Kein Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung
Berücksichtigung der Funktionsbeeinträchtigungen durch orthopädische Beeinträchtigungen, eine Depression und Nervenschmerzen
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung einer Rente wegen voller, hilfsweise teilweiser Erwerbsminderung streitig.
Die am xxxxx 1962 geborene Klägerin hat eine Ausbildung zu Uhrmacherin absolviert. In diesem Beruf ist sie jedoch nicht tätig
gewesen, sondern war bei der Firma B. als Packerin und Maschinenführerin beschäftigt. Die Klägerin ist schwerbehindert mit
einem Grad der Behinderung von 50.
Einen ersten Rentenantrag stellte die Klägerin bereits im Jahr 2007. Aus einem Heilverfahren von August bis September 2006
war die Klägerin unter der Diagnose einer leichten depressiven Episode und einem Impingement der Schulter, als vollschichtig
leistungsfähig für die Tätigkeit als Maschinenwerker entlassen worden. Der behandelnde Psychiater L. hatte bereits ab April
2006 eine schwere Depression bescheinigt (Bericht von Juli 2007). Aufgrund des damaligen Rentenantrages erstellte der Chirurg
Dr. N1 im August 2007 ein fachärztliches Gutachten sowie eine Stellungnahme im Oktober 2007 und hielt die Klägerin trotz der
Angabe von Schmerzen in beiden Ellengelenken, Nackenschmerzen und Verspannungen der HWS sowie einem somatoformen Schmerzerleben
vor dem Hintergrund einer reaktiven Belastungssituation für vollschichtig, also täglich sechs Stunden und mehr, leistungsfähig
in einer mittelschweren körperlichen Tätigkeit ohne häufige Überkopfarbeiten und Armvorhalte. Zu einer gleichen Leistungsbeurteilung
kam der Neurologe/Psychiater A. in seinem im Oktober 2007 erstellten Gutachten. Auch er hielt die Klägerin unter der Diagnose
eines depressiven Erschöpfungssyndroms vor dem Hintergrund einer ängstlich-unsicheren Persönlichkeitsstruktur sowie der orthopädischen
Beeinträchtigungen für vollschichtig in der Lage, einer mittelschweren Tätigkeit ohne besonderen Stress und Nachtarbeit nachzugehen.
Am 3. Juni 2009 beantragte die Klägerin erneut Rente wegen Erwerbsminderung bei der Beklagten. Zur Begründung verwies sie
auf orthopädische Beeinträchtigungen, eine Depression und Nervenschmerzen.
Für die Beklagte erstellte der Orthopäde R. im Dezember 2009 ein fachärztliches Gutachten und stellte bei der Klägerin einen
Reizzustand beider Bizepssehnen sowohl im Ursprungsbereich (Schulter) als auch Ansatzbereich (Ellenbogen) mit der Notwendigkeit
zur konsequenten Schonung und ggfs. physikalischer und Physiotherapie ohne eigentliche strukturelle Schwächung der oberen
Extremität, funktionelle Rückenschmerzen bei muskulärer Dysbalance und statisch ungünstiger Bauchfettverteilung, Klage über
relative Unbeweglichkeit im Alltag, angegebene vorbefundete degenerative Veränderung einer Bandscheibe, einen medikametös
behandelten Bluthochdruck sowie ein behandeltes Asthma bronchiale und eine nervenärztlich behandelte depressiv getönte Problematik
fest. Trotz dieser gesundheitlichen Einschränkungen hielt der Gutachter die Klägerin für in der Lage, vollschichtig, also
sechs Stunden und mehr täglich, eine leichte bis mittelschwere körperliche Tätigkeit ohne Nachtarbeit auszuüben. Die so genannte
Wegefähigkeit sei bei der Klägerin ebenfalls gegeben. In seinem Gutachten vom Januar 2010 kam der Neurologe/Psychiater A.
unter der Diagnose eines subdepressiv getönten Erschöpfungszustandes vor dem Hintergrund einer ängstlich-unsicheren Persönlichkeitsstruktur,
jedoch ohne Nachweis gravierend depressive Phänomene, ebenfalls zu einem noch vollschichtigen Leistungsvermögen für mittelschwere
körperliche Tätigkeiten ohne besonderen Stress und ohne Nachtarbeit. Im Bericht vom Februar 2010 bescheinigte der behandelnde
Psychiater L. eine rezidivierende depressive Störung, die er im Text umschrieb als "erheblich depressive recht labile Patientin
mit starken, ängstlichen Persönlichkeitszügen".
Die Beklagte lehnte den Rentenantrag mit Bescheid vom 5. Februar 2010 ab. Der Widerspruch der Klägerin blieb ohne Erfolg.
Nach Stellungnahmen des beratenden Neurologen/Psychiaters A. (im März und Juni 2010) und des Rheumatologen Dr. L1, die keine
Änderungen hinsichtlich der Leistungsbeurteilung sahen, erstellte der Neurologie/Psychiater Prof. Dr. H. im November 2014
ein weiteres Gutachten. Unter der Diagnose einer leichten depressiven Episode sah auch dieser Sachverständige die Klägerin
für in der Lage, eine mittelschwere körperliche Tätigkeit täglich sechs Stunden und mehr mit nur wenigen qualitativen Einschränkungen
auszuüben. Den Berichten des behandelnden Psychiaters bzw. der Psychiaterin L. von Januar und Oktober 2013, in denen der Klägerin
bescheinigt wurde, sie sei wegen schwerer und chronisch psychischer Erkrankung nicht leistungsfähig im Sinne dauerhafter Arbeitsunfähigkeit,
folgte er nicht. Die Beklagte wies sodann den Widerspruch der Klägerin mit Widerspruchsbescheid vom 3. Dezember 2014 zurück.
Im erstinstanzlichen Klageverfahren bescheinigte die Psychiaterin L. der Klägerin, dass bei ihr eine Depression, eine Angststörung,
eine PTBS (Posttraumatische Belastungsstörung) und eine nichtorganische Schlafstörung vorliege und die Störungen so schwer
ausgeprägt seien, dass keine Arbeitstätigkeit mehr möglich sei.
Nach Einholung aktualisierter Befundberichte der behandelnden Ärzte hat der Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. G. im März 2017
nach Untersuchung der Klägerin ein fachärztliches Gutachten erstellt. Er hat ausgeführt, dass die Tumorerkrankung der Schilddrüse
im Rahmen der Heilbehandlung erfolgreich geheilt worden sei. Die durch einen Verschleiß hervorgerufenen Beeinträchtigungen
des rechten Daumengelenkes machten es der Klägerin unmöglich, Tätigkeiten mit besonderen Anforderungen an die Kraft der Hand
auszuüben. Hinsichtlich der funktionellen Rückenschmerzen ergäben sich zwar Probleme, hier schließe er sich dem orthopädischen
Gutachten an, welches für die Beklagte erstellt worden sei. Die Beurteilung sei zutreffend. Wegen der funktionellen Armbeschwerden
im Schulterbereich seien der Klägerin keine Überkopftätigkeiten und Tätigkeiten in der Armvorhalten mehr möglich. Da die Lungenfunktionswerte
ohne wesentlichen Befund seien, ergebe sich hieraus, sowie aus dem Bluthochdruck keine weitere Einschränkung. Hinsichtlich
des Diabetes mellitus sei anzumerken, dass dieser derzeit nicht behandelt werde. Auch unter Berücksichtigung der im September
2016 operierten Narbenhernie bestünde weiterhin ein vollschichtiges Leistungsvermögen für eine leichte bis mittelschwere körperliche
Tätigkeit ohne besondere Stressbelastungen, ohne Nachtarbeiten, ohne Überkopftätigkeiten und Armvorhalte und ohne besondere
Anforderung an die Kraft in den Fingern.
Im Verhandlungstermin vor dem Sozialgericht am 12. Oktober 2017 hat die Klägerin einen Bericht der A1 Klinik H1 sowie ein
erneutes Attest Ihrer behandelnden Psychiaterin L. vorgelegt. Nach dem Bericht der A1 Klinik ist am 28. September 2017 eine
Skelettszintigraphie durchgeführt worden und eine aktivierte Rhizarthrose links, im Übrigen aber kein Nachweis einer rheumatoiden
Arthritis festgestellt worden. Das Attest der behandelnden Psychiaterin bescheinigt eine unverändert bestehende Depression,
eine Angststörung, eine Posttraumatische Belastungsstörung und eine nichtorganische Schlafstörung. Die Behandlung werde fortgeführt;
aufgrund verstärkter Symptome und Schwierigkeiten im Alltag gelänge es der Patientin häufiger nicht, die Behandlungstermine
wahrzunehmen. Sie erhalte weiterhin eine Medikation mit Amitriptylin 50 mg zur Nacht. Insgesamt sei die Symptomatik nach wie
vor schwer ausgeprägt und durch die Depression und die Schmerzen liege ein Zustand vor, der eine Arbeitstätigkeit nicht erlaube.
Es werde noch einmal darauf hingewiesen, dass die Patientin von der Unterzeichnerin seit 2006 behandelt werde und in Anbetracht
der Psychopathologie und der vielfältigen Belastungen nicht mit einer Wiederherstellung der seelischen Gesundheit oder auch
der Herstellung von Arbeitsfähigkeit gerechnet werden könne.
Mit Urteil vom 12. Oktober 2017 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Wegen der noch bestehenden Erwerbsfähigkeit für
leichte bis mittelschwere körperliche Arbeit im Umfang von sechs Stunden und mehr täglich mit nur qualitativen Einschränkungen
habe die Klägerin weder einen Anspruch auf Rente wegen voller, noch wegen teilweiser Erwerbsminderung. Entsprechende zumutbare
Arbeitsplätze seien auf dem Arbeitsmarkt vorhanden, denn es liege auch keine Summierung von Beeinträchtigungen oder eine besonders
schwere Beeinträchtigung vor, die zur Verschlossenheit des Arbeitsmarktes führen könne.
Hiergegen hat die Klägerin Berufung eingelegt. Das sozialgerichtliche Urteil sei schon deswegen unzutreffend, weil es auf
der Einschätzung im Gutachten Dr. G. fuße, der als Allgemeinmediziner nicht in der Lage sei, die psychischen Einschränkungen
bei der Klägerin fachkundig zu beurteilen. Dementsprechend seien seine Ausführungen zu einer Somatisierungsstörung und zur
Schwere der Depression nicht überzeugend sowie widersprüchlich. Er sei deswegen auch nicht in der Lage, eine Gesamteinschätzung
des Restleistungsvermögens vorzunehmen. Tatsächlich sei die Klägerin voll erwerbsgemindert.
Die Klägerin stellt den Antrag, den Bescheid der Beklagten vom 5. Februar 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3.
Dezember 2014 sowie das erstinstanzliche Urteil vom 12. Oktober 2017 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr eine
Rente wegen voller Erwerbsminderung, hilfsweise teilweiser Erwerbsminderung ab Antragstellung zu gewähren.
Die Beklagte stellt den Antrag, die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 12. Oktober 2017
zurückzuweisen.
Sie hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend. Insbesondere halte ihr ärztlicher Dienst (Dr. J.) das Gutachten von Dr.
G. auch für überzeugend. Diese Einschätzung mache sich die Beklagte zu Eigen.
In seinem Gutachten aus November 2018 und seinen ergänzenden Erläuterungen in den Verhandlungstermin am 20. November sowie
18. Dezember 2018 ist der Neurologe/Psychiater Dr. N. zu den Einschätzung gelangt, dass die Klägerin trotz ihrer Erkrankungen
noch in der Lage sei, zumindest leichte Arbeiten im Umfang von sechs Stunden und mehr täglich mit im Einzelnen aufgeführten
qualitativen Einschränkungen bei erhaltender Wegefähigkeit und der Fähigkeit, Hemmungen gegenüber einer Arbeitsaufnahme zu
überwinden, zu verrichten. Hinsichtlich der Einzelheiten des Gutachtens und der ergänzenden Aussagen wird auf das schriftliche
Gutachten vom 6. November 2018 sowie die Niederschriften der beiden Verhandlungstermine verwiesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf die Verwaltungsakten
der Beklagten sowie den Prozessakte verwiesen. Sie sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Über die Berufung konnte die Berichterstatterin an Stelle des Senats entscheiden, weil sich die Beteiligten damit einverstanden
erklärt haben (§
155 Abs.
4 in Verbindung mit Abs.
3 Sozialgerichtsgesetz (
SGG)).
Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte und auch im Übrigen zulässige Berufung der Klägerin (vgl. §§
143,
144,
151 SGG) ist nicht begründet. Zu Recht und mit zutreffender Begründung hat das Sozialgericht die auf Gewährung einer Rente wegen
verminderter Erwerbsfähigkeit gerichtete Klage abgewiesen. Auch im Berufungsverfahren hat sich trotz weitergehender Ermittlungen
bestätigt, dass noch ein Leistungsvermögen zumindest für leichte Arbeiten im Umfang von sechs Stunden und mehr täglich mit
qualitativen Einschränkungen bei erhaltender Wegefähigkeit und der Fähigkeit, Hemmungen gegenüber einer Arbeitsleistung zu
überwinden, besteht, was der begehrten Rente entgegensteht. Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt das Gericht insoweit Bezug
auf die Begründung des sozialgerichtlichen Urteils (§
153 Abs.
2 SGG).
Das Gericht folgt den überzeugenden Ausführungen des Neurologen/Psychiaters Dr. N., der insbesondere im Einzelnen dargelegt
und begründet hat, dass die bei der Klägerin vorliegende rezidivierende depressive Störung mit leichten bis mittelschweren
Episoden der Leistungsfähigkeit nicht entgegensteht. Entgegen der Auffassung der Klägerin, gestützt von ihrer behandelnden
Psychiaterin L., sind die Voraussetzungen für die Annahme einer schweren oder auch nur durchgehend mittelschweren Depression
nicht erfüllt. Die behandelnde Psychiaterin - bzw. seinerzeit noch der behandelnde Psychiater -L. bescheinigte der Klägerin
durchgehend massive Einschränkungen aufgrund der Schwere der Depression. Kein anderer Arzt und keiner der Gutachter konnte
die beschriebene Schwere der Erkrankung bestätigen. Die vorgenommene medikamentöse Behandlung wäre für eine schwere Depression
nicht ausreichend. Dr. N. hat nicht das klinische Bild einer schwer oder durchgehend mittelschwer erkrankten Depressiven vorgefunden,
sondern vielmehr nachvollziehbar dargelegt, welche Ressourcen nach wie vor vorhanden sind. Auch wenn in der Formulierung der
Voraussetzungen der Schweregrade einer Depression Unterschiede an verschiedenen Literaturstellen zu finden sind, stellt dies
seine Ausführungen nicht in Frage. Basierend auf dem Wortlaut des ICD 10, wie er im Ärzteblatt wiedergegeben ist, kommt der
Sachverständige auf die Klägerin bezogen zur Einschätzung, dass von den Hauptsymptomen eine depressive, gedrückte Stimmungslage
vorliegt, jedoch ein vollständiger Interessenverlust bzw. Freudlosigkeit nicht besteht, im Hinblick auf Energielosigkeit/Antriebslosigkeit
sich eine gering ausgeprägte Antriebsminderung darstellt, wobei Alltagsaktivitäten im Bereich der Selbstpflege und Selbstversorgung
durchaus erhalten sind. Die Ermüdbarkeit wird von der Klägerin subjektiv angegeben, zeigte sich in der Explorationssituation
allerdings nicht. Bei den Zusatzsymptomen "verminderte Konzentration und Aufmerksamkeit" zeigte sich, dass die Klägerin durchaus
in der Lage sich im Explorationsgespräch auf das Gegenüber und die jeweiligen Gesprächsinhalte in ausreichender Form ein-
und umzustellen. Im Bereich des Kurzzeitgedächtnisses zeigte sich allerdings gelegentlich eine leichte Einschränkung, die
auf ein gering vermindertes Konzentrationsvermögen insgesamt rückschließen lässt. Das Selbstwertgefühl erschien ausreichend
erhalten, allerdings gab die Klägerin Schuldgefühle an. Die Zukunftsperspektiven schilderte die Klägerin eher negativ, von
Suizidalität war sie dabei zuverlässig distanziert. Schlafstörungen wurden angegeben, jedoch fand sich zum Zeitpunkt der Exploration
keine Tagesmüdigkeit. Eine Appetitminderung mit dokumentiertem Gewichtsverlust ließ sich anamnestisch nicht durchgehend feststellen,
dabei ist zu berücksichtigen, dass die Klägerin ein Antidepressivum einnimmt, welches gelegentlich auch eine Gewichtszunahme
herbeiführen kann. Schlussendlich ergibt sich daraus, dass zwei Hauptsymptome einer depressiven Erkrankung vorliegen, allerdings
nicht alle drei erfüllt sind. Die Diagnose einer schweren Depression scheidet daher aus. Nach Feststellung des Gutachters
bestehen insgesamt 6 Merkmale einer depressiven Erkrankung. Obwohl 6 Symptome einer depressiven Episode formal gesehen einer
mittelgradigen Depression entsprechen, wird im Gutachten von dem Gesamtbild unter der aktuellen Behandlung als leichte bis
mittelschwere Depression ausgegangen. Dies folgt daraus, dass ein Teil der Symptome eher gering ausgeprägt ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG und entspricht dem Ausgang des Rechtsstreits in der Hauptsache.
Ein Grund für die Zulassung der Revision gemäß §
160 Abs.
2 Nr.
1 oder Nr.
2 SGG ist nicht gegeben.