Versicherungspflicht einer schwangeren Versicherten in der gesetzlichen Krankenversicherung; Schätzung des maßgeblichen Arbeitsentgelts;
Prognoseentscheidung für das Überschreiten der Jahresarbeitsentgeltgrenze
Tatbestand:
Die Klägerin wendet sich gegen die Feststellung der beklagten Krankenkasse, wonach sie in der Zeit vom 1. Januar 2004 bis
28. Februar 2005 wegen Überschreitens der Jahresarbeitsentgeltgrenze (JAEG) freiwilliges Mitglied der Beklagten war. Die Klägerin
ist der Auffassung, dass sie in dieser Zeit - wie auch in der Zeit vor Januar 2004 und ab 1. März 2005 - der Versicherungspflicht
in der gesetzlichen Krankenversicherung unterlag.
Die 1965 geborene Klägerin wurde bei der Beklagten von 1998 bis Ende 2003 als versicherungspflichtiges Mitglied geführt. In
den Jahren 2003/2004 war sie bei der H. GmbH & Co. KG in I. abhängig beschäftigt. Die Lohnbuchhaltung erfolgte durch die J.
GmbH, I ... Der Ehemann der Klägerin ist privat krankenversichert.
Am 27. Januar 2004 teilte die J. GmbH der Beklagten mit, dass das Arbeitsentgelt der Klägerin im Jahr 2003 die Jahresarbeitsentgeltgrenze
überstiegen habe und dies auch für das Jahr 2004 zu erwarten sei. Dementsprechend werde die Klägerin mit Wirkung ab 1. Januar
2004 für die freiwillige Krankenversicherung gemeldet.
Tatsächlich erhielt die Klägerin im Kalenderjahr 2004 lediglich in den ersten Kalendermonaten Arbeitsentgelt (insgesamt 9.477,-
EUR). Vom 12. März 2004 bis 18. Juni 2004 bezog sie wegen der Geburt ihres ersten Kindes Mutterschaftsgeld, danach befand
sie sich in Elternzeit ohne Bezug von Erziehungsgeld. Ihre Beschäftigung bei der H. GmbH & Co. KG nahm die Klägerin erst am
1. März 2005 im Rahmen einer Teilzeittätigkeit von 5 Stunden pro Woche wieder auf. Aufgrund der nur geringen Entgelthöhe wird
die Klägerin seitdem wiederum als versicherungspflichtig geführt.
Nach einem längeren Schriftwechsel mit der Klägerin stellte die Beklagte mit Bescheid vom 29. August 2005 i.d.F. des Widerspruchsbescheides
vom 23. November 2005 die Beendigung der Krankenversicherungspflicht wegen Überschreitens der JAEG zum 31. Dezember 2003 sowie
den Beginn der Krankenversicherungsfreiheit (freiwillige Mitgliedschaft) ab dem 1. Januar 2004 fest. Zur Begründung führte
die Beklagte aus, dass die Versicherungspflicht mit Ablauf des Kalenderjahres 2003 gem. § 6 Abs. 4 Satz 1 Sozialgesetzbuch
(SGB) V geendet habe, da das Arbeitsentgelt der Klägerin mit mehr als 50.000 EUR sowohl oberhalb der JAEG 2003 (45.900,- EUR)
als auch oberhalb der JAEG 2004 (46.350,- EUR) gelegen habe. Die Prognose für 2004 habe am Jahresanfang getroffen werden müssen.
Später tatsächlich eintretende Änderungen in der Höhe des Arbeitsentgelts könnten erst dann berücksichtigt werden, wenn sie
tatsächlich eingetreten seien (Bezugnahme auf das Urteil des Bundessozialgerichts - BSG - vom 25. Februar 1966 - 3 RK 53/63, BSGE 24, 262). Die Zahlung des Mutterschaftsgeldes ab 12. März 2004 habe keine erneute Versicherungspflicht begründen können, weil es
sich hierbei nicht um Arbeitsentgelt handele und es dementsprechend weiterhin an einer der erforderlichen Voraussetzungen
für die Versicherungspflicht nach §
5 Abs.
1 Nr.
1 SGB V gefehlt habe. Versicherungspflicht sei erst wieder mit Aufnahme der Teilzeitbeschäftigung eingetreten.
Mit ihrer am 21. Dezember 2005 beim Sozialgericht (SG) Bremen erhobenen Klage hat die Klägerin - wie bereits im Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren - geltend gemacht, dass
die Meldung der J. GmbH fehlerhaft zustande gekommen sei. Ihr Arbeitgeber habe nämlich bereits seit Herbst 2003 von ihrer
Schwangerschaft gewusst. Damit habe ohne Weiteres festgestanden, dass die JAEG im Laufe des Jahres 2004 infolge des Bezugs
von Mutterschaftsgeld bzw. infolge Elternzeit ohne eigenes Einkommen nicht überschritten werde. Eine Prognose, die aus tatsächlichen
Gründen bereits bei ihrer Abgabe falsch sei, dürfe nicht als Grundlage für die Einstufung herangezogen werden.
Das SG hat die Klage durch Urteil vom 23. März 2007 abgewiesen. In den Entscheidungsgründen hat es ausgeführt, dass es nach §
6 Abs.
4 Satz 2
SGB V im Rahmen der vorausschauenden Betrachtungsweise ausschließlich auf mit hinreichender Sicherheit zu erwartende Veränderungen
hinsichtlich der Höhe des Arbeitsentgelts aus dem fortbestehenden Beschäftigungsverhältnis ankomme. Zeiten, in denen das die
Versicherungspflichtgrenze überschreitende Arbeitsentgelt gar nicht mehr bezogen werde, hätten außer Betracht zu bleiben.
Erst der Beginn der Elternzeit am 19. Juni 2004 habe Anlass geboten, den Sachverhalt erneut vorausschauend zu betrachten.
Da das Beschäftigungsverhältnis zu diesem Zeitpunkt jedoch geruht habe, habe die freiwillige Mitgliedschaft in Ermangelung
eines Beendigungstatbestandes (§
191 SGB V) fortbestanden.
Gegen das ihr am 13. April 2007 zugestellte Urteil richtet sich die von der Klägerin am 8. Mai 2007 eingelegte Berufung. Bereits
Anfang 2004 sei absehbar gewesen, dass die JAEG 2004 tatsächlich nicht überschritten werde, zumal das ab März 2004 bezogene
Mutterschaftsgeld nach der Rechtsprechung des BSG kein Arbeitsentgelt darstelle. Zudem habe die Beklagte gegenüber der J.
GmbH auf eine Berichtigung der unzutreffenden Meldung hinwirken müssen. Die aus diesem Versäumnis resultierenden Nachteile
habe die Beklagte nach den Grundsätzen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruches auszugleichen. Versicherungspflicht sei
zumindest mit dem Auslaufen des Mutterschaftsgeldes wieder eingetreten. Das Arbeitsverhältnis habe infolge Elternzeit lediglich
geruht, sei jedoch nicht beendet worden.
Die Klägerin beantragt nach ihrem schriftlichen Vorbringen sinngemäß,
1. das Urteil des Sozialgerichts Bremen vom 23. März 2007 sowie den Bescheid der Beklagten vom 29. August 2005 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheides vom 23. November 2005 aufzuheben,
2. festzustellen, dass sie auch in der Zeit vom 1. Januar 2004 bis zum 28. Februar 2005 als abhängig Beschäftigte der Versicherungspflicht
in der gesetzlichen Krankenversicherung unterlegen hat.
Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verweist zur Begründung darauf, dass die Einzugsstelle die Meldungen der Arbeitgeber nicht auf ihre sachliche Richtigkeit
zu prüfen habe, da dies im Rahmen von Betriebsprüfungen nach § 28p
SGB IV erfolge. Die angefochtene Entscheidung entspreche der Rechtslage und dem gemeinsamen Rundschreiben 88b der Sozialversicherungsträger.
Die Beteiligten haben sich mit Schriftsätzen vom 14. Januar und 22. April 2008 übereinstimmend mit einer Entscheidung ohne
mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und wegen des weiteren Sachvortrages der Beteiligten wird auf den Inhalt
der Gerichts- und der Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen. Diese Akten haben vorgelegen und sind Gegenstand der Beratung
und Entscheidungsfindung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Der Senat entscheidet im Einverständnis mit den Beteiligten durch Urteil ohne mündliche Verhandlung (§
153 Abs.
1 i.V.m. §
124 Abs.
2 Sozialgerichtsgesetz -
SGG).
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist begründet. Das Urteil des SG und die angefochtenen Bescheide sind aufzuheben, da die Klägerin auch in dem streitbefangenen Zeitraum vom 1. Januar 2004
bis 28. Februar 2005 bei der Beklagten pflichtversichert war.
Nach §
6 Abs.
1 Nr.
1 SGB V sind Arbeiter und Angestellte versicherungsfrei, deren regelmäßiges Jahresarbeitsentgelt die JAEG nach den §
6 Abs.
6 oder 7
SGB V übersteigt. Die JAEG betrug im Jahr 2003 45.900,- EUR und im Jahr 2004 46.350,- EUR. Wird die JAEG überschritten, endet die
Versicherungspflicht mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem sie überschritten wird. Dies gilt jedoch dann nicht, wenn das Entgelt
die vom Beginn des nächsten Kalenderjahres an geltende JAEG nicht übersteigt (§
6 Abs.
4 S. 2
SGB V in der bis zum 1. Februar 2007 geltenden Fassung). Die durch Gesetz vom 26. März 2007 (BGBl I S. 378) erfolgte und am 2. Februar 2007 in Kraft getretene Änderung des §
6 Abs.
4 SGB V, wonach erst bei dreimaligem Überschreiten der JAEG Versicherungsfreiheit eintritt, ist für den vorliegend streitbefangenen
Zeitraum nicht anwendbar.
Zwar hat die Klägerin im Jahre 2003 mit einem Arbeitseinkommen von mehr als 50.000,- EUR die JAEG 2003 (45.900,- EUR) überschritten.
Versicherungsfreiheit ab 1. Januar 2004 trat dennoch nicht ein, weil das regelmäßige Arbeitsentgelt für 2004 nicht oberhalb
der JAEG 2004 lag.
Die Klägerin hat im Jahr 2004 nur in der Zeit vom 1. Januar bis 11. März 2004 Arbeitsentgelt erhalten (9.477,- EUR). Bei dem
anschließend bis zum 18. Juni 2004 bezogenen Mutterschaftsgeld handelt es sich nicht um Arbeitsentgelt i.S.d. §
14 SGB IV (vgl. BSG, Urteil vom 29. Juni 1993 - 12 RK 9/92, SozR 3-2500 § 257 Nr 1). Auch ansonsten hatte die Klägerin keine weiteren Einnahmen, so dass ihr Arbeitsentgelt im Jahr
2004 tatsächlich weit unterhalb der JAEG 2004 in Höhe von 46.350,- EUR lag.
Da die Entscheidung über den Eintritt von Versicherungsfreiheit für das Folgejahr jedoch bereits am Jahresanfang zu treffen
ist, kommt es bei der Prüfung des §
6 Abs.
4 S. 2
SGB V nicht darauf an, ob bei rückschauender Betrachtung die einschlägige JAEG tatsächlich überschritten wurde. Vielmehr ist entscheidend,
ob zum Jahreswechsel 2003/2004 davon ausgegangen werden musste, dass das von der Klägerin für 2004 zu erwartende regelmäßige
Arbeitsentgelt die JAEG 2004 überschreiten wird. Diese Frage ist nach Überzeugung des erkennenden Senats zu verneinen.
Grundlage einer Prognose über die Höhe des Arbeitsentgelts im Folgejahr kann entweder eine Berechnung oder aber eine Schätzung
sein. Bei einer Berechnung werden lediglich die monatlichen Entgeltansprüche des Versicherten auf ein Jahr hochgerechnet (i.d.R.
mittels einer Multiplikation mit 12, vgl. hierzu etwa: Großer Senat des BSG, Beschluss vom 30. Juni 1965 - GS 2/64, BSGE 23, 129, 131). Eine solche Berechnung stellt die übliche Verfahrensweise für diejenigen Fälle dar, in denen der Betroffene ein festes
Arbeitseinkommen bezieht und etwaige Ansprüche auf Sonderzahlungen (z.B. Urlaubs- oder Weihnachtsgeld) aufgrund arbeitsvertraglicher,
tarifvertraglicher oder gesetzlicher Regelungen bzw. aufgrund betrieblicher Übung feststehen. Steht dagegen die Höhe der für
das Folgejahr zu erwartenden Arbeitsentgelte nicht mit hinreichender Sicherheit fest oder fehlen hinreichende Ansatzpunkte
für eine Berechnung, erfolgt die Prognoseentscheidung für das Folgejahr auf der Grundlage einer Schätzung. Grundlage einer
solchen Schätzung sind die Gesamtumstände des Einzelfalls unter Heranziehung der in den Vorjahren erzielten Einkünfte bzw.
des Verdienstes vergleichbarer Personen (vgl. Großer Senat des BSG, aaO., S. 131). Eine Schätzung (anstatt Berechnung) ist
in diesen Fällen deshalb geboten, damit nicht das für die Prüfung der Versicherungspflicht bzw. -freiheit maßgebliche Jahresentgelt
in einer den tatsächlichen Verhältnissen widersprechenden Weise durch einfache Multiplikation ermittelt wird (Großer Senat
des BSG, aaO., S. 132 - Hervorhebung durch den Senat).
Auch im vorliegenden Fall muss eine Schätzung erfolgen, weil die von der Beklagten und vom SG vorgenommene Berechnung im Widerspruch zu den tatsächlichen Verhältnissen steht und deshalb einer Entscheidung über die Versicherungspflicht
bzw. -freiheit nicht zugrunde gelegt werden kann.
Bereits in der Vergangenheit war umstritten, in welchen Fällen die Prognoseentscheidung für das Folgejahr auf der Grundlage
einer Berechnung oder aber aufgrund einer Schätzung zu erfolgen hat. Einerseits bestand bereits seit Langem Einigkeit darüber,
dass bei einem im Jahresverlauf schwankenden monatlichen Einkommen aus einer durchgängigen Beschäftigung keine Berechnung,
sondern eine Schätzung vorzunehmen ist (vgl. hierzu: BSG, Großer Senat des BSG, aaO.; BSG, Urteil vom 7. Dezember 1989 - 12 RK 19/87, SozR 2200 § 165 Nr 97). Dagegen wurde die Frage, ob auch bei sog. unsteter Beschäftigung eine Schätzung (anstatt Berechnung)
des Jahresarbeitsentgelts zu erfolgen habe, im Jahre 1964 dem Großen Senat des BSG zur Entscheidung vorgelegt. Dies hat der
Große Senat für die Fälle bejaht, in denen berufsüblich im Laufe eines jeden Jahres nacheinander mehrere Beschäftigungsverhältnisse
eingegangen werden und zwischendurch zeitweise auch Arbeitslosigkeit eintritt (Beschluss vom 30. Juni 1965, aaO.).
Die Klägerin gehört keiner der im o.g. Beschluss des Großen Senats des BSG beschriebenen Fallgruppen an: Ihr monatliches Arbeitsentgelt
für das Jahr 2004 stand betragsmäßig fest und war somit nicht - wie z.B. bei Provisionen - in der Höhe unbestimmt. Sie war,
obwohl sie seit dem 12. März 2004 nicht mehr gearbeitet hatte, auch nicht unstet, sondern durchgängig bei der H. GmbH & Co.
KG beschäftigt. Allerdings erhielt sie aus diesem Beschäftigungsverhältnis infolge des Bezugs von Mutterschaftsgeld bzw. der
Inanspruchnahme von Elternzeit seit 12. März 2004 kein Arbeitsentgelt mehr. Für diese Fallkonstellation existierten im streitbefangenen
Zeitraum (2003 bis 2005) auch keine speziellen Regelungen (vgl. dagegen für die Zeit seit dem 2. Februar 2007: §
6 Abs.
4 S. 5 und 6
SGB VI in der derzeit geltenden Fassung).
Bei wertender Betrachtungsweise ist die Klägerin einer Beschäftigten mit im Jahresverlauf schwankendem Arbeitsentgelt zumindest
gleichzustellen. Dementsprechend musste das Jahresarbeitsentgelt für 2004 geschätzt werden und durfte nicht mittels Multiplikation
des Januar-Gehalts errechnet werden. Denn der Umstand, dass ein Versicherter vorhersehbar nicht an allen Arbeitstagen arbeiten
wird und deshalb regelmäßige Lohnausfälle zu erwarten sind, darf nicht unberücksichtigt bleiben (Gerlach in: Hauck/Noftz,
SGB V, §
6 Rn 48 - Hervorhebungen durch den Senat). Vielmehr sind die mit Sicherheit zu erwartenden Veränderungen beim Arbeitsentgelt
zu berücksichtigen (Peters in: Kasseler Kommentar, §
6 SGB V, Rn 19).Dementsprechend hat z.B. auch die Verringerung des Arbeitsverdienstes durch Befreiung von Frauen mit Kindern von
Mehr-, Nacht oder Feiertagsarbeit Einfluss auf den regelmäßigen Jahresarbeitsverdienst (Sommer in: Peters, Handbuch der Krankenversicherung,
§
6 SGB V, Rn 36). Auch muss bereits im Voraus darüber befunden werden, wie lange das Beschäftigungsverhältnis voraussichtlich dauern
wird (Sommer, aaO., §
6 SGB V, Rn 29 - Hervorhebung durch den Senat). Es würde somit einen Wertungswiderspruch darstellen, wenn bei Beschäftigten mit schwankendem
Arbeitsentgelt z.B. infolge eines Provisionsanspruchs selbst geringfügige Entgeltschwankungen bei der Prognose nach §
6 Abs.
4 SGB V berücksichtigt würden, dagegen der vollständige Wegfall des Anspruchs auf Arbeitsentgelt infolge der Beschäftigungsverbote
nach §§
3,
6 Mutterschutzgesetz bzw. infolge der Inanspruchnahme von Elternzeit von vornherein unberücksichtigt bliebe. Andernfalls würde die Prognose auf
der Grundlage eines rein fiktiven Arbeitsentgelts erfolgen. Eine derartige Prognose würde jedoch dem Sinn und Zweck des §
6 Abs.
4 S. 2
SGB V widersprechen, der zur Abgrenzung des versicherungspflichtigen, d.h. eines sozial schutzbedürftigen Personenkreises dient.
Diese für die Schutzbedürftigkeit maßgebliche Grenze hat der Gesetzgeber durch Vorgabe eines bestimmten Mindestentgelts definiert,
wobei dieses im streitbefangenen Zeitraum im ersten Jahr tatsächlich und im Folgejahr lediglich voraussichtlich überschritten
werden musste. Damit dient diese Regelung - neben dem Erhalt einer gewissen Kontinuität im Versicherungsstatus (vgl. hierzu:
BSG, Urteil vom 25. Februar 1997 - 12 RK 51/96, SozR 3-2500 § 6 Nr 15) - auch und gerade der Aufrechterhaltung des Versicherungsschutzes des vom Gesetzgeber für schutzwürdig
gehaltenen Personenkreises bei vereinzeltem Überschreiten der JAEG (vgl. hierzu: Großer Senat des BSG, Beschluss vom 30. Juni
1965, aaO., S. 133). Dieser Schutzzweck kann jedoch dann von vornherein nicht erreicht werden, wenn bei der Prüfung der Versicherungspflicht
maßgeblich auf ein erkennbar rein fiktives Jahresarbeitsentgelt abgestellt wird. Dementsprechend ist die Prognose nach §
6 Abs.
4 S. 2
SGB V a.F. in den Fällen, in denen das sich aus einer reinen Berechnung (Multiplikation) ergebende Arbeitsentgelt in krassem Widerspruch
zu den tatsächlichen Verhältnissen steht, nicht auf der Grundlage einer solchen Berechnung, sondern auf der Grundlage einer
Schätzung vorzunehmen.
Bei einer Schätzung des von der Klägerin für das Jahr 2004 zu erwartenden Jahreseinkommens wird die JAEG 2004 nicht überschritten.
Zum Jahreswechsel 2003/2004 befand sich die Klägerin bereits im 5. Schwangerschaftsmonat. Die Geburt ihres Kindes wurde im
April 2004 erwartet. Die Klägerin hatte ihren Arbeitgeber hierüber bereits im Herbst 2003 informiert und mit diesem vereinbart,
nach dem Mutterschutz in die Elternzeit zu gehen.
Soweit der Beklagten dieser Sachverhalt zum Jahreswechsel 2003/2004 noch nicht bekannt gewesen sein sollte, geht dies nicht
zu Lasten der Klägerin. Denn trotz der Meldung der J. GmbH vom 27. Januar 2004 hatte die Beklagte der Klägerin nicht den in
§
190 Abs.
3 SGB V vorgeschriebenen Hinweis zur Möglichkeit des Austritts aus der Krankenversicherung bei Überschreitung der JAEG erteilt. Die
Klägerin erhielt damit nicht die Gelegenheit, innerhalb der 2-Wochen-Frist des §
190 Abs.
3 SGB V zu reagieren und den maßgeblichen Sachverhalt mitzuteilen (vgl. zu den Rechtsfolgen der Verletzung der Hinweispflicht nach
§
190 Abs.
3 SGB V: Baier, aaO., §
190 SGB V Rn 16; SG Dresden, Beschluss vom 7. Juni 2006 - S 25 KR 283/06 ER). Stattdessen wandte sich die Beklagte erstmals im Juni 2004, nämlich mittels des - in den Verwaltungsakten nicht enthaltenen
- Schreibens vom 16. Juni 2004 an die Klägerin und teilte dieser mit, dass sie (die Beklagte) davon ausgehe, dass die Klägerin
ihre Krankenversicherung ab 1. Januar 2004 als freiwillige Versicherung fortführen wolle. Gleichzeitig wurde die Klägerin
gebeten, ihr aktuelles Einkommen zum Zwecke der Beitragseinstufung mitzuteilen. Bereits im Antwortschreiben vom 14. Juli 2004,
das die Klägerin unmittelbar nach Rückkehr aus ihrem Urlaub verfasst hatte, schilderte diese unverzüglich den vollständigen
Sachverhalt und kündigte eine korrigierte Meldung der J. GmbH an. Auch zu diesem Zeitpunkt (Mitte 2004) erging noch keine
Entscheidung der Beklagten über den Versicherungsstatus der Klägerin. Vielmehr folgte ein umfangreicher Schriftwechsel der
Beteiligten, in dem die Klägerin auf die nach ihrer Auffassung bestehende Pflichtmitgliedschaft hinwies, die Beklagte dagegen
Angaben zum aktuellen Einkommen zwecks Beitragseinstufung anforderte. Eine Entscheidung der Beklagten über den seit Januar
2004 maßgeblichen Versicherungsstatus der Klägerin erging im Kalenderjahr 2004 nicht mehr, sondern erst mittels des - von
der Beklagten später als Bescheid bezeichneten - Schreibens vom 28. Juli 2005, also mehr als ein Jahr nach Bekanntwerden des
maßgeblichen Sachverhaltes.
Die zum Jahreswechsel 2003/2004 vorzunehmende Schätzung nach §
6 Abs.
4 S. 2
SGB V a.F. war sorgfältig und gewissenhaft vorzunehmen (vgl. Baier in: Krauskopf, Soziale Krankenversicherung/Pflegeversicherung,
§
6 SGB V Rn 14; Sommer in: Peters, Handbuch der Krankenversicherung, Rn 31).
Bei Berücksichtigung der zum Jahreswechsel 2003/2004 bereits bekannten Umstände des Einzelfalls (Schwangerschaft der Klägerin
im 5. Schwangerschaftsmonat; bereits erfolgte Vereinbarung mit dem Arbeitgeber über die Inanspruchnahme von Elternzeit nach
Ablauf des Mutterschutzes) war bei gewissenhafter bzw. sorgfältiger Schätzung des Arbeitseinkommens für 2004 nicht mit einer
Überschreitung der JAEG 2004 zu rechnen. Zwar bestanden auch aus Sicht des erkennenden Senats am Jahresanfang 2004 durchaus
noch Unsicherheiten hinsichtlich des weiteren Verlaufs der Schwangerschaft sowie der im Jahresverlauf 2004 tatsächlich erfolgenden
Ausgestaltung der weiteren Lebensführung durch die Klägerin und ihren Ehemann. Insbesondere konnten zu diesem Zeitpunkt z.B.
weder Komplikationen in der Schwangerschaft noch eine Fortsetzung der Beschäftigung unmittelbar nach dem Mutterschutz ausgeschlossen
werden.
Allerdings ist jede Prognose naturgemäß mit derartigen Unwägbarkeiten behaftet. Bei den o.g., grundsätzlich denkbaren Geschehensabläufen
handelt es sich letztlich auch um untypische Geschehensabläufe: So stellen bei fortgeschrittenen Schwangerschaften etwaige
die Schwangerschaft vorzeitig beendende Komplikationen nicht den Regel- sondern den Ausnahmefall dar. Es entspricht auch nach
wie vor der gesellschaftlichen Realität, dass die sich an den Mutterschutz anschließende Elternzeit weit überwiegend von der
Mutter und nicht vom Vater in Anspruch genommen wird. Auch wenn sich viele zukünftige Eltern die Entscheidung über die Ausgestaltung
der Elternzeit möglichst lange offen halten und einen diesbezüglichen Antrag dementsprechend oftmals erst nach der Geburt
ihres Kindes stellen, hatte die Klägerin bereits mehrere Monate vor der Geburt eine klare Absprache mit ihrem Arbeitgeber
getroffen. Anhaltspunkte dafür, dass diese bereits frühzeitig getroffene Regelung nur unverbindlich sein sollte, bestanden
zu keinem Zeitpunkt. Tatsächlich hat sich die Klägerin im Jahre 2004 auch entsprechend der mit ihrem Arbeitgeber erfolgten
Absprache verhalten.
Nach alledem war zum Jahreswechsel 2003/2004 bei gewissenhafter bzw. sorgfältiger Prognose eine Überschreitung der JAEG 2004
nicht zu erwarten. Dementsprechend unterlag die Klägerin auch über den 31. Dezember 2003 hinaus der Versicherungspflicht in
der gesetzlichen Krankenversicherung nach §
5 Abs.
1 Nr.
1 SGB V. Diese Versicherungspflicht bestand gem. §
192 Abs.
1 Nr.
2 SGB V in der Zeit des Bezugs von Mutterschaftsgeld (12. März 2004 bis 18. Juni 2004) und in der Elternzeit (19. Juni 2004 bis 28.
Februar 2005) fort.
Ein anderes Ergebnis ergibt sich auch nicht aus dem Gemeinsamen Rundschreiben Nr. 88b der Spitzenverbände der Kranken-, Unfall
und Rentenversicherungsträger sowie der (damaligen) Bundesanstalt für Arbeit vom 21. November 1988. Auch in diesem Rundschreiben
ist bei schwankenden Bezügen eine Schätzung des regelmäßigen Jahresarbeitsentgelts vorgesehen (Abschnitt A.II.2.c.(1)). Die
Vorgaben aus Abschnitt A.II.2.c.(2) sind im vorliegenden Fall nicht einschlägig, da nicht die Berücksichtigung von etwaigen
Lohnerhöhungen bei der Berechnung des zukünftigen Jahresarbeitsentgelts in Streit steht, sondern die rechtliche Bewertung
des vollständigen Verlustes des Entgeltanspruchs infolge Mutterschutz bzw. Elternzeit im Rahmen einer Schätzung nach §
6 Abs.
4 S. 2
SGB V.
Gründe für die Zulassung der Revision (§
160 Abs.
2 Nr.
1 und
2 SGG) liegen nicht vor.