Verletztenrente nach posttraumatischem Kopfschmerz-Syndrom
Tatbestand:
Streitig ist die Höhe der Verletztenrente.
Der am 16. Juli 1949 geborene Kläger war als Schweißer bei der I. beschäftigt. - Am 30. August 1995 erlitt er während eines
Einsatzes bei der J. AG einen Arbeitsunfall, indem er von einer Leiter stürzte und mit dem Kopf aufschlug. Er zog sich nach
dem Durchgangsarztbericht des Dr. med. K., Direktor der L., vom 30. August 1995 eine "Commotio/Schädelfraktur" zu und wurde
dort stationär behandelt. Am 31. August 1995 wurden wegen eines epiduralen Hämatoms parietooccipital rechts in der M. eine
osteoplastische Trepanation und Hämatomevakuierung durchgeführt. Danach wurde der Kläger wieder stationär im N. bis 18. September
1995 und sodann ambulant im Krankenhaus O. behandelt. Vom 2. bis 16. Januar 1996 befand er sich in stationärer Behandlung
in der P., wo folgende Diagnosen gestellt wurden: depressiv getöntes posttraumatisches Kopfschmerz-Syndrom bei Zustand nach
Schädelhirntrauma 8/95 mit nachfolgender Operation eines epiduralen Hämatoms rechts parietal. Prof. Dr. med. Q., Chefarzt
der R., verlegte den Kläger in die Abteilung für Neurologie und Psychiatrie des S., in der er vom 8. Februar 1996 bis April
1996 stationär behandelt wurde. Im Entlassungsbericht vom 12. April 1996 führten der Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr.
med. T./Assistenzarzt Dr. U. aus, die physikalische und physiotherapeutische Behandlung sowie eine mehrwöchige antidepressive
Therapie hätten keine Änderung der Beschwerden bewirkt. Seine Klagen über permanente starke Kopfschmerzen seien insofern schwer
mit der Anamnese korrelierbar, als nach aller klinischen Erfahrung auch bei posttraumatischen Kopfschmerzen ein gewisser Decrescendo-Charakter
erkennbar sei. Er habe auf seinen Beschwerden beharrt und häufig geäußert, dass er wohl nicht wieder arbeiten könne. Sie empfählen,
das berufsgenossenschaftliche Heilverfahren abzuschließen, die Unfallrente festzustellen und zu versuchen, den Kläger wieder
in den Arbeitsprozess einzugliedern.
Nach Mitteilung von Prof. Dr. med. Q. war der Kläger ab 29. April 1996 wieder arbeitsfähig (Behandlungsstillstand).
In einem Krankheitsbericht vom 23. November 1995 teilte der Facharzt für HNO-Krankheiten Dr. med. V. mit, unfallbedingte Beschwerden
auf dem HNO-Fachgebiet könnten nicht objektiviert werden, so dass eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) auf dem HNO-Sektor
nicht bestehe.
Mit Bescheid vom 7. Januar 1997 gewährte die Beklagte dem Kläger ab 29. April 1996 eine vorläufige Rente in Höhe von 20 v.
H. der Vollrente und erkannte als Unfallfolgen an: "leichte hirnorganische Wesensveränderung mit Störungen im Affekt und Neigung
zu Kopfschmerzen nach operativ versorgtem Bruch des Hirnschädels mit nachfolgender Einblutung oberhalb der harten Hirnhaut;
die Schädelform wurde durch die Operation nicht beeinflusst; folgenlos ausgeheilte Prellung der Lendenwirbelsäule und des
Beckens, die eine Arbeitsunfähigkeit vom 30. August 1995 bis 28. April 1996 bedingten". Diesem Bescheid lagen ein augenärztliches
Gutachten der Augenärzte W./X. (Augenklinik des Y.) vom 2. September 1996, ein neurologisches Gutachten von Privatdozent Dr.
med. Z./Dr. med. AB. (BB.) und ein unfallchirurgisches Gutachten der Prof. Dr. med. Q./CB. vom 14. November 1996 zugrunde.
Auf augenfachärztlichem Gebiet konnten die Gutachter keine pathologischen Befunde bei ihrer Untersuchung finden. Sie führten
aus, die Gesichtsfeldeinschränkungen sowie die mangelnde Konvergenzreaktion hielten sie für ein Compliance-Problem; für eine
erneute Gesichtsfelduntersuchung hätten sie den Kläger einbestellt. Der geringgradig reduzierte Visus am rechten Auge lasse
sich ursächlich ebenfalls nicht klären. Der Kläger gebe an, dass er bereits früher auf dem rechten Auge schlechter gesehen
habe. Eine Sehnervenschädigung sei ausgeschlossen worden. Die nur sehr diffus geschilderte Beschwerdesymptomatik lasse sich
somit nicht erklären.
Auf neurologischem Fachgebiet beschrieben Privatdozent Dr. med. Z./Dr. med. AB. ein leichtes hirnorganisches Psychosyndrom
mit Störungen im Affekt und Neigung zu Cephalgien mit einer daraus resultierenden MdE von 20 v. H. Sie führten aus, bei der
gutachterlichen Untersuchung seien sichere wesentliche Defekte in Orientierung, Antrieb und Fähigkeit, sich auf ein Thema
zu konzentrieren, nicht erkennbar gewesen. Aufgrund der Neigung des Klägers, seine Beschwerden drastisch darzustellen, sei
das Ausmaß der bestehenden hirnorganischen Veränderung schwierig zu beurteilen. Auch Testuntersuchungen hülfen diesbezüglich
nur bedingt weiter, zum einen aufgrund seiner nicht perfekten Kenntnis der deutschen Sprache und zum anderen aufgrund seiner
Tendenz zur Aggravation. Zweifelsfrei sei es durch das Unfallereignis zu einer substanziellen Hirnschädigung gekommen, jedoch
hätten sich fokale neurologische Störungen, die anfangs bestanden hätten, vollständig zurückgebildet. Für eine posttraumatische
Epilepsie gebe es bisher weder klinisch noch elektroenzephalographisch Anhaltspunkte. - In ihrem chirurgischen Gutachten nannten
Prof. Dr. med. Q./CB. als Unfallfolgen eine reizlose Narbenbildung am Kopf rechtsseitig und Veränderungen im Röntgenbild (knöchern
vollständige Überbauung des ehemaligen Bruchs des Hirnschädels ohne erkennbare Stufenbildung, 4 Bohrlöcher und teils schmale,
teils breite, die Bohrlöcher verbindende Linien, die zusammen von der Entfernung eines Knochendeckels herrühren, der nach
ausgeräumtem Bluterguss wieder eingesetzt wurde und inzwischen knöchern ausgeheilt ist). Die MdE schätzten sie auf chirurgischem
Fachgebiet auf unter 10 v. H. sowie die Gesamt-MdE - unter Berücksichtigung der MdE auf neurologischem Fachgebiet - auf 20
v. H. ein.
Gegen den Bescheid vom 7. Januar 1997 legte der Kläger am 4. Februar 1997 Widerspruch ein, mit dem er die Gewährung nicht
einer vorläufigen Rente, sondern einer Dauerrente, die Feststellung einer MdE von 50 v. H. und eines höheren Jahresarbeitsverdienstes
(JAV) begehrte.
Zur erstmaligen Feststellung der Dauerrente holte die Beklagte ein Gutachten der Ärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr.
med. DB. vom 27. Juni 1997 ein. Zusammenfassend führte sie aus, bei dem Kläger liege keine fokale neurologische Störung mehr
vor, jedoch bestehe weiterhin ein Zustand nach Hirnschädigung mit zentralen vegetativen Störungen (Kopfschmerzen, Schwindel
und Schlafstörungen). Die daraus resultierende MdE schätze sie mit 20 v. H. ein. Anzeichen für eine depressive Verstimmung
und ein stärker ausgeprägtes Psychosyndrom hätten sich nicht gefunden. Der Kläger habe seine Aufmerksamkeit gut fokussieren
können, er habe während der Exploration in der Konzentration nicht nachgelassen und keine psychomotorischen Störungen, keine
Verlangsamung, keine Weitschweifigkeit und kein Haftenbleiben an Gedankeninhalten gezeigt. Über eventuelle Gedächtnisstörungen
könne keine genaue Aussage getroffen werden wegen der mangelnden Mitarbeit des Klägers und seiner Aggravationstendenz. Auch
Hinweise auf eine organische Wesensänderung hätten sich nicht ergeben.
Mit Bescheid vom 13. August 1997 bewilligte die Beklagte dem Kläger ab Zustellung des Bescheides eine Dauerrente von 20 v.
H. der Vollrente und setzte einen höheren JAV als bisher fest (45.422,80 DM). Als Folgen des Arbeitsunfalls erkannte sie an:
"zentrale vegetative Störungen in Form von Kopfschmerzen, Schwindel und Schlafstörungen nach operativer Versorgung eines knöchern
verheilten Bruches des Hirnschädels mit nachfolgender Einblutung"; als Folgen des Arbeitsunfalls erkannte sie nicht an: "herabgesetzte
Sehschärfe des rechten Auges". - Mit Widerspruchsbescheid vom 21. August 1997 wies die Beklagte den Widerspruch im Übrigen
zurück. Hinsichtlich der Höhe der MdE stützte sich die Beklagte auf die eingeholten ärztlichen Gutachten und Beurteilungen.
Wegen der Begründung im Einzelnen wird auf den Widerspruchsbescheid (Bl. 250-252 Verwaltungsakte) Bezug genommen.
Der Kläger hat am 24. September 1997 beim Sozialgericht (SG) Bremen Klage erhoben. Er hat die Zahlung einer Verletztenrente in Höhe von 50 v. H. der Vollrente wegen eines organischen
Psychosyndroms mit sekundärer Depression nach Schädelhirntrauma begehrt und sich zur Begründung auf sein Vorbringen im Widerspruchsverfahren
bezogen.
Die Beklagte hat auf den Inhalt der Verwaltungsakte verwiesen.
Das SG hat ein psychiatrisches Gutachten der Prof. Dr. med. EB./Dr. med. FB. (GB.) vom 4. Juli 1998 eingeholt. Zusammenfassend haben
sie ausgeführt, bei dem Kläger bestehe ein organisches Psychosyndrom mit sekundärer Depression als Folge des erlittenen Schädelhirntraumas.
Es handele sich um zentralvegetative und psychische Störungen als Ausdruck einer Hirnschädigung, die eine mittelschwere Leistungsbeeinträchtigung
nach sich gezogen habe; die MdE sei durchgängig seit dem 20. April 1996 auf 50 v. H. einzuschätzen. Hinsichtlich einer Hirnleistungsschwäche
seien bei dem Kläger die Konzentration und Merkfähigkeit nicht wesentlich beeinträchtigt, aber es komme zu einer vorzeitigen
Ermüdbarkeit, einer Einbuße des Umstellungsvermögens und einer psychovegetativen Labilität, wie Kopfschmerzen, Schlafstörungen,
vasomotorischen Störungen. Außerhalb seiner Wohnung fühle er sich unsicher, ängstlich und schnell überfordert. Hinsichtlich
einer hirnorganischen Wesensänderung habe sich seine Stimmungslage seit dem Unfall wesentlich verändert; er sei latent depressiv,
habe wenig Freude an irgendwelchen Ereignissen, es bestünden ein Interessenverlust und eine schnelle Reizbarkeit, darüber
hinaus sei es zu einer Minderung des Selbstwertgefühls gekommen. Ferner gebe der Kläger Gedächtnisstörungen an, die sich zwar
in den jeweiligen Untersuchungen nicht hätten objektivieren lassen, was aber nicht heiße, dass sie von ihm nicht als solche
erlebt würden.
Die Beklagte hat zu diesem Gutachten eine Stellungnahme des Arztes für Neurologie und Psychiatrie, Psychotherapie Dr. med.
HB. vom 18. Juni 1999 überreicht. Er hat darin zusammenfassend ausgeführt, die von Prof. Dr. med. EB./Dr. med. FB. getroffene
gutachtliche Einschätzung könne in Kenntnis des Unfallhergangs und der vorausgehend erhobenen Befunde nicht ohne weiteres
Bestand haben. Es sei ein neuropsychologisches Gutachten einzuholen, in dem das Ausmaß der objektivierbaren organischen Leistungsminderung
und der in gewissen Grenzen analog zu bewertenden Wesensänderung als Unfallfolgen möglichst festzulegen sei. Die vor etwa
drei Jahren im IB. durchgeführte neuropsychologische Testung könne hierfür nicht als ausreichend gelten, ihre Ergebnisse seien
aber im Einzelnen beizuziehen. Zu achten sei darauf, dass lediglich Tests Verwendung fänden, die nicht die Kenntnis der deutschen
Sprache voraussetzten; soweit die Testung nicht von einem türkisch sprechenden neuropsychologischen Gutachter durchgeführt
werden könne, sei ein Dolmetscher erforderlich.
Mit Urteil vom 25. Juni 1999 hat das SG die Beklagte verurteilt, dem Kläger unter Anerkennung eines organischen Psychosyndroms mit sekundärer Depression eine Verletztenrente
in Höhe von 40 v. H. der Vollrente ab 29. April 1996 zu gewähren, und im Übrigen die Klage abgewiesen. Es hat sich im Wesentlichen
dem Gutachten der Prof. Dr. med. EB./Dr. med. FB. vom 4. Juli 1998 angeschlossen, jedoch eine MdE von 40 v. H. für angemessen
erachtet. Es hat ausgeführt, die von Dr. med. DB. festgesetzte MdE von 20 v. H. sei als zu gering anzusehen und der Stellungnahme
von Dr. med. HB. vom 18. Juni 1999 sei nicht zu folgen, zumal er keinen Vorschlag zur Höhe der MdE unterbreitet habe. Wegen
der Begründung im Einzelnen wird auf das Urteil (Bl. 79-86 Prozessakte) Bezug genommen.
Die Beklagte hat gegen das ihr am 16. Juli 1999 zugestellte Urteil am 13. August 1999 schriftlich beim damaligen Landessozialgericht
(LSG) Bremen Berufung eingelegt. Sie bezieht sich auf die Stellungnahme des Dr. med. HB. vom 18. Juni 1999 und bezeichnet
die Ausführungen des SG zu dem Gutachten der Prof. Dr. med. EB./Dr. med. FB. vom 4. Juli 1998 und die angenommene MdE von 40 v. H. als unzutreffend.
Sie hat Kopien medizinischer Unterlagen (der Allgemeinen Ortskrankenkasse - AOK - Bremen/Bremerhaven über eine Wiedererkrankung
ab dem 3. März 1999, der Landesversicherungsanstalt - LVA - Oldenburg-Bremen über die Gewährung einer Versichertenrente wegen
Erwerbsunfähigkeit, des Versorgungsamts Bremen über die Einschätzung des Grades der Behinderung - GdB - nach dem Schwerbehindertengesetz und des Arztes für Psychiatrie Dr. med. JB. über die Behandlung des Klägers ab 11. Juni 1998 - Befundbericht vom 20. Dezember
1999 -) überreicht. Ferner hat sie einen Bericht des Dr. med. T. und des Dipl.-Psych. KB. vom 8. Mai 2000 über den anlässlich
einer neuropsychologischen Untersuchung vom 13. Februar 1996 erhobenen Befund übersandt (Bl. 218-220 Prozessakte).
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Bremen vom 25. Juni 1999 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Kläger hält das angefochtene Urteil für zutreffend und macht geltend, es sei vertretbar, dass das SG eine MdE von 40 v.H. angenommen habe, denn dieser MdE-Satz liege auf der Grenze zwischen einer leichtgradigen und mittelgradigen
Leistungsbeeinträchtigung infolge eines hirnorganischen Psychosyndroms.
Das Gericht hat den Entlassungsbericht der Dr. med. T./Dr. med. U. vom 12. April 1996, einen Befundbericht der augenärztlichen
Gemeinschaftspraxis Dr. med. LB./W. vom 4. Februar 2000 und Auskünfte der AOK Rheinland vom 31. Januar 2000 sowie der AOK
Bremen/Bremerhaven vom 1. Februar 2000 über Mitgliedschafts- und Erkrankungszeiten des Klägers angefordert.
Das Gericht hat ferner ein Gutachten des Diplom-Psychologen MB. vom 5. Dezember 2000 eingeholt. Er hat ausgeführt, er habe
seine klinisch-neuropsychologische Stellungnahme nach Aktenlage erstellt, denn aktenkundig seien massive Zweifel gegenüber
der Aussagekraft testpsychologischer Daten und ein deutlich ausgeprägtes Demonstrationsverhalten; hierdurch seien der Erkenntnisgewinn
und eine valide Befunderhebung eingeschränkt bzw. nicht möglich. Die in den aktenkundigen Gutachten und Berichten dokumentierten
Befunderhebungen hätten lediglich fragliche Störungen auf klinisch-neuropsychologischem Fachgebiet erbracht: Sämtliche dokumentierten
Einbußen gründeten sich in Störungen der Aufmerksamkeitsprozesse. Darüber hinaus leide der Kläger unter psychischen Störungen
im Sinne einer Antriebsminderung und einer subdepressiven und ängstlichen Grundstimmung von nicht vitaler Tiefe. Sie schienen
durch die Schmerzsymptomatik und das leichte hirnorganische Psychosyndrom mitverursacht worden zu sein. Die eigenanamnestisch
geschilderten Störungen z.B. über sein mangelndes Steuerungsvermögen (Aggressivität und Gereiztheit) hätten sich in den Untersuchungssituationen
nicht abgebildet. Bislang sei jedoch noch keine gutachtliche Untersuchung erfolgt, die die psychische Dynamik und Fehlsteuerung
vor dem Hintergrund der Persönlichkeitsfaktoren, des Unfallereignisses und identifizierbarer unfallunabhängiger Lebensbelastungen
und -faktoren zu erklären versucht habe. Hierfür sei es empfehlenswert, einen türkisch sprechenden tiefenpsychologisch und
neurologisch kundigen Gutachter zu beauftragen. Die bisherige Einschätzung der MdE von 20 v. H. beruhe auf der Bewertung der
Symptome in Form eines leichten hirnorganischen Psychosyndroms bei substanzieller Hirnschädigung mit Störungen des Affektes
und Neigung zu Cephalgien; später auf dem durch die Hirnverletzung verursachten Schwindel, den Schlafstörungen und Cephalgien
als Ausdruck zentralvegetativer Störungen. Auf der Grundlage der bisher durchgeführten Diskussion schätze er die MdE ab 29.
April 1996 auf 20 v. H. ein.
Das Gericht hat daraufhin ein Gutachten des Arztes für Neurologie und Psychiatrie - Psychotherapie Dr. med. NB. vom 23. März
2002 eingeholt, das er unter Mitwirkung der gebürtig türkischen Assistenzärztin und Ärztin für Psychiatrie/Psychotherapie
OB. erstattet hat. Er hat den Ausführungen des Diplom-Psychologen MB. in seinem Gutachten vom 5. Dezember 2000 zugestimmt
und die Festlegung der MdE mit 20 v. H. als zutreffend angesehen. Ferner hat er ausgeführt, die jetzt anlässlich der Begutachtung
festgestellten Testergebnisse seien sicherlich durch nicht ursächlich unfallbedingtes Verhalten des Klägers beeinflusst worden.
Der neurologische Untersuchungsbefund habe objektiv keine Auffälligkeiten von Krankheitswert ergeben; die von dem Kläger subjektiv
angegebenen Beschwerden seien objektiv nicht nachzuvollziehen, es zeige sich weiterhin auch eine Tendenz zur Verdeutlichung
der angegebenen Beschwerdesymptome. Auf psychischem Bereich ergäben sich zum Untersuchungszeitpunkt keine Hinweise auf ein
endogen-depressives oder tiefgreifend reaktiv-depressives Geschehen; eine neurotische Depression von Therapieresistenz könne
ebenfalls nicht festgestellt werden. Aus nervenfachärztlicher Sicht sei von einer Fehlentwicklung auszugehen in Form einer
Anpassungsstörung mit Somatisierungstendenzen und Versorgungswünschen im Sinne einer leichteren psychovegetativen/psychischen
Störung. Für eine wesentliche Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit oder für schwere Persönlichkeitsveränderungen
mit erheblichen sozialen Anpassungsschwierigkeiten finde sich kein Hinweis. Der Kläger sei im Rahmen der Untersuchung affektiv
gut schwingungsfähig gewesen bei ausgeglichener Stimmungslage ohne Hinweis auf deutliche Gedächtnis-, Konzentrations- oder
Aufmerksamkeitsstörungen, es bestehe eine gute und ausreichende Kontakt- und Rapportfähigkeit. Wie schon teilweise in den
Vorgutachten erwähnt, sei eine Aggravationstendenz vorhanden. Im Rahmen der durchgeführten Testverfahren, bei denen es auf
die Mitarbeit des Probanden ankomme, habe sich gezeigt, dass er sich davon habe leiten lassen, sich schlechter darzustellen,
als er in Wirklichkeit sei. Da bei derartigen Testverfahren die Mitarbeit des jeweiligen Probanden für eine objektive Aussage
unabdingbar sei, habe das Ergebnis des Tests nicht eindeutig zugeordnet werden können, vielmehr könne angenommen werden, dass
es von dem Kläger mit großer Wahrscheinlichkeit zumindest teilweise bewusst verfälscht worden sei. Zusammenfassend handele
es sich um eine Fehlentwicklung, aufgehend in einer Anpassungsstörung mit Somatisierungstendenzen, ursächlich bedingt durch
den Unfall vom 30. August 1995; die MdE für diese Verletzungsfolgen sei seit dem 29. April 1996 auf 20 v. H. einzuschätzen.
Das Ergebnis des Gutachtens von Prof. Dr. med. EB./Dr. med. FB., wonach eine MdE von 50 v. H. bestehe, sei nicht nachvollziehbar,
denn es bestehe allenfalls eine leichte Leistungsbeeinträchtigung und eine depressive Pseudodemenz-Symptomatik sei nicht zu
verifizieren. - Auf Antrag des Klägers hat das Gericht eine ergänzende Stellungnahme von Dr. med. NB. vom 22. Juni 2002 eingeholt,
in der er auf Einwände des Klägers und zusätzliche Fragen eingegangen und bei seiner bisherigen Beurteilung verblieben ist.
Das Gericht hat die Verwaltungsakte der Beklagten (Az. 020195 3 490 921) beigezogen. Diese Akte und die Prozessakte (Az. L 16/12 U 41/99, S 5 U 192/97) sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Das angefochtene Urteil ist aufzuheben, denn das SG hat zu Unrecht die Beklagte verurteilt, dem Kläger seit dem 29. April 1996 eine Verletztenrente in Höhe von 40 v. H. der
Vollrente zu zahlen. Der Kläger hat, wie dies die Beklagte mit den Bescheiden vom 7. Januar 1997 und 13. August 1997 zutreffend
entschieden hat, einen Anspruch auf Zahlung einer Teilrente von lediglich 20 v. H. der Vollrente.
Im vorliegenden Fall ist für die Bewilligung der vorläufigen Rente gemäß Bescheid vom 7. Januar 1997 die
Reichsversicherungsordnung (
RVO) und nicht das am 1. Januar 1997 in Kraft getretene Sozialgesetzbuch Siebtes Buch - Gesetzliche Unfallversicherung - (
SGB VII) anzuwenden, denn der Versicherungsfall ist vor dem 1. Januar 1997 eingetreten und die von dem Kläger begehrte Leistung (höhere
Verletztenrente) wäre - wenn die Voraussetzungen hierfür vorlägen - vor diesem Zeitpunkt festzusetzen gewesen, d. h. der Anspruch
darauf wäre vor dem 1. Januar 1997 entstanden (§§
212,
214 Abs.
3 SGB VII, §
40 Abs.
1 Sozialgesetzbuch Erstes Buch - Allgemeiner Teil -,
SGB I). Für die Bewilligung der Dauerrente gemäß Bescheid vom 13. August 1997 ist dagegen das
SGB VII anzuwenden, denn die Dauerrente war erst nach dem 1. Januar 1997 festzustellen.
Gemäß § 581 Abs. 1 Nr. 2
RVO wird als Verletztenrente gewährt, solange infolge des Arbeitsunfalls die Erwerbsfähigkeit des Verletzten um wenigstens ein
Fünftel gemindert ist, der Teil der Vollrente, der dem Grade der Minderung seiner Erwerbsfähigkeit entspricht (Teilrente).
In Übereinstimmung hiermit heißt es in §
56 Abs.
3 Satz 2
SGB VII, bei einer Minderung der Erwerbsfähigkeit werde Teilrente geleistet; sie werde in der Höhe des Vomhundertsatzes der Vollrente
festgesetzt, der dem Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit entspreche. Im vorliegenden Fall beträgt die unfallbedingte MdE
seit dem 29. April 1996 20 v. H.
Bei der Beurteilung des medizinischen Sachverhalts folgt das Gericht den überzeugenden nervenärztlichen Gutachten der Privatdozent
Dr. med. Z./Dr. med. AB. vom 9. Oktober 1996, der Dr. med. DB. vom 27. April 1997, der Dr. med. HB. vom 18. Juni 1999, des
Diplom-Psychologen MB. vom 5. Dezember 2000 und des Dr. med. NB. vom 23. März 2002 in Verbindung mit seiner ergänzenden Stellungnahme
vom 22. Juni 2002, während das Gutachten der Prof. Dr. med. EB./Dr. med. FB. vom 4. Juli 1998, das das SG eingeholt hat, nicht schlüssig ist. Nach den Gutachten, die das Gericht seiner Entscheidung zugrundelegt, liegt - wie im
Tatbestand im Einzelnen dargestellt ist - als Folge des Unfalls vom 30. August 1995 ein leichtes hirnorganisches Psychosyndrom
mit Störungen im Affekt und Neigung zu Cephalgien (Privatdozent Dr. med. Z./Dr. med. AB.), ein Zustand nach Hirnschädigung
mit zentralen vegetativen Störungen wie Kopfschmerzen, Schwindel und Schlafstörungen (Dr. med. DB.) bzw. eine leichte Leistungsbeeinträchtigung
infolge einer unfallbedingten Anpassungsstörung mit Somatisierungstendenzen und Versorgungswünschen im Sinne einer leichteren
psychovegetativen/psychischen Störung (Dr. med. NB.) vor. Nach übereinstimmender Auffassung der genannten Ärzte und auch des
Diplom-Psychologen MB., der sein Gutachten allerdings lediglich nach Aktenlage erstattet und weitere Untersuchungen angeregt
hat, kann eine höhere MdE als 20 v. H. für diese Unfallfolgen nicht begründet werden. Die Auffassung von Dr. med. EB./Dr.
med. FB. in ihrem Gutachten vom 4. Juli 1998, eine MdE bestehe in Höhe von 50 v. H., ist demnach nicht nachvollziehbar. Dies
hat offenbar auch das SG erkannt, denn es hat die von diesen Sachverständigen angenommene unfallbedingte MdE von 50 v. H. nicht übernommen, sondern
sie - in freier Einschätzung unter Bewertung der Leistungsbeeinträchtigung als auf der Grenze zwischen leichtgradig und mittelgradig
liegend - auf 40 v. H. festgesetzt. Dr. med. EB./Dr. med. FB. haben insbesondere zu Unrecht angenommen, dass bei dem Kläger
eine unfallbedingte Depression vorliege, und zu Unrecht eine Tendenz zur Aggravation verneint. Diese Erscheinung ist vielmehr
durchgängig seit der Begutachtung durch Privatdozent Dr. med. Z./Dr. med. AB. beschrieben und zuletzt bei der Durchführung
der Testverfahren anlässlich der Begutachtung durch Dr. med. NB. bestätigt worden.
Angesichts der vom Gericht durchgeführten umfangreichen neurologischen und psychiatrischen Sachaufklärung, insbesondere auch
durch Einholung des Gutachtens von Dr. med. NB., der zur Untersuchung und Erhebung der Anamnese eine türkisch sprechende Ärztin
für Psychiatrie hinzugezogen hat, ist der Sachverhalt medizinisch aufgeklärt. Die Verurteilung der Beklagten durch das SG zur Zahlung einer Teilrente in Höhe von 40 v. H. der Vollrente kann nach allem keinen Bestand haben.
Auf die Einwände des Klägers gegen das Gutachten von Dr. med. NB. ist dieser in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 22. Juni
2002 eingegangen. Er hat die psychodia-gnostischen Testverfahren erläutert und nochmals nachvollziehbar dargelegt, dass die
Testleistung des Klägers schlechter ausgefallen sei als die in dem Handbuch des Testmanuals veröffentlichten Ergebnisse hirngeschädigter
Probanden. Ferner seien sowohl der Benton-Test als auch der Test nach Brickenkamp auch bei türkischen Probanden geeignete
Testverfahren. Bei der gutachtlichen Bewertung seien ferner die Abstammung und die Muttersprache des Klägers berücksichtigt
worden, insbesondere auch dadurch, dass eine ausführliche Exploration in türkischer Sprache erfolgt sei. Auch habe er, der
Sachverständige, selbst mit dem Kläger und seiner dann anwesenden, fließend deutsch sprechenden Tochter ein ausführliches
Gespräch geführt. Aus dieser ergänzenden Stellungnahme wird hinreichend deutlich, dass sich der Sachverständige mit den gesundheitlichen
Beeinträchtigungen des Klägers ausführlich befasst und sein Gutachten nach umfassender und kritischer Würdigung der erhobenen
Befunde erstattet hat.
Soweit der Kläger geltend macht, Unfallfolgen bestünden auch auf augenärztlichem Gebiet, ist auf das Gutachten der Augenärzte
W./X. von der Augenklinik des PB. vom 2. September 1996 hinzuweisen, wonach Unfallfolgen auf augenfachärztlichem Gebiet nicht
bestehen. Der vom Gericht eingeholte Befundbericht der augenärztlichen Gemeinschaftspraxis Dr. med. LB./W. vom 4. Februar
2000 bringt hierzu keine neuen Erkenntnisse. Darin ist ausgeführt, bei einer Kontrolluntersuchung am 31.Oktober 1996 seien
geringere periphere Gesichtsfeldausfälle diagnostiziert worden als am 21. August 1996. Diese Gesichtsfeldausfälle sind nicht
auf den Unfall zurückzuführen.
Nach allem war unter Aufhebung des angefochtenen Urteils und Abweisung der Klage der Berufung der Beklagten stattzugeben.
Die Kostenentscheidung folgt aus §
193 SGG.
Gründe für eine Zulassung der Revision nach §
160 Abs.
2 SGG liegen nicht vor. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung, und der Senat weicht nicht von einer Entscheidung des
Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts ab.