Gründe:
I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (im Folgenden: Bf.) hat in dem Klageverfahren vor dem Sozialgericht München die Anrechnung
von Kindererziehungszeiten bzw. Kinderberücksichtigungszeiten für im Ausland zurückgelegte Kindererziehungszeiten vom 5. Juli
1968 bis 11. November 1969 begehrt. Die Beklagte hatte dies mit Bescheid vom 16. bzw. 30. Dezember 2005 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 10. Mai 2006 abgelehnt.
Im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom 15. April 2010 hat der Kammervorsitzende darauf hingewiesen, dass gemäß §
56 Abs.
3 S. 2 des Sechsten Buchs Sozialgesetzbuch (
SGB VI) keine Pflichtbeiträge der Bf. oder des damaligen Ehemannes unmittelbar vor oder während der im Ausland zurückgelegten Kindererziehungszeiten
vorliegen. Dies sei jedoch gesetzliche Voraussetzung für eine Anerkennung der Zeiten. Hierzu hat der Bevollmächtigte der Bf.
ausweislich der Sitzungsniederschrift vorgetragen, man könne auch Gesetze ändern. Ferner hat er eingeräumt, dass diese Pflichtbeiträge
nicht mehr vorliegen können. Er hat jedoch gerügt, dass der Kammervorsitzende nur dem Gesetz folgen würde. Weiter heißt es
in der Niederschrift: "Die Klägerin brüllt, dies sei eine bodenlose Unverschämtheit des Richters."
Die Kammer hat nach geheimer Beratung mit Beschluss gegen die Bf. wegen ungebührlichen Verhaltens ein Ordnungsgeld in Höhe
von 250.- EUR verhängt. Der vom Vorsitzenden unterzeichnete Beschluss vom 15. April 2010 ist der Niederschrift als Anlage
beigefügt. Das Verhalten der Bf. stelle eine Ungebühr dar und rechtfertige ein Ordnungsgeld in Höhe von 250.- EUR. Es handele
sich um eine Beleidigung des vorsitzenden Richters. Ein derartiges aggressives und beleidigendes Verhalten der Bf. im Zusammenhang
mit der Rüge ihres Prozessbevollmächtigten, der Richter würde nur dem Gesetz folgen und es nicht ändern, könne nicht hingenommen
werden. Dies lasse sich nicht mit der Würde des gerichtlichen Verfahrens vereinbaren.
Zur Begründung der hiergegen eingelegten Beschwerde hat sich die Bf. über die Verhandlungsführung des Kammervorsitzenden beschwert
und die Verhängung eines Ordnungsgeldes auch in der Höhe von 80 v.H. des Monatseinkommens für unangemessen gehalten. Der Vorsitzende
habe sich nicht die Mühe gemacht, auf ihr Rechtsempfinden einzugehen. Dieser habe im Übrigen in der gleichen Lautstärke zu
Protokoll gegeben, dass der Bevollmächtigte von ihm verlange, dem Gesetz nicht zu folgen.
II. Die Beschwerde ist form- und fristgerecht eingelegt (§§
172,
173 Sozialgerichtsgesetz -
SGG). Zwar gilt gemäß §
173 S. 1 HS 2
SGG für die Einlegung nur eine einwöchige Frist nach §
181 Gerichtsverfassungsgesetz (
GVG). Jedoch war die in der Beschlussausfertigung enthaltende Rechtsmittelbelehrung unrichtig. Diese enthielt den Hinweis, es
könne Beschwerde binnen eines Monats nach Zustellung des Beschlusses eingelegt werden. Wenn die Belehrung unterblieben oder
unrichtig erteilt wurde, so beginnt die Frist für ein Rechtsmittel oder einen Rechtsbehelf nicht zu laufen und der Rechtsbehelf
ist innerhalb eines Jahres seit Zustellung gemäß §
66 Abs.
2 S. 1
SGG zulässig. Die Jahresfrist wurde von der Bf. eingehalten, so dass die Beschwerde zulässig ist.
Die Beschwerde ist auch begründet, da sich die Bf. zwar ungebührlich verhalten hat, dem Beschluss jedoch keine Abmahnung voranging
und rechtliches Gehör nicht gewährt wurde.
Die Verhängung von Ordnungsgeld ist eine Festsetzung von Ordnungsmitteln im Sinne des §
61 Abs.
1 SGG in Verbindung mit §
178 GVG. Unter anderem kann dadurch gegenüber einem Verfahrensbeteiligten, der sich einer Ungebühr schuldig gemacht hat, Ordnungsgeld
festgesetzt werden. Ungebühr stellt eine Missachtung des Gerichts in einer nach allgemeinem Empfinden grob unangemessenen
Weise dar (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 9. Aufl., § 61 Rdnr. 5 d). Gemäß §
178 Abs.
2 GVG entscheidet über die Festsetzung von Ordnungsgeld gegenüber Personen, die bei der Verhandlung nicht beteiligt sind, der Vorsitzende,
in allen übrigen Fällen das Gericht. Dieser Zuständigkeitsvorschrift hat das Sozialgericht Genüge getan. Es entschied über
die Verhängung von Ordnungsgeld in Kammerbesetzung nach geheimer Beratung, wie das Protokoll ausweist.
Zwar teilt der Senat die Ansicht des Sozialgerichts, dass ein ungebührliches Verhalten der Bf. vorgelegen hat. Der Kammervorsitzende
sah sich dabei offensichtlich vor allem durch die Lautstärke des Vorbringens und das Ansinnen, losgelöst von den gesetzlichen
Vorgaben zu entscheiden, beleidigt. Allerdings verlangt der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, dass regelmäßig vor einer Maßnahme
nach §
178 GVG eine Abmahnung durch den Vorsitzenden ausgesprochen wird. Dies ist auch vor dem Hintergrund zu sehen, dass es sich bei der
Verhängung von Ordnungsgeld um eine strafähnliche Maßnahme handelt. Eine derartige Abmahnung ist nicht ausgesprochen bzw.
durch das Protokoll nicht belegt. Dabei handelte es sich bei der Äußerung um einen einmaligen Vorgang, der allein in seinem
Inhalt nicht geeignet erscheint, die Rechtspflegeaufgaben des Gerichts und die Ordnung der Gerichtsverhandlung zu stören.
Dies wird nur bei Gesamtbetrachtung der Äußerung als gegeben angesehen, so dass eine Abmahnung nach Ansicht des Senats angebracht
gewesen wäre.
Darüber hinaus ist nicht protokolliert, dass der Bf. vor Erlass des Ordnungsgeldbeschlusses rechtliches Gehör (Art.
103 Abs.
1 Grundgesetz; §
62 SGG) gewährt wurde. Dies ist jedoch grundsätzlich vor der Festsetzung von Ordnungsgeld notwendig (BVerfG, Kammerbeschluss vom
02.06.2010, Az.: 1 BvR 448/06; s.a. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, aaO., § 61 Rdnr. 6 und § 62 Rdnr. 3 a). Der Ausnahmefall, dass dadurch eine weitere
Ungebühr zu befürchten gewesen wäre, ist nicht erkennbar.
Der Beschluss des Sozialgerichts war daher aufzuheben.
Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des §
193 SGG.
Der Beschluss ist nicht anfechtbar (§
177 SGG) und ergeht kostenfrei (§
183 SGG).