Anerkennung einer MS-Erkrankung als Folge einer Wehrdienstbeschädigung
Tatbestand
Im Streit steht noch die Anerkennung einer Multiple Sklerose (MS)-Erkrankung der Klägerin als Folge einer Wehrdienstbeschädigung,
ein Ausgleich in Form einer Grundrente wird im Berufungsverfahren nicht mehr geltend gemacht.
Die 1981 geborene Klägerin stand nach erfolgreicher Ausbildung zur Bürokauffrau vom 01.09.2001 bis 31.08.2009 als Soldatin
auf Zeit bei der Deutschen Bundeswehr in einem Wehrdienstverhältnis. Nachdem ihre Auslandsverwendungsfähigkeit nach Begutachtung
festgestellt wurde (Sanitätsarzt H. vom 22.11.2006), befand sich die Klägerin vom 02.02. bis 27.05.2007 im Auslandseinsatz
in Bosnien und Herzegowina, nämlich in dem Feldlager R., einem im Januar 1997 von der Bundeswehr bezogenen und am 04.12.2007
an die Armee von Bosnien-Herzegowina zur Nutzung übergebenen Feldlager. Dort war sie im Transportwesen und als Kraftfahrer
eingesetzt (Bl. 148 WDB-Akte).
Nach ihrer Rückkehr wurde die Klägerin wegen eines beklagten Kopfschmerzes am 29.08.2007 radiologisch untersucht. Die Magnetresonanztomographie
(MRT) ergab jedoch einen altersgemäßen Normalbefund (Befundbericht vom 30.08.2007, Bl. 45 WDB-Akte). Am 28.04.2008 stellte
sich die Klägerin im Kreiskrankenhaus E. wegen zunehmender Kopfschmerzen und beginnenden Parästhesien im rechten Fuß, dann
auch links mit Gangunsicherheit, besonders auf Treppen, vor. Die durchgeführte kraniale Computertomographie (CCT) ergab indes
keine Pathologien im Schädel (Bl. 56 WDB-Akte). Anlässlich der wegen erneut geltend gemachter Kribbelparästhesien und beidseitigem
Kraftmangel der Beine mit Kopfschmerzen durchgeführten MRT der Halswirbelsäule (HWS) vom 13.05.2008 wurden intrameduläre herdförmige
Läsionen auf Höhe HWK 4 im rechts dorsolateralen Myelon, z. B. im Rahmen einer Encephalomyelitis disseminata (= MS) gewertet
(Bl. 61 WDB-Akte). Die Ärztin für Nuklearmedizin und Radiologie Dipl. med. L. äußerte nach weiterer MRT des Kopfes sowie ergänzenden
Kontrastmittel (KM)-gestützten Sequenzen der HWS vom 15.05.2008 den dringenden Verdacht auf eine Encephalomyelitis disseminata
mit florid entzündetem Herd im zervikalen Myelon dorsolateral links auf Höhe Oberkante HWK 5 (Bl. 64 WDB-Akte). Wegen des
Verdachts auf eine entzündliche ZNS-Erkrankung wurde die Klägerin vom 21.05. bis 27.05.2008 im Bundeswehrkrankenhaus U. aufgenommen,
wo eine entzündliche ZNS-Erkrankung ohne die noch fehlenden Liquor-Ergebnisse nicht sicher ausgeschlossen worden ist. Nachdem
diese vorlagen, wurde aufgrund der Liquor-Diagnostik und den schriftlichen Befunden der auswärts durchgeführten MRT-Untersuchungen
des Neurokraniums und der Neuroachse mit seitlicher und örtlicher Dissemination und der Anamnese mit einem als Schub zu wertenden
klinischen Ereignis von einer Erstmanifestation einer MS ausgegangen (Entlassungsbrief vom 04.06.2008, Bl. 70 WDB-Akte). Anschließend
wurde eine immunmodulatorische Therapie mit Interferon beta-1a (Rebif) eingeleitet, die die Klägerin abgesehen von Gliederschmerzen
und gelegentlichen Kopfschmerzen gut tolerierte. Die fortlaufend durchgeführten Verlaufskontrollen im Bundeswehrkrankenhaus
U. ergaben bei subjektiver Beschwerdefreiheit und unauffälliger klinisch-neurologischer Befundung keine neuen Entmarkungsherde
und keine Größenprogredienz der bekannten Herde sowie keine Krankheitsaktivität (vgl. zuletzt endgültiger Entlassungsbrief
vom 13.12.2009, Bl. 20 SG-Akte).
Am 16.03.2009, d. h. bei noch bestehendem Wehrdienstverhältnis, zeigte die Klägerin bei der Beklagten die MS als mögliche
Wehrdienstbeschädigung zunächst noch ohne Angabe von Gründen an. Dem Antrag beigefügt waren ein Untersuchungsprotokoll vom
09.05.2001, zahlreiche Gesundheitskarten (G-Karte) aus dem Zeitraum vom 02.10.2001 bis 19.01.2009, Arztbriefe des Bundeswehrkrankenhauses
U. und das truppenärztliche Gutachten des Stabsarztes Dr. K. vom 10.03.2009. In letztgenanntem Gutachten (Bl. 91 WDB-Akte)
wird ausgeführt, die Klägerin führe die MS auf Umweltbedingungen während des EUFOR-Einsatzes vom 02.02. bis 27.05.2007 zurück.
Dem Gutachten beigefügt war eine Auflistung der gesamten Diensttätigkeiten der Klägerin bei der Bundeswehr. Überschrieben
war die Liste mit "Sachverhalt, der der gesundheitlichen Schädigung zugrundeliegen soll, nach Angaben des Soldaten".
Zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts holte die Beklagte bei dem Disziplinarvorgesetzten der Klägerin Oberleutnant M. die
Auskünfte vom 27.03. und 08.07.2009 ein (Bl. 102, 150a WDB-Akte). Danach war die Klägerin mit der durch den Auslandseinsatz
bedingten Unterbrechung vom 10.08.2005 bis zu ihrem Ausscheiden aus der Bundeswehr einer logistischen Einheit StKp LogRgt
47 zugeordnet und dort verantwortlich für die Bewirtschaftung des Materials, Bearbeitung des Geschäfts- und Schriftverkehrs
innerhalb ihres Aufgabenbereichs, Steuerung und Überwachung des Transportes, Umschlages, Lagerung und Bereitstellung von Munition,
Durchführung von Bestandsprüfungen, Einleitung von Bestandsberichtigungen/Umbuchungen und Sachschadensmeldungen. Außendienste
leistete sie bei Transporten, der Bereitstellung von Munition, bei Schießübungen und Märschen. Die Außendienstbelastung lag
bei ca. 20 %. Während des Regeldienstes war die Klägerin nur im Rahmen des normal üblichen (Schießen, Marsch) Durchnässungen
und Unterkühlungen oder besonderen klimatischen Einflüssen ausgesetzt. Zu den näheren Umständen des Auslandseinsatzes konnte
Oberleutnant M. keine Angaben machen.
Auf weitere Nachfrage teilte Stabsarzt Dr. K. mit Schreiben vom 05.06.2009 mit, es hätten bei der Klägerin während der Dienstzeit
keine Erkrankungen vorgelegen, die das Immunsystem nachhaltig beeinträchtigt hätten. Kurzzeitige Veränderungen der Immunitätslage
z.B. durch grippale Infekte habe es durchaus gegeben, jedoch in normaler Häufigkeit und Dauer (Bl. 139 WDB-Akte).
Hauptmann N. gab mit E-mail vom 27.08.2009 an, von Januar 2007 bis Juni 2007 Kompaniechef der Versorgungskompanie EUFOR und
damit auch der Disziplinarvorgesetzte der Klägerin gewesen zu sein. Zu den im Feldlager herrschenden Umwelteinflüssen führte
er aus, dass die klimatischen Bedingungen grundsätzlich durchaus vergleichbar mit den Bedingungen in Deutschland seien. Im
Gegensatz zum Inneren des Feldlagers R. sei es außerhalb sehr schmutzig gewesen. Die Ursachen hierfür seien mannigfaltig (Baubetrieb,
mangelndes Umweltbewusstsein in der Bevölkerung, schlecht organisierte Müllentsorgung). Zu den körperlichen und seelischen
Belastungen gab Hauptmann N. an, der Hauptauftrag der Versorgungskompanie habe aufgrund der anstehenden, deutlichen Truppenreduzierung
und damit einhergehender Aufgabe des Feldlagers darin bestanden, einen Großteil des Materials zum Transport nach Deutschland
vorzubereiten. Die Klägerin sei im Transportzug eingesetzt gewesen. Die körperlichen Belastungen in ihrem Tätigkeits- und
Aufgabengebiet könnten durchaus als gering eingestuft werden (beispielsweise keine schweren körperlichen Tätigkeiten). Darüber
hinaus seien ihm keinerlei seelische Belastungen der Klägerin während ihres Einsatzes bekannt geworden. Er habe sie eher als
eine fröhliche und aufgeschlossene Soldatin in Erinnerung, die sich auch aktiv an Veranstaltungen der Kompanie beteiligt habe
(Betreuungsfahrten etc.). Während des geschilderten Kontingentzeitraumes seien ihm auch keine weitergehenden negativen Ereignisse
(Unfall, Verwundung) bekannt geworden, die auch nur ansatzweise eine seelische Belastung zur Folge gehabt hätten. Auch Äußerungen
der Klägerin oder aus ihrem Umfeld, die dieses vermuten ließen, seien ihm im Laufe des Einsatzes nicht bekannt geworden. Es
habe grundsätzlich die Möglichkeit bestanden, sich während des Einsatzes an einen Militärseelsorger oder Psychologen zu wenden.
Ihm sei nicht bekannt, dass die Klägerin diese Möglichkeit in Anspruch genommen hätte (Bl. 101 WDB-Akte). Außerdem hat das
Amt für Geoinformationswesen der Bundeswehr die wehrmedizinmeteorologische Auskunft vom 10.09.2009 für die Expositionszeit
02.02.2007 bis 27.05.2007 in Auswertung der Aufzeichnungen der Station Sarajevo-Butmir vorgelegt. Hierin führte Oberregierungsrat
T. aus, es habe in der ganz überwiegenden Zahl der bewertbaren Expositionsstunden der thermophysiologische Komfortbereich
erreicht werden können. Nur für knapp 31 Prozent der gesamten bewertbaren Expositionszeit seien die athmosphärischen Verhältnisse
belastend gewesen, die Intensität der Belastung sei jedoch ganz überwiegend mit leicht bis mäßig zu attributieren. Lediglich
bei 93 Stunden der bewertbaren Expositionszeit sei das Schwellenattribut "stark" für die Wärmebelastung überschritten worden
(Bl. 164 ff. WDB-Akte). Desweiteren holte die Beklagte bei dem Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. A. das neurologisch-fachärztliche
Attest vom 10.11.2009 ein (Multiple Sklerose mit schubförmigem Verlauf, seit Juni 2008 evidenzbasierte immunmodulatorische
sogenannte Basistherapie mit Beta-Interferon [Rebif]). Dem Attest beigefügt war der vorläufige Entlassungsbrief des Bundeswehrkrankenhauses
U. vom 28.08.2009 mit identischer Diagnose. Zur Anamnese wird ausgeführt, die Erstdiagnose der MS sei im Mai 2008 erfolgt,
im November 2008 habe die Klägerin einen Schub erlitten, es hätten die Arme gekribbelt, jedoch ohne stationären Aufenthalt.
Zwischenzeitlich seien keine neuen Schübe aufgetreten.
In seiner versorgungsmedizinischen Stellungnahme führte der Internist Dr. Sch. aus, es lasse sich nach Prüfung aller medizinischen
Dokumentationen die klinische Erstmanifestation einer MS für Mai 2008 bestätigen, nachdem Ende April 2008 Kribbelparästhesien
im Bereich der rechten Fußsohle und ein Kraftmangel beider Beine aufgetreten seien. Ende Mai 2008 sei der diagnostische Beweis
erbracht worden. Die immunmodulatorische Therapie habe insoweit einen Behandlungserfolg erbracht, als dass weitere bildgebende
Verlaufskontrollen bis August 2009 keine Progredienz aufgezeigt hätten und angesichts subjektiver Beschwerdefreiheit und unauffälliger
klinisch-neurologischer Befunde von einem status idem auszugehen sei. Der Leidensmanifestation im Mai 2008 seien keine wehrdienstbedingten
Belastungen/Umstände vorausgegangen, denen eine außergewöhnlich massive körperliche und/oder seelische Belastung zuzuschreiben
wäre. Selbiges sei darüber hinaus auch für die gesamte Dienstzeit zu negieren. Die Klägerin habe während der Dienstzeit keine
wehrdienstbedingten Erkrankungen erlitten, die das Immunsystem nachhaltig beeinträchtigt hätten. Gleichermaßen seien den medizinischen
Dokumentationen keine ausgeprägten Impfreaktionen, Elektrotraumen oder andere Einwirkungen zu entnehmen, die gemäß den Regelungen
der "Kann-Versorgung" für die Anerkennung einer Wehrdienstbeschädigung sprechen könnten. Auch der EUFOR-Auslandseinsatz von
Februar bis Mai 2007 sei weder von relevanten körperlich/seelischen Belastungen noch von wesentlichen klimatischen Besonderheiten
und auch nicht von Extremverschmutzungen begleitet gewesen, aus denen sich eine toxische Schädigung oder eine erhebliche Herabsetzung
der Resistenz ableiten ließe. Zuletzt hätten Untersuchungsbefunde zu keinem Zeitpunkt den Nachweis einer Infektion mit neurotropen
Viren oder Bakterien erbracht. In der Gesamtschau sei mithin von einer Genese und einem schicksalhaften Verlauf ohne relevante
Beeinflussung durch wehrdienstbedingte Faktoren auszugehen.
Mit Bescheid vom 27.09.2010 stellte die Beklagte fest, dass die MS nicht Folge einer Wehrdienstbeschädigung im Sinne des §
81 Soldatenversorgungsgesetz (SVG) sei und ein Anspruch auf Ausgleich nach § 85 SVG daher nicht bestehe. Zur Begründung wird in dem Bescheid ausgeführt, dass ein ursächlicher Zusammenhang zwischen wehrdienstlichen
Einflüssen und einer Schädigung der Gesundheit der Klägerin nicht nachgewiesen sei. Auch die Voraussetzung für die Gewährung
der Kann-Versorgung seien bei ihr nicht erfüllt, da die aktenkundig nachgewiesenen dienstlichen Belastungen und wehrdienstlichen
Einflüsse nach Art, Dauer und Schwere nicht geeignet seien, die Resistenz erheblich herabzusetzen. Der von der Klägerin aufgrund
hoher physischer und psychischer Belastung angeschuldigte Stress stelle nach der medizinischen Feststellung definitionsgemäß
keinen zu berücksichtigenden Faktor dar.
Hiergegen legte die Klägerin Widerspruch ein und machte geltend, sie habe sich vor dem viermonatigen Bundeswehrauslandseinsatz
2007 einer umfangreichen ausführlichen Untersuchung unterzogen, bei der nichts festgestellt worden sei. Im Ausland habe sie
an vielen Tagen wegen starker Kopfschmerzen nicht eingesetzt werden können. Außerdem habe sie im Ausland einen Zeckenbiss
erlitten. Sie sei im Bundeswehrauslandseinsatz hoher physischer und psychischer Belastung ausgesetzt gewesen.
Auf Antrag der Klägerin vom 03.07.2009 hat der Beigeladene nach Einholung der versorgungsmedizinischen Stellungnahme des Dr.
B. vom 08.03.2011 mit Bescheid vom 30.03.2011 einen Rechtsanspruch auf Gewährung von Beschädigtenversorgung nach dem SVG wegen MS abgelehnt, weil ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der MS und den von der Klägerin geltend gemachten schädigenden
Faktoren nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit zu begründen sei. Verantwortlich hierfür sei die in der medizinischen
Wissenschaft bestehende Ungewissheit darüber, ob es sich bei der MS um eine Infektionskrankheit oder um ein neuro-allergisches,
auf einer Autoimmunreaktion bestehendes Krankheitsgeschehen handle. Mit weiterem Bescheid vom 31.03.2011 hat der Beigeladene
festgestellt, dass die Voraussetzungen für die Gewährung einer Kann-Versorgung wegen MS nicht vorlägen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 01.12.2011 wies die Beklagte den Widerspruch zurück und führte zur Begründung aus, dass es auch
bei der herrschenden Ungewissheit über die Ätiologie der MS nicht wahrscheinlich sei, dass die Belastungen des von der Klägerin
geleisteten Wehrdienstes Ursache im Sinne einer wesentlichen Bedingung für die Gesundheitsstörung sei. Die Voraussetzung für
die Anerkennung als Wehrdienstbeschädigung und die Gewährung eines Ausgleichs nach § 85 Abs. 1 SGV als Rechtsanspruch lägen
daher nicht vor. Auch ein Anspruch im Sinne der Kann-Versorgung bestehe nicht. Bei der MS bestehe in der medizinischen Wissenschaft
Ungewissheit darüber, ob es sich um eine Infektionskrankheit oder um ein neuro-allergisches, auf einer Autoimmunreaktion beruhendes
Krankheitsgeschehen handle. Auch die Bedeutung endogener Faktoren sei noch umstritten. Die Voraussetzungen für eine Kann-Versorgung
lägen unter diesen Umständen vor, wenn körperliche Belastungen oder Witterungseinflüsse, die nach Art, Dauer und Schwere geeignet
seien, die Resistenz herabzusetzen, oder Krankheiten, bei denen eine toxische Schädigung oder eine erhebliche Herabsetzung
der Resistenz in Frage komme, oder Elektrotraumen (mit Stromverlaufsrichtung über das Rückenmark) nachgewiesen seien und die
Erstsymptome der MS während der Einwirkung der genannten Faktoren oder mehrere Monate (bis zu 8 Monaten) danach oder in der
Reparationsphase (bis zu zwei Jahren) im Anschluss an eine unter extremen Lebensbedingungen verlaufene Kriegsgefangenschaft
aufgetreten seien. Außerdem seien die Voraussetzungen für eine Kann-Versorgung als erfüllt anzusehen, wenn die MS in enger
zeitlicher Verbindung mit langdauernden konsumierenden Krankheiten, die selbst Schädigungsfolge seien, aufgetreten sei. Diese
Umstände seien bei der Klägerin nicht gegeben. Nach dem Ergebnis der versorgungsmedizinischen Stellungnahme des Sanitätsamtes
der Bundeswehr, die bestätigt werde durch die versorgungsärztliche Stellungnahme des Landratsamtes Heidenheim, entsprächen
die von der Klägerin dargestellten Belastungen, Einwirkungen und Umstände im In- und auch im Ausland nicht den versorgungsmedizinisch/-rechtlich
geforderten Kriterien für die Anerkennung nach der Kann-Versorgung. Der Auslandseinsatz von Februar bis Mai 2007 sei weder
von relevanten körperlich/seelischen Belastungen, noch von wesentlichen klimatischen Besonderheiten und auch nicht von Extremverschmutzungen
begleitet gewesen, aus denen sich eine toxische Schädigung oder eine erhebliche Herabsetzung der Resistenz ableiten lasse.
Extremen Lebensbedingungen, wie sie bei einer Kriegsgefangenschaft vorlägen, sei sie während des Auslandseinsatzes nicht ausgesetzt
gewesen.
Hiergegen hat die Klägerin am 16.12.2011 Klage beim Sozialgericht Ulm (SG) erhoben und nochmals auf die im Widerspruchsverfahren bereits vorgetragenen Gesichtspunkte hingewiesen.
Das SG hat Dr. W., Ärztlicher Direktor der Neurologischen Klinik, Bundeswehrkrankenhaus U., als sachverständigen Zeugen schriftlich
vernommen. Dieser hat unter dem 22.02.2012 ausgeführt, es sei nicht wahrscheinlich, dass die MS durch die dem Wehrdienst eigentümlichen
Verhältnisse, eine Wehrdienstverrichtung oder durch einen Unfall verursacht worden sei. Der heutige Wissenstand über die Entstehung
der MS spreche nicht dafür, dass MS durch äußere Umstände ausgelöst oder verschlimmert werden könne. Aus den Behandlungsunterlagen
gehe nicht hervor, ob die Klägerin während der Aufenthalte bei ihnen überhaupt einen Zusammenhang dieser Erkrankung mit dem
Wehrdienst hergestellt habe. Gleichwohl pflege man Patienten routinemäßig darauf hinzuweisen, dass die MS im Rahmen der sogenannten
Kann-Versorgung als Wehrdienstbeschädigung anerkannt werden könne. Nachdem im letzten Arztbrief vom August 2009 vermerkt worden
sei, dass keine Auffälligkeiten im klinisch-neurologischen Untersuchungsbefund vorlägen, liege, unabhängig von der mangelnden
Entstehungswahrscheinlichkeit der MS durch die wehrdiensteigentümlichen Verhältnisse, keine Schädigungsfolge vor.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung hat die Klägerin vorgetragen, dass die Belastung während des Auslandseinsatzes für sie
in den Gesamtumständen bestanden habe. Es sei nicht wie ein Urlaubsaufenthalt gewesen, sondern man habe sich in einem Land
befunden, in dem vorher ein Krieg stattgefunden habe. Es habe zerbombte Häuser und ähnliches gegeben und man habe nie gewusst,
womit man rechnen müsse. Diese Situation habe sie insgesamt als belastend empfunden. Sie habe während der Zeit dort zum Glück
keinen Toten oder Verletzten gesehen. Es habe auch keine Kriegsauseinandersetzungen gegeben. Am meisten habe sie die Ungewissheit
belastet, dass man nicht gewusst habe, was noch auf einen zukomme.
Mit Urteil vom 18.02.2013 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass nach dem Stand der Wissenschaft gesicherte Erkenntnisse fehlten,
wodurch die MS hervorgerufen werde und welchen Einfluss von außen wirkende Faktoren für das Auftreten und den weiteren Verlauf
der Erkrankung hätten. Diese Auffassung sei von Dr. W. und Dr. Sch. geteilt worden. Zwar könne in seltenen Einzelfällen trotz
der Ungewissheit im Hinblick auf die Entstehung der MS und den Einfluss äußerer Faktoren ein Zusammenhang der MS mit einer
Schädigung wahrscheinlich sein, z.B. wenn der Schub des Leidens in augenfälliger zeitlicher Verbindung mit außergewöhnlich
massiven Belastungsfaktoren auftrete und dann bei jeder der genannten wissenschaftlichen Hypothesen die gleiche Beurteilung
abzugeben wäre. Vorliegend gebe es jedoch keinerlei Anhaltspunkte für eine derartige Ausnahme. Die MS habe sich erstmals im
April 2008 durch Kribbelparästhesien im Bereich der rechten Fußsohle und einen Kraftmangel beider Beine bemerkbar gemacht.
Inwieweit die von der Klägerin erwähnten Kopfschmerzen während des Auslandseinsatzes in Zusammenhang mit der später festgestellten
MS-Erkrankung stünden, lasse sich nicht mehr aufklären. Die aufgrund der Kopfschmerzen durchgeführte MRT-Untersuchung vom
30.08.2007 habe einen altersgemäßen Normalbefund ergeben. Auch ein Zusammenhang mit dem von der Klägerin angesprochenen Zeckenbiss
sei nicht nachweisbar. Denn im aktenkundigen Entlassungsbericht des Bundeswehrkrankenhauses U. vom 04.06.2008 habe sich kein
Nachweis einer Infektion mit neurotypen Viren oder Bakterien gefunden. Ein enger zeitlicher Zusammenhang der Erstmanifestation
der MS mit dem Auslandseinsatz, der bereits am 02.06.2007 (richtig: 27.05.2007) geendet habe, bestehe daher nicht. Darüber
hinaus sei die Klägerin während des Auslandseinsatzes auch keinen massiven Belastungsfaktoren ausgesetzt gewesen. Die Klägerin
habe keine konkreten massiven Belastungssituationen in der mündlichen Verhandlung genannt, sondern nur auf die Gesamtsituation
während des Auslandseinsatzes abgestellt. Aus dem Bericht des Disziplinarvorgesetzten Hauptmann Nießen ergäben sich ebenfalls
keine Anhaltspunkte für massive Belastungsfaktoren. Die Klägerin habe auch keinen Anspruch auf Anerkennung der MS als Folge
einer Wehrdienstbeschädigung und Gewährung von Ausgleich nach den Vorschriften über die sogenannte Kann-Versorgung. Denn die
Klägerin sei während ihrer Dienstzeit und insbesondere während des Auslandseinsatzes keinen großen körperlichen Belastungen
oder negativen Witterungseinflüssen ausgesetzt gewesen, die geeignet gewesen seien, die Resistenz herabzusetzen, und habe
weder an Krankheiten, bei denen eine erhebliche Herabsetzung der Resistenz in Frage komme, noch an einem Elektrotrauma gelitten.
Darüber hinaus seien die Erstsymptome der MS auch nicht innerhalb eines Zeitraumes von acht Monaten nach Beendigung des Auslandseinsatzes
aufgetreten.
Gegen das ihr am 16.04.2013 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 13.05.2003 Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg
(LSG) eingelegt. Unter Beifügung verschiedener ärztlicher Dokumente aus den Jahren 2007 und 2008 hat die Klägerin zur Begründung
nochmals darauf hingewiesen, dass ausweislich der Auslandsdienstverwendungsfähigkeit vom 22.11.2006 vor dem Auslandseinsatz
keine gesundheitlichen Einschränkungen bestanden hätten und erst im Ausland die gesundheitlichen Probleme (Kopfschmerzen)
begonnen hätten. Im April 2007 habe sie einen Zeckenbiss gehabt. Fieber, Kopf- und Gliederschmerzen, Übelkeit, Licht- und
Geräuschempfindlichkeit seien ausgelöst worden. Nach dem Einsatz im Ausland habe es eine Untersuchung gegeben, bei der sie
erneut auf die Kopfschmerzen, das Kribbeln in den Extremitäten und die Gangunsicherheit im Ausland und im Nachhinein aufmerksam
gemacht habe. Erst nachdem sie darauf bestanden habe, dass Röntgenbilder (MRT) gefertigt werden sollten, seien die entzündlichen
Herde überall sichtbar gewesen und die Liquorabnahme habe die MS bestätigt. Auch wenn das ehemalige Gebiet Jugoslawien in
Deutschland nicht als Kriegsgebiet erklärt worden sei, seien kriegsähnliche Verhältnisse vorhanden gewesen (z.B. habe sie
mit dreckigem Wasser geduscht und die Zähne geputzt).
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 18. Februar 2013 sowie den Bescheid vom 27. September 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 1. Dezember 2011 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Multiple Sklerose als Folge einer Wehrdienstbeschädigung
anzuerkennen.
Die Beklagte und der Beigeladene beantragen,
die Berufung zurückzuweisen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die vorgelegten Behördenakten
sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die gemäß §
151 Abs.
1 und
2 SGG form- und fristgerecht eingelegte und nach §§
143,
144 SGG statthafte Berufung der Klägerin ist auch im Übrigen zulässig. Für Klagen auf Feststellung einer Wehrdienstbeschädigung ist
gemäß § 88 Abs. 7 Satz 2 SVG der Rechtsweg vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit gegeben. Streitgegenstand ist die von der Klägerin begehrte Verpflichtung
der Beklagten auf Feststellung einer MS als Folge einer Wehrdienstbeschädigung, die sie mit der kombinierten Anfechtungs-
und Verpflichtungsklage (§
54 Abs.
1 SGG) in zulässiger Weise durchsetzen kann (BSG, Urteil vom 29.04.2010 - B 9 VS 2/09 R - SozR 4-3200 § 88 Nr. 4). Soweit die Klägerin darüber hinaus erstinstanzlich die Gewährung eines Ausgleichs nach § 85 SVG (Grundrente) beantragt hat, hat sie ihre hierauf gerichtete Leistungsklage im Berufungsverfahren nicht mehr aufrecht erhalten.
Die Berufung ist jedoch unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Denn der Bescheid der Beklagten vom 27.09.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 01.12.2011 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat keinen Anspruch darauf, dass
die MS als Folge einer Wehrdienstbeschädigung festgestellt wird.
Der angefochtene Bescheid ist formell rechtmäßig, insbesondere war die Beklagte auch nach Beendigung des Wehrdienstes der
Klägerin zuständig, über die fragliche Wehrdienstbeschädigung zu entscheiden. Nach § 88 Abs. 1 SVG führt das Bundesministerium der Verteidigung (BMV) die §§ 85 bis 86 SVG bei Behörden der Bundeswehrverwaltung durch (Satz 1 der Vorschrift). Im Übrigen wird der Dritte Teil des SVG (Beschädigtenversorgung i. S. der §§ 80 ff. SVG) von den zur Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden im Auftrag des Bundes durchgeführt (Satz 2 der Vorschrift. Nach § 88 Abs. 2 Satz 1a SVG entscheiden u. a. bei ehemaligen Berufssoldaten und Soldaten auf Zeit die nach Absatz 1 Satz 1 zuständigen Behörden auch
nach Beendigung des Wehrdienstverhältnisses nach § 41 Absatz 2 SVG sowie den §§ 85 und 86 SVG, bevor die nach Absatz 1 Satz 2 zuständigen Behörden über die Beschädigtenversorgung für die Zeit nach Beendigung des Wehrdienstverhältnisses entscheiden.
Die danach gegebene, auch nach Beendigung des Wehrdienstverhältnisses fortbestehende vorrangige Entscheidungszuständigkeit
der Beklagten besteht allerdingss nur für solche Gesundheitsstörungen, die - wie im Falle der Klägerin - bereits während des
Wehrdienstes vorgelegen haben (BSG, Urteil vom 29.04.2010, a. a. O.). Denn der zeitliche Geltungsrahmen der Entscheidung der Beklagten erstreckt sich ausschließlich
auf die Zeit des Wehrdienstverhältnisses, auch wenn die Entscheidung erst nach dessen Ablauf ergeht. Für die Gewährung oder
Versagung von Ausgleich versteht sich das von selbst. Denn Soldaten erhalten nach § 85 Abs. 1 SVG wegen der Folgen einer Wehrdienstbeschädigung nur während ihrer Dienstzeit einen Ausgleich in Höhe der Grundrente und der
Schwerstbeschädigtenzulage nach § 30 Abs. 1 und § 31 BVG. Derselben zeitlichen Beschränkung unterliegt aber auch die auf § 85 SVG gestützte Entscheidung über die Feststellung von Folgen einer Wehrdienstbeschädigung, da die Feststellungsbefugnis nicht
weiter reichen kann als die Befugnis, über die Leistung zu entscheiden (BSG, Urteil vom 29.04.2010, a. a. O.). Für die Entscheidungen im Anwendungsbereich des § 85 SVG bedeutet dies, dass auch nach Beendigung des Wehrdienstverhältnisses die beklagte Bundesrepublik Deutschland feststellende
Verwaltungsakte zu Zusammenhangsfragen (als etwaige Vorstufe einer Leistungsgewährung) nur für Gesundheitsstörungen treffen
darf, die während der Dienstzeit vorgelegen haben.
Materiell-rechtliche Grundlage für den von der Klägerin geltend gemachten Anspruch auf Feststellung der im Mai 2008 diagnostizierten
MS als Folge einer Wehrdienstbeschädigung sind die §§ 81, 85 SVG.
Nach § 85 Abs.1 SVG erhalten Soldaten wegen der Folgen einer Wehrdienstbeschädigung während ihrer Dienstzeit einen Ausgleich in Höhe der Grundrente
und der Schwerstbeschädigtenzulage nach § 30 Abs. 1 und § 31 BVG. Nach § 81 Abs. 1 SVG ist eine Wehrdienstbeschädigung eine gesundheitliche Schädigung, die durch eine Wehrdienstverrichtung, durch einen während
der Ausübung des Wehrdienstes erlittenen Unfall oder durch die dem Wehrdienst eigentümlichen Verhältnisse herbeigeführt worden
ist.
Zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Wehrdienstbeschädigung genügt nach § 81 Abs. 6 Satz 1 SVG die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs. Es ist im vorliegenden Fall jedoch weder nachgewiesen, noch kann es
auch nur wahrscheinlich gemacht werden, dass die MS durch schädigende Vorgänge im Laufe des von der Klägerin abgeleisteten
Wehrdienstes hervorgerufen worden ist. Das SG hat im angefochtenen Urteil im Einzelnen u. a. unter Bezugnahme auf die schriftliche Zeugenauskunft des Ärztlichen Direktors
der Neurologischen Klinik des Bundeswehrkrankenhauses U. vom 22.02.2012 und Verweis auf die unfallversicherungsrechtliche
Literatur (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Auflage, 2010, S. 247 f.) dargelegt, dass
bis heute die Ätiologie der MS wissenschaftlich ungeklärt und daher ein Ursachenzusammenhang zwischen der Entstehung dieser
Erkrankung oder deren Verschlimmerung und einer Wehrdienstbeschädigung nicht wahrscheinlich zu machen ist. Der Senat schließt
sich diesen Ausführungen nach nochmaliger eigener Überprüfung an und sieht zur Vermeidung von Wiederholungen auf eine Darstellung
der Entscheidungsgründe insoweit ab (§
153 Abs.
2 SGG).
Ergänzend wird auf eine aktuelle, am 04.12.2013 in das Berufungsverfahren eingeführte Studie hingewiesen, die am 29.09.2013
in der Zeitschrift Nature Genetics online veröffentlicht wurde (http://www.nature.com/ng/journal/vaop/ncurrent/abs/ng.2770.html).
Hierbei handelt es sich um die größte genetische Untersuchung zu MS bisher, bei der die Erbsubstanz von 29.300 MS-Erkrankten
sowie von 50.794 nichtverwandten gesunden Kontrollpersonen analysiert worden ist. Sie wurde von der Miller School of Medicine
der University of Miami geleitet und von einem internationalen Team von 193 Wissenschaftlern aus 84 Forschungsgruppen in 13
Ländern realisiert, wobei die beteiligten Forschungsgruppen aus Deutschland von Prof. Dr. B. H. (Technische Universität M.),
Prof. Dr. F. Z. (Universität M.) und Prof. C. H. (Universität H.) geleitet wurden. Nach dieser neuesten wissenschaftlichen
Studie ist MS eine chronische neurologische Krankheit, die weltweit über 2,5 Millionen Menschen betrifft. Sie führt zu Entzündungen
und Schädigungen des Zentralen Nervensystems und verursacht, je nach Lokalisierung, Mobilitäts-, Balance-, Empfindungs- und
Wahrnehmungsstörungen. Auch nach dieser Studie sind indes die Ursachen der MS noch weitgehend unbekannt, man vermutet ein
Zusammenspiel genetischer Grundlagen mit Umweltfaktoren. Ist die Erkrankung in der Familie bereits einmal aufgetreten, ist
das Risiko, MS zu entwickeln, erhöht. Studien mit Zwillingen und Adoptivkindern zeigten, dass dieses erhöhte Risiko in erster
Linie das Resultat genetischer Risikofaktoren ist. Die nun veröffentlichten Ergebnisse verdoppeln die Anzahl der bestätigten
MS Genorte, unterstreichen die Rolle des Immunsystems bei der Entwicklung der MS und heben die deutlichen Ähnlichkeiten zwischen
der genetischen Architektur, die einer Vorbelastung für diese und viele andere Autoimmunkrankheiten zugrunde liegt, hervor
(vgl. http://www.dmsg.de/multiple-sklerose-news/index.php?w3pid=news&kategorie=forschung&anr=4889).
Mithin entspricht der aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisstand noch der bereits in den Anhaltspunkten für die ärztliche
Gutachtertätigkeit im Sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (AHP) wiedergegeben Lehrmeinung, wonach
bei der MS in der medizinischen Wissenschaft Ungewissheit darüber besteht, ob es sich um eine Infektionskrankheit oder um
ein neuro-allergisches, auf einer Autoimmunreaktion beruhendes Krankheitsgeschehen handelt und auch die Bedeutung endogener
Faktoren noch umstritten ist (vgl dazu AHP, Ausgabe 2008 Nr. 64). Die Nrn. 53 bis 143 AHP 2008 behalten auch nach Inkrafttreten
der Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) und der Anlage zu § 2 VersMedV am 01.01.2009 als antizipierte Sachverständigengutachten Gültigkeit (Bundesrat Drucksache 767/08), wenn - wie im Falle der
MS - die aufgeführten Wertungsvorgaben noch dem aktuellen Stand der Wissenschaft entsprechen. Grundsätzlich können daher schädigende
Vorgänge im Wehrdienst nicht als wahrscheinliche Ursache für eine MS festgestellt werden. In seltenen Einzelfällen kann trotzdem
nach Nr. 64 AHP 2008 ein Zusammenhang der MS mit einer Schädigung wahrscheinlich sein, zum Beispiel, wenn der Schub des Leidens
in augenfälliger zeitlicher Verbindung mit außergewöhnlich massiven Belastungsfaktoren auftritt und dann bei jeder der genannten
wissenschaftlichen Hypothesen die gleiche Beurteilung abzugeben wäre. Es ist für den Senat nicht ersichtlich, dass dieser
ausdrücklich in Nr. 64 AHP 2008 erwähnte Ausnahmefall nach heutigem medizinisch-wissenschaftlichem Erkenntnisstand nicht mehr
vertreten würde. Solchen außergewöhnlichen wehrdienstbedingten Belastungen war die Klägerin jedoch in augenfälliger zeitlicher
Verbindung mit der ersten gesicherten Diagnose der MS im Mai 2008 nicht ausgesetzt, sodass es der weiteren Prüfung nicht bedarf,
ob die spezielle Belastung der Klägerin nach allen zur Ursache der MS vertretenen wissenschaftlichen Hypothesen hier mit Wahrscheinlichkeit
die Ursache der MS-Erkrankung der Klägerin wäre. Dies ergibt sich für den Senat hinsichtlich des inländisch abgeleisteten
Wehrdienstes aus den Auskünften des Disziplinarvorgesetzten Oberleutnant M. vom 27.03. und 08.07.2009, wonach keine Umstände
bekannt geworden sind, die besondere Belastungen aufzeigen könnten. Nichts anderes gilt jedoch auch im Hinblick auf den sechzehnwöchigen
Auslandseinsatz im Jahr 2007, der ebenfalls nicht mit außergewöhnlich massiven Belastungen i. S. der Nr. 64 AHP 2008 verbunden
war. Nach den eigenen Angaben der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem SG bestand für sie die größte Belastung darin, nicht zu wissen, was noch auf sie zukommt. Der Senat vermag hieraus keine besondere
seelische Belastung abzuleiten. Nachdem der Hauptauftrag der Versorgungskompanie darin bestanden hat, einen Großteil des Materials
zum Transport nach Deutschland und somit die Auflösung des Feldlagers vorzubereiten, das im Dezember 2007 an Bosnien-Herzegowina
übergeben worden ist, erschließt sich dem Senat die von der Klägerin angegebene Verunsicherung ohnehin nicht. Denn eine Rückkehr
nach Deutschland in höchst absehbarer Zeit scheint bei dieser Sachlage naheliegend gewesen zu sein und realisierte sich dann
schon zum 27.05.2007. Eine seelische Belastung während des Aufenthaltes in Bosnien und Herzegowina ergibt sich auch nicht
aus anderen Umständen. Die Klägerin hat selbst angegeben, weder an kriegerischen Auseinandersetzungen beteiligt gewesen zu
sein, noch Tote oder Verletzte gesehen zu haben. Insgesamt vermochte der Disziplinarvorgesetzte Hauptmann N. keine Anhaltspunkte
für massive Belastungsfaktoren bei der Klägerin zu erkennen. Er hat vielmehr die körperliche Belastung der Klägerin während
des Auslandseinsatzes für gering eingeschätzt. Seelische Belastungen waren ihm ebenfalls nicht bekannt. Er hat die Klägerin
eher als eine fröhliche und aufgeschlossene Soldatin in Erinnerung, die sich auch aktiv an Veranstaltungen der Kompanie beteiligt
hat (Betreuungsfahrten etc.) Hätte die Klägerin an einer seelischen Belastung in medizinisch relevantem Umfang gelitten, ist
davon auszugehen, dass sie die angebotene Möglichkeit der Unterstützung durch den Militärseelsorger oder den Psychologen genutzt
hätte. Es fehlt somit an objektivierbaren Merkmalen für eine außergewöhnliche körperliche oder seelische Belastung der Klägerin
während ihres gesamten Wehrdienstes, die bei bestehender wissenschaftlicher Ungewissheit über die Ätiologie der MS im Ausnahmefall
gleichwohl die Wahrscheinlichkeit einer solchen Erkrankung begründen könnte.
Hinzu kommt, dass - soweit die Klägerin den Auslandseinsatz für eine Wehrdienstbeschädigung verantwortlich macht und die MS
als deren Folge erachtet - nicht von einer offensichtlichen zeitlichen Nähe zwischen dem angeschuldigten Ereignis und dem
Zeitpunkt der Erstdiagnose ausgegangen werden kann. Denn der Auslandseinsatz der Klägerin endete bereits am 27.05.2007, während
erstmals im radiologischen Befundbericht der Dipl.-med. L. vom 15.05.2008, mithin annähernd ein Jahr nach Beendigung des Auslandseinsatzes,
der dringende Verdacht einer MS-Erkrankung geäußert worden ist, der durch die Diagnose vom 04.06.2008 bestätigt worden ist.
Die von der Klägerin im Berufungsverfahren belegten Gesundheitsstörungen während des Auslandseinsatzes lassen sich nicht als
eindeutige MS-Symptome klassifizieren, weshalb nach übereinstimmender Ansicht aller behandelnder Ärzte ein erster Schub der
MS-Erkrankung im April 2008 nachzuweisen gewesen ist. Die von der Klägerin in Kopie übersandte Medizinische Dokumentation
der 7. DtEinsKtgt EUFOR Sanitätseinsatzverband, Klinikkompanie, enthält unter dem 01.03.2007 die Diagnose Grippaler Infekt,
ebenfalls im März 2007 die anamnestische Mitteilung von leicht zunehmenden Erkältungssymptomen, unter dem 12.04.2007 die Diagnose
Verdacht auf reaktive LKS (Lymphknotenschwellung), undatiert die Diagnose Verdacht auf Sialadenitis (Speicheldrüsenentzündung)
der Glandula submandibularis (Gld. submand) links, unter dem 19.04.2007 die Diagnose einer Zehenverletzung am linken Fuß und
unter dem 06.06.2007 - soweit entzifferbar - eine Magenverstimmung mit unauffälligem Befund im Nachtest vom 25.06.2007 (Bl.
32 WDB-Akten). Die weiteren Untersuchungsbefunde vom August 2007 berichteten nach Beendigung des Auslandseinsatzes über rezidivierende
Kopfschmerzen und Schwankschwindel unklarer Genese. Die MRT vom 29.08.2007 des Schädels ergab dann allerdings einen altersgemäßen
Normalbefund mit regelrechter Mark-Rindendifferenzierung, kein Anhalt für Einblutung, RF oder entzündliche Prozesse. Erstmals
MS-typische Symptome hat die Klägerin anlässlich ihrer Untersuchung durch die Nervenärztin K. am 29.04.2008 geschildert, nämlich
Kopfschmerzen mit Kribbelparästhesien in beiden Fußsohlen (Bl. 11 LSG). Anders als in der MRT vom 29.08.2007 kamen sodann
in der MRT vom 15.05.2008 nachweisbare Herde zur Darstellung.
Die MS-Erkrankung der Klägerin kann auch nicht i. S. der Kannversorgung nach § 81 Abs. 6 Satz 2 SVG als Folge einer Wehrdienstbeschädigung anerkannt werden.
Wenn die zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Wehrdienstbeschädigung erforderliche Wahrscheinlichkeit
nur deshalb nicht gegeben ist, weil über die Ursache des festgestellten Leidens in der medizinischen Wissenschaft Ungewissheit
besteht, kann nach § 81 Abs. 6 Satz 2, § 85 Abs. 3 SVG mit Zustimmung des BMV im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) die Gesundheitsstörung als
Folge einer Wehrdienstbeschädigung anerkannt werden (sog "Kannversorgung"); die Zustimmung kann allgemein erteilt werden.
In diesen Fällen reicht es aus, wenn der Zusammenhang einer Krankheit mit einem entschädigungsrechtlich erheblichen Vorgang
nur möglich ist (vgl. zur Kannversorgung insbesondere BSG, Urteil vom 10.11.1993 - 9/9a RV 41/92, SozR 3-3200 § 81 Nr. 9; BSG, Urteil vom 16.03.1994 - 9 RV 11/93, SozR 3-3100 § 1 Nr. 14; BSG, Urteil vom 12.12.1995 - 9 RV 17/94, SozR 3-3200 § 81 Nr. 13).
Das BMAS hat für eine Reihe von Krankheiten, über deren Entstehung in der medizinischen Wissenschaft Ungewissheit besteht,
für die also nach den gesetzlichen Bestimmungen eine Kannversorgung in Frage kommt, eine allgemeine Zustimmung erklärt. Dieser
hat sich der BMV bereits im Voraus angeschlossen (vgl. Nr. 6 Abs. 2 der Richtlinien zu § 85 SVG vom 23.05.1975 [BAnz Nr 98] mit Änderungen vom 31.10.1977 [BAnz Nr. 214]). Das BMAS hatte diese Zustimmung in den von ihm
herausgegebenen AHP veröffentlicht, zuletzt in den bis 31.12.2008 geltenden AHP 2008, Nr. 53 bis 143. Die seit 01.01.2009
geltende VersMedV enthält die Zustimmung in der bisherigen Form zwar nicht mehr. Wie sich aus den Gesetzesmaterialien ergibt (vgl. Bundesrat
Drucksache 767/08 S. 4 zu § 2) bleibt das Rundschreiben des BMAS vom 12.12.1996 (Az VI 5 - 55470 - 2) jedoch wirksam. Die
somit nach wie vor fortbestehende und nicht zurück genommene allgemeine Zustimmung ist jedoch nicht einschränkungslos erteilt.
Sie ist vielmehr an bestimmte Voraussetzungen geknüpft, die in den AHP als Hinweise für die Kausalitätsbeurteilung bei einzelnen
Krankheiten gegeben werden. So sind nach Nr. 64 AHP 2008 die Voraussetzungen für eine "Kannversorgung" im Falle einer MS dann
als gegeben anzusehen, wenn folgende Schädigungstatbestände vorgelegen haben
Körperliche Belastungen oder Witterungseinflüsse, die nach Art, Dauer und Schwere geeignet sind, die Resistenz herabzusetzen,
Krankheiten, bei denen eine toxische Schädigung oder eine erhebliche Herabsetzung der Resistenz in Frage kommt, Elektrotraumen
(mit Stromverlaufsrichtung über das Rückenmark).
und die Erstsymptome der MS während der Einwirkung der genannten Faktoren oder mehrere Monate (bis zu 8 Monaten) danach oder
in der Reparationsphase (bis zu 2 Jahren) im Anschluss an eine unter extremen Lebensbedingungen verlaufene Kriegsgefangenschaft
aufgetreten sind. Außerdem sind die Voraussetzungen für eine Kannversorgung als erfüllt anzusehen, wenn die MS in enger zeitlicher
Verbindung mit langdauernden konsumierenden Krankheiten, die selbst Schädigungsfolge sind. aufgetreten ist. Eine enge zeitliche
Verbindung ist ebenfalls zu fordern, wenn eine ausgeprägte Impfreaktion ursächlich in Betracht kommt.
Diese Voraussetzungen sind im Falle der Klägerin nicht erfüllt, sodass es an der notwendigen Zustimmung des BMAS bzw. BMV
fehlt. Wie bereits oben ausgeführt, liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die Klägerin während ihres Wehrdienstes körperlichen
Belastungen ausgesetzt gewesen wäre, die nach Art, Dauer und Schwere geeignet gewesen wären, die Resistenz herabzusetzen.
Auch wenn wehrdienstbedingte seelische Belastungen nicht explizit in Nr. 64 der AHP 2008 genannt werden, dürften auch solche,
sofern sie aufgrund ihrer Intensität mit einer Absenkung der Resistenz einhergehen, als berücksichtigungsfähiger exogener
Faktor gelten. Auch insoweit ergeben sich jedoch weder aus dem Akteninhalt noch aus dem Vorbringen der Klägerin Gesichtspunkte
für eine dementsprechende Belastung. Die Klägerin hat auch nicht an Krankheiten gelitten, bei der eine erhebliche Herabsetzung
der Resistenz in Frage kommt. Dies ergibt sich aus dem Schreiben des Stabsarztes Dr. K. vom 05.06.2009, wonach bei der Klägerin
während der Dienstzeit keine das Immunsystem nachhaltig beeinträchtigenden Erkrankungen vorgelegen haben. Auch der Zeckenbiss
im April 2007 führte nicht zu weiteren medizinischen Konsequenzen wie sich aus den von der Klägerin im Berufungsverfahren
vorgelegten Befundberichten des German Field Hospital R. ergibt. Dort wird weder ein Zeckenbiss noch eine hierauf eingeleitete
z. B. medikamentöse Behandlung erwähnt. Eine toxische Schädigung der Klägerin ist ebenso wenig ersichtlich wie ein Elektrotrauma.
Allein der Umstand, dass außerhalb des Lagers R. Umweltverschmutzungen festgestellt worden sind, begründet nicht die Annahme
einer toxischen Schädigung der Klägerin. Dass auch keine witterungsbedingten Belastungen im Laufe des Auslandseinsatzes bestanden
haben, die eine Herabsetzung der Resistenz begründen könnten, ergibt sich aus der vorgelegten wehrmedizinmeterologischen Auskunft
vom 10.09.2009 sowie dem Schreiben des Disziplinarvorgesetzten Hauptmann N., wonach die klimatischen Bedingungen während des
Auslandseinsatzes der Klägerin vergleichbar mit den Bedingungen in Deutschland gewesen sind. Unabhängig davon, dass keine
Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Belastungen der Klägerin das gewöhnliche Ausmaß überschritten haben, und die im Laufe
des Wehrdienstes erlittenen Erkrankungen nach dem dokumentierten Verlauf nicht mit einer erheblichen Herabsetzung der Resistenz
verbunden waren, fehlt es auch an dem notwendigen zeitlichen Zusammenhang. Denn die Erstsymptome der MS sind nicht während
der Einwirkung der genannten Faktoren oder bis zu 8 Monaten danach von der Klägerin beklagt worden, sondern erst 11 Monate
nach dem Auslandseinsatz.
Die MS der Klägerin kann daher auch nicht nach § 81 Abs. 6 Satz 2 SVG als Folge einer Wehrdienstbeschädigung anerkannt werden.
Die Berufung der Klägerin war somit insgesamt zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des §
160 Abs.
2 SGG nicht vorliegen.