Prozesskostenhilfe
Hinreichende Erfolgsaussicht
Schwerbehindertenrecht
Feststellung eines Nachteilsausgleichs
Weitere Sachaufklärung
Hinreichende Erfolgsaussicht im Sinne der Prozesskostenhilfevoraussetzungen besteht bei der streitigen Frage der Feststellung
der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Nachteilsausgleiche mit den Merkzeichen "G" und "B", sofern zur Sachaufklärung
noch ein medizinisches Sachverständigengutachten erforderlich ist.
Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 6. Juni 2012 aufgehoben.
Der Klägerin wird für das Verfahren vor dem Sozialgericht ab dem 10. Dezember 2012 (Eingang der vollständigen Unterlagen zur
Feststellung der Bedürftigkeit) Prozesskostenhilfe ohne Festsetzung von Monatsraten und aus dem Vermögen zu zahlenden Beträgen
unter Beiordnung von Rechtsanwältin gewährt.
Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe:
Die Beschwerde der Klägerin ist statthaft (§
172 Sozialgerichtsgesetz (
SGG)) und auch im Übrigen zulässig. Sie ist auch begründet, denn das Sozialgericht hat zu Unrecht gemäß §
73 a Absatz
1 Satz 1
SGG i.V.m. §
114 Satz 1
Zivilprozessordnung (
ZPO) die hinreichende Erfolgsaussicht des Prozesskostenhilfegesuchs der Klägerin verneint.
Der unbestimmte Rechtsbegriff der hinreichenden Erfolgsaussicht ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts
verfassungskonform auszulegen. Artikel
3 Absatz
1 des
Grundgesetzes gebietet in Verbindung mit dem in Artikel
20 Absatz
3 Grundgesetz zum Ausdruck gebrachten Rechtsstaatsprinzip und dem aus Artikel
19 Absatz
4 Satz 1
Grundgesetz folgenden Gebot effektiven Rechtsschutzes eine weitergehende Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten
bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes. Hierbei braucht der Unbemittelte allerdings nur einem solchen Bemittelten gleichgestellt
zu werden, der seine Prozessaussichten vernünftig abwägt und dabei auch das Kostenrisiko berücksichtigt. Dementsprechend darf
die Prüfung der Erfolgsaussichten jedenfalls nicht dazu führen, über die Vorverlagerung der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung
in das Nebenverfahren der Prozesskostenhilfe eben dieses Nebenverfahren an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen
(vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 28. November 2007 - 1 BvR 68/07). Deshalb dürfen insbesondere schwierige, bislang nicht geklärte Rechts- und Tatfragen im Prozesskostenhilfeverfahren nicht
entschieden werden, sondern müssen über die Gewährung von Prozesskostenhilfe auch von Unbemittelten einer prozessualen Klärung
im Hauptsacheverfahren zugeführt werden können (Bundesverfassungsgericht, aaO., und Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats
vom 4. Juli 1993 - 1 BvR 1523/92). Demnach ist ausgehend von dem für das Hauptsacheverfahren zugrunde zu legenden Sachantrag eine hinreichende Erfolgsaussicht
bereits dann gegeben, wenn das Gericht den klägerischen Rechtsstandpunkt aufgrund eines geklärten Sachverhalts für zutreffend
oder für zumindest vertretbar und klärungsbedürftig hält.
Nach diesen Maßstäben ist die hinreichende Erfolgsaussicht vorliegend nicht zu verneinen. Denn die hier streitbefangene Frage
eines Anspruchs der Klägerin auf Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung der Merkzeichen "G"
und "B" nach §
69 Absatz
4 in Verbindung mit den §§
145,
146 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (
SGB IX) durch den Beklagten erscheint vor dem Hintergrund des Vortrages der Klägerin als nicht abschließend geklärt. Zunächst ist
die Einholung eines Sachverständigengutachtens nach Untersuchung der Klägerin auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet
angezeigt. Dabei ist dem Sachverständigen die Frage vorzulegen, welche Auswirkungen die von der Klägerin nicht nur vorgetragenen,
sondern auch im Attest ihrer behandelnden Psychiaterin B vom 12. Juli 2011 beschriebenen schmerzbedingten Bewegungseinschränkungen
und Orientierungsschwierigkeiten im Hinblick auf deren Gehvermögen und die Notwendigkeit einer ständigen Begleitung haben.
Sodann ist durch das Gericht zu prüfen, ob und ggf. auf welchen anderen Fachgebieten die Einholung weiterer Sachverständigengutachten
erforderlich ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
127 Absatz
4 ZPO.
Dieser Beschluss kann gemäß §
177 SGG nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden.