Tatbestand
Der Kläger begehrt die Anerkennung einer Berufskrankheit (BK) nach Ziffer 1102 der Anlage 1 zur
Berufskrankheitenverordnung (
BKV, Erkrankungen durch Quecksilber oder seine Verbindungen), Ziffer 1302
BKV (Erkrankungen durch Halogenkohlenwasserstoffe), sowie einer Wie-BK nach §
9 Abs.
2 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (
SGB VII).
Der am 00.00.1976 geborene Kläger war vom 16.05.2000 bis zum 31.10.2005, unterbrochen durch drei Forschungsaufenthalte in
den USA, als Diplomand bzw. Doktorand beim Max-Planck-Institut für Kohlenforschung N (MPI) tätig, wobei die praktischen experimentellen
Arbeiten im März 2003 abgeschlossen wurden. Nach eigenen Angaben war der Kläger zuvor bereits im März/April 2000 Praktikant
beim MPI. Ausweislich einer Mitteilung von Prof. Dr. T, Direktor am MPI, unter dessen Leitung der Kläger tätig war, vom 03.07.2000
an Dr. T1, Institut für Anatomie der WWU N, habe der Kläger an diesem Tag wegen eines außer Kontrolle geratenen Versuchsansatzes
dringend ins Institut kommen müssen, um die einzuleitenden Maßnahmen abzustimmen. Der Kläger habe daher am Anatomiekurs nicht
teilnehmen können, da er (Prof. Dr. T) aus Sicherheitsgründen auf dessen Anwesenheit habe bestehen müssen. Zudem habe der
Kläger bei Entsorgungsarbeiten Pyridin und Piperidin eingeatmet, worauf es zu Unwohlsein und später zu Durchfall und Erbrechen
gekommen sei.
Unter dem 05.03.2009 erstattete das MPI eine Unternehmeranzeige bei Anhaltspunkten für eine BK und führte als Krankheitserscheinungen
eine Störung des Immunsystems in Form multipler Allergien auf, asthmatische Erscheinungen nachts, ein stark ausgeprägtes Sicca-Syndrom
(Augen, Nase, Mund, Ohren), aphthöse Geschwüre in Mund, Nase, Magen und Genitalbereich, eine Polyneuropathie (insbesondere
Hände, Füße und Unterschenkel), Schwindel, Kopfschmerzen, Sehstörungen, Bluthochdruck, Sensibilisierung gegenüber polychlorierten
Biphenylen (PCB) sowie diverse Unverträglichkeiten auf Waschmittel, Parfüms, Deodorant usw. Der Beginn der Beschwerden werde
vom Kläger und dem behandelnden Facharzt für Innere Medizin, Gastroenterologie, Hämatologie Prof. Dr. med. Dipl. Biochem.
N, wo der Kläger seit 13.07.2006 in Behandlung war, in zeitlichen Zusammenhang mit der Entsorgung von Chemikalien aus einem
Kühlschrank im Frühjahr/Sommer 2000 im MPI gestellt.
Die Beklagte zog Befund- und Behandlungsberichte sowie Auskünfte der Krankenkasse des Klägers (TKK) über Leistungszeiten bei
und holte eine Stellungnahme ihrer Präventionsabteilung zur Arbeitsplatzexposition ein. Die Stellungnahme wurde von Dr. T2
und Dr. N1 am 21.09.2009 nach Gesprächen mit dem Kläger, Prof. Dr. T und Dr. U vom MPI sowie Herrn N, Fachkraft für Arbeitssicherheit
am MPI bis 10/2008, ferner auf der Basis von zwei Schreiben des Klägers sowie eines Schreibens von Dr. U vom 24.03.2009 erstellt.
Danach habe der Kläger im Zeitraum vom 16.05.2000 bis März 2003 bei wissenschaftlich-experimentellen Labortätigkeiten Kontakt
zu einer Vielzahl im Einzelnen aufgeführte Chemikalien gehabt. Die Verwendung von PCBs und Quecksilberverbindungen habe seitens
des MPI nicht bestätigt werden können. Bei Entsorgungs- und Aufräumarbeiten an einem Kühlschrank Ende Juni/Anfang Juli 2000
sei der Kläger in Kontakt mit teils unbekannten Chemikalien gekommen. Während der Forschungsarbeiten hätten im Labormaßstab
wechselnde Gefährdungen im Sinne der BK-Gruppe 13 bestanden. Aufgrund der zwar geringfügigen, aber doch vorhandenen Kontaktmöglichkeiten
mit neuen biologisch aktiven Substanzen solle gutachterlich die Anwendung von §
9 Abs.
2 SGB VII geprüft werden. Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt der Stellungnahme, Bl. 165 ff. der Verwaltungsakte, verwiesen.
In der Folgezeit erfolgten weitere Nachfragen der Beklagten an Dr. U vom MPI zu den verwendeten Chemikalien. Das Laborjournal
des Klägers war nicht mehr auffindbar, da es bereits im Rahmen einer umzugsbedingten Aufräumaktion im Jahr 2004 abhanden gekommen
sei. Es bestehe nach Rücksprache mit Prof. Dr. C1 vom MPI die Möglichkeit, dass in dem vom Kläger gereinigten Kühlschrank
PCB und nicht mehr identifizierbare Organoquecksilberverbindungen gelagert hätten, wobei eine sichere Aussage aufgrund des
langen Zeitraums nicht mehr getroffen werden könne. Prüfprotokolle zu den vom Kläger benutzten Abzügen lägen nicht mehr vor,
diese seien jedoch regelmäßig gewartet und geprüft worden.
In einer auf Initiative des Klägers verfassten Stellungnahme vom 11.01.2010 meinte Prof. Dr. N zusammenfassend, dass der Kläger
einer extrem großen Anzahl von genotoxischen, immuntoxischen und kanzerogenen Substanzen simultan bei der Entsorgung von mehr
als 200 Chemikalien aus einem alten Kühlschrank am MPI ausgesetzt gewesen sei, was nach genauer anamnestischer Expositionsabschätzung
(starker Geruch nach Pyridin, Piperidin und Toluol über 12 h bei Entsorgungsarbeiten), insbesondere bei Betrachtung der kumulativen
Effekte der mehr als 200 Substanzen, bei weitem die Schwelle für eine akute und als Folge chronische Intoxikation überschreite.
Nach der Entsorgungsaktion im Jahr 2000 sei es zu Unwohlsein und später Übelkeit und Erbrechen gekommen. Der Kläger beschreibe
in seiner genauen Schilderung des Unfallablaufes die weiteren Symptome mit schmerzhaften Durchfällen, Erbrechen sowie starken
Schmerzen in Händen, Füßen und Zähnen sowie einer leicht geröteten, stark juckenden Haut. Nach eingehendem Studium des Falles,
jahrelangen Gesprächen und Therapie des Klägers, ausführlichem Literaturstudium und jahrzehntelanger Erfahrung als Gutachter
bei Sozialgerichten bei Intoxikationen und Erkrankungen des Immunsystems spielten seiner Einschätzung nach mehrere Erkrankungskomponenten
eine Rolle: 1. Akute Intoxikation bei Entsorgung des Kühlschrankes mit Folge einer direkten irreversiblen Schädigung der Speichel-
und Tränendrüsen als Folge einer Schädigung durch u. a. (chlorierte) aromatisch und aliphatische Lösungsmittel, PCB (sowie
darin vermutlich enthaltene PCDF, Dioxine), aromatische Amine, diverse Heterozyklen sowie vermutlich Quecksilberorganyle,
2. Ausbildung eines chemikalien-induzierten M. Behcet und einer Churg-Strauss-Syndrom-analogen Autoimmunerkrankung bei für
eine "natürliche" Autoimmunerkrankung atypischem laboranalytischem Konstellationsbild sowie auch untypischer HLA-Konstellation
mit jahrelang progressivem Verlauf, 3. Ausbildung progressiver extrem seltener Kontaktallergien auf Baumwolle (oder enthaltene
Einzelkomponenten) und Papier (oder einzelne Inhaltsstoffe), Allergien auf Waschmittel, Duftstoffe, Parfüm, Nahrungsmittel
in Folge einer chronischen Schädigung des Immunsystems als Folge der akuten Intoxikation. Die möglichst schnelle Anerkennung
der schwerwiegenden Erkrankung des Klägers als BK halte er für dringend angezeigt.
In einer arbeitsmedizinischen Stellungnahme vom 26.04.2010 meinte der Facharzt für Innere Medizin, Facharzt für Arbeitsmedizin
- Umweltmedizin - Dr. T2 von der Präventionsabteilung der Beklagten, dass die arbeitstechnischen Ermittlungen der Beklagten
umfassend und vollständig seien. Da die Arbeitsplätze des Klägers im MPI nicht mehr bestünden, seien keine weiteren Details
über die bereits ermittelten Sachverhalte hinaus feststellbar. Bei der jetzigen Vorlage sei die Akte auch unter dem Aspekt
der Zuordnung der (Verdachts-)Diagnosen zu Listen-BK-Ziffern durchgesehen worden. Eine "Intoxikation mit Schädigung des Immunsystems
mit Immundysfunktion" beschreibe Prof. Dr. N. Andererseits hätten immunologische Befundberichte mehrfach objektivierbare Beschädigungen
des Immunsystems ausgeschlossen. Zuletzt werde ein komplexes Krankheitssyndrom diskutiert, das sich einer Listen-BK-Ziffer
nicht widerspruchsfrei zuordnen lasse.
Die Beklagte lehnte durch Bescheid vom 09.06.2010 die Anerkennung der Erkrankung des Klägers als BK (§
9 Abs.
1 SGB VII) sowie wie eine BK (§
9 Abs.
2 SGB VII) ab. Auf den hiergegen vom Kläger am 16.06.2010 eingelegten Widerspruch betrachtete die Beklagte den Bescheid vom 09.06.2010
als nichtig, da er nicht den Anforderungen an eine detaillierte und nachvollziehbare Auseinandersetzung mit den zugrunde liegenden
tatsächlichen und rechtlichen Grundlagen genüge und sagte eine neue Bescheidung zu.
Sodann nahm die Beklagte weitere Arztberichte über den Kläger zu den Akten und zog eine Auskunft des Dr. U (MPI) vom 21.10.2010
bei. Darin hieß es zur Abschätzung der Exposition des Klägers gegenüber elementarem Quecksilber, dass insgesamt betrachtet
der vom Kläger geäußerte Verdacht einer erhöhten Quecksilberexposition als Folge einer entsprechenden Kontamination im Laborbereich
des MPI nicht bestätigt werden könne. Wichtig erscheine zudem, dass im experimentellen Teil der Doktorarbeit des Klägers keinerlei
quecksilberhaltige Gerätschaften erwähnt würden.
Durch Bescheid vom 16.11.2010 lehnte die Beklagte die Anerkennung der Erkrankungen des Klägers als BKen und wie eine BK ab.
In der Begründung wurden die in der BK-Liste unter 1102 sowie 1302 bis 1318 aufgeführten BKen-Ziffern im Einzelnen aufgeführt
und abgelehnt. U.a. führte die Beklagte aus, eine BK nach Ziffer 1102
BKV bestehe beim Kläger nicht, da während seiner Tätigkeit am MPI nur sehr geringfügige Einwirkungsmöglichkeiten durch Quecksilber
bestanden hätten, die auch nicht im erforderlichen Vollbeweis zu sichern seien. Der frühere Mitarbeiter Prof. Dr. C1 habe
zwar die Möglichkeit der Lagerung von nicht mehr näher identifizierten Organoquecksilberverbindungen in dem vom Kläger an
zwei Tagen gereinigten Kühlschrank bestätigt. Allerdings könne auch diese sehr kurzzeitige Einwirkung in 2000 nicht mehr bewiesen
werden. Insbesondere fehlten aus der unmittelbaren zeitlichen Nähe zur Kühlschrankräumung eindeutige ärztliche Diagnosen im
Sinne einer akuten Quecksilberintoxikation, die ja im engen zeitlichen Kontext zur Einwirkung zu erwarten gewesen wäre. Andere
Quellen einer Quecksilberintoxikation während der Tätigkeit am MPI könnten ausgeschlossen werden. Manifeste Vergiftungen seien
in der Regel Folge eines längeren und wiederholten, erheblichen Überschreitens der arbeitsmedizinischen Grenzwerte. Aufgrund
der arbeitstechnischen Ermittlungen und angesichts des sieben bis zehn Jahre zurückliegenden Zeitraumes der Tätigkeiten am
MPI sei nunmehr die Höhe der vermuteten damaligen Quecksilber-Exposition nicht mit Gewissheit zu beweisen. Aus dem Institut
seien von vergleichbaren Arbeitsplätzen keine Erkrankungen durch Quecksilber oder seine Verbindungen gemeldet worden. Aufgrund
einer Halbwertzeit von circa 65 Tagen für im Urin nachweisbares Quecksilber nach Expositionen seien lange zurückliegende Vergiftungen
nicht mehr anhand erhöhter Konzentrationen nachweisbar. Bezüglich der chronischen Toxizität von metallischem Quecksilber und
anorganischen Quecksilberverbindungen seien die Nieren, vor allem die proximalen Tubuli (Hauptstücke der Nierenkanälchen),
von der toxischen Wirkung besonders betroffen. Die quecksilberbedingten neurologischen Symptome beim Erwachsenen seien insbesondere
Gefühlsstörungen und Hirnnervenschädigungen (vor allem Seh- und Hörnerv) mit krankhaft gesteigerter Erregbarkeit und Tremor.
In vielen Fällen entwickle sich eine Polyneuropathie. Fachärztlich seien jedoch neurologisch und nephrologisch bisher keine
Erkrankungen diagnostiziert worden, die auf Quecksilber zurückgeführt würden. Das expositionsunabhängige Fortschreiten der
beim Kläger beschriebenen Krankheitserscheinungen spreche ebenfalls gegen die Verursachung durch Einwirkungen während der
Tätigkeiten am MPI. Prof. Dr. N habe eine akute Intoxikation durch Quecksilber in seinem Bericht vom 11.01.2010 selbst ausgeschlossen.
Aufgrund der arbeitstechnischen Ermittlungen könne auch seine Argumentation zu einer möglichen chronischen Quecksilberintoxikation
nicht nachvollzogen werden.
Eine BK nach Ziffer 1302
BKV bestehe ebenfalls nicht. Beim Ausräumen des Kühlschranks im Jahre 2000 hätten nach Angaben des MPI möglicherweise kurzzeitige
Kontakte zu PCB-haltigen Behältnissen bestanden. Sieben Jahre nach Ende der praktischen Tätigkeit am MPI seien weder chronisch
neurologische noch andere halogenkohlenwasserstoffbedingte Krankheiten gesichert diagnostiziert worden. PCB-Blutwerte zum
Beleg einer gegenüber der allgemeinen Bevölkerung erhöhten und klinisch relevanten Belastung lägen nicht vor. n-Hexan habe
bei ausreichend hoher Exposition insbesondere neurotoxische Langzeit-Effekte. Eine Enzephalopathie oder Polyneuropathie seien
nicht diagnostiziert worden.
Auch die Voraussetzungen für die Anerkennung der Erkrankung wie eine BK seien nicht erfüllt. Dies setze nämlich voraus, dass
eine bestimmte Personengruppe infolge ihrer versicherten Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung besonderen
Einwirkungen ausgesetzt sei, diese Einwirkungen nach neuen Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft geeignet seien, Krankheiten
solcher Art zu verursachen, und der ursächliche Zusammenhang der Erkrankung mit der versicherten Tätigkeit im Einzelfall wahrscheinlich
sei. Der Kläger habe zwar auch Acetylendicarbonsäuredimethylester (DMAD) in kleinen Mengen eingesetzt, einen akut ätzenden
Stoff aus der Gruppe der Alkine und Carbonsäureester. Aktuell seien aber keine Erkrankungen diagnostiziert worden, die auf
die Einwirkung von DMAD gesichert zurückgeführt werden könnten. Langzeitschäden würden von der BK-Liste nicht abgebildet.
Neue gesicherte Erkenntnisse im Sinne des §
9 Abs.
2 SGB VII zu DMAD lägen nicht vor. Ein "Multi-Toxin-Syndrom", wie von Dr. F, Universitätsklinikum G, Institut für Umweltmedizin, am
13.08.2010 in seinem Bericht vermutet, sei nicht als BK in der Liste der
BKV aufgeführt. Es lägen auch keine gesicherten neuen Erkenntnisse vor, um eine solche Erkrankung "wie eine BK" nach §
9 Abs.
2 SGB VII anzuerkennen.
Gegen den Bescheid legte der Kläger am 18.11.2010 Widerspruch ein, den die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 23.02.2011
zurückwies.
Am 10.03.2011 hat der Kläger vor dem Sozialgericht Gelsenkirchen (SG) Klage erhoben. Er hat vorgetragen, dass von dem Vorhandensein von Organoquecksilberverbindungen in dem von ihm entsorgten
Kühlschrank auszugehen sei. Eine beruflich relevante Exposition sei zugrundezulegen. Aus seinem Krankheitsbild - namentlich
dem schweren Sicca-Syndrom in Kombination mit hartwachsartigen weißen Sekreten im Augenbereich - könne auf Intoxikationen
mit PCB geschlossen werden. Nach der Entsorgungsaktion am Freitag, dem 30.06.2000 sowie am Montag, dem 03.07.2000 sei ihm
noch gegen Ende dieser Tätigkeit schlecht geworden und es sei noch im MPI zu Durchfall und Erbrechen sowie starken Schmerzen
an Händen, Füßen und Zähnen/Zahnfleisch gekommen. Im Übrigen hat der Kläger gerügt, dass die Beklagte die Prüfung eines Versicherungsfalles
in Form eines Arbeitsunfalls unterlassen hat.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 16.11.10 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.02.11 zu verurteilen,
bei ihm eine Berufskrankheit nach Ziffer 1102 sowie 1302 der Anlage 1 zur
BKV anzuerkennen sowie eine Quasi-Berufskrankheit im Sinne von §
9 Abs.
2 SGB VII.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat vorgetragen, eine berufliche Gefährdung des Klägers habe nicht nachgewiesen werden können. Das Erkrankungsbild des
Klägers habe auch keiner anderen BK-Ziffer zugeordnet werden können. Schließlich liege auch keine Wie-BK vor.
Mit Urteil vom 21.10.2011 hat das SG die Klage abgewiesen. Es sei weder belegt, dass der Kläger während seiner Tätigkeit beim MPI im Frühjahr/Sommer 2000, insbesondere
bei der Entsorgung von Chemikalien aus einem Kühlschrank, einer schädigenden Einwirkung durch Quecksilber oder seine Verbindungen
bzw. durch Halogenkohlenwasserstoffe ausgesetzt gewesen sei noch dass bei ihm eine Krankheit bestehe, die durch solche schädigenden
Einwirkungen verursacht werden könne. Das Bestehen einer beruflich relevanten Exposition sei nicht im Vollbeweis belegt, auch
aus dem Bestehen einer Erkrankung könne nicht auf eine Intoxikation geschlossen werden.
Gegen das ihm am 17.11.2011 zugestellte Urteil hat der Kläger am Montag, den 19.12.2011 Berufung eingelegt und sein bisheriges
Vorbringen wiederholt und unter Vorlage von Stellungnahmen der Dres. F und N vertieft.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 21.10.2011 abzuändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom
16.11.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.02.2011 zu verurteilen, bei ihm eine Berufskrankheit nach Ziffer
1102 sowie 1302 der Anlage 1 zur
BKV anzuerkennen sowie eine Quasi-Berufskrankheit im Sinne von §
9 Abs.
2 SGB VII,
hilfsweise,
ein weiteres fachmedizinisches Gutachten für die Frage einzuholen, ob die vom Kläger beklagten Beschwerden auf toxische Einwirkungen
im Rahmen der Tätigkeit am Max-Planck-Institut für Kohleforschung während seiner Diplomarbeit und Dissertation zurückzuführen
sind,
sowie
die Sachverständigen Dr. med. F, Institut für Umweltmedizin und Krankenhaushygiene der Universitätsklinik G, sowie Herrn Prof.
S gem. §
109 Abs.
1 SGG anzuhören.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das Urteil des SG für zutreffend.
Der Senat hat die einschlägigen Laborjournale von Prof. Dr. C1 und seiner Mitarbeiter, die die Zeit vor Anfang Juli 2000 erfassen,
und eine Liste aller Mitarbeiter von Prof. Dr. C1 beigezogen. Ebenfalls angeforderte Rechnungen ab dem Jahr 1980 betreffend
die Anschaffung von PCB, PBB, organischem Quecksilber und anorganischem Quecksilber konnten vom MPI wegen Ablaufs der 10jährigen
Aufbewahrungsfrist nicht mehr vorgelegt werden.
Der Senat hat sodann Dr. F, Institut für Umweltmedizin und Krankenhaushygiene des Universitätsklinikums G, mit der Begutachtung
des Klägers beauftragt. In seinem Gutachten vom 20.07.2013 ist Dr. F zu dem Schluss gekommen, bei dem Kläger liege eine Quecksilberintoxikation
i.S. der BK 1102 vor. Ausgehend von dem beim Kläger vorliegenden Peak-Tal-Muster der Quecksilberwerte in Abhängigkeit von
der Gabe ausleitender Medikamente und angesichts der Eliminationskinetik von Quecksilber sei es sicher, dass eine Quecksilberintoxikation
vor etlichen (mehr als 4-5) Jahren stattgefunden haben müsse. Die massiven gesundheitlichen Beschwerden des Klägers deckten
sich mit den Symptomen, die für eine Quecksilberintoxikation beschrieben würden. Ferner seien über die Jahre viele auffällige
Laborwerte erhoben worden, welche die Korrelation von klinischer Beschwerdesymptomatik und Quecksilberintoxikation unterstützten.
Die fehlende Schädigung der Nieren zusammen mit den hohen Quecksilberwerten der Haaranalyse sei typisch für die extrem toxischen
Organoquecksilberverbindungen. Deren Vorkommen sei extrem selten, im Haushalt ausgeschlossen und sie seien auch nur in wenigen
Laboratorien vorhanden, wobei Prof. C1 eingeräumt habe, mit solchen Verbindungen gearbeitet zu haben. Des Weiteren bestehe
der dringende Verdacht auf eine Intoxikation mit halogenierten Kohlenwasserstoffen und Aromaten (BK 1302). Die Erkrankung
sei mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit durch die berufliche Tätigkeit im MPI entstanden, und zwar im Rahmen der
Entsorgung von Altchemikalien aus einem Kühlschrank im Mai und Juni/Juli 2000. Weitere Expositionen zu etlichen hochtoxischen
aromatischen Verbindungen wie Halogenaromaten, aromatischen Aminen und gentoxischen, in DNA-intercalierenden Verbindungen
sowie etlichen 100 Liter an teils sehr toxischen Lösungsmitteln im Rahmen von Versuchen seien vorhanden, Nachweismethoden
dieser nur in der Forschung gebräuchlichen und teils absolut neuen Substanzen im menschlichen Körper seien nicht etabliert
und müssten erst durch sehr teure aufwändige, intensive, aber machbare Versuchsreihen erforscht werden.
Die Beklagte ist der Einschätzung Dr. F nicht gefolgt und hat eine Stellungnahme des Arbeitsmediziners Dr. T2 vom 02.10.2013
übersandt. Dr. T2 hat die Auffassung vertreten, die Ausführungen von Dr. F zu toxischen Expositionen und den daraus resultierenden
Erkrankungen des Klägers seien rein spekulativ. Schon die Einwirkung sei nicht belegt, Prof. T habe in seinem Schreiben vom
03.07.2000 lediglich erwähnt, der Kläger habe bei Entsorgungsarbeiten "Pyridin und Piperidin" eingeatmet, Quecksilber- oder
PCB-Expositionen würden nicht genannt. Auch das Auftreten der Beschwerden sei nicht mehr überprüfbar, sie seien keinesfalls
beweisend für eine Quecksilberintoxikation. Insbesondere fehlten aus der näheren Zeit (1-2 Jahre) nach der Kühlschrankräumung
fachärztliche Diagnosen im Sinne einer akuten Quecksilberintoxikation. Tätigkeitsnahe Biomonitoring-Ergebnisse, z.B. im Rahmen
einer arbeitsmedizinischen Vorsorge, fehlten. Für die von Dr. F durchgeführte Quecksilberbestimmung nach medikamentöser Vorbehandlung
gebe es keine allgemein gültigen Grenzwerte. Die aktuelle umweltmedizinische Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Arbeitsmedizin
und Umweltmedizin (DGAUM) zu Quecksilber weise ausdrücklich darauf hin, dass solche Vorbehandlungen für diagnostische Zwecke
nicht geeignet seien. Das expositionsunabhängige langjährige Fortschreiten der geklagten Symptome spreche ebenfalls gegen
die Verursachung durch Einwirkungen während der Tätigkeit beim MPI. Fachärztlicherseits sei weder von neurologischer, nephrologischer,
dermatologischer, arbeitsmedizinischer, psychiatrischer, zahnärztlicher noch von opthalmologischer Seite die Diagnose einer
Quecksilberintoxikation gestellt worden. Dr. F erwähne in seinem Gutachten zahlreiche Berichte nicht, die normale Befunde
erbracht hätten. Zur differentialdiagnostischen Abklärung unklarer Krankheitsbilder seien diese Befunde aber von hoher Bedeutung.
Die klinische Manifestation der bei der sog. "Ausleitungstherapie" bemerkten Symptome werde ohne eine fundierte differentialdiagnostische
Abklärung auf die vermutete Einwirkung zurückgeführt. Die Bewertung von sog. Ausleitungstherapien sei kritisch zu betrachten,
da allein durch die applizierten Präparate häufig Nebenwirkungen zu erwarten seien. Haaranalysen seien wegen mangelhafter
Methodik und Interpretierbarkeit nach der aktuellen Leitlinie der DGAUM nicht geeignet, die Quecksilberbelastung zu objektivieren.
Auffällig sei schließlich, dass zum Hauptzielorgan einer tatsächlichen Quecksilberintoxikation, dem Nervensystem, von den
diesbezüglich vom Kläger hinzugezogenen Fachärzten nicht einmal die Verdachtsdiagnose einer Intoxikation gestellt worden sei.
Der Kläger hält die Ausführungen von Dr. F für zutreffend und verweist auf die Besonderheiten der völlig neuen Quecksilberverbindungen,
mit denen er am MPI in Kontakt gekommen sei und deren Existenz durch die Dissertation des H T, welcher den ausgeräumten Kühlschrank
vor ihm benutzt habe, belegt seien, wodurch sein Fall medizinisch äußerst komplex sei.
Der Senat hat Befundberichte der den Kläger behandelnden Ärzte sowie ein Vorerkrankungsverzeichnis der Krankenkassen des Klägers,
Continentale und TKK, beigezogen und sodann ein arbeitsmedizinisches Gutachten nach Aktenlage von Prof. Dr. S eingeholt. Ein
Befangenheitsgesuch des Klägers gegen den Sachverständigen ist mit Senatsbeschluss vom 17.12.2014 zurückgewiesen worden.
Prof. Dr. S hat in seinem Gutachten vom 19.09.2015 die Diagnosen
1. Verdacht auf Behcet-Syndrom2. Verdacht auf sekundäres Sjörgen-Syndrom3. Atopische Diathese4. Rezidivierende Schmerz- und
Schwindelzustände unklarer Genese5. Rezidivierende Hochdruckkrisen unklarer Genese6. Typ-C-Gastroduodenitis7. Rezidivierende
abdominelle Schmerzen unklarer Genese8. Aneurysma des Truncus coeliacus9. Mikrohämaturie10. Nitritausscheidung im Urin ohne
Bakteriurie11. Nächtliche Atemwegsbeschwerden unklarer Genese
gestellt. Hinsichtlich der streitgegenständlichen BK 1102 hat Prof. Dr. S ausgeführt, dass eine über die Belastung der Allgemeinbevölkerung
hinausgehende Quecksilberbelastung nicht bewiesen sei. Die zwischen den Ausleitungsphasen gemessenen Quecksilberkonzentrationen
zeigten Normalwerte, die Frage, ob sich Quecksilbermobilisation durch DMPS, DMSA oder andere schwefelhaltige Verbindungen
als diagnostischer Test für den Nachweis einer Quecksilberbelastung eigne, werde kontrovers diskutiert. Es gebe keine verlässlichen
Referenzwerte für die Quecksilberkonzentration im Urin nach Applikation ausleitender Präparate. Bei einer Halbwertszeit des
Quecksilbers zwischen 40 Tagen und 18 Jahren sei es ohne weitere Belege Spekulation, den Zeitpunkt einer vermuteten Intoxikation
auf zwei zehn Jahre zurückliegende Tage festzulegen. Bei der von Prof. N vermuteten Intoxikation durch organisches Quecksilber
hätten zentralnervöse Symptome sowohl initial als auch im weiteren Verlauf dominieren müssen, was indes nicht der Fall sei.
Des Weiteren seien die bei dem Kläger vorliegenden Symptome und Befunde, vor allem die urogenitalen Ulzera und die Sicca-Symptomatik
bisher bei Quecksilberexponierten nicht beobachtet worden. Verschiedene andere Symptome und Befunde wie die Hautbefunde, Blutdruckkrisen,
Mattigkeit, die vermutete verstärkte NO-Bildung und die variierenden COX-2-Werte ließen sich auch ohne Quecksilberintoxikation
hinreichend erklären. Hinsichtlich der BK 1302 hat der Sachverständige darauf hingewiesen, dass die im Mai 2013 bei dem Kläger
bestimmten Konzentrationen der halogenierten Biphenyle im Bereich der Hintergrundbelastung gelegen hätten. Die meist toxischen
Wirkungen der PCB, darunter die Veränderungen der Maibomschen Drüsen und die immunotoxischen Effekte würden durch höherchlorierte
PCB-Kongenere verursacht, deren Halbwertszeiten überwiegend sehr lang seien. Daher habe deren Konzentration zum Zeitpunkt
der Entsorgungsaktion unwesentlich über den im Mai 2013 gemessenen Werten gelegen. Die beklagten Gesundheitsstörungen ließen
sich nicht auf eine frühere Exposition gegenüber PCB zurückführen. Auch das Vorliegen der - nicht streitgegenständlichen -
BKen nach Ziffern 1105, 1109, 1301, 1303, 1304, 1306, 1310, 1316, 1317, 1319
BKV verneint er. Auch lasse sich nicht belegen, dass der Kläger bei seiner Arbeit der Einwirkung einer Chemikalie ausgesetzt
gewesen sei, die nach neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen seine Gesundheitsstörung verursacht habe. In der Literatur fänden
sich Beispiele für die Induktion von Autoimmunkrankheiten durch Metalle und Organika. Unter der Voraussetzung, dass bei dem
Kläger tatsächlich eine Autoimmunkrankheit vorliege, sei die Möglichkeit einer Induktion durch einen von dem Kläger bei seiner
Arbeit am MPI verwendeten Stoff prinzipiell gegeben gewesen. Dagegen spreche jedoch, dass für die bei dem Kläger vorliegenden
Gesundheitsstörungen solche Zusammenhänge nicht belegt seien. Auch sei nicht nachgewiesen, dass er Stoffen, die eine Autoimmunkrankheit
induzieren könnten, im erforderlichen Umfang exponiert gewesen sei. Zudem sei nach Aktenlage nicht eindeutig klar, dass die
Gesundheitsstörungen erst nach Aufnahme der Tätigkeit am MPI ihren Anfang gefunden hätten.
Der Kläger hat die Ausführungen von Prof. Dr. S für unzutreffend gehalten und eine Stellungnahme von Prof. Dr. N vorgelegt.
Prof. N hat von einer am 07.05.2015 durchgeführten Analytik zur Quecksilberfreisetzung aus dem "in der Folge des Chemieunfalls
03.07.2000 bei Ihnen [dem Kläger] aufgetretenen und seither persistenten schmerzhaften Erythem am linken Unterschenkel" berichtet.
Die Messergebnisse belegten, dass das nach lokaler Kontamination mit den im Kühlschrank des MPI aufbewahrten Chemikalien aufgetretene
und seither persistierende Erythem am linken Unterschenkel durch hochstabile Quecksilber-Organo-Verbindungen verursacht worden
sei und diese als hochlipophile Substanzen über viele Jahre im Subkutangewebe als lipophilem Gewebskompartiment gespeichert
gewesen seien bis sie unter der Anregungsenergie des Infrarotlichts bei der Infrarotlicht-Mobilisation chemisch destabilisiert,
das Quecksilber aus diesen Komplexen freigesetzt und bei der Schweißbildung über die Haut eliminiert worden sei. Zeitlich
kongruent zu der Quecksilberausleitung seien bei dem Kläger im Einzelnen beschriebene, schwere Krankheitssymptome aufgetreten.
Durch den Nachweis der direkten Beziehung zwischen toxischer Quecksilberkonzentration und -menge, wie diese unmöglich einer
im Alltagsleben möglichen Kontamination zugeschrieben werden könne, und klinischer Manifestation der Intoxikation hier am
Beispiel des seit der Entsorgungsaktion aktiven Erythems am linken Unterschenkel müssten ebenso die weiteren bei dem Kläger
vorliegenden Krankheitsmanifestationen dem Intoxikationsgeschehen mit Orga-no-Quecksilberverbindungen zugeschrieben werden.
Außerdem bestehe eine lückenlose Übereinstimmung der bei dem Kläger festgestellten klinischen Beschwerden und Befunde mit
der im Schrifttum veröffentlichten Liste von Berichten von Intoxikationsfällen mit Quecksilber.
Der Senat hat eine ergänzende Stellungnahme von Prof. Dr. S vom 17.06.2016 eingeholt, welcher sich den Ausführungen von Prof.
Dr. N nicht angeschlossen hat. Die von Prof. Dr. N vorgelegten Befunde und die beschriebenen Symptome belegten nicht, dass
sie Folge einer Quecksilberintoxikation während einer vor 15 Jahren durchgeführten Entsorgung von Chemikalien aus einem Kühlschrank
am MPI seien. In vieler Hinsicht seien die Befunde im Hinblick auf die zuvor im Verfahren erhobenen Messdaten nicht plausibel.
Bereits eine lokale Kontamination des linken Unterschenkels sei in keiner der früheren in den Akten vorliegenden Beschreibungen
der Entsorgungsaktion erwähnt worden. Hinweise auf ein Erythem fänden sich erstmals ab Juli 2006, in vorherigen Arztberichten
finde sich kein entsprechender Hinweis, in einem Bericht des Dr. T3 von 2002 sogar der Hinweis auf einen unauffälligen Hautbefund.
Ferner sei eine 15 Jahre nach der postulierten Kontamination eines lokalen Hautareals gemessene Quecksilberkonzentration,
die mehr als 21.000-fach über einer fünf Jahre zuvor im Blut gemessenen Quecksilberkonzentration liege, nicht plausibel. Organische
Quecksilberverbindungen besäßen eine hohe Mobilität im Organismus. Selbst wenn Spritzer einer in einem lipophilen Lösungsmittel
gelösten organischen Quecksilberverbindung die Haut am linken Unterschenkel kontaminiert hätten und diese Verbindung rasch
über die Haut resorbiert worden wäre, hätte sie sich unmittelbar weiter im Organismus verteilt. Die von Prof. Dr. N gemessene
Quecksilberkonzentration im Urin sei unter Berücksichtigung der im Jahr 2010 gemessenen Quecksilberkonzentration ebenfalls
nicht plausibel. Der beschriebene Symptomkomplex aufgrund einer akuten lokalen Freisetzung von Quecksilber aus der Haut in
den systemischen Kreislauf sei ihm aus der Literatur nicht bekannt. Auffallend sei, dass ein entsprechender Symptomkomplex
unmittelbar nach der Entsorgungsaktion und in den ersten Jahren danach nicht aufgetreten sei. Es sei auch nicht plausibel,
dass fünf Jahre nach einer im Blut gemessenen unauffälligen Quecksilberkonzentration nun im Augensekret gegenüber der damaligen
Konzentration eine über 197-fache Anreicherung von Quecksilber erfolgt sein solle. Dass 24 Stunden nach dem Auftragen einer
DMSA-Lösung (Schwefel, der Schwermetalle bindet) auf das Erythem zwar eine über der Hintergrundbelastung liegende, jedoch
geringe Konzentration von Quecksilber im Urin bestimmt worden sei, zeige lediglich, dass ein gewisser DMSA-Anteil perkutan
resorbiert worden sei und mit seiner komplexierenden Aktivität Quecksilber, das in jedem Organismus vorhanden sei, gebunden
und renal eliminiert habe.
Der Kläger hat eingewandt, die Ausführungen von Prof. Dr. S entsprächen nicht dem aktuellen Stand der Wissenschaft. Er hat
vorgetragen, seine Eltern und seine Tante könnten die Existenz einer Rötung an seinem linken Unterschenkel seit dem Unfalltag
bezeugen. Er hat ferner einen Befundbericht des Internisten und Allgemeinmediziners Dr. N3 vom 07.09.2016 zu den Akten gereicht,
in welchem dieser u.a. über eine Wiederholung eines Mobilisationsversuchs des Quecksilbers durch IR-Bestrahlung vom 25.04.2016
berichtet. Der Kläger hat sich ferner auf Stellungnahmen des Prof. Dr. N vom 05.09.2016 und 13.09.2016 bezogen, welche dieser
dem Gericht unmittelbar übersandt hat. Prof. Dr. N hat Kritik an den gutachtlichen Äußerungen von Prof. Dr. S geäußert und
meint, die bei dem Kläger erhobenen Befunde könnten nur aus der bei dem "Chemieunfall im Jahr 2000 erlittenen Intoxikation"
erklärt werden. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Ausführungen von Prof. Dr. N nebst Anlagen, Bl. 950 ff. der Gerichtsakte,
Bezug genommen.
Im Berufungsverfahren hat der Vorsitzende des erkennenden Senats einen Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 14.09.2016
bestimmt. Die Ladung ist dem Kläger am 09.08.2016 zugegangen. Der Kläger hat am 24.08.2016 unter Verweis auf seinen Gesundheitszustand
und eine fehlende anwaltliche Vertretung nach Mandatsniederlegung seiner Bevollmächtigten am 18.07.2016 eine Verlegung des
Termins zu mündlichen Verhandlung um mindestens sechs Monate beantragt. Dies hat der Vorsitzende mit Schreiben vom 24.08.2016
abgelehnt und gleichzeitig die Anordnung des persönlichen Erscheinens des Klägers aufgehoben. Am 08.09.2016 hat der Kläger
unter Vorlage eines ärztlichen Attestes des Dr. N3 vom 07.09.2016 erneut beantragt, den Termin zur mündlichen Verhandlung
aufzuheben und zugleich einen Befangenheitsantrag gegen den Vorsitzenden des Senats und "das Gericht im allgemeinen" gestellt.
Nachdem die Befangenheitsanträge durch Beschluss des Senats vom 12.09.2016 zurückgewiesen worden sind, hat der Vorsitzende
des Senats am selben Tag über den Verlegungsantrag entschieden und den Beteiligten mitgeteilt, dass der geladene Termin bestehen
bleibt. Mit Urteil des Senats vom 14.09.2016 hat der Senat die Berufung zurückgewiesen. Auf die Nichtzulassungsbeschwerde
des Klägers hat das Bundessozialgericht (BSG) mit Beschluss vom 27.06.2017 das Senatsurteil vom 14.09.2016 aufgehoben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und
Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen. Die Entscheidung beruhe auf einem Verfahrensmangel iS des §
160 Abs.
2 Nr.
3 SGG, weil der am 08.09.2016 vom Kläger gestellte (zweite) Aufhebungs- und Verlegungsantrag nicht vom insoweit allein zuständigen
Vorsitzenden beschieden worden sei.
Der Kläger hat im Weiteren seine Auffassung bekräftigt, dass das Gutachten des Prof. Dr. S unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten
nicht haltbar sei und erneut das Schreiben des zwischenzeitlich verstorbenen Prof. Dr. N vom 23.03.2016 vorgelegt, um zu belegen,
dass dieser bei einer Untersuchung des Klägers eine extrem hohe Quecksilberkonzentration festgestellt habe.
Mit dem Kläger am 07.09.2017 zugegangener Ladung ist der Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 06.12.2017 bestimmt worden.
Auf den Akteneinsichtsantrag des Klägerbevollmächtigten vom 08.09.2017 sind diesem die Streitakten mit Verfügung vom 11.09.2017,
bei Klägerbevollmächtigten eingegangen am 19.09.2017, übersandt worden. Mit Schriftsatz vom 10.11.2017 hat der Klägerbevollmächtigte
Beweisanträge im Sinne der gestellten Hilfsanträge angekündigt.
Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung vom 06.12.2017 zunächst zur Sache verhandelt und sodann einen Befangenheitsantrag
gegen den Vorsitzenden Richter am Landessozialgericht X gestellt. Der Vorsitzende hat unter Verweis auf §§
60 Abs.
1 Sozialgerichtsgesetz (
SGG), 47 Abs.
2 Zivilprozessordnung (
ZPO) das Verfahren zunächst fortgesetzt und die Anträge der Beteiligten zu Protokoll genommen. Nach geheimer Beratung am Ende
der Sitzung ist durch Beschluss der Verkündungstermin am 20.12.2017 verkündet worden. Das Befangenheitsgesuch ist durch Senatsbeschluss
vom 13.12.2017 zurückgewiesen worden. Das Urteil ist von dem Vorsitzenden in dem Verkündungstermin am 20.12.2017, über den
die Beteiligten informiert waren, verkündet worden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes nimmt der Senat auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen
Verwaltungsakte der Beklagten Bezug. Diese Akten haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Aufgrund des fehlenden Nachweises beruflich relevanter Einwirkungen kann der Senat offen lassen, ob der Kläger an Erkrankungen
leidet, die durch Quecksilber hervorgerufen werden können.
Hinsichtlich der vom Kläger ebenfalls geltend gemachten BK 1302 (Erkrankungen durch Halogenkohlenwasserstoffe) ist eine durch
Halogenkohlenwasserstoffe induzierte Erkrankung nicht nachgewiesen. Insoweit hat der Sachverständige Dr. F lediglich den Verdacht
einer Intoxikation mit Halogenkohlenwasserstoff geäußert, ohne diesen über die bloße Möglichkeit hinaus belegen zu können.
Nach den Ausführungen Prof. Dr. S, der dem Senat als erfahrener und kompetent urteilender Sachverständiger aus einer Vielzahl
von Verfahren bekannt ist und dem der Senat folgt, lassen sich die beklagten Gesundheitsstörungen auch gar nicht auf eine
frühere Exposition gegenüber PCB zurückführen. Die im Mai 2013 bei dem Kläger bestimmten Konzentrationen der halogenierten
Biphenyle lagen danach im Bereich der Belastung der Allgemeinbevölkerung, eine erhöhte Belastung konnte nicht verifiziert
werden. Nach den Ausführungen Prof. Dr. S werden die toxischen Wirkungen der PCB, darunter die Veränderungen der Maibomschen
Drüsen und die immunotoxischen Effekte, durch höherchlorierte PCB-Kongenere verursacht, deren Halbwertszeiten überwiegend
sehr lang sind. Deren Konzentration zum Zeitpunkt der beruflichen Tätigkeit des Klägers am MPI kann deshalb nur unwesentlich
über den im Mai 2013 gemessenen Werten gelegen haben. Die Erkrankung des Klägers, insbesondere die von ihm berichtete Bildung
von hartwachsigen Augensekreten, lässt sich demnach nicht auf eine frühere Exposition mit PCB zurückführen.