Die durch die Behinderung des Kindes zusätzlichen Belastungen der Eltern, die sich zusammensetzten aus
dem regelmäßig geleisteten Unterhaltsbeitrag, dem monetär zu bewertenden Betreuungsaufwand an mindestens 42 Urlaubstagen jährlich,
den Fahrt- und Aufenthaltskosten der Eltern anlässlich von Besuchen in der Behinderteneinrichtung sowie weiteren Kosten für
die Urlaubsgestaltung und Sachzuwendungen an das Kind würden den Jahresbetrag des Kindergeldes bei weitem übersteigen. Der
behinderungsbedingte Mehrbedarf werde nicht dadurch verringert, dass das Kind die Leistungen des Sozialleistungsträgers teilweise
wegen der zeitweiligen Hilfeleistungen seiner Eltern nicht in Anspruch nähme. Vielmehr würden die Eltern eine zusätzliche
Unterhaltsleistung zum nicht gedeckten Lebensbedarf des behinderten Kindes erbringen.
Den hiergegen gerichteten Einspruch wies die Beklagte durch Einspruchsentscheidung vom 12. Januar 2006 aus den Gründen ihres
Erstbescheides zurück. Zur Begründung der hiergegen erhobenen Klage macht der Kläger geltend, die Beklagte habe erneut ihr
Ermessen unterschritten, weil sie verkenne, dass nur Unterhaltszahlungen, nicht jedoch Sach- und Betreuungsleistungen zur
Beurteilung der Voraussetzungen einer Abzweigung heranzuziehen seien. Dies ergebe sich aus dem Kontext einschlägiger Entscheidungen
des Bundesfinanzhofs - BFH - und des Bundesgerichtshofs - BGH - in Zivilsachen. Die Gewährung von Unterhalt durch Betreuung
im Rahmen der Personensorge bzw. ein Naturalunterhalt komme grundsätzlich nur bei minderjährigen Kindern in Betracht. Bei
einem volljährigen, auswärts lebenden Kind sei der Unterhalt gemäß §
1612 Abs.
1 Bürgerliches Gesetzbuch -
BGB - regelmäßig durch eine Geldrente zu leisten. Einem volljährigen Kind gewährte Unterkunft und Verpflegung sowie Betreuung
habe ebenso wie Geschenke, Telefonate, gemeinsam verbrachter Urlaub und Besuche in der Einrichtung freiwilligen Charakter.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 6. Dezember 2005 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 12. Januar 2006
zu verpflichten, das Kindergeld für das Kind A.... für den Zeitraum vom Juli 2000 bis Dezember 2001 in Höhe von monatlich
138,05 EUR, für den Zeitraum Januar 2002 bis Dezember 2004 in Höhe von monatlich 128,00 EUR und für die Zeit ab Januar 2005
in Höhe von monatlich 108,00 EUR an den Kläger abzuzweigen.
Die Beklagte und der Beigeladene beantragen, die Klage abzuweisen.
Nach ihrer beider Auffassung sind allein die Betreuungsleistungen bei Urlauben und Besuchen in den Jahren 2000 bis 2005 mit
ca. 3.400,00 EUR bis 4.000,00 EUR jährlich zu bewerten, womit der Jahresbetrag des Kindergeldes deutlich überschritten werde.
Aufgrund seiner Behinderung habe der Sohn des Beigeladenen ungeachtet der Volljährigkeit zeitlebens einen Anspruch auf Betreuungsunterhalt.
Zweck des Kindergeldes sei es, Eltern wegen der Unterhaltsaufwendungen für ihre Kinder zu entlasten, wovon jeder kindbedingte
Aufwand erfasst werde. Der dargelegte Gesamtumfang an Aufwendungen für Betreuung, Fahrtkosten, zusätzliche Bekleidung, Kosten
einer Urlaubsreise und Besuche in der Einrichtung rechtfertige es in Ausübung des Ermessens, von einer Abzweigung des Kindergeldes
abzusehen.
Dem Gericht hat ein Band Kindergeldakten vorgelegen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist unbegründet. Die Bescheide, mit denen die Beklagte die Abzweigung des Kindergeldes zugunsten des Klägers
abgelehnt hat, sind rechtmäßig und ermessensfehlerfrei (§ 102 FGO). Sie verletzen den Kläger deshalb nicht in seinen Rechten (§ 101 Satz 1 FGO).
Nach §
74 Abs.
1 Sätze 1 und 4 des Einkommensteuergesetzes -
EStG - in der für den streitigen Zeitraum geltenden Fassung kann das für ein Kind nach §
66 Abs.
1 EStG festgesetzte Kindergeld u. a. an die Stelle ausgezahlt werden, die dem Kind Unterhalt gewährt, wenn der Kindergeldberechtigte
seiner gesetzlichen Unterhaltspflicht nicht nachkommt. Vorliegend ist der Beigeladene seinem Sohn zur Gewährung von Unterhalt
verpflichtet, da dieser sich nicht selbst unterhalten kann. Der Unterhaltsanspruch umfasst nach §
1610 Abs.
2 BGB den gesamten Lebensbedarf, zu dem auch der gesamte behinderungs- und pflegebedingte Mehrbedarf gehört (vgl. Palandt, Diederichsen,
65. Aufl., 2006, Rz. 6 zu § 1610). Die dem Kind gewährte Eingliederungshilfe mindert nicht dessen Bedürftigkeit, da sie subsidiär
ist und den Unterhaltspflichtigen nicht von seiner Verpflichtung befreien soll. Die Verpflichtung zur Unterhaltsgewährung
wird auch nicht dadurch berührt, dass der Gesetzgeber gemäß § 91 Abs. 2 Satz 3 BSHG (nunmehr § 94 Abs. 2 Satz 1 SGB XII) bei Kindern nach Vollendung des 18. Lebensjahres, die Eingliederungshilfe oder Hilfe zur Pflege in vollstationären
Einrichtungen erhalten, den gesetzlichen Übergang des vollen Unterhaltsanspruchs auf den Sozialhilfeträger ausschließt und
ohne eine Einkommens- und Vermögensüberprüfung bei den Eltern lediglich den Übergang des bürgerlich-rechtlichen Unterhaltsanspruchs
in Höhe von monatlich 26,00 EUR (nunmehr zuzüglich weiterer 20,00 EUR) auf den Träger der Sozialhilfe fingiert (vgl. Urteil
des BFH vom 23. Februar 2006 III R 65/04).
Hiervon ausgehend ist der Beigeladene seiner gesetzlichen Unterhaltspflicht im Sinne des §
74 Abs.
1 Satz 1
EStG nicht nachgekommen. Die Norm setzt nicht voraus, dass der Kindergeldberechtigte seine Unterhaltspflicht schuldhaft nicht
erfüllt oder sogar gemäß § 170 b des Strafgesetzbuchs -
StGB - eine strafbare Unterhaltspflichtverletzung verwirklicht. Auf die Gründe für die Nichterfüllung der Unterhaltspflicht kommt
es nicht an. Folglich ist es unerheblich, dass im vorliegenden Fall die Nichterfüllung der Unterhaltspflicht in vollem Umfang
allein schon darauf beruht, dass der Übergang des Unterhaltsanspruchs kraft der gesetzlichen Regelung des § 91 Abs. 2 Satz 3 BSHG (§ 94 Abs. 2 Satz 1 SGB XII) auf die Heranziehung zu dem geringen Kostenbeitrag in Höhe von 26,00 EUR bzw. 46,00 EUR beschränkt ist (vgl.
BFH a. a. O.). Maßgeblich ist allein, dass der Beigeladene nicht die zu dem Lebensbedarf seines Kindes gehörenden laufenden
Kosten für die Unterbringung in vollstationärer Pflege übernommen hat. Erbringt der Kindergeldberechtigte ausschließlich den
sozialgesetzlich geschuldeten Kostenbeitrag, also Unterhalt in einer geringeren Höhe als das für die Auszahlung in Betracht
kommende Kindergeld, liegt neben der Tatbestandsvoraussetzung des §
74 Abs.
1 Satz 1
EStG zugleich auch die Voraussetzung für die Abzweigung gemäß §
74 Abs.
1 Satz 3 Zweite Alternative i.V.m. Satz 4
EStG vor.
Die Entscheidung der Beklagten, von einer Abzweigung des Kindergeldes vollständig abzusehen, ist nicht ermessensfehlerhaft.
Im Fall einer Ermessensentscheidung prüft das Gericht, ob der Verwaltungsakt oder dessen Unterlassung rechtswidrig ist, weil
die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht
entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist (§ 102 Satz 1 FGO). Eigenes Ermessen hat das Gericht nicht auszuüben. Bei der Ausübung des ihr nach §
74 Abs.
1 EStG eingeräumten Ermessens hat die Familienkasse den Zweck des Kindergeldes zu berücksichtigen (§
5 Abgabenordnung -
AO - 1977). Das Kindergeld dient der steuerlichen Freistellung eines Einkommensbetrags in Höhe des Existenzminimums eines Kindes
und, soweit es dafür nicht erforderlich ist, der Förderung der Familie (§
31 Sätze 1 und 2
EStG). Da das Kindergeld die Eltern wegen ihrer Unterhaltsleistungen steuerlich entlasten soll, sind bei der Prüfung, ob und in
welcher Höhe das Kindergeld abzuzweigen ist, auch geringe Unterhaltsleistungen des Kindergeldberechtigten mit einzubeziehen
(vgl. BFH, Urteil vom 23. Februar 2006 a.a.O.; Urteil vom 17. November 2004 VIII R 30/04, Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen des BFH - BFH/NV - 2005, 692). Hieraus ergeben sich zunächst folgende Ermessensbeschränkungen: Entstehen dem Kindergeldberechtigten mangels Kontaktpflege
zu seinem Kind keine Kosten und leistet er auch nicht den gesetzlich geschuldeten Kostenbeitrag, ist allein die Abzweigung
des Kindergeldes in voller Höhe ermessensgerecht. Beschränkt sich die Unterhaltsleistung des zu seinem Kind kontaktlosen Kindergeldberechtigten
auf die regelmäßige Zahlung des Kostenbeitrages von 26,00 EUR bzw. 46,00 EUR, ist die allein ermessensgerechte Entscheidung
auf die Abzweigung des Kindergeldes in Höhe des verbleibenden Differenzbetrages zur Höhe des gesetzlichen Kindergeldes reduziert
(vgl. Urteil des BFH vom 17. Februar 2004 VIII R 58/03, Entscheidungen des BFH - BFHE - 206, 1, Bundessteuerblatt - BStBl - II 2006, 130). Leistet der Kindergeldberechtigte seiner
Unterhaltspflicht entsprechend Barunterhalt in Höhe des Kindergeldes oder darüber hinaus, ist jegliche Abzweigung unzulässig
(vgl. §
74 Abs.
1 Satz 3 Zweite Alternative
EStG; BFH, Urteil vom 23. Februar 2006 a.a.O.).
Für die Ermessensausübung ist entgegen der Auffassung des Klägers auch von Bedeutung, in welchem Umfang der Kindergeldberechtigte
für sein behindertes Kind "Betreuungsunterhalt" leistet (vgl. BFH, Urteil vom 23. Februar 2006 a.a.O.). Dem steht nicht entgegen,
dass unterhaltspflichtige Eltern einem volljährigen Kind keinen Betreuungsunterhalt mehr schulden und sich gleichwohl erbrachte
Betreuungsleistungen als freiwillige Leistungen darstellen, die unterhaltsrechtlich unberücksichtigt bleiben (vgl. Urteil
des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 26. Oktober 2005, BGHZ 164, 375 ff.). Denn dies gilt regelmäßig nur für volljährige gesunde Kinder, die anders als behinderte nicht der Betreuung bedürfen
und für die auch im Umfang des Unterhalts kein behinderungsbedingter Mehrbedarf besteht (vgl. insoweit BGH, Urteil vom 25.
April 2006 VI ZR 114/05, Versicherungsrecht 2006, 1081 zum gesetzlich geschuldeten Unterhalt aus §
844 Abs.
2 BGB, allerdings im Fall eines mit dem Kind lebenslang vereinbarten Betreuungsunterhalts). Aber selbst wenn auch ein volljähriger
Behinderter nur Anspruch auf einen seinen Betreuungsbedarf abdeckenden Barunterhalt hätte, muss folgendes gelten: Trägt der
Kindergeldberechtigte durch seine Betreuung außerhalb der Einrichtung tatsächlich dazu bei, einen behinderungsbedingten Mehrbedarf
zu befriedigen oder entstehen dem Kindergeldberechtigten im Rahmen der natürlichen Kontaktpflege zwischen Eltern und Kind
Aufwendungen für Besuche, Freizeitaktivitäten und spezielle Urlaubskosten, so entspricht es jedenfalls dem vorgenannten alternativen
Zweck des Kindergeldes, die Familie des - hier behinderten - Kindes zu fördern, Leistungen solcher Art, die keinen Luxus darstellen,
in die Ausübung des Abzweigungsermessens einzubeziehen. Hierzu steht auch nicht im Widerspruch, dass nach einem PKH-Beschluss
des BFH vom 22. 12. 2005 III S 26/05, BFH/NV 2006,736, ein behindertes Kind im Fall des von der Mutter aufgrund ihres persönlichen Betreuungsangebots nicht geleisteten
Barunterhalts die Auszahlung des Kindergeldes an sich nach pflichtgemäßem Ermessen der Familienkasse verlangen kann. Denn
wird, so die Entscheidung des BFH, der benötigte Barunterhalt tatsächlich nicht erbracht und werden (die mangels Akzeptanz
beim Kind auch gar nicht realisierbaren) Naturalleistungen lediglich angeboten, wird allein hierdurch das durch §
74 Abs.
1 Satz 1
EStG eröffnete Rechtsfolgeermessen nicht beschränkt.
Ermessensfehlerfrei hat die Beklagte ihrer Entscheidung zu Grunde gelegt, dass das Kind des Beigeladenen in der Zeit von 2000
bis 2005 an jährlich mindestens 42 und höchstens 48 Beurlaubungstagen im Elternhaus bzw. bei gemeinsam auswärts verbrachten
Urlauben betreut worden ist und eine weitere Betreuung aus Anlass von jeweils zwei Besuchen der Eltern in der Einrichtung
pro Jahr stattfand. Diese Betreuungszeiten sind der Beklagten durch den Träger der Einrichtung bestätigt worden. Sie stehen
zugleich im Zusammenhang mit von den Eltern getätigten Aufwendungen für Unterkunft in Ferienwohnungen und Ferienhäusern, für
Beköstigung, Freizeitaktivitäten, die Bereithaltung eines Zimmers in der elterlichen Wohnung sowie die Beschaffung zusätzlicher
Kleidung, die der Beigeladene erläutert hat und die sinnvollerweise nicht bestritten werden können. Es kann dahinstehen, inwieweit
solcher Betreuungsaufwand der Berechnung des Klägers folgend entsprechend der Vorgabe in Nr. 63.3.6.3.2 Abs. 3 der Dienstanweisung
zur Durchführung des Familienleistungsausgleichs - DA-FamEStG - mit einem Stundensatz von 8,00 EUR (vor 2002 mit 15,00 DM)
bewertet werden könnte und in welchem Umfang insgesamt für jeden Urlaubstag ein solcher Ansatz gerechtfertigt wäre. Denn auf
eine diesbezüglich exakte Berechnung kommt es für die Ermessensausübung nicht zwingend an. Vielmehr läge es ebenso im Rahmen
sachgerechter Abwägung, Betreuungsleistungen ohne detaillierte Unterhaltsaufwendungen pauschal zu berücksichtigen und einen
zeitlich geringen bis mittleren Aufwand mit der von der Abzweigung zu verschonenden Hälfte des Kindergeldes zu bewerten (vgl.
BFH, Urteil vom 23. Februar 2006, a.a.O. im Fall einer an etwa 10 Tagen erfolgten Betreuung). Da der Beigeladene zusätzlich
zum regelmäßigen Kostenbeitrag von 26,00 EUR bzw. 46,00 EUR einen erheblich höheren Betreuungsunterhalt an jährlich mindestens
42 Tagen sowie weiteren Besuchstagen leistet und die auswärtige Betreuung mit besonderen Kosten für Unterkunft, Verpflegung
und Freizeitaktivitäten verbunden ist, er überdies regelmäßig Sachaufwendungen für ergänzende Kleidung etc. trägt, kann die
hier getroffene Abwägung der für und gegen die Abzweigung des Kindergeldes streitenden Belange, die zum Ergebnis der vollständigen
Ablehnung der Abzweigung geführt hat, nicht als ermessensfehlerhaft beanstandet werden. Wäre der Auffassung des Klägers zu
folgen, dass die - widersprüchlichen - Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden noch immer letztlich in dem Sinne zu verstehen
sind, dass die Beklagte schon tatbestandlich das Vorliegen einer Unterhaltspflichtverletzung verneint, läge gleichwohl kein
entscheidungserheblicher Ermessensausfall vor, weil das Gericht aus dem oben dargelegten Gesamtumfang der Leistungen des Beigeladenen
den Schluss auf eine vollständige Ermessensreduzierung dahingehend zu ziehen hätte, dass allein die vollständige Belassung
des Kindergeldes zugunsten des Beigeladenen ermessensgerecht wäre.
Die Ermessensentscheidung ist auch nicht vor dem Gleichbehandlungsgebot zu beanstanden. Allerdings ist festzustellen, dass
die für sämtliche Familienkassen verbindliche Dienstanweisung DA-FamEStG 2004 unter Nr. 74.1.1. Abs. 3 bei Leistung des gesetzlichen
Unterhaltsbeitrags von 26,00 EUR noch immer eine Abzweigung verbietet, sich hieraus unzulässige Ermessensunterschreitungen
ergeben können, und es für die Wahrung gleichmäßiger Ermessenspraxis aller Familienkassen weiterhin an Vorgaben zur Höhe des
Abzweigungsbetrages fehlt. Folglich könnte sich eine rechtswidrige Ungleichbehandlung im vorliegenden Fall nur aus einer willkürlichen
Abzweigungspraxis der Familienkasse der Beklagten innerhalb ihrer Zuständigkeit ergeben, für die es dem Gericht jedoch an
jeglichen Anhaltspunkten fehlt.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 135 Abs. 1, 139 Abs. 4 FGO, die der Vollstreckbarkeit des Urteils wegen der Kosten auf § 151 Abs. 3 FGO i.V.m. §§
708 Nr.
11,
709 ZPO. Es entspricht der Billigkeit, die Staatskasse an den Kosten des Beigeladenen zu beteiligen, weil er sich mit seinem Antrag
einem eigenen Prozesskostenrisiko ausgesetzt hat (§ 135 Abs. 3 FGO).
Die Revision ist nicht zugelassen worden, weil keiner der in § 115 Abs. 2 Nr. 1 und 2 FGO genannten Zulassungsgründe (auch nicht abgeleitet aus divergierenden Entscheidungen des BFH) vorliegt.