Anspruch auf Grundsicherung für Arbeitsuchende, Berücksichtigung der Abwrackprämie als Einkommen
Gründe:
I. Streitig ist, ob die Umweltprämie (sog. Abwrackprämie) in Höhe von 2500,- Euro für den Erwerb eines neuen Autos auf Leistungen
der Grundsicherung für Arbeitsuchende als Einkommen anzurechnen ist oder ob es sich um eine nicht zu berücksichtigende zweckbestimmte
Einnahme handelt.
Die im Jahr 1951 geborene Beschwerdeführerin bezieht seit längerem Arbeitslosengeld II von der Beschwerdegegnerin. Im Februar
2009 schloss die Beschwerdeführerin einen Kaufvertrag mit einem Autohaus über die Lieferung eines Pkw im Wert von 9000,- Euro.
Im September 2009 wurde der Beschwerdegegnerin der Autokauf bekannt.
Mit Bescheid vom 28.10.2009 bewilligte die Beschwerdegegnerin Arbeitslosengeld II für die Zeit vom 01.11.2009 bis 30.04.2010
in Höhe von monatlich 249,84 Euro. Auf den Bedarf von 666,50 Euro (359,- Euro Regelleistung und 307,50 Euro Kosten der Unterkunft)
wurde die Umweltprämie als einmalige Einnahme angerechnet. Dabei wurde der Gesamtbetrag von 2500,- Euro mit jeweils 416,66
Euro auf sechs Monate verteilt. Gegen den Bescheid wurde Widerspruch erhoben, über den noch nicht entschieden ist.
Im November 2009 wurde die Umweltprämie direkt an das Autohaus ausbezahlt.
Am 02.11.2009 stellte die Beschwerdeführerin bei Sozialgericht Regensburg einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz. Sie
verfüge nicht über Ersparnisse, um den Lebensunterhalt und die Mietzahlungen sicherzustellen. Die Abwrackprämie sei nicht
als Einkommen zu berücksichtigen. Mit Beschluss vom 17.11.2009 lehnte das Sozialgericht den Antrag auf Erlass einer einstweiligen
Anordnung ab. Die Umweltprämie sei eine als Einkommen anzurechnende einmalige Einnahme. Durch die Umweltprämie werde aus wirtschafts-
und umweltpolitischen Gründen eine private Konsumentscheidung (Kauf eines Autos) nachträglich mit 2500,- Euro prämiert. Dieser
Betrag stehe grundsätzlich zur freien Verfügung. Es fehle daher an einer strikten Zweckgebundenheit. Durch die direkte Auszahlung
an das Autohaus sei die Beschwerdeführerin von einer Darlehensverbindlichkeit befreit worden und habe insoweit einen geldwerten
Vorteil erlangt. Außerdem werde die Lage des Empfängers durch die Zahlung der 2500,- Euro so günstig beeinflusst, dass daneben
Leistungen nach SGB II nicht mehr gerechtfertigt wären. Die Aufteilung auf sechs Monate entspreche den Vorgaben der Arbeitslosengeld
II-Verordnung.
Am 02.12.2009 hat die Beschwerdeführerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Beschwerde zum Bayerischen Landessozialgericht
(LSG) erhoben. Eine Anrechnung der Umweltprämie würde Empfänger von Arbeitslosengeld II vom Bezug der Umweltprämie ausschließen.
Dies entspreche nicht dem gesetzgeberischen Willen. Durch den Erwerb eines PKW werde die Mobilität und damit Möglichkeit der
Arbeitsaufnahme verbessert.
Die Beschwerdeführerin beantragt,
die Beschwerdegegnerin unter Aufhebung des Beschlusses des Sozialgerichts Regensburg vom 17.11.2009 vorläufig zu verpflichten,
der Beschwerdeführerin ab November 2009 Arbeitslosengeld II ohne Anrechnung der Abwrackprämie zu gewähren.
Der Beschwerdegegner beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
Im Übrigen wird zur Ergänzung des Sachverhalts wegen der Einzelheiten auf die Akte der Beschwerdegegnerin, die Akte des Sozialgerichts
und die Akte des LSG verwiesen.
II. Die Beschwerde ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben (§
173 Sozialgerichtsgesetz -
SGG). Im einstweiligen Rechtsschutz kann die Umweltprämie hier nicht als anrechenbares Einkommen vom Anspruch der Beschwerdeführerin
auf existenzsichernde Leistungen abgezogen werden.
Da die Beschwerdeführerin eine Erweiterung ihrer Rechtsposition anstrebt, ist eine einstweilige Anordnung in Form einer Regelungsanordnung
nach §
86b Abs.
2 Satz 2
SGG statthaft. Leistungen werden im Eilverfahren zur Beseitigung einer akuten Notlage gewährt, regelmäßig also erst ab der Entscheidung
des Senats, hier ab Dezember 2009.
Nach §
86b Abs.
2 Satz 2
SGG sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes mit Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig,
wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Eine solche Anordnung setzt sowohl einen Anordnungsanspruch
(materielles Recht, für das einstweiliger Rechtsschutz geltend gemacht wird) als auch einen Anordnungsgrund (Eilbedürftigkeit
im Sinne der Notwendigkeit einer vorläufigen Regelung, weil ein Abwarten auf eine Entscheidung im Hauptsacheverfahren nicht
zuzumuten ist) voraus. Sowohl Anordnungsanspruch als auch Anordnungsgrund müssen glaubhaft sein (§
86b Abs.
2 Satz 4
SGG i.V.m. §
920 Abs.
2, §
294 Zivilprozessordnung).
In eindeutigen Konstellationen gilt Folgendes: Wenn die Klage offensichtlich unzulässig oder unbegründet ist, ist der Antrag
auf einstweilige Anordnung abzulehnen. Wenn die Klage offensichtlich zulässig und begründet ist sowie ein Anordnungsgrund
besteht, ist dem Antrag in der Regel stattzugeben (vgl. Keller in Meyer-Ladewig,
Sozialgerichtsgesetz, 9. Auflage 2008, §
86b Rn. 29). Bei einem offenen Ausgang ist dagegen eine umfassende Interessenabwägung erforderlich. Die einstweilige Anordnungen
wird erlassen, wenn es dem Antragsteller unter Berücksichtigung der Interessen aller Beteiligten nicht zuzumuten ist, die
Hauptsacheentscheidung abzuwarten (Keller aaO. Rn. 29a).
Im vorliegenden Fall ist der Ausgang offen (vgl. a). Die Interessenabwägung gebietet, der Beschwerdeführerin vorläufig Leistungen
ohne Anrechnung der Umweltprämie als Einkommen zuzusprechen (vgl. b).
a) Erfolgsaussichten in der Hauptsache
Es ist umstritten, ob die Umweltprämie als Einkommen anzurechnen ist oder ob diese als zweckbestimmte Einnahme nach § 11 Abs.
3 Nr. 1a SGB II nicht als Einkommen zu berücksichtigen ist. Die Rechtsprechung der Landessozialgerichte ist uneinheitlich:
für die Anrechnung als Einkommen LSG NRW, Beschluss vom 03.07.2009, L 20 B 59/09 AS ER, gegen eine Anrechnung als Einkommen LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 06.10.2009, L 5 As 265/09 B ER. Für die Anrechnung
als Einkommen spricht sich die Bundesregierung in der Antwort auf eine kleine Anfrage aus (BTDrs. 16/14156). Gegen die Anrechnung
ist in der Literatur Brühl in LPK SGB II, 3. Auflage 2009, § 11 Rn. 66.
Rechtsgrundlage der Umweltprämie ist die Richtlinie zur Förderung des Absatzes von Personenkraftwagen vom 20.02.2009 mit Änderungen
der Richtlinie vom 17.03.2009 und 26.06.2009 (Bundesanzeiger S. 835, 1056, 1144). Aus wirtschafts- und umweltpolitischen Motiven
wird eine Zuwendung von 2500,- Euro gewährt, wenn ein alter Personenkraftwagen verschrottet wird und ein Neufahrzeug bestimmter
Emissionsgüte erworben wird. Die Zuwendung wird nach Prüfung der Voraussetzungen auf ein vom Antragsteller angegebenes Konto
ausgezahlt.
Als Einkommen sind nach § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II grundsätzlich alle Einnahmen in Geld oder Geldeswert anzurechnen.
Nach § 11 Abs. 3 Nr. 1a SGB II sind nicht als Einkommen zu berücksichtigen zweckbestimmte Einnahmen, die einem anderen Zweck
als die Leistungen nach dem SGB II dienen und die Lage des Empfängers nicht so günstig beeinflussen, dass daneben Leistungen
nach dem SGB II nicht gerechtfertigt sind.
Das BSG hat im Urteil vom 30.09.2008, B 4 AS 19/07 R (dort Rn. 14) zur Anrechnung der Eigenheimzulage (vor dem 01.10.2005 und damit vor Inkrafttreten von § 1 Abs. 1 Nr. 7 Alg
II-V) ausgeführt:
"§ 11 Abs 3 Nr. 1a SGB II soll einerseits bewirken, dass die besondere Zweckbestimmung einer Leistung durch ihre Berücksichtigung
im Rahmen des SGB II [richtig: nicht] verfehlt wird. Andererseits soll die Vorschrift ihre Erbringung für einen identischen
Zweck, also eine Doppelleistung verhindern. Es kommt demnach darauf an, ob die in Frage stehende Leistung ebenso wie die Leistungen
nach dem SGB II der Existenzsicherung des Begünstigten dient."
Das BSG führte aus, dass das Bundesverwaltungsgericht die Eigenheimzulage als auf die Sozialhilfe anrechenbares Einkommen
gewertet habe, weil sie unabhängig davon gewährt werde, ob sie tatsächlich zur Finanzierung des Eigenheimes verwendet werde
und deren konkrete Verwendung im Belieben des Empfängers stehe. Dies hat das BSG in der genannten Entscheidung nicht auf das
SGB II übertragen. § 11 Abs. 3 SGB II erfordere keinen ausdrücklich im Gesetz genannten Zweck. Zweck der Eigenheimzulage sei
es nicht, den allgemeinen Lebensunterhalt zu sichern, sondern Haushalten mit geringem Einkommen den Zugang zum Wohneigentum
zu eröffnen oder zu erleichtern. Es entspreche auch dem Ziel des SGB II, eine möglichst zügige Wiedereingliederung des Hilfebedürftigen
in den Arbeitsmarkt zu gewährleisten und dabei einen Ausverkauf des während vorangegangener Erwerbstätigkeit mit staatlicher
Förderung erworbenen Vermögens zu vermeiden. Das im Hinblick auf den Bezug einer staatlichen Fürsorgeleistung angemessene
Vermögen solle vielmehr erhalten bleiben. Die angemessene Immobilie sei nach § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 SGB II unter Schutz
gestellt (aaO. Rn. 16).
Diese Rechtsprechung auf die Umweltprämie übertragen bedeutet:
Mit dem Zweck von § 11 Abs. 3 SGB II ist die Nichtanrechnung der Umweltprämie vereinbar. Durch Berücksichtigung der Umweltprämie
als Einkommen, würde die besondere Zweckbestimmung der Umweltprämie verfehlt werden. Die Umweltprämie soll einen finanziellen
Anreiz dafür schaffen, dass "außerplanmäßig" ein neuer PKW erworben wird. Würde die Umweltprämie angerechnet werden, wäre
der Anreiz hinfällig, und der Hilfebedürftige könnte von vornherein auf die Umweltprämie verzichten. Die Erbringung von Doppelleistungen
ist nicht zu befürchten: Die Umweltprämie ist ein Zuschuss zum Erwerb eines neuen PKW - dafür gibt es im SGB II keine Leistungen.
Die 2500,- Euro der Umweltprämie können wie die Eigenheimzulage für beliebige Zwecke eingesetzt werden. Bei der Eigenheimzulage
ist die zweckentsprechende Verwendung, also die Verwendung für das Förderobjekt, Voraussetzung der Nichtberücksichtigung (BSG
aaO. Rn. 19). Dieses Prinzip gilt auch für die Umweltprämie, d. h. die zweckentsprechende Verwendung muss nachgewiesen werden.
Die Umweltprämie wurde hier nachweislich für den Autokauf eingesetzt.
Unschädlich ist weiterhin, dass das neu angeschaffte Kraftfahrzeug einen Wert von 9000,- Euro hat. Wie das angemessene Eigenheim
(§ 12 Abs. 3 S. 1 Nr. 4 SGB II) ist auch das angemessene Kraftfahrzeug (§ 12 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 SGB II) geschütztes Vermögen.
Auch wenn die Wertgrenze für ein angemessenes Kraftfahrzeug bei 7500,- Euro liegt (BSG, Urteil vom 06.09.2007, B 14/7b AS 66/06 R, dort Rn. 13), kann dieser Wert unter Anrechnung auf den Grundfreibetrag nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 SGB II überschritten werden
(BSG aaO. Rn. 18). Grundsätzlich kann also auch mit Hilfe der Umweltprämie ein Neuwagen erworben werden, der dann geschütztes
Vermögen ist. Das angemessene Kraftfahrzeug wird im SGB II geschützt, weil es für den Weg zu einer künftigen Arbeitsstelle
eingesetzt werden kann (BSG aaO. Rn. 14). Ob auch unter diesem Aspekt eine schützenswerte Position, vergleichbar dem Erhalt
einer vor dem Leistungsbezug erworbenen Immobilie besteht, musste der Senat in diesem Verfahren nicht abschließend entscheiden.
Die Lage der Beschwerdeführerin wird durch die Umweltprämie nicht so günstig beeinflusst, dass daneben Leistungen nach dem
SGB II nicht gerechtfertigt wären. Abzustellen ist darauf, ob sich der Hilfebedarf durch den Zufluss deutlich verringert (Mecke
in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Auflage 2008, § 11 Rn. 40). Dies ist hier angesichts der konkreten Situation - wie sie sich
dem Senat im Eilverfahren darstellt - nicht der Fall.
b) Interessenabwägung
Bei dem offenen Ausgang hat eine Interessenabwägung zu erfolgen. Zu betrachten sind die Folgen, die entstehen würden, wenn
das Gericht die einstweilige Anordnung nicht erließe, sich im Hauptsacheverfahren aber herausstellen würde, dass der Anspruch
besteht. Dem gegenüber zu stellen sind die Folgen, die entstehen würden, wenn das Gericht die einstweilige Anordnung erließe,
sich im Hauptsacheverfahren aber herausstellt, dass der Anspruch nicht besteht (Keller aaO. Rn. 29a).
Wenn das Gericht die einstweilige Anordnung nicht erließe, würde die existenzsichernde Leistung Arbeitslosengeld II für sechs
Monate auf fast auf ein Drittel reduziert. Ob die Beschwerdeführerin als Bezieherin von Arbeitslosengeld II Darlehen für den
laufenden Lebensunterhalt aufnehmen kann, ist sehr fraglich und kann nicht unterstellt werden. Denkbar scheint allenfalls
ein Notverkauf des Fahrzeugs. Damit würde die Beschwerdeführerin einen PKW verlieren, der zum Schonvermögen zählen dürfte
und finanzielle Verluste erleiden. Wenn sich dann im Hauptsacheverfahren herausstellen sollte, dass die Umweltprämie letztlich
nicht als Einkommen anrechenbar ist, ließe sich der Notverkauf des PKW nicht rückgängig machen.
Demgegenüber treten eventuelle Schwierigkeiten bei einer Rückforderung von Leistungen in den Hintergrund; die Beschwerdegegnerin
hat diese regelmäßig bei vorläufigen Leistungen auftretende Situation hinzunehmen, wenn keine besonderen Umstände hinzutreten.
Solche sind nicht ersichtlich.
Zusammenfassend ist festzustellen, dass die Interessensabwägung zu Gunsten der Beschwerdeführerin ausgeht und daher die einstweilige
Anordnung zu ergehen hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von §
193 SGG.
Dieser Beschluss ist gemäß §
177 SGG unanfechtbar.