Zugehörigkeit zur zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz
Feststellung weiterer Arbeitsentgelte in Form von jährlichen zusätzlichen Belohnungen
Nachweis des Zuflusses der Höhe nach konkret bestimmter zusätzlichen Belohnungen
Tatbestand
Die Klägerin begehrt die Verpflichtung der Beklagten, weitere Arbeitsentgelte in Form von jährlichen zusätzlichen Belohnungen
(ZB) für Zeiten ihrer Zugehörigkeit zur zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz (AVTI) festzustellen.
Die 1952 geborene Klägerin war aufgrund des Fachschulabschlusses an der Ingenieurschule für Bauwesen B am 2. August 1974 berechtigt,
die Berufsbezeichnung „Ingenieur“ zu führen. Seit 1. September 1974 war sie als Bauleiterin bei der D R (DR), bei der sie
am 1. September 1969 als „Verkehrsbauzeichnerlehrling“ ihre Ausbildung begonnen hatte, und dort bis über den 30. Juni 1990
als „Verantwortlicher Mitarbeiter“ beschäftigt. Zum 1. Januar 1975 trat die Klägerin der Freiwilligen Zusatzrentenversicherung
(FZR) der DDR bei. Im Verwaltungsverfahren auf Vormerkung von Zugehörigkeitszeiten zur AVTI legte sie Entgeltabrechnungen
für die Zeit von Oktober 1983 bis September 1989 vor, ausweislich derer ihr von der DR eine jährliche ZB gezahlt wurde; auf
die Abrechnungen wird Bezug genommen. Im August 1989 wurde der Klägerin für 20 Jahre „treue Arbeit“ bei der DR die „Medaille
für treue Dienste in Silber“ verliehen.
Mit Bescheid vom 15. August 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. September 2019 teilte die Beklagte mit,
dass die Voraussetzungen des § 1 Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz (AAÜG) erfüllt seien; zugleich stellte sie die Zeit vom 1. September 1974 bis 29. Mai 1978, vom 29. November 1978 bis 29. Dezember
1978, vom 21. April 1980 bis 31. Dezember 1980 und vom 15. November 1982 bis 30. Juni 1990 als nachgewiesene Zeiten der AVTI
sowie die in diesen Zeiträumen erzielten Arbeitsentgelte fest, wobei sie die ZB (nur) im nachgewiesenen Umfang für die Jahre
1983 bis 1989 berücksichtigte. Auch eine Glaubhaftmachung scheide für die übrigen Jahre aus, weil ua der individuelle Fälligkeitstag
der ZB nicht feststellbar sei und seinerzeit vorzunehmende Leistungseinschätzungen für die ZB nicht nachvollzogen werden könnten.
Die sich anschließende Klage, mit der die Klägerin die Berücksichtigung weiterer tatsächlicher Arbeitsentgelte in Form der
ZB für die Jahre 1974 bis 1982 begehrt, hat das Sozialgericht (SG) Berlin mit Urteil vom 1. September 2020 unter Bezugnahme auf den angefochtenen Widerspruchsbescheid abgewiesen.
Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Berufung. Auf die Berufungsschrift wird Bezug genommen.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 1. September 2020 aufzuheben und den Bescheid der Beklagten vom 15. August 2019 in
der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. September 2019 zu ändern und die Beklagte zu verpflichten, als weitere glaubhaft
gemachte tatsächlich erzielte Arbeitsentgelte für die Jahre 1974 bis 1982 gezahlte zusätzliche Belohnungen festzustellen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird ergänzend auf deren vorbereitende Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Die Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Gerichtsakte haben vorgelegen und sind, soweit erforderlich, Gegenstand der Entscheidungsfindung
gewesen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch den Berichterstatter einverstanden erklärt
(§§
124 Abs.
2,
155 Abs.
3 und Abs.
4 Sozialgerichtsgesetz <SGG>).
Entscheidungsgründe
Die Berufung hat keinen Erfolg. Das SG hat die von der Klägerin zulässigerweise erhobene Anfechtungs- und Verpflichtungsklage iSv §
54 Abs.
1 SGG im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 15. August 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 30. September 2019 ist rechtmäßig, soweit die Beklagte darin die Berücksichtigung von ZB für die im Einzelnen bezeichneten
Zeiträume vom 1. September 1974 bis 29. Dezember 1978, vom 21. April 1980 bis 19. Mai 1981 und vom 15. November 1982 bis 21.
Dezember 1982 (vgl „Sondertatbestände“) abgelehnt hat. Ein Anspruch der Klägerin auf Vormerkung weiterer tatsächlicher Arbeitsentgelte
in Form von ZB für die Jahre 1974 bis 1982 besteht nicht.
Gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 und 2 AAÜG hat der zuständige Versorgungsträger dem für die Feststellung der Leistungen zuständigen Rentenversicherungsträger die Daten
mitzuteilen, die zur Durchführung der Versicherung und zur Feststellung der Leistungen aus der Rentenversicherung erforderlich
sind, wozu nach – wie hier - Bejahung des persönlichen Anwendungsbereichs des AAÜG (§ 1 Abs. 1 AAÜG) und Feststellung der Zeiten der Zugehörigkeit zum Versorgungssystem, die fiktive Pflichtbeitragszeiten zur bundesdeutschen
Rentenversicherung begründen (§ 5 Abs. 1 Satz 1 AAÜG), insbesondere das „tatsächlich erzielte Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen“ des bzw der Berechtigten gehört. Den fiktiven
Pflichtbeitragszeiten nach AAÜG ist gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 AAÜG für jedes Kalenderjahr als Verdienst (§
256a Abs.
2 SGB VI) das „erzielte Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen“ höchstens bis zur jeweiligen Beitragsbemessungsgrenze nach Anlage 3
des AAÜG zuzuordnen. Dieses vom Versorgungsträger festgestellte Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen muss vom Rentenversicherungsträger
gemäß §
259b Abs.
1 Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Rentenversicherung – (
SGB VI) bei der Ermittlung der Entgeltpunkte im Rahmen der Rentenfeststellung zugrunde gelegt werden. Dem Betroffenen zugeflossene
Geld- und geldwerte Sachleistungen sind von dem Beklagten also nur in einem Feststellungsbescheid nach § 8 AAÜG zu berücksichtigen, wenn es sich um Arbeitsentgelte im Sinne des § 6 Abs. 1 Satz 1 AAÜG iVm §
14 Abs.
1 Satz 1 Sozialgesetzbuch – Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung – (
SGB IV) handelt. Hierzu gehören nach der Rspr des Bundessozialgerichts (BSG), die das Gericht seiner Entscheidung zugrunde legt (vgl BSG, Urteil vom 23. August 2007 – B 4 RS 4/06 R – juris – Rn 27), zwar grundsätzlich auch einmalige Einkünfte aus einer Beschäftigung, wie zB Jahresendprämien bzw auch
die vorliegend in Rede stehenden ZB.
Der Nachweis des Zuflusses der Höhe nach konkret bestimmter ZB im streitgegenständlichen Zeitraum ist der Klägerin jedoch
weder im Vollbeweis gelungen noch hat sie – was sie letztlich nur begehrt - entsprechende Zahlungen glaubhaft gemacht. Insofern
entscheidet das Gericht gemäß §§
153 Abs.
1,
128 Abs.
1 Satz 1
SGG nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Der Beweis ist nur erbracht, wenn nach
dem Gesamtergebnis des Verfahrens mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden könnte (vgl Keller
in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, 11. Auflage 2014, § 128 Rn 3b), dass und in welcher genauen Höhe der Klägerin im streitgegenständlichen
Zeitraum die geltend gemachten ZB gezahlt worden sind. Entsprechende schriftliche Belege, etwa in Form von Gehaltsunterlagen,
Quittungen, Kontoauszügen, Auszahlungslisten oÄ, aus denen sich Solches ergeben könnte, liegen – anders als für die Zeit ab
1983 – nicht vor.
Hierbei ist auch zu berücksichtigen, dass die ZB nicht voraussetzungslos nach Ablauf der in § 9 Abs. 2 der Verordnung über
die Pflichten und Rechte der Eisenbahner (Eisenbahner-Verordnung <EVO>) vom 28. März 1973 (GBl der DDR I Nr 25) genannten
ununterbrochenen Dienstzeit zu zahlen war, sondern für die „Berufstreue und Pflichterfüllung“ der Eisenbahner (vgl § 9 Abs. 1 EVO). Nach den maßgeblichen Rahmenkollektivverträgen (RKV) für die Beschäftigten der DR war Voraussetzung für die Gewährung der
ZB vielmehr eine Bewertung der Arbeitsleistung („diszipliniertes Verhalten und pflichtbewußte Arbeitsleistungen, die zum pünktlichen
und sicheren Arbeitsablauf und damit zur Erfüllung der der Deutschen Reichsbahn gestellten Planaufgaben beitragen“, vgl §
34 Nr. 2 RKV idF des 3. Nachtrages zum RKV für die Beschäftigten der DR vom 1. Februar 1964; „Berufstreue sowie pflichtbewußte
Arbeit“, vgl § 34 Nr. 2 RKV idF 43. Nachtrages zum RKV für die Beschäftigten der DR vom 22. November 1978). Bei Arbeitsleistungen,
die eine 100%ige Auszahlung der ZB nicht rechtfertigten, waren demgemäß Abschläge vorzunehmen (vgl § 34 Nr. 13, Nr. 11 bzw
Nr. 9 in den einschlägigen Fassungen des RKV) bzw erfolgte eine Zahlung nicht. Die Höhe der ZB wurde nach den Arbeitsleistungen
und dem „Verhalten“ der Beschäftigten durch den Leiter der Dienststelle bzw den Betriebsleiter im Einvernehmen mit der zuständigen
gewerkschaftlichen Leitung festgesetzt (vgl § 34 Nr. 12, Nr. 10 bzw Nr. 8 in den einschlägigen Fassungen des RKV). Zudem begann
nach § 34 Nr. 5 RKV 1964 die Beschäftigungsdauer für die Berechnung der ZB für Lehrlinge nach Beendigung ihrer Ausbildung,
was bei der Klägerin erst der 1. September 1971 wäre; erst im RKV 1978 (dort § 34 Nr. 4) wurde die Dienstzeit für die ZB nach
dem Beginn der Ausbildung berechnet.
Somit steht zwar ausgehend von dem Beginn der Lehrlingsausbildung am 1. September 1969 und deren Ende am 31. August 1971 fest,
dass die Klägerin dem Grunde nach für die Gewährung von ZB für den hier geltend gemachten Zeitraum ab 1974 in Betracht kam.
Das Gericht ist aber schon mangels ausreichender Anknüpfungstatsachen gehindert, die für die Bewertung ihrer Arbeitsleistung
und ihres „Verhaltens“ bzw ihrer „Arbeitsdisziplin“ und damit für die etwaige Gewährung einer ZB ausschlaggebende Entscheidung
nachträglich retrospektiv zu treffen. Eine solche Entscheidung, die in der DDR nach den bezeichneten Rechtsgrundlagen auch
zur Erzeugung politischen und gesellschaftlichen Wohlverhaltens diente, kann zudem mangels sachlich objektivierbarer, bundesrechtlich
nachvollziehbarer Grundlage ohnehin nicht rückschauend ersetzt werden (vgl etwa zur Zugehörigkeit zur zusätzlichen Altersversorgung
für verdienstvolle Vorsitzende von Produktionsgenossenschaften BSG, Urteil vom 31. Juli 2002 – B 4 RA 21/02 R = SozR 3-8570 § 1 Nr 9 Rn 15; BSG, Urteil vom 14. März 2019 – B 5 RS 1/18 R = SozR 4-8570 § 1 Nr 22 – Rn 28).
Soweit hiernach nicht zur Überzeugung des Gerichts davon ausgegangen werden kann, dass die ZB stets und in der nach der EVO vorgesehenen Höhe gezahlt wurde, hat die Klägerin den für den streitgegenständlichen Zeitraum behaupteten Zufluss von ZB
auch nicht mit der erforderlichen hinreichenden Sicherheit glaubhaft gemacht. Zwar sieht § 6 Abs. 6 AAÜG die Glaubhaftmachung eines Teils des Verdienstes vor, wenn ein anderer Teil des Verdienstes – wie hier - nachgewiesen ist,
mit der Folge, dass der glaubhaft gemachte Teil des Verdienstes zu fünf Sechsteln zu berücksichtigen ist. Dies setzt indes
voraus, dass der jährliche Zufluss der ZB in bestimmter bzw in einer ggf zu schätzenden Höhe konkret bei der Klägerin nach
dem Gesamtergebnis des Verfahrens der überwiegend wahrscheinliche Ablauf des Geschehens gewesen ist (vgl. § 23 Abs. 1 Satz 2 SGB X). Dies ist jedoch – wie dargelegt - nicht der Fall. Insbesondere folgt die überwiegende Wahrscheinlichkeit auch nicht daraus,
dass der Klägerin nachweislich ab 1983 durchgehend jährliche ZB gezahlt wurden. Dies gilt auch im Hinblick auf die ihr im
August 1989 für 20 Jahre „treue Arbeit“ bei der DR verliehene „Medaille für treue Dienste in Silber“. Denn deren Aushändigung
knüpfte nach den maßgebenden Vorschriften der EVO und der RKV ausschließlich an eine ununterbrochene Dienstzeit an. Das Vorhandensein der bloßen Möglichkeit einer Zahlung
von ZB auch vor 1983 genügt aber nicht, um die Anforderungen für eine Glaubhaftmachung zu erfüllen (vgl BSG, Beschluss vom 8. August 2001 – B 9 V 23/01 B – juris; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 23. Januar 2014 – L 2 R 341/13 – juris Rn 29 ). Dafür, dass die Klägerin die Voraussetzungen für die Gewährung von ZB erfüllte und für den entsprechenden
Zufluss trägt sie im Ergebnis die objektive Beweislast (vgl zur Feststellungslast im sozialgerichtlichen Verfahren BSG, Urteil vom 23. August 2007 – B 4 RS 4/06 R – Rn 21 ff).
Die Kostenentscheidung folgt aus §
193 SGG.
Gründe für eine Zulassung der Revision gemäß §
160 Abs.
2 Nrn. 1 oder 2
SGG liegen nicht vor.