Erstattungsverfahren als Parteienstreit im Gleichordnungsverhältnis
Begriff des gewöhnlichen Aufenthaltes eines Hilfeempfängers
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt die Erstattung der seit dem 5. Mai 2008 entstandenen Kosten für die Gewährung von Leistungen nach dem
Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII), die sie für Frau A.S. erbracht hat. Außerdem geht es um die Feststellung, wer für die Hilfegewährung an Frau S. zuständig
ist.
Die am xxxxx 1982 geborene Frau S. ist von Geburt an geistig behindert und leidet an epileptischen Anfällen. Sie ist schwerbehindert
mit einem Grad der Behinderung von 100, außerdem sind die Merkzeichen G (erhebliche Gehbehinderung) und H (Hilflosigkeit)
festgestellt worden. Frau S. wohnte zunächst mit ihren Eltern in H ... Im Juni 2000 bestellte das Amtsgericht Lübeck ihre
Eltern als Betreuer mit dem Aufgabenkreis Sorge für die Gesundheit, Vermögenssorge, Behördenangelegenheiten und Postangelegenheiten
mit Ausnahme offensichtlich privater Post. Im Zeitraum vom 1. Dezember 2000 bis zum 31. Oktober 2007 war Frau S. vollstationär
in einer Einrichtung der V. Diakonie in L. untergebracht. Hierfür wurden ihr von der Klägerin Leistungen der Eingliederungshilfe
sowie laufende Hilfe zum Lebensunterhalt in Einrichtungen nach dem SGB XII gewährt. Zum November 2006 waren die Eltern von Frau S. nach F1 im Kreis D. in S3 umgezogen. Ca. 11- bis 12-mal im Jahr fuhr
Frau S. zu ihren Eltern, meist für ein Wochenende.
Am 13. Oktober 2007 verließ Frau S. die Einrichtung der V. Diakonie in L. und zog zu ihren Eltern nach F1. Die Eltern von
Frau S. kündigten den Wohnheimplatz und den Werkstattplatz ihrer Tochter in der Einrichtung zum 31. Oktober 2007. Zum 1. November
2007 wurde Frau S. bei ihren Eltern in F1 amtlich angemeldet.
Mit Schreiben vom 24.10.2007 wandte sich die Mutter von Frau S. an die Klägerin und teilte mit, dass als neue Einrichtung
der Eingliederungshilfe für ihre Tochter die G. Werkstätten, eine Einrichtung der Gruppe N. Gesellschaft für Diakonie in G.
im Kreis S1 in S3, angestrebt würde. Vorgespräche hätten bereits stattgefunden und Frau S. könne dort voraussichtlich ab Januar
2008 aufgenommen werden. Da die Situation recht plötzlich entstanden sei, werde Frau S. die Zeit ohne Beschäftigung und Wohnmöglichkeit
in einer Einrichtung entweder bei ihren Eltern oder bei ihrem Bruder und dessen Familie in H. verbringen. Sie bitte um Erläuterung,
welche Folgen dies für die weitere Zuständigkeit der Klägerin haben würde. Die Klägerin teilte der Mutter von Frau S. daraufhin
telefonisch mit, für die weitere Hilfegewährung sei der örtliche Sozialhilfeträger zuständig und sie möge dort einen entsprechenden
Antrag stellen.
Die Klägerin stellte mit Bescheid vom 16. November 2007 die Gewährung von Eingliederungshilfe an Frau S. mit dem 12. Oktober
2007 ein. Mit weiteren Bescheiden vom 16. November 2007 stellte die Klägerin die Gewährung der laufenden Hilfe zum Lebensunterhalt
in Einrichtungen und der laufenden Grundsicherungsleistung zum 31. Oktober 2007 ein. Ab dem 1. November 2007 erhielt Frau
S. folglich nur noch Leistungen der Pflegeversicherung (Pflegestufe II) und Kindergeld.
Am 20. November 2007 sprach die Mutter von Frau S. beim Beklagten vor und teilte mit, sie wolle ihre Tochter in den G. Werkstätten
unterbringen, wahrscheinlich ab dem 1. Dezember 2007. Mit Schreiben vom 21. November 2007 teilte der Beklagte der Klägerin
mit, die Mutter von Frau S. habe bei ihm die Übernahme für die Kosten der Unterbringung von Frau S. in G. beantragt. Hierfür
sei jedoch weiter die Klägerin zuständig, da Frau S. bei ihren Eltern keinen neuen gewöhnlichen Aufenthalt begründet habe
und die Zuständigkeit daher nicht wechsle. Die Klägerin werde daher gebeten, den Fall weiter zu bearbeiten.
Frau S. zog am 26. November 2007 für einen Probeaufenthalt mit Praktikum in eine Wohneinrichtung der G. Werkstätten. Am 29.
November 2007 musste der dortige Aufenthalt wegen des aggressiven Verhaltens von Frau S. abgebrochen werden. Eine Aufnahme
in die G. Werkstätten war deshalb zu dieser Zeit nicht möglich und Frau S. zog zunächst wieder zu ihren Eltern. Von dort aus
wurde sie für einen Aufenthalt in der Psychiatrie H3 angemeldet und dort am 27. Dezember 2007 stationär aufgenommen.
Die Eltern von Frau S. beantragten mit Schreiben vom 1. März 2008 beim Beklagten Leistungen für eine stationäre Unterbringung
von Frau S. in der Einrichtung H1 K. in S2 (Kreis S2-F. in S3). Sie teilten mit, Frau S. sei in der Einrichtung bereits 3
Tage zur Probe gewesen und die Einrichtung sei bereit, sie aufzunehmen. Der Beklagte leitete den Antrag mit Schreiben vom
5. März 2008 an die Klägerin weiter, da diese zuständig sei. Mit Schreiben vom 14. März 2008 teilte die Mutter von Frau S.
der Klägerin mit, Frau S. werde am 18. März 2008 aus der Klinik in H3 entlassen. Sie könne ab dem 20. März 2008 in der Einrichtung
H1 K. aufgenommen werden, wenn die Klägerin dem zustimme. Die Klägerin teilte Frau S. mit Schreiben vom 17. März 2008 mit,
sie befürworte die beantragte Eingliederungshilfe in der Einrichtung H1 K ... Am 18. März 2008 wurde Frau S. aus der Psychiatrie
H3 entlassen und zog wiederum zu ihren Eltern. Am 19. März 2008 bewilligte die Klägerin Frau S. Leistungen der Eingliederungshilfe
und Hilfe zum Lebensunterhalt in einer Einrichtung für die vollstationäre Unterbringung in der Einrichtung H1 K. ab dem 20.
März 2008. Zur Aufnahme in die Einrichtung H1 K. kam es dann jedoch nicht, da Frau S. vermehrt an epileptischen Anfällen litt.
Am 23. März 2008 wurde sie deshalb in die Intensivstation des W.-Klinikum H2 aufgenommen. Dort wurde sie am 1. April 2008
entlassen und lebte zunächst wieder bei ihren Eltern. Mit Bescheid vom 7. April 2008 hob die Klägerin ihre Bescheide über
die Bewilligung von Eingliederungshilfe und Hilfe zum Lebensunterhalt in einer Einrichtung vom 19. März 2008 auf.
Am 7. April 2008 wurde Frau S. in das Epilepsiezentrum H.-A. stationär aufgenommen. Die Mutter von Frau S. beantragte am 18.
April 2008 bei der Klägerin erneut Eingliederungshilfe für die Unterbringung ihrer Tochter in der Einrichtung H1 K. und teilte
mit, dass die Aufnahme für den 23. April 2008 geplant sei. Die Klägerin übersandte den Antrag mit Schreiben vom 22. April
2008 an den Beklagten. Die Klägerin berief sich in dem Schreiben auf §
14 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB IX); die Zuständigkeit liege beim Beklagten. Zu der geplanten Aufnahme in die Einrichtung H1 K. kam es wegen des gesundheitlichen
Zustands von Frau S. jedoch nicht. Stattdessen verblieb Frau S. über den 23. April 2008 hinaus im Epilepsiezentrum H.-A ...
Die Mutter von Frau S. wandte sich mit Schreiben vom 29. April 2008 erneut an die Klägerin. Sie teilte mit, dass ihre Tochter
voraussichtlich am 2. Mai 2008 aus dem Epilepsiezentrum entlassen werde. Sie sehe sich nicht in der Lage, ihre Tochter wieder
zu Hause aufzunehmen und habe eventuell bereits eine Einrichtung für ihre Tochter gefunden. Deshalb bitte sie dringend um
Klärung der Zuständigkeiten. Die Klägerin übersandte dieses Schreiben an den Beklagten.
Ebenfalls am 29. April 2008 beantragten die Eltern von Frau S. beim Beklagten Leistungen der Eingliederungshilfe für die Unterbringung
ihrer Tochter in den G. Werkstätten. Die Einrichtung H1 K. sei infolge der verstärkten epileptischen Anfälle nicht mehr geeignet.
Der bei der Klägerin gestellte Antrag in Bezug auf die Einrichtung H1 K. werde daher nicht aufrechterhalten. Die G. Werkstätten
seien passend und könnten Frau S. ab dem 5. Mai 2008 einen Platz anbieten, wenn es bis dahin einen Kostenübernahmeregelung
gebe. Mit Schreiben vom 30. April 2008 leitete der Beklagte den Antrag vom 29. April 2008 gemäß §
14 SGB IX an die Klägerin weiter. Zur Begründung führte er aus, die Klägerin sei weiterhin zuständig, da Frau S. von einer Einrichtung
in eine andere übergetreten sei. Kurze Zwischenaufenthalte stellten keine Unterbrechung der Einrichtungskette da, sodass gemäß
§ 98 Abs. 2 SGB XII auch die Zuständigkeit nicht wechsle.
Am 5. Mai 2008 wurde Frau S. im Wohnheim der G. Werkstätten aufgenommen. Die Klägerin teilte Frau S. mit Schreiben vom 14.
Mai 2008 mit, die beantragte Eingliederungshilfe in der Einrichtung G. Werkstätten werde für die Zeit ab dem 5. Mai 2008 befürwortet.
In der Folgezeit gewährte die Klägerin Frau S. Leistungen der Eingliederungshilfe und Leistungen für den Lebensunterhalt in
Einrichtungen.
Mit Schreiben vom 19. Mai 2008 machte die Klägerin gegenüber dem Beklagten einen Anspruch auf Erstattung der für Frau S. seit
dem 5. Mai 2008 gewährten Leistungen geltend und bat den Beklagten, den Fall ab dem nächstmöglichen Zeitpunkt in die eigene
Zuständigkeit zu übernehmen. Der Beklagte sei der örtlich zuständige Sozialhilfeträger. Der Beklagte antwortete der Klägerin
unter dem 28. Mai 2008 und teilte mit, er lehne die Anerkennung der Kosten ab. Die Zuständigkeit liege weiterhin bei der Klägerin.
Am 1. Dezember 2008 hat die Klägerin Klage gegen den Beklagten erhoben. Sie hat vorgetragen, Frau S. habe jedenfalls ab dem
Scheitern des Praktikums in den G. Werkstätten einen gewöhnlichen Aufenthalt bei ihren Eltern in F1 und damit im örtlichen
Zuständigkeitsbereich des Beklagten gehabt. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG), insbesondere in
dessen Beschluss vom 3. Juli 2003 (5 B 211/02) sei ein gewöhnlicher Aufenthalt durch einen zukunftsoffenen Verbleib bis auf weiteres gekennzeichnet. Mit dem Abbruch des
Praktikums in den G. Werkstätten am 29. November 2007 habe sich die zunächst zum Dezember 2007 geplante Aufnahme von Frau
S. in die G. Werkstätten zerschlagen. Was weiter passieren sollte, sei unklar gewesen. Damit habe sich Frau S. bis auf weiteres
und zukunftsoffen bei ihren Eltern aufgehalten. Infolge des gewöhnlichen Aufenthalts im Zuständigkeitsbereich des Beklagten
sei dieser nach § 98 Abs. 2 SGB XII zuständig. Ein Übertritt von einer Einrichtung in die nächste, der nach § 98 Abs. 2 Satz 2 SGB XII die Zuständigkeit des bei Eintritt in die erste Einrichtung zuständigen Trägers fortbestehen lasse, liege nicht vor, da zwischen
der Entlassung aus der Einrichtung der V. Diakonie in L. und der Aufnahme in die G. Werkstätten ein Zeitraum von mehr als
sechs Monaten gelegen habe. Die Aufnahme in die G. Werkstätten am 5. Mai 2008 sei eine Neuaufnahme gewesen. Frau S. habe weder
im Zeitpunkt der Neuaufnahme noch in den zwei Monaten davor einen gewöhnlichen Aufenthalt im Zuständigkeitsbereich der Klägerin
gehabt. Selbst wenn Frau S. keinen gewöhnlichen Aufenthalt bei ihren Eltern begründet habe, so sei nicht die Klägerin, sondern
der Beigeladene zuständig, weil Frau S. dann zum Zeitpunkt der Aufnahme in die G. Werkstätten gar keinen gewöhnlichen Aufenthalt
gehabt hätte und es infolgedessen auf den tatsächlichen Aufenthalt ankommen würde. Aus diesem Grund habe sie, die Klägerin,
am 20. Mai 2009 einen Kostenerstattungsantrag auch gegenüber dem Beigeladenen gestellt. Sie habe ihre Zuständigkeit schließlich
auch nicht durch die Bewilligung der Kosten für die ab 20. März 2008 zunächst geplante Unterbringung in der Einrichtung H1
K. anerkannt, vielmehr habe sie hier als zweitangegangener Träger nach §
14 SGB IX entscheiden müssen.
Der Beklagte ist der Klage entgegengetreten und hat geltend gemacht, Frau S. habe keinen gewöhnlichen Aufenthalt bei ihren
Eltern begründet. Der Aufenthalt bei ihren Eltern habe nicht zu einer Verbindung der überwiegenden Lebensinteressen von Frau
S. mit dem Aufenthaltsort ausgereicht. Ihre geistige Behinderung erfordere die durchgehende Anwesenheit geschulter Betreuer.
Die Eltern von Frau S. hätten ihr nicht die erforderliche Hilfe zukommen lassen können; nur eine stationäre Betreuung vermöge
ihrem Betreuungsbedarf gerecht zu werden. Aufgrund dessen habe von vornherein festgestanden, dass eine stationäre Betreuung
erforderlich sei. Ferner sei der Aufenthalt bei den Eltern durch mehrere Klinikaufenthalte unterbrochen worden. Die Klägerin
könne sich nicht auf den von ihr zitierten Beschluss des BVerwG berufen. Das BVerwG habe in diesem Beschluss betont, dass
die Beurteilung der Zukunftsoffenheit des Aufenthaltes von den Umständen des Einzelfalls abhänge und sich einer verallgemeinernden
revisionsgerichtlichen Klärung entziehe. Schließlich habe sich die Klägerin zunächst selbst für zuständig angesehen, als sie
die Kosten für eine Aufnahme in die Einrichtung H1 K. ab dem 20. März 2008 bewilligt habe.
Mit Beschluss vom 8. April 2010 hat das Sozialgericht den Beigeladenen beigeladen, da er als leistungspflichtig in Betracht
komme. Der Beigeladene hat sich im erstinstanzlichen Verfahren der Auffassung des Beklagten angeschlossen, aber keinen eigenen
Antrag gestellt.
Das Sozialgericht hat der Klage mit Urteil vom 22. Februar 2013 stattgegeben. Es hat festgestellt, dass der Beklagte ab dem
5. Mai 2008 zuständiger Leistungsträger für die vollstationäre Unterbringung und Inanspruchnahme des Werkstattbereichs der
Hilfeempfängerin A.S. ist. Außerdem hat es den Beklagten verurteilt, die Hilfegewährung für Frau S. zu übernehmen und der
Klägerin die in der Zeit vom 5. Mai 2008 bis zum 31. Januar 2013 in Höhe von 281.164,61 Euro entstandenen und die seit dem
1. Februar 2013 bis zum Tag der Entscheidung entstandenen und die weiter bis zur Übernahme des Hilfefalles entstehenden Aufwendungen
der Sozialhilfe zu erstatten.
Zur Begründung hat das Sozialgericht ausgeführt, die Klägerin habe gegen den Beklagten einen Erstattungsanspruch gemäß §
14 Abs.
4 Satz 1
SGB IX i.V.m. § 102 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X). Die Klägerin habe nämlich Frau S. Leistungen erbracht, ohne hierfür örtlich zuständig gewesen zu sein. Örtlich zuständig
sei vielmehr der Beklagte gewesen. Dies ergebe sich aus § 98 Abs. 2 Satz 1 SGB XII, wonach für die Gewährung von stationären Leistungen der Sozialhilfeträger zuständig sei, in dessen Bereich die Leistungsberechtigten
ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Zeitpunkt der Aufnahme in die Einrichtung oder in den letzten zwei Monaten vor der Aufnahme
zuletzt gehabt hätten. Bei einem Übertritt von einer Einrichtung in die nächste bestimme § 98 Abs. 2 Satz 2 SGB XII, dass der gewöhnliche Aufenthalt entscheidend sei, der für die erste Einrichtung maßgebend gewesen sei. Zum Zeitpunkt der
Aufnahme von Frau S. in die G. Werkstätten habe kein Übertritt von einer Einrichtung in eine andere vorgelegen, da es an dem
hierfür erforderlichen engen zeitlichen Zusammenhang zwischen dem Verlassen der einen Einrichtung und der Aufnahme in die
andere Einrichtung fehle. Zwischen dem Verlassen der Einrichtung der V. Diakonie in L. und der Aufnahme in die G. Werkstätten
hätten mehr als sechs Monate gelegen. Auch sei bei Verlassen der L. Einrichtung die Aufnahme in der G. Einrichtung zwar beabsichtigt,
aber noch nicht hinreichend konkretisiert gewesen, da das zwingend erforderliche Probewohnen noch abzuwarten gewesen sei.
Zum Zeitpunkt der Planung der anderweitigen Unterbringung von Frau S. habe aus Sicht ihrer Eltern nichts dagegen gesprochen,
Frau S. zu sich zu nehmen. Erst nach den vielen nachfolgenden stationären Aufenthalten habe sich ein erhöhter Betreuungs-
und Pflegebedarf bei Frau S. eingestellt. Auch sei Frau S. bis zum 13. Oktober 2007 jedenfalls in der Lage gewesen, in der
Regel einmal pro Monat am Wochenende zu ihren Eltern nach Hause zu fahren. Frau S. habe während der Unterbrechung der Unterbringung
in Einrichtungen bereits ab dem 13. Oktober 2007 einen gewöhnlichen Aufenthalt bei ihren Eltern in F1 begründet. Eine Person
begründe dann einen gewöhnlichen Aufenthalt, wenn sie den Willen habe, diesen Ort bis auf weiteres, also nicht nur vorübergehend
oder besuchsweise, zum Mittelpunkt ihrer Lebensbeziehungen zu machen und diesen Willen auch verwirkliche. Frau S. sei trotz
ihrer geistigen Behinderung in der Lage gewesen, einen Aufenthaltsbestimmungswillen zu bilden. Selbst wenn die Bestimmung
des Aufenthalts als Teil der Gesundheitssorge von der Betreuung erfasst sein sollte, so hätten die Eltern von Frau S. dieses
Recht wirksam ausgeübt. Insbesondere hätten sie Frau S. bei sich angemeldet; dies sei zumindest ein Hinweis darauf, dass nicht
nur ein ganz kurzer, besuchsweiser Aufenthalt begründet werden sollte. Der Zeitraum von nahezu acht Wochen bis zur geplanten
Aufnahme in die G. Werkstätten am 9. Dezember 2007 sei ausreichend gewesen, um einen gewöhnlichen Aufenthalt zu begründen.
Der Verbleib von Frau S. bei ihren Eltern sei am 13. Oktober 2007 zukunftsoffen gewesen, da nicht sicher gewesen sei, ob das
Probewohnen und -arbeiten auch erfolgreich sein würde. Die späteren zahlreichen Klinikaufenthalte von Frau S. hätten den gewöhnlichen
Aufenthalt bei ihren Eltern nicht beendet, da sie zwischen den Klinikaufenthalten stets im Haus der Eltern Aufnahme gefunden
habe.
Am 27. März 2013 hat der Beklagte gegen das ihm am 1. März 2013 zugestellte Urteil Berufung eingelegt. Zur Begründung der
Berufung nimmt er Bezug auf sein Vorbringen im erstinstanzlichen Verfahren und führt weiter aus, bereits bei Verlassen der
Einrichtung in L. und Aufnahme in das Elternhaus habe aus Sicht der Eltern keinesfalls die Möglichkeit einer längerfristigen
Betreuung von Frau S. in der eigenen Häuslichkeit bestanden. Die Mutter von Frau S. habe dies gegenüber dem Beklagten telefonisch
und mit Schreiben vom 23. Januar 2010 auch schriftlich bestätigt. Hätte Frau S. tatsächlich längerfristig zu Hause betreut
werden können, so wäre überdies nicht zuvor eine vollstationäre Unterbringung durch den Sozialhilfeträger gewährt worden.
Sei Frau S. aber nicht in der Lage gewesen, bis auf weiteres außerhalb einer vollstationären Einrichtung zu leben, so könne
sie auch keinen gewöhnlichen Aufenthalt bei ihren Eltern begründet haben. Aber selbst wenn Frau S. ab dem 13. Oktober 2007
einen gewöhnlichen Aufenthalt bei ihren Eltern gehabt hätte, so hätte sie diesen jedenfalls länger als zwei Monate vor der
Aufnahme in die G. Werkstätten wieder aufgegeben. Dies sei spätestens ab der nochmaligen Verhaltensveränderung und Befindensverschlechterung
während des Praktikums in S2 [gemeint ist wohl: G.], also ab dem 29. November 2007, allerspätestens ab der Aufnahme in der
Psychiatrie, also ab dem 27. Dezember 2007, der Fall gewesen. Zu diesem Zeitpunkt habe sich die Befürchtung der Mutter bestätigt,
dass eine ausreichende Betreuung zu Hause nicht möglich sei; damit sei auch eine erneute längerfristige Rückkehr in die Häuslichkeit
ausgeschlossen gewesen. Ab diesem Zeitpunkt sei Frau S. dementsprechend auch immer nur wenige Tage (18.03 - 23.03.2008 und
01.04 - 07.04.2008) bei ihren Eltern gewesen. Während der unterschiedlichen stationären Maßnahmen sei gemäß § 109 SGB XII kein gewöhnlicher Aufenthalt begründet worden. Folglich habe Frau S. zum Zeitpunkt der Aufnahme in die G. Werkstätten und
auch in den zwei Monaten davor gar keinen gewöhnlichen Aufenthalt gehabt. Zuständig für die Übernahme der Kosten der Unterbringung
in den G. Werkstätten sei daher der Beigeladene.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 22. Februar 2013 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verweist auf ihren erstinstanzlichen Vortrag und die Ausführungen im Urteil des Sozialgerichts.
Der Beigeladene hat keinen Antrag gestellt. Er ist nunmehr der Auffassung, dass Frau S. einen gewöhnlichen Aufenthalt bei
ihren Eltern begründet habe. Ein gewöhnlicher Aufenthalt setze einen Aufenthalt "bis auf weiteres", nicht aber notwendigerweise
einen langfristigen Aufenthalt voraus. Zum Zeitpunkt ihres Umzugs zu den Eltern sei in keiner Weise sichergestellt gewesen,
dass sich an den Aufenthalt bei den Eltern ein Aufenthalt in den G. Werkstätten anschließen würde. Zwar sei der Aufenthalt
bei den Eltern nur als vorübergehend geplant gewesen, doch sei sein Ende im Zeitpunkt der Aufnahme im Elternhaus nicht absehbar
gewesen. Frau S. habe bei den Eltern bleiben sollen, bis sich die Möglichkeit der Aufnahme in einer Einrichtung ergeben würde.
Damit habe ein zukunftsoffener Verbleib bei den Eltern vorgelegen. Der gewöhnliche Aufenthalt bei den Eltern sei auch nicht
wieder aufgegeben worden, insbesondere gehe ein gewöhnlicher Aufenthalt nicht durch eine stationäre Unterbringung verloren.
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts im Übrigen wird auf den Inhalt der Prozessakte sowie der
Verwaltungsakten der Klägerin und des Beklagten verwiesen, die bei der Entscheidung vorgelegen haben.
Entscheidungsgründe:
I.
Der Senat entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten durch die Berichterstatterin als Einzelrichterin im schriftlichen
Verfahren (§§
124 Abs.
2,
153 Abs.
1,
155 Abs.
3 und
4 Sozialgerichtsgesetz -
SGG).
II.
Die Berufung ist statthaft (§§
143,
144 SGG) und auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht (§
151 SGG) erhoben. Sie ist jedoch unbegründet. Das Sozialgericht hat der Klage zu Recht stattgegeben.
Die Klage ist als kombinierte Leistungs- und Feststellungsklage zulässig. Die Zulässigkeit der Leistungsklage ergibt sich
aus §
54 Abs.
5 SGG. Bei dem Erstattungsverlangen handelt es sich um einen so genannten Parteienstreit im Gleichordnungsverhältnis, da der Erstattungsanspruch
nicht durch Verwaltungsakt einseitig festgesetzt werden darf (vgl. hierzu Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 11. Auflage 2014, §
54 Rn. 41). Die Feststellungsklage ist nach §
55 Abs.
1 Nr.
1 SGG zulässig.
Die Klage ist auch begründet. Zuständig für die Gewährung von Leistungen der Sozialhilfe an Frau S. für die Zeit ab dem 5.
Mai 2008 war nicht die Klägerin, sondern der Beklagte. Er ist deshalb verpflichtet, der Klägerin ihre Aufwendungen für die
erbrachten Leistungen zu erstatten.
1.
Soweit es um Aufwendungen für die von der Klägerin erbrachten Leistungen der Eingliederungshilfe geht, findet der Erstattungsanspruch
seine Rechtsgrundlage in §
14 Abs.
4 SGB IX. Werden Leistungen zur Teilhabe beantragt, stellt der (erstangegangene) Rehabilitationsträger innerhalb von zwei Wochen nach
Eingang des Antrags fest, ob er nach dem für ihn geltenden Leistungsgesetz für die Leistung zuständig ist (§
14 Abs.
1 Satz 1
SGB IX). Ergibt die Prüfung, dass er für die Leistung nicht zuständig ist, leitet er den Antrag unverzüglich dem nach seiner Auffassung
zuständigen (zweitangegangenen) Rehabilitationsträger zu (§
14 Abs.
1 Satz 2
SGB IX). Dieser zweitangegangene Träger stellt unverzüglich den Rehabilitationsbedarf fest (§
14 Abs.
2 Satz 1 und
3 SGB IX) und bewilligt ggf. die Leistungen. §
14 SGB IX gilt nicht nur bei Streit über die sachliche Zuständigkeit eines Rehabilitationsträgers, sondern auch beim Streit zweier
gleichartiger Rehabilitationsträger über die örtliche Zuständigkeit (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 11.07.2012 - L
2 SO 2400/10; Luik, in: jurisPK-
SGB IX, §
14 Rn. 45).
Die Klägerin und der Beklagte sind als Sozialhilfeträger jeweils Rehabilitationsträger nach §
6 Abs.
1 Nr.
7 SGB IX. Für Leistungen der Teilhabe als Leistungen der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen gelten gemäß § 53 Abs. 4 Satz 1 SGB XII die Vorschriften des
SGB IX soweit sich aus dem SGB XII oder den aufgrund des SGB XII erlassenen Rechtsverordnungen nichts Abweichendes ergibt. Frau S. ist behindert im Sinne von §
2 Abs.
1 SGB IX. Am 29. April 2008 beantragten die Eltern als Betreuer von Frau S. beim Beklagten Leistungen der Eingliederungshilfe für
die Unterbringung in den G. Werkstädten. Auf die zuvor beim Beklagten (20.11.2007, 01.03.2008) und bei der Klägerin (14.03.2008,
18.04.2008) gestellten Leistungsanträge kommt es hingegen nicht an, da sie sich infolge des Scheiterns der Aufnahme in die
Einrichtungen, für die die Anträge gestellt worden waren, jeweils erledigt hatten. Der Beklagte hat den Antrag vom 29. April
2008 mit Schreiben vom 30. April 2008 und damit innerhalb der Frist des §
14 Abs.
1 Satz 1
SGB IX an die Klägerin weitergeleitet. Als zweitangegangener Rehabilitationsträger ist die Klägerin damit im Außenverhältnis zu
Frau S. zuständig geworden, da eine nochmalige Weiterleitung des Antrags nicht möglich war.
Wird nach der Bewilligung der Leistung durch einen Rehabilitationsträger nach §
14 Abs.
1 Satz 2 bis 4
SGB IX festgestellt, dass ein anderer Rehabilitationsträger für die Leistung zuständig ist, erstattet dieser dem Rehabilitationsträger,
der die Leistung erbracht hat, dessen Aufwendungen nach den für diesen geltenden Rechtsvorschriften (§
14 Abs.
4 Satz 1
SGB IX). Dieser spezielle Erstattungsanspruch gilt nur für den zweitangegangenen Rehabilitationsträger und trägt dessen Sondersituation
Rechnung, die dadurch gekennzeichnet ist, dass ihm durch die Weiterleitung des Antrags die Leistungspflicht aufgezwungen ist.
Für die Gewährung der Eingliederungshilfe an Frau S. ab dem Zeitpunkt ihrer Unterbringung in den G. Werkstätten seit dem 5.
Mai 2008 war der Beklagte örtlich und sachlich zuständiger Sozialhilfeträger.
a.
Die sachliche Zuständigkeit des Beklagten als Kreis und damit als örtlicher Träger der Sozialhilfe ergibt sich aus § 97 Abs. 3 SGB XII i.V.m. §§ 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 des S2-Holsteinischen Gesetzes zur Ausführung des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 15. Dezember 2005 (GVOBl. 2005, 568; neugefasst als Gesetz vom 17.12.2010, GVOBl. 2010, 789, 813; im Folgenden: AG-SGB XII).
b.
Die örtliche Zuständigkeit des Beklagten folgt aus § 98 Abs. 2 Satz 1 SGB XII. Während § 98 Abs. 1 SGB XII allgemein bestimmt, dass für die Sozialhilfe der Sozialhilfeträger örtlich zuständig ist, in dessen Bereich sich die Leistungsberechtigten
tatsächlich aufhalten, enthält § 98 Abs. 2 Sonderregelungen für stationäre Leistungen, die den Schutz der Sozialhilfeträger
am Ort der Einrichtungen vor überproportionalen Kostenbelastungen durch Leistungen an "Zuzügler" bezwecken. Nach § 98 Abs. 2 Satz 1 SGB XII ist für stationäre Leistungen der Sozialhilfeträger örtlich zuständig, in dessen Bereich die Leistungsberechtigten ihren
gewöhnlichen Aufenthalt im Zeitpunkt der Aufnahme in die Einrichtung haben oder in den zwei Monaten vor der Aufnahme zuletzt
gehabt haben. Eine Ausnahme hiervon bestimmt § 98 Abs. 2 Satz 2 SGB XII für die Fälle eines so genannten Übertritts von einer stationären Einrichtung in eine andere: Waren bei Einsetzen der Sozialhilfe
die Leistungsberechtigten aus einer Einrichtung im Sinne von § 98 Abs. 2 Satz 1 SGB XII in eine andere Einrichtung oder von dort in weitere Einrichtungen übergetreten oder tritt nach dem Einsetzen der Leistung
ein solcher Fall ein, ist der gewöhnliche Aufenthalt, der für die erste Einrichtung maßgebend war, entscheidend. Lässt sich
nicht feststellen, ob und wo der gewöhnliche Aufenthalt begründet worden ist, so ist nach § 98 Abs. 2 Satz 3 SGB XII der Sozialhilfeträger des tatsächlichen Aufenthaltes zumindest vorläufig zuständig.
aa.
Nach Ansicht des Senats liegt hier kein Übertritt von der Einrichtung der V. Diakonie in L. - über weitere Einrichtungen -
in die G. Werkstätten im Sinne von § 98 Abs. 2 Satz 1 SGB XII vor. Ein Übertritt setzt zum einen voraus, dass die anschließende Aufnahme in eine andere stationäre Einrichtung beabsichtigt
war und auch realisiert wurde; zum anderen muss ein enger zeitlicher Zusammenhang zwischen dem Verlassen der einen und der
Aufnahme in eine andere Einrichtung gegeben sein (vgl. Söhngen, in: jurisPK-SGB XII, 2. Aufl. 2014, § 98 Rn. 39; Schlette, in: Hauck/Noftz, SGB XII, § 98 Rn. 63). Dafür ist erforderlich, dass der Einrichtungswechsel ohne erhebliche zeitliche Unterbrechung verwirklicht wird.
Eine Unterbrechung ist in aller Regel nur dann unschädlich, wenn sie durch die Gegebenheiten des Transports bedingt ist und
den Zeitraum, der für den konkreten Wechsel erforderlich ist, nicht überschreitet. Gemessen an diesen Kriterien ist Frau S.
zwar vom Epilepsiezentrum H. in die G. Werkstätten übergetreten, eine nahtlose Einrichtungskette von der Einrichtung der V.
Diakonie in L. bis zu den G. Werkstätten ist aber nicht gegeben. Denn die Unterbrechungen des Aufenthalts in Einrichtungen
durch die zwischenzeitlichen Aufenthalte im Elternhaus waren länger, als für den Wechsel zwischen den Einrichtungen jeweils
erforderlich gewesen wäre. Ferner ist zu beachten, dass sich die zunächst für Dezember 2007 geplante Aufnahme in die G. Werkstätten
so nicht realisiert hat; zwischenzeitlich war darüber hinaus die Aufnahme in eine ganz andere Einrichtung (H1 K.) beabsichtigt.
Beim Verlassen der Einrichtung der V. Diakonie in L. waren zudem allenfalls erste Gespräche mit den G. Werkstätten geführt
worden, ein Wechsel in diese Einrichtung also keineswegs schon fest vereinbart oder sicher beabsichtigt. Ist bei Verlassen
der ersten Einrichtung ungewiss, wann und wo eine Aufnahme in eine neue Einrichtung erfolgen wird, so scheidet nach Auffassung
des Senats die Annahme eines Übertritts aus (so auch OVG Brandenburg, Beschluss vom 07.12.1999 - 4 B 59/99).
bb.
Entscheidend ist daher, ob und ggf. wo Frau S. bei Aufnahme in die G. Werkstätten bzw., da hier ein Übertritt vorliegt, bei
Aufnahme in das Epilepsiezentrum H. ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatte bzw. in den letzten zwei Monaten vor der Aufnahme
zuletzt gehabt hatte. Der Senat teilt diesbezüglich die Überzeugung des Sozialgerichts, dass Frau S. nach dem Verlassen der
Einrichtung der V. Diakonie in L. einen gewöhnlichen Aufenthalt bei ihren Eltern in F1 und damit im Bereich des Beklagten
begründet und diesen auch nachfolgend bis zur Aufnahme in das Epilepsiezentrum H. bzw. die G. Werkstätten nicht wieder aufgegeben
hat.
Was unter einem "gewöhnlichen Aufenthalt" zu verstehen ist, wird in §
30 Abs.
3 Satz 2
SGB I definiert. Danach hat jemand seinen gewöhnlichen Aufenthalt dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen,
dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt. Maßgebend ist danach zunächst der Wille des
Hilfeempfängers, einen Ort zum Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen zu machen (subjektives Element). Hierfür ist ein rechtsgeschäftlicher
Wille nicht erforderlich, ausreichend ist ein tatsächlicher Wille, den auch nicht voll geschäftsfähige Personen bilden können
(vgl. Hohm, in: Schellhorn/Schellhorn/Hohm, SGB XII, 18. Auflage 2011, § 98 Rn. 49; Schlette, aaO., Rn. 51). Ist der Leistungsberechtigte unfähig, einen Willen zu bilden oder zu äußern, kommt es auf
den Willen des gesetzlichen Vertreters oder des Betreuers an. Der Wille zur Begründung eines gewöhnlichen Aufenthaltes liegt
dabei nicht nur vor, wenn dies den Wünschen des Leistungsberechtigten entspricht, vielmehr reicht auch ein "Sichabfinden"
mit den Gegebenheiten aus (vgl. Hohm, aaO., Rn. 49; Schlette, aaO., Rn. 51). Neben dem Willen des Leistungsberechtigten sind
sodann die tatsächlichen Verhältnisse zu berücksichtigen, diese dürfen der Begründung des gewöhnlichen Aufenthaltes nicht
entgegenstehen (objektives Element). Die Dauer des Aufenthalts kann in diesem Zusammenhang zwar ein Indiz für einen gewöhnlichen
Aufenthalt sein, eine bestimmte Mindestdauer wird jedoch nicht vorausgesetzt (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 22.01.2002
- 12 A 11101/01 und Urteil vom 17.08.2000 - 12 A 10912/99; Thüringer OVG, Urteil vom 14.02.1997 - 2 KO 38/06; Hohm, aaO., Rn. 48). Erforderlich ist lediglich, dass der Leistungsberechtigte an dem fraglichen Ort nicht nur "vorübergehend"
verweilt. Dafür genügt es, dass er sich dort "bis auf weiteres" im Sinne eines zukunftsoffenen Verbleibs aufhält (vgl. BVerwG,
Urteil vom 18.05.2000 - 5 C 27/99 und Urteil vom 13.12.2012 - 5 C 25/11). Vorübergehend ist ein Aufenthalt dann, wenn er zeitlich unbedeutend oder von vornherein nur kurz befristet ist (vgl. Thüringer
OVG, aaO.; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 14.02.1990 - 6 S 1797/88; Hohm, aaO., Rn. 48).
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist hier zwar davon auszugehen, dass Frau S. nach dem Verlassen der Einrichtung der
V. Diakonie in L. zunächst nur einen besuchsweisen Aufenthalt bei ihren Eltern beabsichtigte und nicht geplant war, einen
dauerhaften Aufenthalt im Elternhaus zu begründen - wobei unerheblich ist, ob auf die Absicht von Frau S. oder derjenigen
ihrer Eltern als Betreuer abzustellen ist, da sich Unterschiede in der Willensrichtung nicht feststellen lassen. Unstreitig
diente der Aufenthalt bei den Eltern nur der Überbrückung bis zu einer möglichen Aufnahme in eine neue stationäre Einrichtung.
Dennoch war der Aufenthalt im Elternhaus nicht nur vorübergehend, sondern ein zukunftsoffener Aufenthalt bis auf weiteres.
Bei Aufnahme in das Elternhaus war nämlich noch völlig offen, ob und wann eine Aufnahme in eine neue stationäre Einrichtung
erfolgen konnte. Der Auszug aus der Einrichtung der V. Diakonie in L. geschah aufgrund unvorhergesehener Ereignisse und plötzlich.
Zwar fanden sehr zeitnah erste Gespräche zwischen den Eltern von Frau S. und den G. Werkstätten statt, dennoch wurde hier
zunächst ein Probewohnen verabredet, von dessen Ergebnis die Aufnahme in die Einrichtung abhing. Bis dahin stand es sowohl
Frau S. als auch den G. Werkstätten frei, sich für oder gegen eine Aufnahme in die Einrichtung zu entscheiden. Damit war aber
auch die Dauer des Aufenthalts im Elternhaus offen.
Der Einwand des Beklagten, es habe nie der Wille bestanden, einen gewöhnlichen Aufenthalt im Elternhaus zu begründen, weil
immer klar gewesen sei, dass dies keine dauerhafte Lösung sei und Frau S. wieder in einer stationären Einrichtung untergebracht
werden sollte, überzeugt nicht. Absichten und Wünsche des Leistungsberechtigten, der Aufenthalt an einem bestimmten Ort möge
nur vorübergehend sein, stehen der Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts jedenfalls dann nicht entgegen, wenn die Aufenthaltsdauer
weder von vornherein geplant noch deren Ende absehbar ist (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 17.08.2000 - 12 A 10912/99; ähnlich auch OVG für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 12.09.2002 - 12 A 4625/99). Objektive Gegebenheiten können also einen zeitlich begrenzten Aufenthalt trotz anderer Willensrichtung zu einem gewöhnlichen
Aufenthalt machen (vgl. OVG für das Land Nordrhein-Westfalen, aaO.; Schlette, aaO., Rn. 51). Der Verbleib im Haushalt der
Eltern für den Zeitraum bis zur noch ungewissen Aufnahme in eine passende Einrichtung - und damit "bis auf weiteres" - entsprach
im Übrigen durchaus dem Willen von Frau S. und ihren Eltern. Dass die längere Dauer des Aufenthalts nicht ihren Wünschen und
Plänen entsprach, steht dem nicht entgegen, da ein "Sichabfinden" mit der gegenwärtigen Situation ausreichend ist (vgl. dazu
Hohm, aaO., Rn. 68). Zumindest ein derartiges "Sichabfinden" hat sich aber auch nach außen erkennbar manifestiert: So hat
Frau S. auch nach den diversen Klinikaufenthalten wiederholt Aufnahme bei ihren Eltern gefunden, zudem haben die Eltern sie
bereits zum 1. November 2007 amtlich in ihrem Haushalt angemeldet.
Nach Ansicht des Senats kommt es insoweit auch nicht darauf an, ob eine längerfristige Betreuung von Frau S. durch die Eltern
in deren Häuslichkeit möglich war. Selbst wenn dies nicht der Fall gewesen sein sollte, ändert das nichts daran, dass es sich
um einen zukunftsoffenen Aufenthalt "bis auf weiteres" handelte (vgl. BVerwG, Urteil vom 03.07.2003 - 5 B 211/02 - dazu, dass ein gewöhnlicher Aufenthalt außerhalb einer Einrichtung nicht dadurch ausgeschlossen wird, dass eine weitere
Heimunterbringung erforderlich ist).
cc.
Frau S. hat ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Haushalt ihrer Eltern auch in der Folgezeit bis zur Aufnahme in das Epilepsiezentrum
H. bzw. die G. Werkstätten nicht aufgegeben. Die nachfolgenden Klinikaufenthalte von Frau S. waren nicht geeignet, um einen
neuen gewöhnlichen Aufenthalt am jeweiligen Klinikort zu begründen. Dem steht bereits die Regelung des § 109 SGB XII entgegen, wonach der Aufenthalt in einer Einrichtung nicht als gewöhnlicher Aufenthalt gilt. Eine Aufgabe des gewöhnlichen
Aufenthalts bei den Eltern ohne Begründung eines neuen gewöhnlichen Aufenthalts liegt zur Überzeugung des Senats ebenfalls
nicht vor. Vielmehr blieb das Elternhaus der Ort, an den Frau S. zwischen den Klinikaufenthalten stets zurückkehrte, jeweils
wiederum mit einer nicht absehbaren Dauer ihres dortigen Aufenthaltes. Erst vom Epilepsiezentrum H. ist sie nicht mehr ins
Elternhaus zurückgekehrt, sondern direkt in die G. Werkstätten übergesiedelt.
2.
Soweit die Klägerin auch die Erstattung von Leistungen für den notwendigen Lebensunterhalt in Einrichtungen nach § 35 SGB XII in der bis 31. Dezember 2010 geltenden Fassung vom 2. Dezember 2006 (a.F.) bzw. für die Zeit ab 1. Januar 2011 nach § 27b SGB XII in der Fassung vom 24. März 2011 (n.F.) geltend macht, kann dahin gestellt bleiben, ob wegen § 97 Abs. 4 SGB XII (sachliche Zuständigkeit für alle Leistungen des SGB XII bei Zuständigkeit für stationäre Leistungen) ebenfalls §
14 Abs.
4 Satz 1
SGB IX einschlägig ist (offen gelassen von BSG, Urteil vom 25.04.2013 - B 8 SO6/12 R und Urteil vom 23.08.2013 - B 8 SO 17/12 R). Denn sollte §
14 Abs.
4 SGB IX nicht anwendbar sein, weil es sich bei diesen Leistungen nicht um Teilhabeleistungen handelt, so fände der Erstattungsanspruch
seine Rechtsgrundlage in § 105 SGB X. Diese Norm regelt den Fall, dass ein unzuständiger Leistungsträger Sozialleistungen erbracht hat, ohne dass die Voraussetzungen
von § 102 SGB X vorliegen, und bestimmt, dass der zuständige Leistungsträger erstattungspflichtig ist, soweit dieser nicht bereits selbst
geleistet hat, bevor er von der Leistung des anderen Leistungsträgers Kenntnis erlangt hat. Gegenüber Sozialhilfeträgern besteht
der Erstattungsanspruch nach § 105 Abs. 3 SGB X nur von dem Zeitpunkt ab, von dem ihm bekannt war, dass die Voraussetzungen für seine Leistungspflicht vorliegen. § 102 SGB X kommt hier nicht als Anspruchsgrundlage in Betracht, da die Klägerin die Leistungen an Frau S. nicht lediglich vorläufig
erbracht hat; insbesondere hat sie nicht nach §
43 Abs.
1 SGB I als erstangegangener Träger vorläufig geleistet, denn erstangegangener Träger war der Beklagte.
Die Voraussetzungen eines Erstattungsanspruchs nach § 105 SGB X liegen vor: Die Klägerin war entsprechend den obigen Ausführungen nicht zuständig für die an Frau S. erbrachten Leistungen;
zuständig war vielmehr der Beklagte. Die sachliche Zuständigkeit des Beklagten als örtlicher Träger der Sozialhilfe ergibt
sich aus der Regelung in § 97 Abs. 4 SGB XII, wonach die sachliche Zuständigkeit für eine stationäre Leistung auch die sachliche Zuständigkeit für Leistungen, die gleichzeitig
nach anderen Kapiteln zu erbringen sind, umfasst. Sie folgt im Übrigen auch aus § 2 Abs. 1 AG-SGB XII, der bestimmt, dass die örtlichen Träger der Sozialhilfe sachlich zuständig sind für die Hilfe zum Lebensunterhalt. Die örtliche
Zuständigkeit des Beklagten ergibt sich aus der entsprechenden Anwendung des § 98 Abs. 2 SGB XII. Zwar ist die Leistung nach § 35 Abs. 2 SGB XII a.F. bzw. § 27b Abs. 2 SGB XII n.F. keine stationäre Leistung und auch keine Grundsicherungsleistung, sondern Hilfe zum Lebensunterhalt (BSG, Urteil vom 13.02.2014 - B 8 SO 11/12 R), sodass an sich gemäß § 98 Abs. 1 SGB XII der Sozialhilfeträger des tatsächlichen Aufenthalts örtlich zuständig wäre. Mit Rücksicht auf den Sinn des § 97 Abs. 4 SGB XII, die Zuständigkeit zweier Leistungsträger zu vermeiden (vgl. BT-Drucks 15/1514, S 67 zu § 92), und vor dem Hintergrund, dass § 98 Abs. 2 SGB XII den Träger des Einrichtungsort vor überproportionalen Belastungen durch Leistungen an Zuzügler schützen will, ist jedoch
eine analoge Anwendung des § 98 Abs. 2 SGB XII auf Leistungen des Lebensunterhalts während stationärer Maßnahmen angezeigt (ebenso Steimer, in: Mergler/Zink, SGB XII, § 98 Rn. 55 ff.; Schoch, in: LPK-SGB XII, 9. Auflage 2012, § 98 Rn. 30; vgl. auch OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 03.11.2003 - 12 A 11467/03; offen gelassen von BSG, Urteil vom 13.02.2014 - B 8 SO 11/12 R). Hier hatte der Beklagte auch von Anfang an Kenntnis von den Voraussetzungen seiner
Leistungspflicht (§ 105 Abs. 3 SGB XII). Frau S. hatte den Antrag auf Leistungen zuerst an den Beklagten gerichtet, der ihn seinerseits nach §
14 Abs.
1 SGB IX an die Klägerin weiterleitete. Dem Beklagten waren also sowohl die Notlage als auch die näheren Umstände des Falles bekannt.
3.
Die Klägerin hat den Anspruch gegenüber dem Beklagten auch innerhalb der Frist des § 111 SGB X geltend gemacht, wonach der Anspruch auf Erstattung ausgeschlossen ist, wenn der Erstattungsberechtigte ihn nicht spätestens
12 Monate nach Ablauf des letzten Tages, für den die Leistung erbracht wurde, geltend macht.
Der Beklagte hat keine Einwände gegen die Höhe des geltend gemachten Anspruchs vorgebracht, auch der Senat sieht keinen Anlass
für Zweifel an deren Richtigkeit.
III.
Die Kostenentscheidung basiert auf §
197a SGG i.V.m. §§
154 Abs.
2,
161 Abs.
1 und
162 Abs.
3 VwGO. Der Beigeladene hat keine Anträge gestellt, sodass kein Anlass bestand, seine außergerichtlichen Kosten dem Beklagten aufzuerlegen.
Die Festsetzung des Streitwerts richtet sich nach § 52 Abs. 1 GKG. Er bemisst sich für die Leistungsklage auf den bezifferten Betrag; weiter war für den Feststellungantrag ein Betrag in Höhe
des sog. Auffangstreitwerts von 5.000,- Euro (§ 52 Abs. 2 GKG) zu berücksichtigen.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des §
160 Abs.
2 Nr.
1 oder 2
SGG nicht vorliegen.