Anspruch auf Feststellung des Fortbestehens eines privaten Pflegepflichtversicherungsvertrages nach der wirksamen Kündigung
eines privaten Krankenversicherungsvertrages
Keine Beendigung durch außerordentliche Kündigung im Hinblick auf das Kündigungsverbot gemäß § 110 Abs. 4 SGB XI
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist der Fortbestand einer privaten Pflegepflichtversicherung streitig.
Der 1951 geborene Kläger unterhält seit 1. Juni 1991 bei der Beklagten, einem privaten Krankenversicherungsunternehmen, unter
der Versicherungsnummer 3001464-2 eine Krankheitskostenvollversicherung sowie eine Pflegepflichtversicherung, der die Allgemeinen
Versicherungsbedingungen (AVB) für die private Pflegepflichtversicherung der Beklagten zugrunde liegen.
Der Kläger bezog ab 1. Juli 2016 Pflegegeld nach Pflegestufe I und nach Überleitung der Pflegestufen in Pflegegrade ab 1.
Januar 2017 Pflegegeld nach Pflegegrad 2; darüber hinaus gewährte die Beklagte dem Kläger verschiedene Pflegehilfsmittel (vgl.
Schreiben vom 28. Juli 2016).
In der Vergangenheit kam es zwischen den Beteiligten im Rahmen der Kranken- und Krankentagegeldversicherung mehrfach zu Streitigkeiten
und gerichtlichen Auseinandersetzungen. Zuletzt erachtete die Beklagte die vom Kläger in Anspruch genommene Intensität von
Physiotherapieleistungen nicht für nachvollziehbar, weshalb sie wegen des Verdachts auf einen Leistungsmissbrauch eine Observation
durch Privatdetektive veranlasste.
Mit Schreiben vom 16. März 2017 wandte sich die Beklagte an den Kläger und führte unter Bezugnahme auf § 192 Abs. 1 Versicherungsvertragsgesetz (VVG) aus, der Versicherer sei im Rahmen eines Krankheitskostenvertrages verpflichtet, Aufwendungen für medizinisch notwendige
Heilbehandlung wegen Krankheit oder Unfallfolgen an den Versicherungsnehmer zu erstatten. Aufwendungen seien die Leistungen
zu denen der Versicherungsnehmer gegenüber dem jeweiligen Leistungserbringer verpflichtet sei. Dies setze eine begründete
Rechnungslegung und einen fälligen Anspruch voraus. Gemäß Rechnungen vom 22. November 2016 und 30. November 2016 habe die
Physiotherapeutin S. für zwei näher bezeichnete Zeiträume 15 bzw. vier Behandlungstermine abgerechnet, die der Kläger als
stattgefunden bestätigt habe, während sie - die Beklagte - in Erfahrung gebracht habe, dass an den näher aufgeführten Terminen
nachweislich keine Therapiemaßnahmen durchgeführt worden seien. Da der Kläger an diesen Tagen Therapiemaßnahmen behaupte und
auf dieser Grundlage Krankenversicherungsleistungen begehre, habe er sie - die Beklagte - über die tatsächlichen Umstände
getäuscht und versucht, sich Leistungen zu erschleichen. Er habe dadurch in erheblicher Weise unredlich und treuwidrig zu
ihrem Nachteil gehandelt. Da der private Krankenversicherungsvertrag in besonderem Maße von dem Grundsatz von Treu und Glauben
geprägt sei, aufgrund der geschilderten Umstände und unter Berücksichtigung der Tatsache, dass der Kläger bereits im Zusammenhang
mit der Krankentagegeldversicherung treuwidrig Leistungen erschlichen habe, sei eine Fortführung des Vertrages nicht mehr
zumutbar. Sie erkläre daher hiermit die außerordentliche Kündigung des Vertrages gemäß §
314 Bürgerliches Gesetzbuch (
BGB). Der Vertrag ende daher mit Zugang dieses Schreibens. Ein Nachtrag zum Versicherungsschein erhalte er in den nächsten Tagen
gesondert. Der Kläger möge beachten, dass auch im Bereich der privaten Krankenversicherung eine Versicherungspflicht bestehe.
Er möge sich daher umgehend um einen nachfolgenden Versicherungsschutz bei einem anderen Krankenversicherer kümmern.
Mit Schreiben vom 20. März 2017 erhob der Kläger Einwendungen gegen die außerordentliche Kündigung des Krankenversicherungsvertrages
und forderte die Beklagte auf, das Vertragsverhältnis fortzusetzen. Ein wichtiger Grund für eine Kündigung bestehe nicht.
Mit Schreiben vom 23. März 2017 führte die Beklagte gegenüber dem Kläger die "monatlichen Beitragsraten für die Krankenversicherung
zum 18. März 2017" und die "monatlichen Beitragsraten für die Pflegeversicherung zum 18. März 2017" mit jeweils EUR 0,00 auf
und bezog sich insoweit auf ihr Schreiben vom 16. März 2017 und die erfolgte außerordentliche Kündigung. Mit weiterem Schreiben
vom 23. März 2017 bestätigte sie die Versicherungszeiten der Krankheitskostenvollversicherung und der Pflegepflichtversicherung
des Klägers jeweils für den Zeitraum vom 1. Juni 1991 bis 17. März 2017. Darüber hinaus bescheinigte sie - ebenfalls mit Schreiben
vom 23. März 2017 - die Höhe des Übertragungswertes für die substitutive Krankenversicherung und die Pflegepflichtversicherung
zum 18. März 2017.
Am 24. April 2017 erhob der Kläger beim Sozialgericht Stuttgart (SG) mit dem Begehren Klage, festzustellen, dass die private Pflegepflichtversicherung nicht durch die Kündigung vom 16. März
2017 beendet wurde. Er vertrat der Auffassung, dass der Pflegepflichtversicherungsvertrag nicht gekündigt werden könne. Insoweit
bestehe ein absoluter Kündigungsausschluss.
Die Beklagte trat der Klage entgegen und machte geltend, die Kündigung des privaten Krankenversicherungsvertrages schlage
auf die private Pflegepflichtversicherung durch. Durch die Beendigung des Krankenversicherungsvertrages und die Verpflichtung
des Klägers, sich nunmehr bei einem anderen Versicherer zu versichern, bestehe bei ihr kein Kontrahierungszwang mehr. §
110 Abs.
4 Elftes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB XI) postuliere keinen absoluten Kündigungsausschluss. Ein solcher sei nur bei bestehendem Kontrahierungszwang gegeben. Dieser
bestehe aufgrund der Kündigung des Krankenversicherungsvertrages gerade nicht mehr. Zuletzt machte sie vor dem Hintergrund
der vom Kläger beim Landgericht Stuttgart (16 O 438/17) wegen der Kündigung des Krankenversicherungsvertrages erhobenen Feststellungsklage geltend, der Ausgang jenes Verfahrens
sei vorgreiflich.
Mit Gerichtsbescheid vom 26. April 2018 stellte das SG - nach Erörterung des Sachverhalts am 15. Januar 2018 - fest, dass die private Pflegepflichtversicherung des Klägers bei
der Beklagten unverändert fortbestehe und nicht durch Kündigung vom 16. März 2017 beendet worden sei. Das SG ging davon aus, dass jedenfalls durch das Schreiben der Beklagten vom 23. März 2017 über die Mitteilung der Versicherungszeiten
des Klägers konkludent eine außerordentliche Kündigung des Pflegepflichtversicherungsvertrags erfolgt sei, dieser allerdings
§
110 Abs.
4 SGB XI entgegen stehe, da Rücktritts- und Kündigungsrechte der Versicherungsunternehmen ausgeschlossen seien, solange der Kontrahierungszwang
bestehe. Der Kontrahierungszwang gemäß §
110 Abs.
1 Nr.
1, Abs.
3 SGB XI habe auch zum Zeitpunkt der Kündigung bestanden. Er werde selbst dann nicht aufgehoben, wenn der Krankenversicherungsschutz
des Klägers rückwirkend entfallen würde.
Am 14. Juni 2018 hat die Beklagte gegen den ihr am 14. Mai 2018 zugestellten Gerichtsbescheid beim Landessozialgericht (LSG)
Baden-Württemberg Berufung eingelegt und geltend gemacht, das SG habe übersehen, dass die Regelung zum Kontrahierungszwang in §
110 Abs.
3 SGB XI nur für Personen gelte, die nach Inkrafttreten des
SGB XI Mitglied eines privaten Krankenversicherungsunternehmens geworden seien. Demgegenüber sei der Kläger bereits seit 1. Juni
1991 privat krankenversichert, so dass die entsprechenden Regelungen auf ihn nicht anwendbar seien, weshalb ein Kontrahierungszwang
nicht bestehe. Im Übrigen ende dieser jedenfalls dann, wenn die Krankheitskostenversicherung beendet sei. Das anhängige zivilrechtliche
Verfahren sei daher vorgreiflich.
Die Beklagte beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 26. April 2018 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält die angefochtene Entscheidung für richtig. Er ist der Auffassung, dass die rechtlichen Erwägungen der Beklagten neben
der Sache lägen. Ein Zusammenhang zwischen dem Kündigungsausschluss und dem Kontrahierungszwang sei abwegig. Die gesetzliche
Regelung über das Kündigungsverbot in der privaten Pflegepflichtversicherung sei eindeutig und gelte uneingeschränkt. Eine
Pflegepflichtversicherung könnte auch isoliert fortbestehen.
In dem Verfahren 16 O 438/17 stellte das Landgericht Stuttgart mit Urteil vom 15. Oktober 2018 fest, dass die private Krankenversicherung des Klägers
bei der Beklagten nicht durch Kündigung vom 16. März 2017 beendet wurde. Gegen dieses Urteil erhob die Beklagte Berufung zum
Oberlandesgericht Stuttgart (7 U 286/19), das die Beteiligten mit Beschluss vom 21. Oktober 2019 darüber in Kenntnis setzte, dass der Senat beabsichtige, die Berufung
gemäß §
522 Abs.
2 Zivilprozessordnung (
ZPO) zurückzuweisen.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Akten beider Rechtszüge
Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
1. Die gemäß §
143 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) statthafte und gemäß §
151 Abs.
1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten ist zulässig. Sie bedurfte insbesondere nicht der Zulassung nach
§
144 Abs.
1 SGG; denn die Klage betrifft weder eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung noch einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt.
2. Gegenstand des Rechtsstreits ist das Begehren des Klägers auf Feststellung, dass der zwischen den Beteiligten bestehende
private Pflegepflichtversicherungsvertrag durch die Kündigung der Beklagten vom 16. März 2017 nicht beendet wurde, das entsprechende
Versicherungsverhältnis mithin unverändert fortbesteht. Die vom Kläger insoweit erhobene Klage ist als Feststellungsklage
gemäß §
55 Abs.
1 Nr.
1 SGG zulässig. Der Kläger hat ein berechtigtes Interesse an einer Klärung der bestehenden Rechte und Pflichten aus dem Vertrag
über die Pflegepflichtversicherung.
3. Die Berufung der Beklagten ist nicht begründet. Das SG ist im Ergebnis zu Recht davon ausgegangen, dass der zwischen den Beteiligten geschlossene Pflegepflichtversicherungsvertrag
unverändert fortbesteht und durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 16. März 2017 nicht beendet wurde. Es lag
bereits keine auf die Beendigung des Pflegepflichtversicherungsvertrags gerichtete Erklärung der Beklagten vor (hierzu nachfolgend
a). Einer Beendigung des Pflegepflichtversicherungsvertrags durch außerordentliche Kündigung zum 17. März 2017 stünde im Übrigen
auch das Kündigungsverbot gemäß §
110 Abs.
4 SGB XI entgegen (hierzu nachfolgend b).
a. Mit Schreiben vom 16. März 2017 kündigte die Beklagte ausschließlich den mit dem Kläger geschlossenen Vertrag über die
Krankheitskostenversicherung. Gegenüber dem Kläger führte sie darin aus, er habe an den im Einzelnen aufgeführten Tagen keine
Therapiemaßnahmen bei der genannten Physiotherapeutin durchgeführt, gleichwohl insoweit Krankenversicherungsleistungen begehrt
und dadurch über die tatsächlichen Umstände getäuscht und versucht, sich Leistungen zu erschleichen. Dadurch habe er in erheblicher
Weise unredlich und treuwidrig zu ihrem Nachteil gehandelt. Da der private Krankenversicherungsvertrag in besonderem Maße
von dem Grundsatz von Treu und Glauben geprägt sei und der Kläger bereits im Zusammenhang mit der Krankentagegeldversicherung
treuwidrig Leistungen erschlichen habe, sei ihr eine Fortführung des Vertrages nicht mehr zumutbar, weshalb die außerordentliche
Kündigung des Vertrages erklärt werde. Mit diesen Ausführungen bezog sich die Beklagte ausschließlich auf den mit dem Kläger
geschlossenen Krankenversicherungsvertrag und die für sie hieraus resultierende Verpflichtung, Aufwendungen für medizinisch
notwendige Heilbehandlungen wegen Krankheit oder Unfallfolgen zu erstatten, nicht aber auf den mit dem Kläger darüber hinaus
bestehende Pflegepflichtversicherungsvertrag, aus dem der Kläger gleichermaßen Leistungen bezieht. Dieser Vertrag findet in
dem Kündigungsschreiben keinerlei Erwähnung. Ebenso wenig werden die sich hieraus ergebenden Verpflichtungen angesprochen.
Auch im Rahmen der abschließenden rechtlichen Hinweise hat die Beklagte ausschließlich auf die Krankenversicherung Bezug genommen
und darauf hingewiesen, dass auch im Bereich der privaten Krankenversicherung eine Versicherungspflicht bestehe, weshalb der
Kläger sich umgehend um einen nachfolgenden Versicherungsschutz bei einem anderen Krankenversicherer kümmern möge. Anhaltspunkte
dafür, dass sich die außerordentliche Kündigung des Krankenversicherungsvertrages auch auf den Pflegeversicherungsvertrag
erstrecken sollte, finden sich in dem Kündigungsschreiben nicht. Maßgeblich für die Auslegung einer Willenserklärung ist der
objektive Erklärungswert aus dem Empfängerhorizont (§133
BGB; vgl. BHG, Urteil vom 19. September 2018 - VIII ZR 261/17 - juris, Rn. 25; BSG, Urteil vom 25. Oktober 2017 - B 14 AS 9/17 R - juris, Rn. 22 m.w.N.). Demnach beschränkte sich die außerordentliche Kündigung der Beklagten auf den Krankenversicherungsvertrag.
Auch das SG ging davon aus, dass mit den Ausführungen im Schreiben vom 16. März 2017 keine Kündigung des privaten Pflegeversicherungsvertrages
erfolgte.
Soweit das SG eine Kündigung aus dem Schreiben vom 23. März 2017 über die Mitteilung der Versicherungszeiten des Klägers herleitete, ist
dem nicht zu folgen. Denn eine Erklärung, dass der Pflegepflichtversicherungsvertrag ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist
beendet werden sollte, ist diesem Schreiben nicht zu entnehmen. Dieses Schreiben, mit dem die Beklagten die bei ihr zurückgelegten
Versicherungszeiten des Klägers (1. Juni 1991 bis 17. März 2017) bestätigte, knüpft vielmehr ebenso wie die weiteren Schreiben
vom 23. März 2017 an das vorausgegangene Kündigungsschreiben vom 16. März 2017 an und setzt dabei die Beendigung des Kranken-
und Pflegepflichtversicherungsvertrags des Klägers durch außerordentliche Kündigung zum 17. März 2017 gerade voraus. Denn
als letzter Tag der Kranken- und Pflegeversicherung wird der 17. März 2017, also der Zeitpunkt des Zugangs des Kündigungsschreibens
vom 16. März 2017 bestätigt. Eine (nunmehr) auf die Beendigung des Pflegepflichtversicherungsvertrags gerichtete Kündigungserklärung
lässt sich daraus nicht herleiten.
b. Der Beendigung des Pflegepflichtversicherungsvertrags durch außerordentliche Kündigung der Beklagten stünde im Übrigen
auch das Kündigungsverbot gemäß §
110 Abs.
4 SGB XI entgegen.
Gemäß §
110 Abs.
4 SGB XI sind Rücktritts- und Kündigungsrechte der Versicherungsunternehmen ausgeschlossen, solange der Kontrahierungszwang besteht.
Mit dieser in erster Linie der Allgemeinheit dienenden Regelung soll der Versicherungsschutz auch bei Vertragsverletzungen
aufrechterhalten bleiben, damit die private Pflegepflichtversicherung insoweit einen der sozialen Pflegeversicherung gleichwertigen
Schutz gewährleistet. Dem Versicherungspflichtigen soll nicht ermöglicht werden, durch vertragswidriges Verhalten seine Versicherungspflicht
zu unterlaufen. Hierzu ist in der Gesetzesbegründung (BT-Drucks.12/5952 S.49) folgendes ausgeführt: "Der neu eingeführte Absatz
4 schränkt die Kündigungs- und Rücktrittsrechte der Versicherungsunternehmen ein. So ist z.B. kein Kündigungsrecht gegeben
in Fällen, in denen der Versicherungsnehmer mit seiner Versicherungsprämie in Verzug ist. Der Versicherungsschutz soll auch
bei Vertragsverletzungen aufrecht erhalten bleiben, damit soll die private Pflegepflichtversicherung auch in dieser Hinsicht
einen der sozialen Pflegeversicherung gleichwertigen Schutz gewährleisten. Es solle dem Versicherungspflichtigen nicht ermöglicht
werden, durch vertragswidriges Verhalten seine Versicherungspflicht zu unterlaufen. Leistungsverweigerungsrechte der Versicherungsunternehmen
für den Zeitraum, in dem der Versicherungsnehmer keine Prämien entrichtet, bleiben selbstverständlich erhalten. ". Hieraus
wird im sozialversicherungsrechtlichen Schrifttum geschlossen, dass auch außerordentliche Kündigungsrechte des Versicherers
ausgeschlossen sind (Koch in KassKomm, Sozialversicherungsrecht, §
110 Rn. 26; Vieweg in Udsching/Schütze,
SGB XI, 5. Auflage, §
110 Rn. 25 sowie Luthe in Hauck/Wilde,
Sozialgesetzbuch XI, §
110 Rn 12, jeweils unter Hinweis auf BGH, Urteil vom 7. Dezember 2011 - IV ZR 105/11 -; Kuhn-Zuber in Krahmer/Plantholz,
Sozialgesetzbuch XI, 5. Auflage, §
110 Rn. 41).
Zum Zeitpunkt der Kündigung hätte im Übrigen auch ein Kontrahierungszwang der Beklagten gemäß §
110 Abs.
1 Nr.
1 SGB XI bestanden. Nach dieser Regelung werden, um sicher zu gehen, dass die Belange der Personen, die nach §
23 SGB XI zum Abschluss eines Pflegeversicherungsvertrages bei einem privaten Krankenversicherungsunternehmen verpflichtet sind, ausreichend
gewahrt werden und dass die Verträge auf Dauer erfüllbar bleiben, ohne die Interessen der Versicherten anderer Tarife zu vernachlässigen,
die im Geltungsbereich dieses Gesetzes zum Betrieb der Pflegeversicherung befugten privaten Krankenversicherungsunternehmen
verpflichtet, mit allen in §
22 und §
23 Abs.
1,
3 und
4 SGB XI genannten versicherungspflichtigen Personen auf Antrag einen Versicherungsvertrag abzuschließen, der einen Versicherungsschutz
in dem in §
23 Abs.
1 und
3 SGB XI festgelegten Umfang vorsieht (Kontrahierungszwang). Der Kläger, der seit Juni 1991 bei der Beklagten privat krankenversichert
war, gehört zu dem Personenkreis des §
23 Abs.
1 SGB XI. Danach sind Personen, die gegen das Risiko Krankheit bei einem privaten Krankenversicherungsunternehmen mit Anspruch auf
allgemeine Krankenhausleistungen oder im Rahmen von Versicherungsverträgen, die der Versicherungspflicht nach § 193 Abs. 3 des VVG genügen, versichert sind, vorbehaltlich des - vorliegend nicht einschlägigen - Absatzes 2 verpflichtet, bei diesem Unternehmen
zur Absicherung des Risikos der Pflegebedürftigkeit einen Versicherungsvertrag abzuschließen und aufrechtzuerhalten. Seit
dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des
SGB XI zum 1. Januar 1995, zu dem der Kläger bei der Beklagten mit Anspruch auf allgemeine Krankenhausleistungen versichert war,
bestand damit ein Kontrahierungszwang, der eine Kündigung des Pflegeversicherungsvertrages durch die Beklagte ausschließt.
Dies folgt auch aus §
110 Abs.
2 Satz 1
SGB XI (vgl. Luthe, a.a.O., §
110 Rn. 6). Dieser Kontrahierungszwang bestand auch noch zum Zeitpunkt des Zugangs der (unterstellten) außerordentlichen Kündigung
des Pflegeversicherungsvertrags am 17. März 2017. Auch die Beklagte stellt nicht in Zweifel, dass die Krankenversicherung
des Klägers am 17. März 2017 noch bestand und an diesem Tag noch nicht durch die außerordentliche Kündigung vom 16. März 2017
beendet war. Dies ergibt sich aus den Schreiben an den Kläger vom 23. März 2017, die ein Ende des Krankenversicherungsvertrages
jeweils zum Ablauf des 17. März 2017, mithin erst ab 18. März 2017 ausweisen. Vor diesem Hintergrund ist dem Ausgang des beim
Oberlandesgericht Stuttgart anhängigen Verfahrens 7 U 286/19 für den anhängigen Rechtstreit keine Bedeutung beizumessen. Denn in jenem Verfahren steht das Schicksal des Krankenversicherungsvertrages
ab 18. März 2017 im Streit, so dass der Kontrahierungszwang auch bei Wirksamkeit der entsprechenden außerordentlichen Kündigung
erst ab 18. März 2017 entfiele.
Die Beklagte dringt auch mit Ihrem Einwand, der Grundsatz "Pflegeversicherung folgt der Krankenversicherung" (vgl. §
1 Abs.
2 Satz 2
SGB XI; BT-Drucks. 12/5262, S. 79, 85) stehe der Aufrechterhaltung des hier streitigen Pflegeversicherungsvertrags entgegen, nicht
durch. Zwar geht §
23 Abs.
1 Satz1
SGB XI von der Grundannahme aus, zwischen dem Kranken- und Pflegeversicherungsschutz bestehe hinsichtlich des Versicherungsunternehmens
Identität. Allerdings steht diese Grundannahme unter dem gesetzlichen Vorbehalt des in §
23 Abs.
2 SGB XI normierten Wahlrechts des Versicherten (vgl. Wortlaut des §
23 Abs.
1 Satz 1
SGB XI: "sind vorbehaltlich des Absatzes 2 verpflichtet"). Der private Pflegeversicherungsvertrag ist danach nicht zwingend bei
dem privaten Versicherungsunternehmen abzuschließen, bei dem auch die private Krankenversicherung besteht. Insoweit besteht
ein Wahlrecht der versicherungspflichtigen Person (vgl. Vieweg in: Udsching/Schütze, a.a.O., § 23 Rn. 21). Bereits diese gesetzliche
Grundkonzeption zeigt, dass - entgegen der Ansicht der Beklagten - eine Spaltung der Versicherungsverhältnisse sehr wohl möglich
ist. Unter Beachtung der Regelungen des §
110 Abs.
4 SGB XI folgt daraus weiter, dass eine (unterstellt) wirksame Kündigung des privaten Krankenversicherungsvertrags durch das Versicherungsunternehmen
keine automatischen Auswirkungen auf den bereits bestehenden privaten Pflegeversicherungsvertrag hat.
Die Aufrechterhaltung des privaten Pflegeversicherungsvertrags - trotz einer (unterstellt) wirksamen Kündigung des privaten
Krankenversicherungsvertrags - ist auch verfassungsgemäß. Die Verpflichtungen gem. §
23 Abs.
1 Satz 1
SGB XI und §
1 Abs.
2 Satz 2
SGB XI zum Abschluss und zur Aufrechterhaltung (§
110 Abs.
4 SGB XI) des Versicherungsvertrages sind verhältnismäßig und damit verfassungsgemäß (BVerfG, Urteil vom 3. April 2001 - 1 BvR 2014/95 - BVerfGE 103, 197 = juris; Vieweg in Udsching/Schütze, a.a.O., § 23 Rn. 3 m.w.N). Der den Versicherungsunternehmen auferlegte Kontrahierungszwang
(§
110 Abs.
1 Nr.
1 und Abs.
3 Nr.
1 SGB XI), der mit der Versicherungspflicht des Versicherungsnehmers korrespondiert, widerspricht nicht dem Begriff des privatrechtlichen
Versicherungswesens im Sinne des Art.
74 Abs.
1 Nr.
11 GG. Auch das Privatrecht kennt Kontrahierungszwänge. Entsprechendes gilt für die Vorschriften über die Aufrechterhaltung des
Pflegeversicherungsschutzes nach §
110 Abs.
4 SGB XI (BVerfG, a.a.O., Rn. 71).
4. Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
5. Die Revision war nicht zuzulassen, da Gründe hierfür (vgl. §
160 Abs.
2 SGG) nicht vorliegen.