Tatbestand
Der Kläger begehrt die Erstattung von Fahrtkosten, die für die Zurücklegung des Schulwegs seiner am 00.00.2006 geborenen Tochter
H N von Januar 2020 bis einschließlich Januar 2021 angefallen sind.
Der Kläger und seine Ehefrau sind Eltern von acht Kindern. Der Kläger bezieht u.a. für seine am 00.00.2006 geborene Tochter
H Kinderzuschlag nach § 6a
BKGG. Die Familie wohnt in einer Wohnung C-Straße 6 in Aachen. H besuchte im streitigen Zeitraum die N1-Montessori-Gesamtschule
in Aachen. Der Fußweg von der Wohnung der Familie bis zur Schule beträgt ca. 2,4 Kilometer, mit dem Linienbus benötigt man
für den Schulweg 20-30 Minuten.
Am 28.01.2021 beantragte der Kläger rückwirkend ab dem 01.01.2020 die Übernahme von Schülerbeförderungskosten für H. Er fügte
dem Antrag Nachweise über Lastschriften des örtlichen Busunternehmens (ASEAG) iHv monatlich 29,80 € (Januar 2020 bis Juli
2020) und iHv 30,30 € (August 2020 bis Januar 2021) bei. Mit Bescheid vom 01.02.2021 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Der
geltend gemachte Bedarf könne nicht als erforderlich iSd §§ 6b
BKGG, 28 Abs. 4 SGB II anerkannt werden, da der Schulweg weniger als 3,5 km betrage und auch nach der Schülerfahrtkostenverordnung NRW (SchfkV)
nicht als notwendig anerkannt werde. Im Widerspruchsverfahren trug der Kläger vor, die Tochter besuche die nächstgelegene
Schule eines weiterführenden Bildungsgangs, sei auf die Schülerbeförderung angewiesen und die Kosten würden von Dritten nicht
übernommen. Damit seien die Voraussetzungen des § 28 Abs. 4 SGB II erfüllt. Mit Widerspruchsbescheid vom 07.05.2021 wies die Städteregion Aachen den Widerspruch zurück. Eine Konkretisierung
des Begriffs "angewiesen" iSd § 28 Abs. 4 SGB XII erfolge in Nordrhein-Westfalen durch die SchfkV. Nach § 5 Abs. 2 SchfkV entstünden Fahrtkosten notwendig, wenn der Schulweg in der einfachen Entfernung in der Sekundarstufe I mehr
als 3,5 km betrage. Der Schulweg von H betrage nur rund 2,3 km. Damit sei sie nicht auf die Beförderung mit öffentlichen Verkehrsmitteln
angewiesen.
Gegen diese Entscheidung hat der Kläger am 07.06.2021 Klage erhoben. Die Schülerin müsse den Schulweg bei hohem Verkehrsaufkommen
mit einem schweren Schulranzen absolvieren. Das Wetter sei in Aachen sehr regnerisch und oft windig. Es gebe regelmäßig Praktika
und Schwimmunterricht. Die Tochter sei deshalb auf eine regelmäßige Nutzung der Schülerbeförderung angewiesen. Außerdem sei
§ 28 Abs. 4 SGB II durch das StaFamG neu gefasst worden, hieraus ergebe sich, dass Fahrtkosten nach dem SGB II unabhängig von einem Anspruch nach der SchfKV erbracht werden müssten. Zwischen dem Begriff der Notwendigkeit in § 5 SchfkV und dem Begriff des "angewiesen sein" in § 28 Abs. 4 SGB II sei zu unterscheiden.
Der Kläger hat sinngemäß beantragt,
den Bescheid vom 01.02.2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.05.2021 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen,
die Kosten für die Schülerbeförderung seiner Tochter H für den Zeitraum von Januar 2020 bis einschließlich Januar 2021 zu
übernehmen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat auf die Begründung des angefochtenen Bescheides verwiesen und ergänzend geltend gemacht, die mit der Klage vorgebrachten
Umstände seien nicht geeignet, einen Anspruch auf Übernahme der Schülerbeförderungskosten zu begründen.
Nach entsprechender Anhörung der Beteiligten hat das Sozialgericht die Klage durch Gerichtsbescheid vom 23.08.2021 abgewiesen.
Es hat sich auf das Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 10.01.2019 - L 7 AS 783/15 gestützt.
Gegen den ihm am 25.08.2021 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 10.09.2021 Berufung eingelegt. Er beruft sich
nochmals auf die Fassung des § 28 SGB II durch das StaFamG.
Der Kläger hat beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Aachen vom 23.08.2021 zu ändern, den Bescheid vom 01.02.2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 07.05.2021 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Kosten für die Schülerbeförderung seiner Tochter H für den
Zeitraum von Januar 2020 bis einschließlich Januar 2021 zu übernehmen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend. Zwischen den Begriffen "Notwendigkeit" iSd SchfkV NRW und "angewiesen"
iSd § 28 Abs. 4 SGB II sei nicht zu unterscheiden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie den Inhalt der beigezogenen
Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen, die vorgelegen haben und Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen sind.
Entscheidungsgründe
Die Berufung ist zulässig, insbesondere statthaft, da der Kläger Leistungen für mehr als ein Jahr begehrt (§
144 Abs.
1 Satz 2
SGG).
Der Kläger ist für einen Anspruch - wenn dieser besteht - aktivlegitimiert und damit klagebefugt. Nach § 6b Abs. 1 Satz 1
BKGG erhalten Personen Leistungen für Bildung und Teilhabe für ein Kind, wenn sie für dieses Kind nach dem
BKGG oder nach dem X. Abschnitt des
EStG Anspruch auf Kindergeld oder auf andere Leistungen im Sinne von § 4
BKGG haben. Anspruchsberechtigte Personen sind damit für alle Fälle der Leistungen für Bildung und Teilhabe die Kindergeldberechtigten
(Münzner in LPK-SGB II Anh. § 12a Rn. 9; Kühl in JurisPK SGB II § 6b
BKGG Rn 7; differenzierend für die Geltendmachung des Anspruchs durch den nicht kindergeldberechtigten Elternteil Silbermann in Eicher/Luik/Harich, SGB II, 3. Aufl. § 6b Rn. 8). Insofern unterscheidet sich die Rechtslage zum SGB II, dort sind die begünstigten Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen selbst Anspruchsinhaber (§ 28 Abs. 1 Satz 1 SGB II). Nur wenn das Kindergeld abweichend vom vorliegenden Fall - unmittelbar an das Kind oder an eine Person ausgezahlt wird,
die dem Kind Unterhalt gewährt, stehen die Leistungen für Bildung und Teilhabe gem. § 6b Abs. 1 Satz 3
BKGG dem Kind oder der Person zu, die dem Kind Unterhalt gewährt. Bestätigt wird diese unterschiedliche Ausgestaltung der Inhaberschaft
des Anspruchs durch § 19 Abs. 2 Satz 2 SGB II. Soweit für Kinder Leistungen zur Deckung von Bedarfen für Bildung und Teilhabe nach § 6b
BKGG gewährt werden, haben sie nach dieser Vorschrift selber keinen Anspruch auf entsprechende Leistungen zur Deckung von Bedarfen
nach § 28 SGB II.
Die Beklagte ist richtiger Klagegegner. Für die Durchführung des Verwaltungsverfahrens nach § 6b
BKGG war die Stadt Aachen aufgrund einer Delegation durch die eigentlich zuständige Städteregion Aachen zuständig (§§ 7 Abs. 3, 13 Abs. 4
BKGG; § 3 Abs. 1 Satz 2 der NRW-Verordnung zur Regelung von Zuständigkeiten nach dem Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz und nach dem
Bundeskindergeldgesetz vom 05.12.2006; § 1 der Satzung über die Durchführung der Aufgaben nach § 6b
BKGG in der StädteRegion Aachen vom 22.08.2011). Das Widerspruchsverfahren ist gem. § 3 Nr. 2 der Satzung über die Durchführung der Aufgaben nach § 6b
BKGG in der StädteRegion Aachen vom 22.08.2011 rechtmäßig von der Städteregion Aachen durchgeführt worden. Bei der Durchführung
von § 6b
BKGG handelt es sich um eine pflichtige Selbstverwaltungsaufgabe iSd §
85 Abs.
2 Satz 1 Nr.
4 SGG (ausführlich zur Abgrenzung zwischen pflichtigen Selbstverwaltungsaufgaben und Pflichtaufgaben nach Weisung LSG Nordrhein-Westfalen
Beschluss vom 16.12.2009 - L 10 SB 39/09), so dass die Städteregion Aachen - ungeachtet der Delegation des Verwaltungsverfahrens auf die Stadt Aachen - als Selbstverwaltungsbehörde
für den Erlass des Widerspruchsbescheides zuständig ist. Die Städteregion Aachen vertritt die Stadt Aachen im gerichtlichen
Verfahren (§ 3 Nr. 3 der Satzung über die Durchführung der Aufgaben nach § 6b
BKGG in der StädteRegion Aachen vom 22.08.2011).
Die Berufung ist nicht begründet. Zu Recht und mit zutreffender Begründung hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Der
angefochtene Bescheid ist nicht rechtswidrig, der Kläger hat keinen Anspruch auf die geltend gemachten Schülerbeförderungskosten.
Anspruchsgrundlage für das Begehren ist § 6b
BKGG in der ab 01.08.2019 gF. Der Kläger erfüllt die Grundvoraussetzungen des § 6b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1
BKGG, denn er ist für H kindergeldberechtigt und hat für sie einen Anspruch auf Kinderzuschlag. Er hat die Leistungen iSd § 9 Abs. 3 Satz 1
BKGG bei der Beklagten als zuständiger Stelle beantragt. Die Leistungen werden gem. § 5 Abs. 1
BKGG vom Beginn des Monats an gewährt, in dem die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind, Die Regelung des § 5 Abs. 3
BKGG - Leistungen erst ab Antragsmonat - gilt nicht für Bildungs- und Teilhabeleistungen. Verjährung (§ 6b Abs. 2a
BKGG) war bei Antragstellung noch nicht eingetreten. Die Verjährungsfrist beträgt zwölf Monate und beginnt nach Ablauf des Monats,
in dem die Leistungsvoraussetzungen vorliegen (Beginn der Verjährung hier ab 01.02.2020; Eintritt der Verjährung grundsätzlich
ab 01.02.2021; Antragstellung im Januar 2021). Für die Hemmung, die Ablaufhemmung, den Neubeginn und die Wirkung der Verjährung
gelten die allgemeinen Vorschriften des §
45 Abs.
2,
3 SGB I, weil § 6b Abs. 2a
BKGG insoweit keine Sonderregelung trifft (Silbermann in Eicher/Luik/Harich, SGB II, 3. Aufl., § 6b
BKGG Rn. 26; Kühl in JurisPK SGB II § 6b
BKGG Rn. 14). Die Verjährung ist durch die Antragstellung gem. §
45 Abs.
3 Satz 1
SGB I gehemmt worden, die Hemmung dauert nach Klageerhebung noch an (§
45 Abs.
2 SGB I, §
204 Abs.
1 Nr.
1 BGB).
Gem. § 6b Abs. 2
BKGG entsprechen die Leistungen für Bildung und Teilhabe den Leistungen zur Deckung der Bedarfe nach § 28 Abs. 2 bis 7 SGB II. Nach § 28 Abs. 4 Satz 1 SGB II werden bei Schülerinnen und Schülern, die für den Besuch der nächstgelegenen Schule des gewählten Bildungsgangs auf Schülerbeförderung
angewiesen sind, die dafür erforderlichen tatsächlichen Aufwendungen berücksichtigt, soweit sie nicht von Dritten übernommen
werden. Als nächstgelegene Schule des gewählten Bildungsgangs gilt gem. § 28 Abs. 4 Satz 2 SGB II auch eine Schule, die aufgrund ihres Profils gewählt wurde, soweit aus diesem Profil eine besondere inhaltliche oder organisatorische
Ausgestaltung des Unterrichts folgt; dies sind insbesondere Schulen mit naturwissenschaftlichem, musischem, sportlichem oder
sprachlichem Profil sowie bilinguale Schulen, und Schulen mit ganztägiger Ausrichtung. Auch gem. § 6b Abs. 2 Satz 3
BKGG in der ab dem 01.08.2019 gF sind für die Bemessung der Leistungen für die Schülerbeförderung nach § 28 Abs. 4 SGB II die erforderlichen tatsächlichen Aufwendungen zu berücksichtigen, soweit sie nicht von Dritten übernommen werden.
Zwar ist die N1-Montessori-Gesamtschule die nächstgelegene Schule des gewählten Bildungsgangs. Jedoch ist H zur Erreichung
dieser Schule nicht auf Schülerbeförderung angewiesen. Bei den ASEAG-Tickets, die für sie gekauft worden sind, handelt es
sich nicht um erforderliche Aufwendungen, die nicht von Dritten übernommen werden, iS dieser Vorschriften.
Der Senat schließt sich - wie bereits das SG - dem Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 10.01.2019 - L 7 AS 783/15 (rechtskräftig durch Zurückweisung der Nichtzulassungsbeschwerde durch BSG Beschluss vom 29.04.2019 - B 14 AS 107/19 B) an, dessen Grundsätze auch für den hier streitigen Anspruch nach § 6b
BKGG anzuwenden sind. Hiernach gilt:
§ 28 Abs. 4 SGB II, § 6b Abs. 2 Satz 3
BKGG ist Bundesrecht und als solches nach bundeseinheitlichen Kriterien auszulegen. Die Frage, wann Schüler für den Besuch der
nächstgelegenen Schule auf Schülerbeförderung angewiesen sind, ist daher ausschließlich nach einem bundesrechtlichen Bezugsrahmen
ohne Maßgeblichkeit landesrechtlicher Regelungen zu entscheiden (ausführlich BSG Urteil vom 17.03.2016 - B 4 AS 39/15 R). Der Begriff der Angewiesenheit auf Schülerbeförderung wird in den maßgeblichen Vorschriften nicht näher umschrieben.
Nach Feststellung des BSG wird indes in allen landesschulrechtlichen Bestimmungen im Bundesgebiet als Maßstab insoweit in erster Linie auf die Entfernung
zwischen dem Wohnort und der nächstgelegenen Schule des gewählten Bildungsgangs abgestellt. Deshalb kann nach der Rechtsprechung
des BSG dies hier auch für die Auslegung des Bundesrechts herangezogen werden. Dabei kommt es darauf an, ob dieser Weg zumutbar zu
Fuß oder mit dem Fahrrad zurückgelegt werden kann oder ob dies nur mit öffentlichen Verkehrsmitteln möglich ist, für deren
Benutzung sodann Leistungen zur Schülerbeförderung zu erbringen sind. Die Zumutbarkeit ist anhand der örtlichen Besonderheiten
und/oder der persönlichen Umstände des Schülers zu bemessen. Es ist abzustellen zB auf die Beschaffenheit des zurückzulegenden
Weges, das Verkehrsaufkommen dort, das Alter des Schülers, etwaige körperliche Beeinträchtigungen oder die Erforderlichkeit
des regelmäßigen Transportes größerer Gepäckstücke (BSG Urteil vom 17.03.2016 - B 4 AS 39/15 R).
Die in Nordrhein-Westfalen geltenden Regelungen zum Anspruch auf Übernahme von Schülerfahrtkosten in §§ 5 und 6 der Verordnung
zur Ausführung von § 97 Abs. 4 Schulgesetz vom 16.04.2005 (Schülerfahrtkostenverordnung - SchfkVO) werden diesen bundesrechtlich
bestimmten Anforderungen gerecht. Nach § 5 Abs. 2 Satz 1 SchfkVO NRW entstehen Fahrkosten dann notwendig, wenn der Schulweg
nach § 7 Abs. 1 (kürzester Weg zwischen der Wohnung der Schülerin oder des Schülers und der nächstgelegenen Schule) in der
einfachen Entfernung für die Schülerin oder den Schüler der Primarstufe mehr als 2 km, der Sekundarstufe I sowie der Jahrgangsstufe
10 des Gymnasiums mehr als 3,5 km und der Sekundarstufe II mehr als 5 km beträgt. Unabhängig von der Länge des Schulweges
entstehen Fahrkosten gem. § 6 Abs. 1 SchfkVO NRW notwendig, wenn die Schülerin oder der Schüler nicht nur vorübergehend aus
gesundheitlichen Gründen oder wegen einer geistigen oder körperlichen Behinderung ein Verkehrsmittel benutzen muss. Unabhängig
von der Länge des Schulweges entstehen Fahrkosten gem. § 6 Abs. 2 SchfkVO NRW auch dann notwendig, wenn der Schulweg nach
den objektiven Gegebenheiten besonders gefährlich oder nach den örtlichen Verhältnissen für Schülerinnen und Schüler ungeeignet
ist. Ein Schulweg ist nach § 6 Abs. 2 Satz 2 SchfkVO NRW insbesondere dann besonders gefährlich, wenn er überwiegend entlang
einer verkehrsreichen Straße ohne Gehweg oder begehbaren Randstreifen führt, oder wenn eine verkehrsreiche Straße ohne besondere
Sicherung für Fußgänger überquert werden muss. Ein Schulweg ist nach § 6 Abs. 2 Satz 3 SchfkVO NRW nicht besonders gefährlich
oder ungeeignet, wenn innerhalb der Entfernungsgrenzen des § 5 Abs. 2 SchfkVO NRW an seiner Stelle ein anderer Fußweg zumutbar
ist (Schulersatzweg), bei dem diese Gründe nicht vorliegen. Mit diesen Kriterien genügt der Verordnungsgeber des Landes Nordrhein-Westfalen
den Kriterien, die auch bei Anwendung eines bundesrechtlichen Bezugsrahmens bei der Auslegung von § 28 Abs. 4 SGB II, § 6b Abs. 2 Satz 3
BKGG gelten. Bei Schülerinnen und Schülern, die keine Einschränkungen iSd § 6 Abs. 2 SchfkVO NRW aufweisen und Schulwegen, die keine Besonderheiten iSd § 6 Abs. 2 SchfkVO NRW aufweisen, hält der Senat
die in § 5 Abs. 2 SchfkVO geregelten Kilometergrenzen auch bei Anwendung eines bundesrechtlichen Bezugsrahmens für zumutbar.
Dies hat zur Folge, dass der Kläger unabhängig davon, welche Länge der Schulweg seiner Tochter aufweist oder ob sie unter
gesundheitlichen Einschränkungen leidet oder ob der Schulweg besonders gefährlich ist, keinen Anspruch auf Leistungen nach
§ 28 Abs. 4 SGB II, § 6b Abs. 2 Satz 3
BKGG hat. Denn bei einem Schulweg, der die genannten zumutbaren Entfernungsgrenzen übersteigt oder der der Tochter aus gesundheitlichen
Gründen oder wegen einer besonderen Gefährlichkeit nicht zumutbar ist, werden die Aufwendungen "von einem Dritten übernommen"
iSd Ausschlusskriteriums des § 28 Abs. 4 SGB II, § 6b Abs. 2 Satz 3
BKGG, weil dann nach derzeitiger und im streitigen Zeitraum in Nordrhein-Westfalen geltender Rechtslage der Schulträger die Fahrtkosten
übernimmt (§ 4 Abs. 1 SchfkVO NRW). Dem steht nicht entgegen, dass eine Kostenübernahme durch den Schulträger im vorliegenden
Fall für den streitbefangenen Zeitraum ggfs. nicht erfolgt ist, weil dieser entsprechende Leistungen bestandkräftig abgelehnt
hat bzw. entsprechende Leistungen nicht beantragt wurden und gem. § 4 Abs. 2 SchfkVO NRW ("Bewilligungszeitraum ist in der
Regel das Schuljahr. Der Antrag auf Fahrkostenübernahme soll unverzüglich zu Beginn des Bewilligungszeitraums beim Schulträger
gestellt werden. Eine nachträgliche Übernahme (Erstattung) der Schülerfahrkosten ist nur möglich, wenn der Antrag spätestens
bis zum Ablauf von drei Monaten nach Ende des Bewilligungszeitraums gestellt wird.") zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung
des Senats auch nicht mehr mit Erfolg geltend gemacht werden können. Zwar scheidet nach der Rechtsprechung des BSG die Minderung eines Bedarfs anders als durch tatsächlich zufließendes Einkommen (und vorhandenes Vermögen) aus. Nur eine
tatsächlich zugeflossene Einnahme ist als "bereites Mittel" geeignet, den konkreten Bedarf im jeweiligen Monat zu decken;
die Anrechnung einer fiktiven Einnahme zur Bedarfsminderung ist nach dem System des SGB II dagegen ausgeschlossen. Grundsätzlich kennt das Recht der Grundsicherung für Arbeitsuchende - abweichend zu anderen Sozialleistungen
(zB Ruhen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld nach 156 Abs. 1 und 2
SGB III oder Wegfall des Anspruchs auf Krankengeld nach 51 Abs. 3
SGB V) auch kein Ruhen oder einen Wegfall des Leistungsanspruchs, wenn der Hilfesuchende dem Grunde nach einen Anspruch auf eine
vorrangige Leistung hat, diese aber nicht geltend macht. Auch in einem solchen Fall besteht ein Anspruch auf Leistungen (BSG Urteil vom 23.03.2021 - B 8 SO 2/20 R für einen Anspruch auf Wohngeld; BSG Urteil vom 19.08.2015 - B 14 AS 1/15 R für einen Anspruch auf vorzeitige Altersrente).
Dies gilt jedoch nicht für den Ausschluss von einem Anspruch auf Schülerbeförderungskosten, wenn diese "von Dritten übernommen
werden" iSd § 28 Abs. 4 SGB II, § 6b Abs. 2 Satz 3
BKGG. Hierfür ist ausreichend, dass ein anderweitiges Bedarfsdeckungssystem zur Verfügung steht, auch wenn - etwa wegen eines
fehlenden Antrags oder wegen Versäumung einer Antragsfrist - wie hier Leistungen tatsächlich nicht gezahlt werden. Der Wortlaut
der Vorschrift ist insoweit mindestens offen. Die Entstehungsgeschichte der Norm sowie ihr Sinn und Zweck sprechen für diese
Interpretation. Die Formulierung in § 28 Abs. 4 Satz 1 SGB II, § 6b Abs. 2 Satz 3
BKGG, wonach die Berücksichtigung der Aufwendungen nur erfolgt, soweit diese "nicht von Dritten übernommen werden", lässt eine
Auslegung dahingehend zu, dass ein grundsätzlicher Leistungsanspruch gegen Dritte ausreichend ist. Hierfür spricht, dass die
Normen einerseits "tatsächliche Aufwendungen" erfordern und andererseits einen Anspruchsausschluss vorsehen, wenn die Aufwendungen
von Dritten übernommen werden. Wenn ein Dritter den Bedarf tatsächlich deckt, fehlt es bereits an Aufwendungen der Schülerin
bzw. des Schülers, so dass für die alternativ hierzu erwähnte Übernahme durch Dritte angenommen werden kann, dass ein Leistungsanspruch
dem Grunde nach ausreicht. Die Entstehungsgeschichte der Vorschrift stützt diese Annahme. § 28 Abs. 4 SGB II wurde mit § 6b
BKGG ab 01.01.2011 als Bestandteil des "Bildungs- und Teilhabepakets" eingefügt durch Art. 2 Nr. 31 des Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 24.03.2011 (BGBl I, 453). Die gegenüber der vorherigen Gesetzeslage neue Einführung der Leistung beruht nach der Gesetzesbegründung
ausdrücklich darauf, dass das BVerfG den Bundesgesetzgeber mit Urteil vom 09.02.2010 (1 BvL 1/09, 1 BvL 2/09; 1 BvL 4/09) dazu verpflichtet hat, hilfebedürftigen Schülerinnen und Schülern mit den für den Schulbesuch notwendigen Mitteln auszustatten,
"soweit insbesondere die Länder im Rahmen der schulrechtlichen Bestimmungen dafür keine gleichwertigen Leistungsansprüche
bereithalten" (BT-Drs. 17/4095, 30). Für ein "Bereithalten" genügt es, dass ein Leistungsanspruch dem Grunde nach zur Verfügung
steht, auf eine tatsächliche Geltendmachung durch die betroffenen Schülerinnen und Schüler kommt es nicht an. Diese Interpretation
wird durch die entsprechenden Ausführungen des BVerfG getragen. Das BVerfG hat im Urteil vom 09.02.2010 (Rn. 82) dargelegt,
dass zwar die Länder ihre Schulen und sonstigen Bildungseinrichtungen zu finanzieren haben. Hieraus folge aber keine fürsorgerechtliche
Pflicht, hilfebedürftige Personen, die Schulen besuchen und sonstige Bildungseinrichtungen benutzen, mit den dafür notwendigen
finanziellen Mitteln auszustatten. Weiter führt das BVerfG aus: "Zudem würde erst ein anderweitiger gesetzlicher Anspruch
auf Leistungen zum Lebensunterhalt die Pflicht des Bundes mindern, weil das menschenwürdige Existenzminimum von Verfassungs
wegen durch Rechtsansprüche gewährleistet sein muss. Solche ergänzenden Ansprüche aufgrund von Ländergesetzen sind nicht ersichtlich".
Nach einem weiteren ausdrücklichen Hinweis des BVerfG im Urteil vom 09.02.2010 (Rn. 197) kann der Bundesgesetzgeber "dann
von der Gewährung entsprechender Leistungen absehen, wenn sie durch landesrechtliche Ansprüche substituiert und hilfebedürftigen
Kindern gewährt würden". Da in Nordrhein-Westfalen ein bedarfsdeckender landesrechtlicher Anspruch auf die Übernahme von Schülerbeförderungskosten
besteht, ist mithin auch nach dem Ansatz des BVerfG eine Leistungspflicht des Bundes nicht geboten. Sinn und Zweck des 28
Abs. 4 SGB II ist es nicht, SGB II-Leistungsbeziehern ein Wahlrecht zu geben, gegen welchen Träger sie einen Anspruch geltend machen wollen. Die Bildungs- und
Teilhabeleistungen sollen Lücken im Bedarfsdeckungssystem schließen. Dort wo diese Lücken nicht bestehen, besteht auch keine
Notwendigkeit, den SGB II-Träger zu Leistungen zu verpflichten.
Im Hinblick auf das Berufungsvorbringen ist ergänzend noch darauf hinzuweisen, dass durch die Änderung der Anspruchsgrundlagen
durch das StaFamG ab 01.08.2019 keine hier relevante Änderung eingetreten ist. Der Gesetzgeber hat mit dem StaFamG nur den
zuvor vorgesehen Eigenanteil abgeschafft. Ein solcher ist vorliegend nicht Streitgegenstand.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von §
193 SGG.
Gründe für eine Zulassung der Revision (§
160 Abs.
2 SGG) liegen nicht vor (hierzu auch BSG Beschluss vom 29.04.2019 - B 14 AS 107/19 B).