Fiktive Bemessung von Arbeitslosengeld
Annahme einer falschen Bezugsgröße
Früheres Bemessungsentgelt
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten im Überprüfungsverfahren nach § 44 Sozialgesetzbuch -Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) um die Höhe des Arbeitslosengeldes (Alg) für die Zeit vom 21. März 2013 bis 19. März 2014.
Der am 1989 geborene Kläger, der ledig und kinderlos ist, stand vom 1. September 2008 bis 31. August 2011 in einem Ausbildungsverhältnis
zum Beikoch bei der Bildungseinrichtung B e.V. in Sch. Einen Anspruch auf Zahlung einer Ausbildungsvergütung hatte er nicht.
Der Kläger beendete die Ausbildung ohne Abschluss und war bis zum 9. September 2009 arbeitsunfähig erkrankt. Vom 10. September
2011 bis 2. November 2011 bezog der Kläger sodann Alg von der Beklagten und zwar auf der Grundlage eines fiktiven Arbeitsentgeltes
von täglich 59,73 EUR, das die Beklagte unter Zugrundelegung der Qualifikationsgruppe 3 gemäß §
132 Abs.
2 Sozialgesetzbuch - Arbeitsförderung - (
SGB III) in der bis 31. März 2012 geltenden Fassung (aF) ermittelt hatte (Bewilligungsbescheide vom 12. September 2011 und vom 14.
September 2011, Änderungsbescheid vom 6. Oktober 2011, Aufhebungsbescheid vom 24. November 2011). Der ab 22. September 2011
erneut arbeitsunfähig erkrankte Kläger bezog vom 3. November 2011 bis zu seiner "Aussteuerung" am 20. März 2013 Krankengeld
von der Barmer GEK bzw. vom 6. März 2012 bis 3. April 2012 Übergangsgeld wegen einer medizinischen Rehabilitation von der
Deutschen Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See.
Am 16. Januar 2013 meldete sich der Kläger ab 21. März 2013 arbeitslos und beantragte die Gewährung von Alg, welches ihm unter
Berücksichtigung eines der Qualifikationsgruppe 4 entsprechenden Bemessungsentgelts in Höhe von (iHv) 45,50 EUR täglich mit
- zum Teil vorläufigen - Bewilligungs- bzw. Änderungsbescheiden vom 8. März 2013, vom 18. März 2013 und 9. April 2013 für
360 Tage bewilligt wurde (Leistungssatz täglich 20,15 EUR). Nachdem der Kläger unter Hinweis auf eine von der Beklagten angenommene
Minderung der Leistungsfähigkeit gestellte Aufforderung vom 8. März 2013, binnen eines Monats einen Antrag auf Leistungen
zur Rehabilitation zu stellen, nicht reagiert hatte, hob die Beklagte mit Aufhebungsbescheid vom 12. April 2013 die Alg-Bewilligung
ab 18. April 2013 auf. Mit Schreiben vom 17. April 2013 bat die Beklagte unter Hinweis auf die Nahtlosigkeitsregelung des
§
145 SGB III die Deutsche Rentenversicherung Berlin-Brandenburg um Prüfung von Leistungen zur Rehabilitation bzw. um Feststellung einer
Erwerbsminderung. Mit Änderungsbescheid vom selben Tag bewilligte die Beklagte dem Kläger "als Vorschuss" ab 18. April 2013
Alg für 332 Tage mit einem Leistungsbetrag von 20,15 EUR täglich. Auf den Widerspruch des Klägers gegen den Änderungsbescheid
vom 17. April 2013 bewilligte die Beklagte dem Kläger mit Bewilligungs- bzw. Änderungsbescheid vom 29. Mai 2013 abschließend
Alg ab 21. März 2013 für 360 Tage in Höhe eines täglichen Leistungsbetrags von 20,15 EUR. Mit Widerspruchsbescheid vom 30.
Mai 2013 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück und führte aus: Zwar habe der Kläger innerhalb der letzten zwei
Jahre vor der Entstehung des Leistungsanspruchs Alg nach einem Bemessungsentgelt iHv 59,73 EUR bezogen. Die Bestandsschutzregelung
des §
151 Abs.
4 SGB III entfalte indes keine Bindungswirkung, wenn der Vorbezug rechtswidrig bemessen worden sei. Bei der Bemessung des Alg ab 10.
September 2011 hätte ein Bemessungsentgelt iHv 44,80 EUR zugrunde gelegt werden müssen, weil der Kläger nicht über eine abgeschlossene
Berufsausbildung verfüge und mithin lediglich in Qualifikationsstufe 4 einzuordnen gewesen wäre. Die Bezugsgröße nach §
18 des Sozialgesetzbuches - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung - (
SGB IV) betrage jährlich 27.300,- EUR, sodass sich für die Qualifikationsgruppe 4 ein Bemessungsentgelt iHv 45,50 EUR ergebe.
Der Kläger beantragte am 9. Juli 2013 die Überprüfung des Widerspruchsbescheides vom 30. Mai 2013 gemäß § 44 SGB X. Mit Änderungsbescheid vom 3. August 2013 bewilligte die Beklagte dem Kläger unter Berücksichtigung des Gesetzes zum Abbau
der kalten Progression ab 21. März 2013 Alg für 360 Tage mit einem täglichen Leistungsbetrag iHv 20,18 EUR. Mit Bescheid vom
13. August 2013 lehnte die Beklagte den Überprüfungsantrag des Klägers ab. Den Widerspruch des Klägers gegen den Änderungsbescheid
vom 3. August 2013 verwarf die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 7. November 2013, da es ich hinsichtlich des widerspruchsbefangenen
Bemessungsentgelts lediglich um eine wiederholende Verfügung gehandelt habe. Mit einem weiteren Widerspruchsbescheid vom 7.
November 2013 wies die Beklagte den Widerspruch gegen den Ablehnungsbescheid vom 13. August 2013 zurück.
Im Klageverfahren hat sich der Kläger unter Bezugnahme auf das Urteil des Landessozialgerichts (LSG) Niedersachsen-Bremen
vom 31. Mai 2006 - L 7 AL 161/13 -, juris, gegen die "Reduzierung" des Bemessungsentgelts gewandt. Das Sozialgericht (SG) F (O) hat die Klage mit Urteil vom 21. März 2017 abgewiesen. Zur Begründung ist ausgeführt: Die zulässige Klage sei unbegründet.
Die Beklagte habe es zu Recht abgelehnt, dem Kläger höheres Alg nach dem höheren Bemessungsentgelt aus dem Alg-Vorbezug zu
gewähren. Die Voraussetzungen des § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X seien nicht gegeben. Weder habe die Beklagte beim Erlass der Leistungsbescheide für die Zeit ab 21. März 2013 das Recht unrichtig
angewendet noch sei sie von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen. Sie habe das Alg zu Recht nach einem täglichen Bemessungsentgelt
iHv 45,50 EUR festgesetzt. Der Kläger könne sich nicht auf die Besitzstandsklausel aus §
151 Abs.
4 SGB III in der ab 1. April 2012 geltenden Fassung (nF) berufen. Deren Voraussetzungen seien zwar erfüllt, denn für den Kläger sei
nach Beendigung seines Krankengeldbezugs mit Ablauf des 20. März 2013 ein neues Stammrecht auf Gewährung von Alg entstanden
und innerhalb eines Zeitraums von 2 Jahren vor der Entstehung dieses Anspruchs habe der Kläger Alg bezogen. Grundsätzlich
sei daher eine Vergleichsberechnung vorzunehmen. Die Berechnung des täglichen Bemessungsentgelts von 45,50 EUR, welches der
Berechnung des Alg ab dem 21. März 2013 zugrunde gelegt worden sei, sei nicht zu beanstanden. Die Ermittlung des Bemessungsentgelts
zum Alg-Vorbezug sei rechtswidrig erfolgt, weil die Beklagte irrtümlicherweise davon ausgegangen sei, dass der Kläger über
eine abgeschlossene Ausbildung verfügt habe und somit die Qualifikationsgruppe 3 anstelle der korrekten Qualifikationsgruppe
4 zugrunde gelegt habe. Ein rechtswidrig zu hoch festgesetztes Bemessungsentgelt werde jedoch nicht von der Regelung des §
151 Abs.
4 SGB III nF erfasst. Insoweit sei dem zu den im Wesentlichen gleichlautenden Vorgängervorschriften des §
131 Abs.
4 SGB III aF bzw. des §
133 Abs.
1 SGB III in der bis zum 31. Dezember 2004 geltenden Fassung ergangenen Urteil des Schleswig-Holsteinischen LSG vom 26. September 2008
- L 3 AL 81/07 -, juris, zu folgen. Die Höhe des Bemessungsentgelts sei nur Begründungselement der Leistungsgewährung und könne nicht an
der Bindungswirkung des Bewilligungsbescheides teilnehmen. Es vermöge nicht zu überzeugen, dass aus dem Wortlaut der Besitzstandsregelung
herzuleiten sei, dass in der Regel ohne jede Einschränkung an den letzten Alg-Bescheid angeknüpft werde. Gerade der Wortlaut
spreche nicht dafür, an das zuvor festgestellte Bemessungsentgelt anzuknüpfen, sondern an das Entgelt, nachdem das Alg zuletzt
bemessen worden sei. Sei aber auf das tatsächlich erzielte Entgelt abzustellen, könne auch ein rechtswidrig zu hoch festgesetztes
Bemessungsentgelt durch die Regelung nicht geschützt werden. Für die Anknüpfung an das "Entgelt" spreche auch die Gesetzesbegründung,
wonach Arbeitslose vor Nachteilen geschützt werden sollten, wenn sie ihre Arbeitslosigkeit durch Aufnahme einer Beschäftigung
beendeten, in der sie ein geringeres Entgelt erzielten, als es der Bemessung des Alg zugrunde gelegen habe. Hier an ein falsch
bemessenes Bemessungsentgelt zu knüpfen, bedeutete einen rechtswidrigen Zustand zu perpetuieren, ohne dass die Beklagte den
Verwaltungsakt korrigieren könne, da in der Regel die Rücknahmefristen verstrichen sein dürften.
Mit der Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter und trägt vor: Die Besitzstandregelung des § 151 Abs. 4 SGB nF sei
einschlägig. Es werde ferner bestritten, dass ursprünglich ein zu hoch festgesetztes Bemessungsentgelt vorgelegen habe.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 21. März 2017 sowie den Überprüfungsbescheid vom 13. August 2013 in der
Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. November 2013 aufzuheben und die Beklagte zu verteilen, dem Kläger unter Änderung
des Bescheides vom 29. Mai 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. Mai 2013 für die Zeit vom 21. März 2013
bis 19. März 2014 höheres Arbeitslosengeld zu gewähren.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das angegriffene Urteil.
Wegen des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf deren vorbereitende Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Ein Ausdruck der den Kläger betreffenden Verwaltungsakte der Beklagten sowie die Gerichtsakte haben vorgelegen und sind Gegenstand
der Beratung gewesen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt
(§§
153 Abs.
1,
124 Abs.
2 Sozialgerichtsgesetz -
SGG -).
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist begründet.
Gegenstand des Berufungsverfahrens ist der Bescheid der Beklagten vom 13. August 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 7. November 2013, mit dem die Beklagte die teilweise Rücknahme des bestandskräftig gewordenen endgültigen Alg-Bewilligungsbescheides
vom 29. Mai 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. Mai 2013 abgelehnt hat. Richtige Klageart ist eine kombinierte
Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage (vgl. Bundessozialgericht - BSG -, Urteil vom 18. Mai 2010 - B 7 AL 49/08 R = BSG SozR 4-400 § 122 Nr. 8 mwN), auf die auch bei Anwendung des § 44 SGB X ein Grundurteil (§
130 Abs.
1 SGG) ergehen kann (BSGE 88, 299, 300 = SozR 3-4300 §
137 Nr. 1 S. 2).
Gemäß § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit
sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden
ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht
nicht erhoben worden sind. Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Der Kläger hat für die Zeit vom 21. März 2013 bis
19. März 2014 einen Anspruch auf höheres als das bestandskräftig bewilligte Alg und zwar nach einem täglichen Bemessungsentgelt
iHv 59,73 EUR.
Sein Anspruch auf dieses Alg richtet sich nach den §§
137 ff.
SGB III nF. Nach §
137 Abs.
1 SGB III nF haben Arbeitnehmer Anspruch auf Alg bei Arbeitslosigkeit, die arbeitslos iSd §
138 Abs.
1 SGB III nF sind, sich bei der Agentur für Arbeit arbeitslos gemeldet (§
141 SGB III nF) und die Anwartschaftszeit erfüllt haben (§
142 Abs.
1 Satz 1
SGB III nF). Anspruch auf Alg haben darüber hinaus auch Arbeitnehmer, die allein deshalb nicht arbeitslos sind, weil sie wegen einer
mehr als sechsmonatigen Minderung ihrer Leistungsfähigkeit keine mindesten 15 Wochenstunden umfassende versicherungspflichtige
Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ausüben können, solange keine Feststellung der verminderten Erwerbsfähigkeit
im Sinne der gesetzlichen Rentenversicherung vorliegt (§
145 Abs.
1 Satz 1
SGB III nF). Diese Voraussetzungen sind erfüllt. Der Kläger war nach Ende seines Krankengeldbezuges ab 21. März 2013 arbeitslos iSd
§§
138 Abs.
1 SGB III nF oder allein aus den in §
145 Abs.
1 Satz 1
SGB III nF angeführten Gründen nicht arbeitslos. Er hatte sich mit Wirkung zum 21. März 2013 bei der Agentur für Arbeit persönlich
arbeitslos gemeldet. Da er aufgrund des Bezuges von Krankengeld bzw. Übergangsgeld wegen einer medizinischen Rehabilitation
in der zwei Jahre betragenden Rahmenfrist vom 20. März 2013 bis 19. März 2011 mindestens zwölf Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis
(vgl. §
26 Abs.
2 Nr.
1 SGB III) gestanden hatte, war auch die Anwartschaftszeit erfüllt, sodass der Kläger ab 21. März 2013 einen (neuen) Anspruch auf Alg
erworben hatte.
Rechtsgrundlage für die Bemessung des Anspruchs des Klägers auf Alg ist §
149 Abs.
1 SGB III nF. Danach beträgt das Alg - in Abhängigkeit zu berücksichtigender Kinder - 67 bzw. 60 vH des pauschalierten Nettoentgelts
(Leistungsentgelt), das sich aus dem Bruttoentgelt ergibt, das der Arbeitslose im Bemessungszeitraum erzielt hat (Bemessungsentgelt).
Der Bemessungszeitraum umfasst die beim Ausscheiden des Arbeitslosen aus dem jeweiligen Beschäftigungsverhältnis abgerechneten
Entgeltabrechnungszeiträume der versicherungspflichtigen Beschäftigung im Bemessungsrahmen (§
150 Abs.
1 Satz 1
SGB III nF. Der Bemessungsrahmen umfasst ein Jahr; er endet mit dem letzten Tag des letzten Versicherungspflichtverhältnisses vor
der Entstehung des Anspruchs (§
150 Abs.
1 Satz 2
SGB III nF). Der Bemessungsrahmen wird auf zwei Jahre erweitert, wenn der Bemessungszeitraum weniger als 150 Tage mit Anspruch auf
Arbeitsentgelt enthält (§
150 Abs.
3 Satz 1 Nr.
1 SGB III nF). Kann ein Bemessungszeitraum von mindestens 150 Tagen mit Anspruch auf Arbeitsentgelt auch innerhalb des auf zwei Jahre
erweiterten Bemessungsrahmens nicht festgestellt werden, ist als Bemessungsentgelt ein fiktives Arbeitsentgelt zugrunde zu
legen (§
152 Abs.
1 Satz 1
SGB III nF).
Ausgehend von der Arbeitslosmeldung des Klägers zum 21. März 2013 begann der Bemessungsrahmen am 20. März 2013 und endete
- rückwärts gerechnet - mit dem 21. März 2011. Innerhalb dieses Bemessungsrahmens hat der Kläger, der nach Beendigung seiner
vergütungslosen Ausbildung arbeitsunfähig krank war und vom 9. September 2011 bis zum 20. März 2013 lediglich Lohnersatzleistungen
bezog, kein sozialversicherungspflichtiges Arbeitsentgelt erzielt. Zu Recht hat daher die Beklagte eine fiktive Bemessung
vorgenommen.
Für die Festsetzung des fiktiven Arbeitsentgelts ist der Arbeitslose derjenigen Qualifikationsgruppe zuzuordnen, die der beruflichen
Qualifikation entspricht, die für die Beschäftigung erforderlich ist, auf die die Agentur für Arbeit die Vermittlungsbemühungen
für den Arbeitslosen in erster Linie zu erstrecken hat (§
152 Abs.
2 Satz 1
SGB III nF). Gemäß §
152 Abs.
2 Satz 2
SGB III nF ist dabei zugrunde zu legen für Beschäftigungen, die 1. eine Hochschul- oder Fachhochschulausbildung erfordern (Qualifikationsgruppe
1), ein Arbeitsentgelt in Höhe von 1/300 der Bezugsgröße, 2. einen Fachschulabschluss, den Nachweis über eine abgeschlossene
Qualifikation als Meister oder einen Abschluss in einer vergleichbaren Einrichtung erfordern (Qualifikationsgruppe 2), ein
Arbeitsentgelt in Höhe von 1/360 der Bezugsgröße, 3. eine abgeschlossene Ausbildung in einem Ausbildungsberuf erfordern (Qualifikationsgruppe
3), ein Arbeitsentgelt in Höhe von 1/450 der Bezugsgröße, 4. keine Ausbildung erfordern (Qualifikationsgruppe 4), ein Arbeitsentgelt
in Höhe von 1/600 der Bezugsgröße.
Die von der Beklagten vorgenommene Bemessung nach der Qualifikationsgruppe 4 (§
152 Abs.
2 Satz 2 Nr.
4 SGB III nF) ist zutreffend. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Einstufung in die Qualifikationsgruppen 1, 2 oder 3. Die Einschätzung
der Beklagten, wonach sie ihre Vermittlungsbemühungen in erster Linie auf eine Beschäftigung des Klägers in ungelernten Tätigkeiten
zu erstrecken gehabt habe, ist bereits aufgrund des Umstandes, dass der Kläger seine Ausbildung zum Beikoch nicht erfolgreich
abgeschlossen hatte, nicht zu beanstanden.
Die Beklagte hat jedoch das Bemessungsentgelt nicht zutreffend errechnet. Der von ihr auf der Grundlage des §
152 Abs.
2 Satz 2 Nr.
4 SGB III errechnete Betrag beruht bereits auf der Annahme einer falschen Bezugsgröße. Nach der angeführten Vorschrift ist für die
fiktive Berechnung des Bemessungsentgelts ein Arbeitsentgelt von 1/450 der Bezugsgröße zugrunde zu legen. Nach § 2 der Sozialversicherungs-Rechengrößenverordnung 2013 vom 26. November 2012 (BGBl. I S. 2361) beträgt die Bezugsgröße im Sinne des §
18 SGB IV im hier maßgeblichen Jahr 2013 jährlich 32.340,- EUR bzw. für das Beitrittsgebiet 27 300,- EUR (Bezugsgröße [Ost]). Die Beklagte
hat das von ihr berücksichtigte Bemessungsentgelt iHv 45,50 EUR täglich unter Berücksichtigung der Bezugsgröße (Ost) iHv 27.300,-
EUR ermittelt. Nach der Rechtsprechung des BSG (vgl. Urteile vom 18. Mai 2010 - B 7 AL 49/08 R -, juris, und vom 26. November 2015 - B 11 AL 2/15 R - , juris), welcher der erkennende Senat folgt, ist in Fällen der fiktiven Bemessung indes die (allgemeine) "Bezugsgröße"
- auch Bezugsgröße West genannt - zugrunde zu legen. Dementsprechend wäre für die Berechnung des Alg von einem Bemessungsentgelt
iHv 53,90 EUR täglich auszugehen, soweit nicht aufgrund der Besitzstandsregelung des §
151 Abs.
4 SGB III nF ein höheres Bemessungsentgelt zu berücksichtigen ist.
Gemäß §
151 Abs.
4 SGB III nF ist das Bemessungsentgelt des Arbeitslosen, der -wie der Kläger - innerhalb der letzten zwei Jahre vor der Entstehung
des Anspruchs Alg bezogen hat, mindestens das Bemessungsentgelt, nach dem das Alg zuletzt bemessen worden ist. Damit schafft
das Gesetz in einem Sonderfall eine Besitzstandsklausel, die den Arbeitsuchenden von Nachteilen bei einem erneuten Beschäftigungsverlust
schützen soll. Dahinter steht die Absicht des Gesetzgebers, Hemmnisse, die einer Rückkehr in das Erwerbsleben entgegenstehen
könnten, zu beseitigen und eine erneute Arbeitsaufnahme zu fördern (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 31. Mai 2006
- L 7 AL 161/03 -, juris Rn. 23, zu den inhaltlich entsprechenden Regelungen des §
133 Abs.
1 SGB III in der bis 31. Dezember 2003 bzw. des §
131 Abs.
4 SGB III in der bis 31. März 2012 geltenden Fassung).
Daraus folgt, dass allein auf den Leistungsbezug abzustellen ist, der auf dem früheren Bewilligungsbescheid innerhalb des
Rückwirkungszeitraums beruht. Dieser frühere Bewilligungsbescheid entfaltet Bindungswirkung und an ihn ist anzuknüpfen, bis
der Bewilligungsbescheid aufgehoben oder zurückgenommen worden ist (vgl. BSGE 75, 235 = SozR 3-4100 § 100 Nr. 5 und § 112 Nr. 29). Das Gesetz sieht insoweit schlicht eine Vergleichsberechnung hinsichtlich des
Vorbezuges von Alg vor; das - richtig ermittelte - Bemessungsentgelt ist mit dem Bemessungsentgelt zu vergleichen, das dem
früheren Alg-Bezug zugrunde lag. Dabei ist das (neue) Alg nach dem höheren Bemessungsentgelt zu zahlen.
Die Frage, ob das frühere Bemessungsentgelt in der Vergleichsberechnung auch dann zugrunde zu legen ist, wenn es - wie hier
aufgrund der fehlerhaften Einstufung des Klägers in die Qualifikationsgruppe 3 - rechtswidrig zu hoch angesetzt wurde, bejaht
der Senat (ebenso LSG - Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 31. Mai 2006 - L 7 AL 161/03 -, aaO, Rn. 25ff). Zwar kann regelmäßig das Bemessungsentgelt als nur ein Begründungselement einer Leistungsgewährung nicht
an der Bindungswirkung eines Bewilligungsbescheides teilhaben (vgl. BSG, Urteil vom 29. Juni 2000 - B 11 AL 89/99 R = SozR 3-4100 § 136 Nr.12 = NZS 2001, 48) ausgeführt hat. Die Feststellungswirkung hinsichtlich des zuvor bezogenen Bemessungsentgelts ergibt sich hier jedoch aus
dem Wortlaut der Regelung in §
151 Abs.
1 SGB III nF, da ohne jegliche Einschränkungen an den letzten Alg-Bescheid angeknüpft wird. Es wird allein der tatsächliche Bezug des
Alg und des ausgeworfenen Bemessungsentgelts angesprochen, so dass der Wortlaut der Vorschrift nach Ansicht des Senats deutlich
dafür spricht, nicht in einer erweiternden Auslegung nur an ein "materiell richtiges" Bemessungsentgelt anzuknüpfen. Soweit
das Schleswig-Holsteinische LSG im Urteil vom 26. September 2008 - L 3 AL 81/07 - juris Rn. 41, die Auffassung vertritt, der Wortlaut der Besitzstandsklausel spreche nicht dafür, an das zuvor festgestellte
Bemessungsentgelt anzuknüpfen, sondern an das "tatsächlich erzielte Entgelt", vermag dies nicht zu überzeugen. Mit der Formulierung
"nach dem das Arbeitslosengeld zuletzt bemessen worden ist", bezieht sich das Gesetz ersichtlich auf die (tatsächliche) Rechengröße,
welche bei der Bewilligung zur Berechnung des Vorbezugs zugrunde gelegt worden ist. Mit dieser auch der Verwaltungsvereinfachung
dienenden Formulierung (vgl. Eppelein, in jurisPK-
SGB III, Stand 2. August 2017 §
151 Rn. 27) wird gerade nicht auf ein davon zu unterscheidendes "tatsächliches" (Arbeits-)Entgelt verwiesen. Im Falle einer Bezugnahme
auf ein "tatsächliches" Entgelt hätte es nahe gelegen, dass der Gesetzgeber die Formulierung "nach dem das Arbeitslosengeld
zuletzt zu bemessen war" gewählt hätte. Im Übrigen gibt es in den Fällen der fiktiven Bemessung definitionsgemäß kein "tatsächlich
erzieltes Entgelt". Soweit sich das Schleswig-Holsteinische LSG für seine gegenteilige Ansicht auf das zu § 136 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) ergangene Urteil des BSG vom 29. Juni 2000 - B 11 AL 89/99 R -, juris bezieht, ist anzumerken, dass der Wortlaut des § 136 Abs. 2 Satz 1 AFG insofern "offener" ist, als er im Unterschied zu §
151 Abs.
4 SGB III nF nicht unmittelbar auf eine bestimmte vorherige Bewilligungsentscheidung Bezug nimmt.
Weiterhin sprechen auch der Sinn und Zweck der Norm sowie die Entstehungsgeschichte (vgl. Gesetzentwurf der Fraktionen der
CDU/CSU und der F.D.P. vom 18. Juni 1996 zum Arbeitsförderungs-Reformgesetz, BT-Drs 13/4941, S. 1 (178] zu §
133 Abs.
1) für die hier vertretene Interpretation des §
151 Abs.
4 SGB III nF: Es soll dem Arbeitnehmer die Entscheidung erleichtert werden, auch eine Beschäftigung mit einem niedrigeren Entgelt aufzunehmen,
als es der Bemessung des Arbeitslosengeldes zugrunde lag. Der Arbeitnehmer soll vor nachteiligen Folgen eines erneuten Beschäftigungsverlustes
geschützt werden. Folglich bindet auch eine frühere rechtswidrige Bemessung im Vorbezug, so lange der frühere Bewilligungsbescheid
beziehungsweise dessen (hier spezielle) Bindungswirkung nicht mit Wirkung für die Vergangenheit oder Zukunft aufgehoben worden
ist (vgl. BSG, Urteil vom 19. März 1998 - B 7 AL 86/96 R = SozR 3-4100 § 112 Nr. 29, S. 139). Der Senat verkennt nicht, dass diese Auslegung im Ergebnis eine Perpetuierung eines
rechtswidrigen Zustandes in Kauf nimmt und dies im Einzelfall - wofür der vorliegende Fall durchaus als Beispiel taugt - bei
"materieller" Sicht zu als unbillig empfundenen Ergebnissen führen kann. Es liegt indes nicht in der Kompetenz der Gerichte,
eine de lege artis im Wege der Auslegung erkannte und gegebenenfalls als unbefriedigend eingeschätzte Rechtslage zu korrigieren.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 Abs.
1 Satz 1
SGG.
Die Revision war wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zuzulassen (§
160 Abs.
2 Nr.
1 SGG).