Feststellung der Voraussetzungen des Merkzeichens RF im Schwerbehindertenrecht bei generalisierter Angststörung mit depressiver
Symptomatik
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Feststellung der Voraussetzungen des Merkzeichens RF (Rundfunkgebührenbefreiung bzw. -ermäßigung).
Bei dem 1954 geborenen Kläger mit langer Suchtkarriere und schwerem Motorradunfall im 17. Lebensjahr, der seit 2005 eine vorgezogene
Rente wegen Erwerbsminderung in Höhe von 399,11 EUR bezieht, hatte der Beklagte mit Bescheid vom 25.11.1998 einen Grad der
Behinderung (GdB) von 80 anerkannt. Das Merkzeichen G (erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr)
wurde am 06.02.2002 festgestellt.
Aufgrund eines Antrages des Klägers vom 23.07.2009, auch die Merkzeichen B (Berechtigung einer ständigen Begleitung) und RF
festzustellen, zog der Beklagte unter anderem einen Rehabilitationsentlassungsbericht der Rehaklinik B. (stationärer Aufenthalt
vom 22.07.2008 bis 14.10.2008) bei (psychische und Verhaltensstörungen durch multiplen Substanzgebrauch und Konsum anderer
psychotroper Substanzen: Abhängigkeitssyndrom, posttraumatische Belastungsstörung, Depersonalisations- und Derealisationssyndrom,
alkoholische Fettleber, chronische obstruktive Lungenkrankheit nicht näher bezeichnet: FEV 1 35 % des Sollwertes). Der Versorgungsarzt
Dr. E. stellte in seiner versorgungsärztlichen Stellungnahme unter Auswertung der beigezogenen Berichte als funktionsbeeinträchtigende
Gesundheitsstörungen Alkohol- und Suchtkrankheit und Suchtkrankheit (Teil-GdB 50), Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, Beinverkürzung
rechts nach Politrauma, Funktionsbehinderung beider Sprunggelenke, Kalksalzminderung des Knochens (Osteoporose), chronisches
Schmerzsyndrom (Teil-GdB 40), Lungenfunktionseinschränkung, Lungenblähung (Teil-GdB 40), Gebrauchseinschränkung des rechten
Armes, Gebrauchseinschränkung der rechten Hand (Teil-GdB 30) fest und bewertete den bei dem Kläger vorliegenden Gesamt-GdB
mit 100. Das Vorliegen der Voraussetzungen für die Merkzeichen B und RF verneinte er. Mit Bescheid vom 01.10.2009 änderte
der Beklagte den Bescheid vom 25.11.1998 ab und stellte unter Wiederholung der in der versorgungsärztlichen Stellungnahme
genannten GdB-relevanten Funktionsbeeinträchtigungen den GdB bei dem Kläger mit 100 seit dem 23.07.2009 sowie (weiterhin)
das Merkzeichen G fest. Die Feststellung der Merkzeichen B und RF lehnte er ab. Bezüglich des Merkzeichens RF führte er aus,
bei dem Kläger liege zwar ein GdB von wenigstens 80 vor, der Besuch öffentlicher Veranstaltungen sei ihm jedoch möglich und
zumutbar.
Im Rahmen des anschließend durchgeführten Widerspruchsverfahrens zog der Beklage Berichte des behandelnden HNO-Arztes Dr.
L. (Tinnitus aurium) bei. In einer daraufhin eingeholten Stellungnahme der Versorgungsärztin Dr. A. schätzte diese den Teil-GdB
für die Lungenfunktionseinschränkung und die Lungenblähung mit einem Teil-GdB von 50 höher als ursprünglich ein und stellte
als neue GdB-relevante Funktionsbeeinträchtigung Persönlichkeitsstörung, posttraumatische Belastungsstörung [PTBS] (Teil-GdB
30) sowie Schwerhörigkeit mit Ohrgeräuschen (Teil-GdB 15) fest, verneinte jedoch weiterhin das Vorliegen der Voraussetzungen
für das Merkzeichen RF. Ausreichende Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen könne bei dem vorliegenden Leidensbild zugemutet
werden. Mit Widerspruchsbescheid vom 10.03.2010 wies der Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Zur Begründung führte
er aus, bei dem Kläger liege weder eine Seh- noch eine Hörminderung in berechtigendem Ausmaße vor. Im Übrigen sei er nach
versorgungsärztlicher Feststellung trotz der Schwere seiner Behinderungen durchaus noch in der Lage, zumindest gelegentlich
öffentliche Veranstaltungen aufzusuchen.
Gegen diese Entscheidung hat der Kläger am 07.04.2010 Klage beim Sozialgericht Freiburg (SG) erhoben. Das SG hat zunächst die behandelnden Ärzte mehrfach als sachverständige Zeugen befragt und sodann von Amts wegen ein neurologisch-psychiatrisches
Gutachten eingeholt.
In einer ersten sachverständigen Zeugenaussage hat der Allgemeinarzt Dr. L. am 19.10.2010 mitgeteilt, er behandele den Kläger
seit 1996. Der Kläger leide unter einer schweren Politoxikomanie mit Alkohol- und Medikamentenabhängigkeit und in diesem Rahmen
unter einer Persönlichkeitsstörung mit PTBS, erheblicher Depression und zeitweise auch mit suizidaler Tendenz. Daneben bestehe
eine erhebliche Lungenfunktionseinschränkung mit chronischer COPD (chronische obstruktive Lungenerkrankung) und Nikotinabusus.
Es bestünden bekannte Schädigungen des gesamten Skelettsystems, insbesondere ein Zustand nach Fersenbeintrümmerfraktur beidseits,
Beinverkürzung rechts, Osteoporose, Funktionsbehinderungen beider Sprunggelenke, erhebliche Funktionseinschränkung der rechten
Hand und des rechten Armes und schwere COPD mit rezidivierenden Infekten. Nach den Angaben des Klägers habe dieser mehrfach
versucht, öffentliche Veranstaltungen zu besuchen, dabei sei es jedoch aufgrund der psychischen Situation zu Angst, Luftnot
und Panikzuständen gekommen. Der Tinnitus habe bei diesen Veranstaltungen zusätzlich seine Teilnahmefähigkeit beeinträchtigt.
Dr. L. hat die Voraussetzungen des Merkzeichens RF bejaht. Der Chirurg W. vom Medizinischen Versorgungszentrum des Landkreises
L. hat in seiner Stellungnahme vom 29.10.2010 mitgeteilt, er behandele den Kläger seit 1996. Da er selbst an der Behandlung
des Kläger nur marginal beteiligt gewesen sei, könne er zusammenfassend im Wesentlichen nur aus seinen Unterlagen zitieren.
Die Funktionsbeeinträchtigungen hat er in Bezug auf die Wirbelsäule, die Beinverkürzung, beide Sprunggelenke sowie das chronische
Schmerzsyndrom gesehen und ebenso wie die Gebrauchseinschränkung des rechten Armes und der rechten Hand mit einem GdB von
40 bewertet. Der Kläger sei durch die Gesundheitsstörungen am Besuch öffentlicher Veranstaltungen nicht gehindert.
Der Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. R. hat in seiner ersten sachverständigen Zeugenaussage vom 30.11.2010
mitgeteilt, der Kläger befinde sich seit dem 26.01.2004 in seiner Behandlung (letzte Behandlung 23.11.2010). Es liege eine
PTBS sowie eine Opiatabhängigkeitsproblematik vor dem Hintergrund der chronischen Schmerzen vor. Aufgrund der PTBS leide der
Kläger unter Ängsten und Intrusionen sowie Déja-vues und Alpträumen. Den schmerzbedingten Opiatabusus versuche er zwar einzuschränken,
was aufgrund der mittlerweile vorliegenden Suchtproblematik jedoch schwierig sei. Weiterhin bestehe ein depressives Syndrom,
welches aufgrund der Chronizität und der fehlenden Remission am ehesten der Dysthymia zuzuordnen sei. Daneben resultierten
Ängste im Rahmen der PTBS sowie chronische Verunsicherung, Traurigkeit, Affektlabilität, Antriebsprobleme und Konzentrationsstörungen.
Aufgrund der Problematik bestehend aus Ängsten vor dem Alleinsein, Überforderung und Reizüberflutung in Gruppen bereits im
Wartezimmer könne der Kläger nur vierzehntägig in Begleitung kommen, sei nicht in der Lage, an öffentlichen Veranstaltungen
teilzunehmen. Auch mit einer Begleitperson sei eine Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen nicht denkbar. Die Gründe hierfür
seien das ausgeprägte Vermeidungsverhalten im Rahmen der PTBS und den damit assoziierten Ängsten, nun deutlich zugespitzt
aufgrund der chronifizierten depressiven Entwicklung.
In einer im Anschluss vorgelegten versorgungsärztlichen Stellungnahme hat Dr. G. ausgeführt, weder die von Dr. L. und Dr.
R. angegebene (Gang-) Unsicherheit noch eine Angstsymptomatik seien in einer entsprechenden Ausprägung nachvollziehbar, als
dass die Voraussetzungen für die Merkzeichen B und RF bestätigt werden könnten. Es könne insoweit auf den ausreichend detaillierten
Befund in dem Entlassungsbericht der Rehaklinik B. vom 07.08.2009 zurückgegriffen werden. Dem psychotherapeutischen Behandlungsverlauf
lasse sich keine entsprechend ausgeprägte Angstsymptomatik oder sonstige seelische Problematik entnehmen, die es dem Kläger
unmöglich mache, sich in einer Gruppe aufzuhalten. So habe der Kläger an der therapeutischen Gruppe in der Rehaklinik aktiv
und aufmerksam teilgenommen. Auch die Beeinträchtigung der Wahrnehmungs- und Kommunikationsfähigkeit unter dem Einfluss starker
Schmerzmittel sei anhand des Entlassungsberichtes nicht belegt. Geistig-seelische Teilnahmehindernisse würden die Voraussetzungen
für den Nachteilsausgleich RF in der Regel ohnehin nicht erfüllen und es sei dabei unerheblich, ob der Behinderte überhaupt
im Stande sei, die Darbietungen zu erfassen bzw. ihnen bis zum Ende zu folgen.
In diesem Zusammenhang hat die Klägervertreterin darauf hingewiesen, dass sich seit dem Rehabilitationsaufenthalt in B. die
gesundheitliche Situation des Klägers gravierend verschlechtert habe. Man habe zwar die psychotherapeutische Behandlung zwischenzeitlich
beendet, aber nicht wegen eingetretener Heilung, sondern weil eine solche für ausgeschlossen gehalten werde und weitere Fortschritte
nicht mehr zu erwarten seien. Der Kläger bedürfe jedoch weiterhin medizinischer Behandlung durch Psychopharmaka. Die vorliegenden
Erkrankungen eines chronisch depressiven Syndroms, einer schweren Persönlichkeitsstörung und einer PTBS würden nicht nur zu
einer Beeinträchtigung der Wahrnehmungs- und Kommunikationsfähigkeit führen, sondern mit physischen Symptomen einhergehen,
so dass dem Kläger kein Aufenthalt unter fremden Personen mehr möglich sei. Bei öffentlichen Veranstaltungen, sogar beim Zusammensitzen
mit fremden Personen in einem Warteraum, komme es beim Kläger zu Angst, Luftnot und Panikzuständen. Die Teilnahme an Gruppensitzungen
während der Rehabilitation stehe dazu nicht im Widerspruch, da er auf die Gruppentherapie therapeutisch vorbereitet worden
sei und Gelegenheit gehabt habe, die weiteren Teilnehmer und den Leitenden Therapeuten langsam in Gesprächen kennenzulernen
sowie die Sicherheit, dass ärztliche Betreuung und Hilfestellung bei Problemsituationen jederzeit gewährleistet sei. Dies
sei in keiner Weise mit einer Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen vergleichbar, bei welcher der Kläger mit einer größeren
Anzahl ihm völlig fremder Personen außerhalb einer therapeutischen Vorbereitung, Betreuung und Begleitung konfrontiert würde.
Zur weiteren Aufklärung bezüglich des Krankheitsverlaufes hat das SG erneut die behandelnden Ärzte als sachverständige Zeugen befragt.
Der Chirurg Dr. D. (Nachfolger von Herrn W. vom Medizinischen Versorgungszentrum des Landkreises L. [Chirurgie und Unfallchirurgie])
hat mittgeteilt, der Kläger leide unter einem Zustand nach Calcaneustrümmerfraktur mit schwerster OSG-Arthrose rechts sowie
einem Zustand nach komplizierter Oberarmverletzung rechts mit funktioneller Minderung der Gebrauchsfähigkeit des rechten Armes.
Er sei aufgrund seiner Behinderung auf die Benutzung einer Unterarmgehstütze links ständig angewiesen, da der rechte Arm durch
partielle Lähmung nicht einsetzbar sei. Er sei bei der Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln infolge seiner Behinderung
auch regelmäßig auf Hilfe angewiesen, könne jedoch an öffentlichen Veranstaltungen noch teilnehmen.
Der Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. R. hat am 21.12.2011 angegeben, leider hätten sich keine Veränderungen
im Gesundheitszustand des Klägers ergeben. Bezüglich der Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen verbleibe es bei der Aussage
vom November 2010.
Der Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. L. hat am 15.11.2011 mitgeteilt, es sei aus seiner Sicht keine Verbesserung eingetreten.
Der Kläger könne weiterhin nicht an öffentlichen Veranstaltungen teilnehmen, da es zu erheblichen Angstzuständen in diesen
Situationen komme.
Gestützt auf eine versorgungsärztliche Stellungnahme von Dr. G. hat der Beklagte am 12.03.2012 ein Vergleichsangebot dahingehend
abgegeben, dass die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens B ab Oktober 2010 erfüllt seien.
Dieses Vergleichsangebot hat der Kläger nicht angenommen.
Sodann hat das Gericht den Kläger durch den Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. H. von Amts wegen untersuchen und
begutachten lassen. Im Rahmen der Untersuchung vom 30.07.2012 hat der Kläger gegenüber dem Gutachter angegeben, seine Suchtkarrieren
vom 16. bis 47. Lebensjahr seit 11 Jahren beendet zu haben, seitdem sei er clean. Seine wesentliche soziale Anbindung bestehe
in den Kontakten zur Institution "Drehscheibe" (Einrichtung der Drogenhilfe des Baden-Württembergischen Landesverbandes für
Prävention und Rehabilitation gGmbH mit Drogenberatung und Kontaktcafé) und den daraus resultierten Bekanntschaften, wobei
es sich nicht um intensive Beziehungen handele. Er sei nur kurz verheiratet gewesen, jetzt aber geschieden. Er lebe allein
und müsse niemanden betreuen. Er habe Schmerzen im Bereich von Armen und Beinen nach seinen Verletzungen. Er könne sich nur
schlE.end vorwärts bewegen. Außerdem habe sich in letzter Zeit die COPD sehr verschlechtert und er benötige ein mobiles Sauerstoffgerät.
Von seelischer Seite komme es immer wieder zu Angstattacken. Er sei in der Stimmung immer etwas herabgestimmt, schlafe schlecht
und neige zu SchW.ausbrüchen. Bei längeren Filmen im Fernsehen müsse er wegen seiner Beschwerden häufig aufstehen, sich bewegen
und die Toilette aufsuchen. An Medikamenten gab er an, Tilidin in der Retardform zu nehmen, außerdem mehrere Medikamente als
Spray im Rahmen der COPD und im Bedarfsfall Diazepam. Zusätzlich nehme er Amitriptylin. Zu der Untersuchung ist der Kläger
von der Sozialpädagogin Frau B. von der Drogenberatungsstelle "Drehscheibe" begleitet worden. Diese hat während der Untersuchung
fremdanamnestisch angegeben, der Kläger könne nur in Begleitung außer Haus gehen, da er starke Kontaktängste habe. Der Kläger
lebe völlig zurückgezogen. Dies gelte auch für das Landratsamt, wo er und von sich aus auf die Grundsicherung verzichtet habe,
da er die damit verbundene ständige Notwendigkeit des persönlichen Erscheinens nicht wolle. Zum psychiatrischen Befund hat
Dr. H. ausgeführt, der Kläger könne sich nicht im Wartezimmer aufhalten, sondern müsse in einen Nebenraum gesetzt werden.
Er wirke dabei blass, schwitzig und deutlich ängstlich. Die Untersuchung habe sich dann schwierig gestaltet. Der Kläger sei
sehr konzentrationsgestört gewesen und habe teilweise dem Verlauf der Unterhaltung nicht folgen können. Die Angaben seien
an sich sonst stimmig und es fänden sich keine umschriebenen formalen oder inhaltlichen Denkstörungen. Der Kläger sei bewusstseinsklar
und orientiert, jedoch rasch irritierbar und emotional kaum schwingungsfähig. Während der Untersuchung sei es zu einem starken
Konzentrationsabfall ohne umschriebene kognitive Defizite gekommen. Zusammenfassend hat Dr. H. ausgeführt, bei dem Kläger
handele es sich um einen komplexen Erkrankungsfall mit einer über vierzigjährigen Drogenanamnese, schwierigen sozialen Bedingungen
und einer zusätzlich überlagernden ängstlich depressiven Symptomatik. Er könne die Ansicht der behandelnden Nervenärzte bestätigen,
dass der Kläger nicht an öffentlichen Veranstaltungen teilnehmen könne. Ausdrücklich schließe dies nicht aus, dass in sehr
seltenen Ausnahmefällen auch einmal der Kläger außerhalb seiner vier Wände sein könne. Es gehe darum, dass er allenfalls an
einem nicht nennenswerten Teil der Gesamtheit an solchen öffentlichen Veranstaltungen teilnehmen könne. Neben seiner vorgebrachten
Ängste und der psychisch bedingten Unruhe sei auch relevant, dass er ständig Bewegung brauche, da er mit seinen multiplen
Schmerzen aufgrund seiner Verletzungsfolgen nicht in der Lage sei, in einer konstanten Körperhaltung länger zu verweilen.
Außerdem gebe er häufigen Harndrang an, der noch dazukomme. Diagnostiziert hat Dr. H. bei dem Kläger eine hirnorganisch bedingte
generalisierte Angststörung auf dem Boden einer langjährigen Drogenanamnese. Von körperlicher Seite kämen eine Belastungseinschränkung
des rechten Beines und eine komplexe Nervenschädigung des rechten Armes nach Unfall mit weitgehender Gebrauchsunfähigkeit
des rechten Armes hinzu.
In einer vom Beklagten daraufhin vorgelegten versorgungsärztlichen Stellungnahme hat der Versorgungsarzt Dr. H. ausgeführt,
zwar könnten die Voraussetzungen für das Merkzeichen B festgestellt werden, die Kriterien für das Merkzeichen RF erfülle der
Kläger jedoch nicht. Er sei weder hochgradig sehgemindert noch hochgradig schwerhörig, auch eine schwere Herzleistungs- oder
Lungenfunktionsstörung sei nicht erkennbar. Bei chronischer obstruktiver Bronchitis werde nunmehr ein mobiles Sauerstoffgerät
benutzt. In der letzten bekannten Lungenfunktionsprüfung aus dem Jahr 2008 habe die Vitalkapazität 73 % der Norm und die Einsekundenausatemkapazität
48 % der Norm betragen. Eine Partialinsuffizienz oder Globalinsuffizienz hätten nicht vorgelegen und von daher würden die
Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens RF nicht erfüllt. Es lägen auch keine Entstellungen oder Geruchsbelästigungen
oder hirnorganische Anfälle oder eine ansteckungsfähige Krankheit vor. Aufgrund der körperlichen Behinderungen sollte der
Kläger in der Lage sein, öffentliche Veranstaltungen zu besuchen. Bei geistig oder seelisch behinderten Menschen seien die
Voraussetzungen des Merkzeichens RF nur dann erfüllt, wenn bei ihnen befürchtet werden müsse, dass sie beim Besuch öffentlicher
Veranstaltungen durch motorische Unruhe, lautes Sprechen oder aggressives Verhalten stören würden. Dieser Sachverhalt sei
nicht erfüllt. Zudem sei es dem Kläger möglich gewesen, zur fachärztlichen Begutachtung zu erscheinen und bestehe ein regelmäßiger
Kontakt zur Institution "Drehscheibe". Fremdanamnestisch werde auch berichtet, dass der Kläger das Haus in Begleitung verlasse.
Der Beklagte hat am 05.12.2012 ein Teilanerkenntnis dahingehend abgegeben, dass die Voraussetzungen des Merkzeichens B ab
Oktober 2010 erfüllt seien. Dieses Teilanerkenntnis wurde vom Kläger angenommen, die Klage jedoch bezüglich des Merkzeichens
RF aufrecht erhalten. Die Klägervertreterin hat in der mündlichen Verhandlung vom 15.01.2013 eine Bescheinigung zum Betreuungsverlauf
durch die Sozialpädagogin Frau B. von der Drogenhilfe "Drehscheibe" sowie ein ärztliches Attest des Urologen Dr. W. über eine
nur begrenzt behandelbare Drangblasensymptomatik vorgelegt. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung hat die Klägerbevollmächtigte
weiterhin mitgeteilt, dass der Kläger seit Anfang 2010 keine Grundsicherung mehr beziehe und durch seine Erwerbsminderungsrente
und eine kleine Heimarbeit seinen Lebensunterhalt finanziere.
Mit Urteil vom 15.01.2013 hat das SG die Klage abgewiesen, aber dem Beklagten 1/3 der außergerichtlichen Kosten auferlegt. Zur Begründung hat es ausgeführt, ein
Rechtsschutzbedürfnis für die Verpflichtung des Beklagten zur Feststellung des Merkzeichens RF könne allenfalls bis 31.01.2010
wegen des Bezuges von Grundsicherungsleistungen verneint werden. Für die Zeit ab dem 01.02.2010 habe der Kläger aber auch
keinen Anspruch auf die Feststellung des Merkzeichens RF. Das Gericht habe sich nicht davon überzeugen können, dass der Kläger
die Voraussetzungen für die Feststellung des Merkzeichens RF erfülle. Unstreitig sei der Kläger erheblich behindert und infolge
seiner Behinderungen sei die Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen auch erheblich erschwert, aber nicht allgemein und
umfassend von öffentlichen Veranstaltungen ausgeschlossen. Im Vordergrund stehe eine hirnorganisch bedingte Angststörung auf
dem Boden einer langjährigen Drogenanamnese. Soweit ein Depersonalisationssyndrom und eine Derealisationssyndrom geltend gemacht
werde, könnten diese das Merkzeichen nicht begründen, da es nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) hierfür nicht auf den Grad der geistigen Aufnahmefähigkeit ankomme. Die körperlichen Beschwerden seien ausweislich der Aussagen
der Chirurgen W. und Dr. D. nicht so ausgeprägt, als dass der Besuch von öffentlichen Veranstaltungen ausgeschlossen sei.
Der Kläger könne auch nicht einwenden, dass die Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen durchgehend stillsitzen oder stillstehen
über mehr als 30 Minuten erfordere, was ihm aufgrund seiner Bewegungseinschränkungen, des chronischen Schmerzsyndroms und
wegen der von Dr. W. attestierten Drangblasensymptomatik nicht möglich sei. Denn es verbleibe insoweit ein nennenswerter Bereich
öffentlicher Veranstaltungen, bei denen die Teilnehmer auch aufstehen und herumgehen könnten. Gleiches gelte für die Schwerhörigkeit
und den attestierten Tinnitus, welche es nach dem Vortrag des Klägers diesem teilweise unmöglich machten, einem Vortrag, Konzert
oder ähnlichem zu folgen. Denn er gehöre nicht zu den hörgeschädigten Menschen, die gehörlos seien oder denen eine ausreichende
Verständigung über das Gehör auch mit Hörhilfen nicht möglich sei und die bereits deshalb die Voraussetzungen des Merkzeichens
RF erfüllten. Auch die angeführten Angstzustände bzw. die Angsterkrankung könnten nicht die Überzeugung begründen, dass der
Kläger allgemein und umfassend von der Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen ausgeschlossen sei. Dr. R. habe in seinen
beiden Aussagen ausgeführt, dass der Kläger wegen Ängsten vor dem Alleinsein und Überforderung und Reizüberflutungen in Gruppen
bereits im Wartezimmer nicht in der Lage sei, an öffentlichen Veranstaltungen teilzunehmen. Dies könne jedoch nicht überzeugen,
da der Kläger selbst in seiner Klagebegründung als Grund für die fehlende Möglichkeit der Teilnahme nicht etwa die Ängste,
sondern eine komplexe PTBS, die mit Depersonalisationsyndromen, also Entfremdungserlebnissen, einhergehe, angegeben habe.
Er empfinde sich losgelöst von seinen Gefühlen und seinem Körper. Es sei daher nicht nachvollziehbar, wie in diesem Falle
zugleich eine Angststörung eine Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen unmöglich machen sollte. Die Angsterkrankung habe
der Kläger bezeichnenderweise erst nach Vorliegen der Aussagen von Dr. L. und Dr. R. in einer ergänzenden Klagebegründung
geltend gemacht. Auch die Ausführungen von Dr. H. könnten nicht überzeugen. Der Kläger selbst habe angegeben, dass er an den
seltenen Tagen mit keinen oder nur geringen Beschwerden mit einer Begleitperson an öffentlichen Veranstaltungen teilnehmen
könne, dass dies jedoch durch seine psychische Erkrankung, die Ohrgeräusche und starke Schmerzen im Bereich der Wirbelsäule
und des rechten Beines überwiegend nicht der Fall sei. Er verlasse phasenweise das Haus nicht und nehme Arzttermine in Begleitung
wahr. Dies alles lasse jedoch den Rückschluss zu, dass es dem Kläger jedenfalls phasenweise möglich sei, tatsächlich das Haus
zu verlassen - wenn auch in Begleitung -, und es ihm möglich sei, bestimmte öffentliche Veranstaltungen zu besuchen. Bei Würdigung
dieser Angaben des Klägers könne sich das Gericht auch in Zusammenschau mit dem Gutachten und den Zeugenaussagen nicht davon
überzeugen, dass der Kläger in dem von der Rechtsprechung geforderten Maße faktisch an das Haus gebunden sei. Auch der Stellungnahme
der Sozialpädagogin Frau B. lasse sich entnehmen, dass der Kläger, wenn auch unregelmäßig, das Kontaktcafé besuche, was zeige,
dass er eben nicht faktisch an das Haus gebunden sei.
Gegen das am 20.02.2013 zugestellte Urteil hat der Kläger am 20.03.2013 Berufung eingelegt. Zur Begründung macht er im Wesentlichen
geltend, das Gericht habe die Verschlechterung der gesundheitlichen Lage und die Zunahme und Vertiefung der Funktionsbeeinträchtigungen
in dem Zeitraum zwischen Antragstellung und gerichtlicher Entscheidung nicht berücksichtigt, sondern dem klageabweisenden
Urteil teilweise durch neue medizinische Befunde inzwischen überholte ärztliche Einschätzungen aus früheren Jahren zugrunde
gelegt. Man habe seine konkrete Situation nicht berücksichtigt. Übersehen habe man auch, dass die Funktionsbeeinträchtigungen
auf körperlichem Gebiet ein "gelegentliches Herumgehen" kaum zuließen. Er sei auf die Nutzung von Unterarmgehstützen sowie
auf ein Sauerstoffgerät angewiesen. Eine Fortbewegung außerhalb seiner Wohnung ohne Hilfsperson sei nahezu unmöglich und selbst
mit Hilfe Dritter noch äußerst beschwerlich, zudem er angesichts seiner Drangblasensymptomatik teilweise mehrmals in der Stunde
die Toilette aufsuchen müsse. Bereits der Gedanke daran, bei öffentlichen Veranstaltungen gegenüber einer Vielzahl ihm unbekannter
Personen in der beschriebenen Fortbewegungsweise aufzufallen und dort in eine hilflose oder völlig überfordernde Lage zu geraten,
würde bei ihm starke Angstgefühle und Panik auslösen, so dass er nicht imstande sei, angesichts dieser Vorstellung sich überhaupt
noch zu einer öffentlichen Veranstaltung zu begeben.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 15. Januar 2013 abzuändern und den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom
1. Oktober 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. März 2010 zu verurteilen, bei ihm ab dem 1. Februar 2010
die Voraussetzungen für das Merkzeichen "RF" festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuwiesen.
Der Beklagte hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.
Die Prozessbevollmächtigte des Klägers hat am 06.12.2013 mitgeteilt, die gesundheitliche Situation des Klägers habe sich weiter
verschlechtert, da er nun auf ein größeres Sauerstoffgerät angewiesen sei. Sie hat einen vorläufigen Ambulanzbericht der Pneumologischen
Ambulanz der Universitätsklinik F. vom 29.11.2013 vorgelegt, wo der Kläger sich am 07.11.2013 und 21.11.2013 vorgestellt hat
(COPD Stadium IV, Barrett Ösophagus, Z.n. Soorösophagitis, Polytoxikomanie, Z.n. multiplen Operationen bei diversen Traumata,
Z.n. ChE). Ausweislich des Berichts hat der Kläger bei einer am 07.11.2012 durchgeführten Ganzkörperplethysmografie unter
anderem einen Lungenfunktionswert FEV 1 von 0,78 l (21% des Sollwerts) erreicht.
In einer hierauf vorgelegten versorgungsärztlichen Stellungnahme hat Dr. W. unter anderem ausgeführt, dass der Kläger trotz
deutlicher Lungenfunktionseinschränkung im 6-Minuten-Gehtest immerhin noch 454 m habe gehen können. Die Lungenfunktionsstörung
sei daher nicht so ausgeprägt, dass man in Zusammenschau mit den übrigen Gesundheitsstörungen davon ausgehen müsse, dass ein
Besuch öffentlicher Veranstaltungen zumutbar unmöglich sei. Der Kläger sei auch mit einem leicht auffüllbaren transportablen
Tank für unterwegs ausgestattet. Zur Harndrangsymptomatik sei zu sagen, dass es dem Kläger für den Besuch öffentlicher Veranstaltungen
zumutbar sei, Windelhosen zu tragen.
Wegen der weiteren Einzelheiten und des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten der ersten und zweiten
Instanz sowie auf die Verwaltungsakten des Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung ist gemäß §§
143 und
144 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) statthaft. Sie wurde nach §
151 Abs.
1 SGG auch form- und fristgemäß erhoben. Ausweislich des Fax-Empfangsvermerks des Sozialgerichts Freiburg ging der Berufungsschriftsatz
dort am 20.03.2013, also fristgemäß ein.
Nachdem der Rechtsstreit durch ein angenommenes Teilanerkenntnis bezüglich des Merkzeichens B erledigt wurde, ist streitbefangen
allein die Feststellung der Voraussetzungen des Merkzeichens RF ab dem 01.02.2010. Im Übrigen wurde die erstinstanzliche Entscheidung
nicht angefochten.
Die Berufung ist auch insoweit begründet, als dem Kläger ein Anspruch auf Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen
für das Merkzeichen RF ab dem 23.11.2010 zusteht. Insoweit waren das klageabweisende Urteil des SG und die Bescheide des Beklagten abzuändern, da der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt wird. Im Übrigen ist die Berufung
jedoch unbegründet. Zu einem früheren Zeitpunkt steht die Feststellung der Voraussetzungen des Merkzeichens nicht zu.
Die Feststellung von Merkzeichen richtet sich nach den Vorschriften des
Neunten Buches Sozialgesetzbuch (
SGB IX). Unter welchen gesetzlichen Voraussetzungen ein Anspruch auf Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen
RF besteht, ist in §
69 Abs.
5 SGB IX geregelt, wonach auf Antrag des behinderten Menschen die zuständigen Behörden aufgrund einer Feststellung der Behinderung
einen Ausweis über die gesundheitlichen Merkmale ausstellen.
Unter welchen gesetzlichen Voraussetzungen ein Anspruch auf Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen
RF besteht, ist in §
69 Abs.
5 SGB IX i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 5 Schwerbehindertenausweis-Verordnung (SchwbAwV) landesrechtlich und daher in Baden-Württemberg für die Zeit bis 31.12.2012 in § 6 Abs. 1 Nrn. 7 und 8 des Rundfunkgebührenstaatsvertrags
(RGebStV) vom 15.10.2004 geregelt, der ab dem 01.04.2005 in der Fassung des Gesetzes vom 17.03.2005 (GBl. S. 189) und seit
dem 01.01.2009 in der Fassung des Zwölften Staatsvertrags zur Änderung rundfunkrechtlicher Staatsverträge vom 18.12.2008 (GBl.
2009, S. 131) gilt. Für die Zeit ab dem 01.01.2013 regelt dies nunmehr der Rundfunkbeitragsstaatsvertrag (RBStV) vom 15. bis
21.12.2010, der in Baden-Württemberg durch das Gesetz zum Fünfzehnten Rundfunkänderungsstaatsvertrag und zur Änderung medienrechtlicher
Vorschriften vom 18.10.2011 (GBl S. 477 ff.) zum 01.01.2013 in Kraft gesetzt worden ist. Nach § 4 Abs. 2 RBStV wird bei gesundheitlichen
Einschränkungen keine Befreiung mehr gewährt, es werden lediglich die Rundfunkbeiträge auf ein Drittel ermäßigt. Die medizinischen
Voraussetzungen haben sich im Vergleich zu den nach § 6 Abs. 1 Nrn. 7 und 8 RGebStV geltenden Voraussetzungen jedoch nicht
geändert. So besteht nach § 4 Abs. 2 Nr. 1 RBStV (früher § 6 Abs. 1 Nr. 7a RGebStV) ein Anspruch auf Feststellung des Merkzeichens
RF für blinde oder nicht nur vorübergehend wesentlich sehbehinderte Menschen mit einem GdB von (wenigstens) 60 allein wegen
der Sehbehinderung, nach § 4 Abs. 2 Nr. 2 RBStV (früher § 6 Abs. 1 Nr. 7b RGebStV) für hörgeschädigte Menschen, die gehörlos
sind oder denen eine ausreichende Verständigung über das Gehör auch mit Hörhilfen nicht möglich ist und nach § 4 Abs. 2 Nr.
3 RBStV (früher § 6 Abs. 1 Nr. 8 RGebStV) für behinderte Menschen, deren GdB nicht nur vorübergehend wenigstens 80 beträgt
und die wegen ihres Leidens an öffentlichen Veranstaltungen ständig nicht teilnehmen können.
Zur Überzeugung des Senates sind bei dem Kläger die Voraussetzungen nach § 4 Abs. 2 Nr. 3 RBStV erfüllt. Unstreitig liegt
ihm zunächst nicht nur ein GdB von 80, sondern wie mit Bescheid vom 01.10.2009 festgestellt, ein GdB von 100 vor. Er kann
auch wegen seines Leidens an öffentlichen Veranstaltungen ständig nicht teilnehmen.
Der Kläger leidet unter einer hirnorganisch bedingten generalisierten Angststörung auf dem Boden einer langjährigen Drogenanamnese
sowie einer zusätzlich überlagernden ängstlich depressiven Symptomatik. Dies entnimmt der Senat dem Gutachten von Dr. H. und
der sachverständigen Zeugenaussage des behandelnden Facharztes für Psychiatrie und Neurologie Dr. R ... Übereinstimmend haben
beide Ärzte mitgeteilt, dass der Kläger nicht in der Lage ist, während er auf die Untersuchung wartet, im normalen Wartezimmer
mit den anderen Patienten Platz zu nehmen. Dr. H. hat hierzu ausgeführt, der Kläger habe dabei blass, schwitzig und deutlich
ängstlich gewirkt. Dr. H. hat in Bezug auf die Untersuchung, welche sich nach seinen Angaben sehr schwierig gestaltet hat,
mitgeteilt, der Kläger sei sehr konzentrationsgestört und könne teilweise dem Verlauf der Unterhaltung nicht folgen. Er sei
sehr rasch irritierbar und emotional kaum schwingungsfähig. Ebenso hat Dr. R. mitgeteilt, dass der Kläger aufgrund seiner
Ängste schnell überfordert und reizüberflutet sei, was zu dem von Dr. H. erhobenen Befund passt. Soweit die Beratungsärzte
des Beklagten das Vorliegen einer Angsterkrankung nicht als nachgewiesen angesehen haben, so ist dem entgegen zu halten, dass
die beiden Fachärzte, welche den Kläger in der persönlichen Situation untersucht und begutachtet haben, eine solche Angstsymptomatik
diagnostiziert haben. Der Senat misst hier dem Eindruck aufgrund der persönlichen Untersuchung einen höheren Wert bei, als
demjenigen, welcher allein auf die Aktenlage gestützt ist. Ebenso wie Dr. H. hat auch Dr. R. bei dem Kläger eine chronische
Verunsicherung, Traurigkeit, Affektlabilität, Antriebsprobleme und Konzentrationsstörungen festgestellt. Soweit das SG in der Entscheidung sich nicht davon überzeugen konnte, dass eine solche Angstsymptomatik vorliegt, sondern dem Kläger vorhält,
er habe anfangs angegeben, er leide unter einem Depersonalisations- und Derealisationssyndrom, so vermag sich der Senat dem
nicht anzuschließen. Die Entscheidung über das vorliegende Leiden ist nicht auf die laienhafte Auffassung des Klägers zu gründen,
sondern das Gericht hat sich zur Aufklärung des Sachverhaltes des medizinischen Sachverstandes der behandelnden Ärzte oder
Gutachter zu bedienen. Soweit die Beratungsärzte des Beklagten Bezug nehmen auf den Rehabilitationsentlassungsbericht der
Klinik B. vom 07.08.2009, wo der Kläger sich in der Zeit von Juli 2008 bis Oktober 2008 aufgehalten hat, hat sich die psychische
Situation des Klägers seither geändert. Dies ist eindeutig dem Gutachten von Dr. H. zu entnehmen. Hatte der Kläger damals
noch eine Partnerschaft, so ist diese mittlerweile gescheitert und er von seiner Ehefrau geschieden. Der Kläger hatte damals
auch eine Ausbildung als Suchthelfer absolviert und auf 400-EUR-Basis beim Caritasverband L. gearbeitet (siehe Rehabilitationsentlassungsbericht
Seite 4). Mittlerweile hat sich auch ausweislich des Berichtes des Dr. R. durch das Vorliegen der überlagernden depressiven
Symptomatik die Angstsymptomatik deutlich zugespitzt, so dass eine Änderung in der psychischen Situation des Klägers für den
Senat nachvollziehbar ist (siehe sachverständige Zeugenaussage Dr. R. vom 30.11.2010 zur Frage 9).
Mit diesem psychischen Leiden, welches nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes auch geeignet ist, die Voraussetzungen
für das Merkzeichen RF zu erfüllen (BSG, Urteil vom 16.02.2012 - B 9 SB 2/11 R, SozR 4-3250, § 69 Nr. 4 und ihm folgend LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 25.10.2012 - L 13 SB 56/12), ist der Kläger nicht in der Lage, an öffentlichen Veranstaltungen teilzunehmen.
Generell gilt, dass der Betroffene wegen seiner Leiden allgemein und umfassend von der Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen
ausgeschlossen sein muss, welche in diesem Sinne Zusammenkünfte politischer, künstlerischer, wirtschaftlicher, sportlicher,
kirchlicher, unterhaltender oder wirtschaftlicher Art sein können (BSG, Urteil vom 11.09.1991 - 9 a/9 RVS 15/98). Eine Teilnahme an solchen Veranstaltungen ist dann unmöglich, wenn der Schwerbehinderte
wegen seines Leidens ständig, d.h. allgemein und umfassend vom Besuch ausgeschlossen ist, also allenfalls an einem nicht nennenswerten
Teil der Gesamtheit solcher öffentlichen Veranstaltungen teilnehmen kann (BSG, Urteil vom 10.08.1993 - 9/9a RVs 7/91).
Der Kläger kann aufgrund des bei ihm bestehenden psychischen Leidens allenfalls an einem nicht nennenswerten Teil der Gesamtheit
der öffentlichen Veranstaltungen teilnehmen und ist damit faktisch von der Teilnahme ausgeschlossen. Der Senat stützt sich
auf die Einschätzung des Gutachters Dr. H. und des behandelnden Facharztes Dr. R ... Beide sind aufgrund einer persönlichen
Untersuchung und Begutachtung zu dem Schluss gekommen, dass es dem Kläger aufgrund seiner Angst und depressiven Symptomatik
nicht möglich ist, an öffentlichen Veranstaltungen teilzunehmen. Dem Kläger ist es noch nicht einmal möglich, im Wartezimmer
des behandelnden Arztes zu sitzen. Er muss in einem separaten Wartezimmer untergebracht werden. Das geht so weit, dass er
sogar auf Grundsicherungsleistungen verzichtet hat, weil er den Gang zum Amt nicht machen kann und ihm das persönliche Erscheinen
unmöglich ist. Er hat im Rahmen der Begutachtung auch keine sozialen Kontakte angegeben, was von seiner Betreuerin, der Sozialarbeiterin
Frau B., bestätigt wird. Soweit der Kläger noch zum Arzt geht, ergibt sich daraus nichts anderes, denn der Arztbesuch ist
keine öffentliche Veranstaltung und mit dieser nicht vergleichbar. Die Arzt-Patienten-Beziehung findet in einem geschützten
und langjährig bekannten Raum statt, wie dies die dem Kläger behandelnde Ärzte bestätigt haben und basiert auf einem Vertrauensverhältnis
zwischen Therapeuten und Patienten, in dem auf die Bedürfnisse des Klägers eingegangen werden kann, was für den Kläger im
Rahmen seiner Angsterkrankung sehr wichtig ist. Nicht einmal in dieser behüteten Situation ist es dem Kläger möglich, sich
mit anderen, ihm fremden Menschen im Wartezimmer zu konfrontieren. Nach Ansicht des Senates steht der Annahme der Voraussetzungen
des Merkzeichens RF auch nicht entgegen, dass der Kläger ausweislich des Berichtes von Dr. R. nach Beendigung der einzeltherapeutischen
Psychotherapie erwägt hat, eine Gruppentherapie zu machen. Hier gilt das für die Arzt-Patienten-Beziehung Gesagte. Eine Gruppentherapie
stellt keine öffentliche Veranstaltung im Sinne der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts dar. Ähnlich verhält es sich nach
Überzeugung des Senats mit der unregelmäßigen Teilnahme des Klägers am Kontaktcafé der Drogenberatungsstelle "Drehscheibe".
Zum einen stellt dies nur einen ganz unwesentlichen Teil an Veranstaltungen dar und zum anderen handelt es sich hier wieder
um eine behütete Beziehung in einem festen und für den Kläger berechenbaren Rahmen. So hat die Sozialpädagogin Frau B. ausgeführt,
dass er dort den Kontakt mit den Mitarbeitern sucht und auch Beratungsgespräche wahrnimmt. Eine Kontaktaufnahme mit dort anwesenden
Fremden findet nicht statt. Der Senat ist daher davon überzeugt, dass es dem Kläger nicht mehr möglich ist, an öffentlichen
Veranstaltungen in einem Mindestmaß allein wegen seines psychischen Leidens teilzunehmen. Der Kläger erfüllt damit die Voraussetzungen
für die Feststellung des Merkzeichens RF. Daher kann offenbleiben, ob im Fall des Klägers in der Zusammenschau aller Gesundheitsstörungen
nicht ohnehin ausnahmsweise diese Voraussetzungen vorliegen (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 16.01.2013 - L 3 SB 3862/12).
Allerdings sind die Voraussetzungen nicht bereits zum Zeitpunkt der Antragstellung im Juli 2009 nachgewiesen. Wie bereits
oben dargestellt, ist der Senat davon überzeugt, dass sich der Gesundheitszustand des Klägers nach Entlassung aus der Rehabilitationsmaßnahme
im Oktober 2008 verschlechtert hat. 2008 war dem Kläger eine Tätigkeit als Suchthelfer und eine Partnerschaft noch möglich.
Der behandelnde Arzt Dr. R. hat auch darauf hingewiesen, dass sich gerade durch die Veränderung in der Depression die Situation
zugespitzt hat. In seiner sachverständigen Zeugenaussage vom 30.11.2010 hat Dr. R. den 23.11.2010 als letztes Untersuchungsdatum
genannt und darauf hingewiesen, dass sich das ausgeprägte Vermeidungsverhalten im Rahmen der posttraumatischen Belastungsstörung
und den damit assoziierten Ängsten aufgrund der sich chronifizierten depressiven Entwicklung deutlich zugespitzt hat. Der
Senat geht daher davon aus, dass im Rahmen der Verschlechterung nach 2008 die Voraussetzungen für das Merkzeichen RF am 23.11.2010
nachgewiesen sind und der Kläger ab diesem Zeitpunkt die Voraussetzungen für das Merkzeichen RF erfüllt. Zu einem früheren
Datum ist der Nachweis dieser Voraussetzungen nicht erfolgt. Aus den im Verwaltungsverfahren beigezogenen Befundberichten
ergibt sich eine solche massive Angstsymptomatik nicht. Im Berufungsverfahren war die Zuerkennung ohnehin erst ab dem 1. Februar
2010 beantragt.
Das klageabweisende Urteil war daher insoweit abzuändern, als es die Voraussetzungen für das Merkzeichen RF auch ab dem 23.11.2010
verneint. Im Übrigen ist die Entscheidung nicht zu beanstanden.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG. Es ist in der Regel billig, dass derjenige die Kosten trägt, der unterliegt. Bei teilweisem Erfolg wird eine Quotelung angemessen
sein (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG-Kommentar, 10. Aufl., §
193 Rz. 12a). Der Kläger konnte insgesamt mit dem Schwerpunkt seiner Berufung durchdringen, wenn auch nicht für den gesamten
beantragten Zeitraum. Der Beklagte hat zunächst die Voraussetzungen zu Recht verneint, dann aber auf eine eingetretene Änderung
nicht adäquat reagiert. Es ist daher billig, dass der Beklagte die außergerichtlichen Kosten des Klägers nicht ganz, sondern
nur zu drei Vierteln zu tragen hat.
Die Revision war nicht zuzulassen, da kein Grund des §
160 Abs.
2 SGG vorliegt.