Erstattung von Arbeitgeber-Sozialversicherungsbeiträgen
Beitragszahlung ohne Rechtsgrund
Nachträgliche Änderung der Tatsachen- oder Rechtslage
Rückwirkende Veränderung der Beitragslast
Tatbestand
Streitig ist die Erstattung von (Arbeitgeber-)Sozialversicherungsbeiträgen.
Der klagende Verein (fortan: der Kläger) ist durch Bescheid des Finanzamtes C-Innenstadt nach § 5 Abs 1 Nr 9 Körperschaftssteuergesetz
von der Körperschaftssteuer befreit, da er ausschließlich und unmittelbar steuerbegünstigten, gemeinnützigen Zwecken im Sinne
der §§ 51ff
Abgabenordnung (
AO) dient. Er ist (u.a.) Träger der Offenen Ganztagsschule (OGS) der B-schule - Gemeinschaftsgrundschule der Bundesstadt C -
und beschäftigt dort im Rahmen geringfügiger Beschäftigungsverhältnisse Ergänzungskräfte, die nebenberuflich die dortigen
Erzieher und Erzieherinnen erzieherisch, betreuend und teilweise auch unterrichtend unterstützen. Für diese geringfügig Beschäftigten
zahlt der Kläger an die Beklagte pauschale Lohnsteuer (in Höhe von 2% des Entgeltes) und Pauschalbeiträge zur Kranken- und
Rentenversicherung in Höhe von 13% (bis 30.6.2006: 10%) bzw 15% (bis 30.6.2006: 13%) des Entgelts.
In den Jahren 2006-2008 beschäftigte der Kläger die folgenden nebenberuflich erzieherisch und betreuend tätigen Ergänzungskräfte
und zahlte ihnen die angegebenen jährlichen Arbeitsentgelte (fortan: streitige Arbeitsentgelte):
Jahr 206
Beschäftigter
|
- Entgelt in EUR
|
B
|
- 1.020,00 EUR
|
B1
|
- 525,00 EUR
|
C
|
- 15,00 EUR
|
L
|
- 560,00 EUR
|
T
|
- 228,75 EUR
|
T1
|
- 1.627,50 EUR
|
Summe
|
= 3.976,25 EUR
|
Jahr 2007
Beschäftigter
|
- Entgelt in EUR
|
B
|
- 1.158,75 EUR
|
B1
|
- 630,00 EUR
|
N
|
- 453,75 EUR
|
N1
|
- 240,00 EUR
|
O
|
- 510,00 EUR
|
T
|
- 401,25 EUR
|
T1
|
- 1.456,85 EUR
|
T2
|
- 380,63 EUR
|
Summe
|
= 5.231,23 EUR
|
Jahr 2008
Beschäftigter
|
- Entgelt in EUR
|
B
|
- 941,25 EUR
|
B1
|
- 318,75 EUR
|
I
|
- 941,24 EUR
|
N
|
- 3.563,74 EUR
|
O
|
- 2.255,62 EUR
|
S
|
- 241,88 EUR
|
T
|
- 922,49 EUR
|
T1
|
- 670,00 EUR
|
Summe
|
= 9.854,97 EUR
|
Gesamtsumme
|
= 19.062,45 EUR
|
Für 2006 entfielen auf die erste Jahreshälfte EUR 2.110,01, auf die zweite Jahreshälfte EUR 1.866,24 des Entgelts. Der Kläger
entrichtete auf die streitigen Arbeitsentgelte pauschale Steuern und Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von 25% (bis 30.6.2006)
bzw 30%, ohne eine (teilweise) Steuerfreiheit nach §
3 Nr 26 Einkommenssteuergesetz (
EStG) zu berücksichtigen.
Die Deutsche Rentenversicherung Bund führte in der Zeit vom 27.4. bis 9.7.2009 beim Kläger eine Prüfung nach § 28p
SGB IV durch (Zeitraum vom 1.1.2005 bis 31.12.2008) und teilte ihm mit, die stichprobenweise durchgeführte Prüfung habe keine Feststellungen
ergeben (Schreiben vom 14.7.2009).
Im Dezember 2009 bat der Kläger die Beklagte um rückwirkende Berücksichtigung der sog. "Übungsleiter-Pauschale" nach §
3 Nr 26
EStG für die letzten fünf Jahre; ein Betriebsprüfer habe darauf hingewiesen, dass diese Vorschrift anzuwenden sei (Schreiben vom
18.12.2009). Die Beklagte riet dem Kläger, sich wegen der Anwendung des §
3 Nr 26
EStG "an das zuständige Finanzamt" zu wenden. Soweit dieses zu einer Steuerfreiheit der Einnahmen gelange, komme ggf. eine Erstattung
gezahlter Beiträge, jedoch unter Beachtung der Verjährungsvorschriften sowie des Betriebsprüfbescheides vom 20.9.2005 (Prüfzeitraum
1.1.2001 bis 30.6.2005) in Betracht. Ferner sei seit Mitte 2009 eine Betriebsprüfung anberaumt bzw. laufe bereits. Der geschilderte
Sachverhalt sei im Rahmen dieser Prüfung zu beanstanden (Schreiben vom 27.1.2010).
Im November 2010 beantragte der Kläger, bei der Berechnung des beitragspflichtigen Arbeitsentgelts für die Jahre 2005-2008
§
3 Nr 26
EStG i.V.m. §
14 Sozialgesetzbuch Viertes Buch (
SGB IV) rückwirkend zu berücksichtigen.
Der ihm zu erstattende Betrag belaufe sich auf 10.071,19 EUR (Schreiben vom 10.11.2010).
Die Beklagte erwiderte, die Betriebsprüfung für die Jahre 2005 bis 2008 sei ohne Beanstandung abgeschlossen worden. Es hätten
keine Anhaltspunkte für die Anwendung des Freibetrages nach §
3 Nr 26
EStG vorgelegen. Darüber hinaus entstünden Beitragsansprüche, sobald ihre Voraussetzungen vorlägen. Das "Prinzip der vorausschauenden
Betrachtung von Sozialversicherungsverhältnissen" und der "Grundsatz, dass abgewickelte Sozialversicherungsverhältnisse nachträglich
in ihrem Bestand nicht mehr verändert werden könnten" verhinderten eine nachträgliche Minderung des ursprünglich entstandenen,
bereits fällig gewordenen Sozialversicherungsbeitrages. Die "steuerliche Rückrechnungsmöglichkeit" könne nicht auf das Recht
der Sozialversicherung übertragen werden. Mit dem Beitragsabzug sei das sozialversicherungsrechtliche Versicherungsverhältnis
für den entsprechenden Zeitraum abgewickelt. Der eventuell steuerrechtlich zulässige Wechsel habe damit sozialversicherungsrechtlich
nachträglich keine Minderung des beitragspflichtigen Arbeitsentgelts zur Folge. Eine Berücksichtigung komme nur für die Zukunft
in Betracht. Für die Vergangenheit verbleibe es bei der bisherigen Verfahrensweise (Schreiben vom 13.1.2011 ohne Rechtsbehelfsbelehrung).
Den Widerspruch des Klägers (vom 16.1.2012) wies die Beklagte zurück: Die Anspruchsvoraussetzungen des §
26 Abs
2 SGB IV seien nicht erfüllt, da die Beiträge nicht zu Unrecht entrichtet worden seien. Zur Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Beitragsentrichtung
sei auf den Zeitpunkt der Fälligkeit abzustellen. Zum Zeitpunkt der Entrichtung der Pauschalbeiträge seien die gezahlten Aufwandsentschädigungen
nach §
40a Abs
2 EStG pauschal besteuert worden und hätten daher auch der Beitragspflicht in der Sozialversicherung unterlegen. Die zum Zeitpunkt
der Fälligkeit zu Recht entrichteten Beiträge könnten somit nicht rückwirkend für zu Unrecht entrichtet erklärt werden. Bei
Anwendung des "Grundsatzes der vorausschauenden Beurteilung" führe die "rückwirkende Inanspruchnahme der Steuerfreiheit nach
§
3 Nr 26
EStG" für gezahlte Aufwandsentschädigungen nicht zu einer nachträglichen Beitragsfreiheit in der Sozialversicherung. Ferner könne
es im Sozialversicherungsrecht aus Gründen der Rechtssicherheit grundsätzlich nicht hingenommen werden, dass nach Auszahlung
des Arbeitsentgelts und dessen Nachweis gegenüber der Einzugsstelle die Bestimmung über die endgültige Höhe des Arbeitsentgelts
und damit die Höhe der Beträge von ungewissen, in der Zukunft liegenden Ereignissen abhänge. Daher dürfe in abgewickelte Vertragsverhältnisse
grundsätzlich nicht mehr rückwirkend eingegriffen werden (Widerspruchsbescheid vom 24.4.2012).
Mit seiner Klage vom 23.5.2012 hat der Kläger die Erstattung der seit dem Jahr 2006 zu hoch geleisteten pauschalen Abgaben
in Höhe von EUR 9.396,32 begehrt. Die tatbestandlichen Voraussetzungen des §
26 Abs
2 SGB IV seien erfüllt. Die gezahlten Entgelte seien gemäß §
3 Nr
26 EStG (teilweise) steuerfrei gewesen, so dass die Entgelte in diesem Umfang kein Arbeitsentgelt im Sinne von §
14 Abs
1 Satz 3
SGB IV gewesen seien. Es liege ein Rechtsanwendungsfehler (Nichtanwendung des §
3 Nr 26
EStG) vor. Dies werde nachträglich geltend gemacht. Weder sei eine Verjährung noch eine Verwirkung des Erstattungsanspruchs eingetreten.
Das SG Köln hat die Deutsche Rentenversicherung Bund zum Verfahren beigeladen (Beschluss vom 7.12.2012), die sich dem Vorbringen
der Beklagten angeschlossen hat, und den Rechtsstreit in Höhe der gezahlten Pauschalsteuer abgetrennt und an das Finanzgericht
(FG) Köln verwiesen (Beschluss vom 20.12.2012).
Im Übrigen hat das SG Köln die Klage abgewiesen: Im Zeitpunkt der Fälligkeit seien die Beiträge zu Recht entrichtet worden,
da der Kläger in diesem Zeitpunkt von der Möglichkeit Gebrauch gemacht habe, (auch) die gezahlte Aufwandsentschädigung nach
§
40a EStG pauschal zu besteuern. Damit hätten diese Entgelte zu Recht auch der Beitragspflicht in der Sozialversicherung unterlegen.
Der sodann vorgenommene Wechsel in der Beurteilung und die rückwirkende Inanspruchnahme der Steuerfreiheit nach §
3 Nr 26
EStG führten nicht zu einer nachträglichen Beitragsfreiheit in der Sozialversicherung (Urteil vom 25.9.2013, dem Kläger am 7.10.2013
zugestellt).
Gegen dieses Urteil hat der Kläger am 4.11.2013 Berufung eingelegt: Die Beiträge seien von Beginn an zu Unrecht entrichtet
worden, weil er bei der Zahlung §
14 Abs
1 Satz 3
SGB IV i.V.m. §
3 Nr
26 EStG unbewusst und irrtümlich nicht beachtet habe. Die Steuerfreiheit nach §
3 Nr 26
EStG greife zum Zahlungszeitpunkt, ohne dass eine Handlung oder Antragstellung erforderlich gewesen seien. Im Zahlungszeitpunkt
hätten die Voraussetzungen des §
3 Nr
26 EStG vorgelegen. Das Besteuerungsverfahren nach §
40a Abs
2 EStG greife entgegen der Auffassung des SG bei jeder geringfügigen Beschäftigung, bei der keine Individualbesteuerung vorgenommen werde. Durch §
3 Nr 26
EStG werde lediglich die Bemessungsgrundlage reduziert. Ein "Wechsel der Beurteilung" habe nicht stattgefunden. Er, der Kläger,
habe lediglich (verspätet) die zutreffende Rechtslage erkannt und kein rechtsgestaltendes Verhalten vorgenommen.
Der Kläger hat zunächst auch in zweiter Instanz die Erstattung entrichteter Arbeitgeberbeiträge von Höhe von EUR 9.329,32
begehrt, in der (letzten) mündlichen Verhandlung aber nur noch beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 25.9.2013 zu ändern und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 13.1.2011
in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.4.2012 zu verurteilen, ihm überzahlte Beiträge in Höhe von 4.778,64 EUR zu
erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie nimmt Bezug auf ihr erstinstanzliches Vorbringen und die Entscheidungsgründe des SG. Der Ausgang des Verfahrens vor dem FG Köln habe keine Auswirkung auf das vorliegende Verfahren. Es sei der in der Sozialversicherung
geltende Grundsatz zu beachten, wonach in abgewickelte Versicherungsverhältnisse grundsätzlich nicht mehr rückwirkend eingegriffen
werden dürfe. Seien Beiträge zum Zeitpunkt ihrer Fälligkeit zu Recht entrichtet worden, so könnten sie nicht rückwirkend für
zu Unrecht entrichtet erklärt werden:
Der Senat hat den Beschluss des SG Köln über die Beiladung der Deutschen Rentenversicherung Bund aufgehoben (Beschluss vom
7.3.2014).
Das FG Köln hat die Beklagte - als zuständige Finanzbehörde (§
6 Abs
2 Nr
8 AO) - verpflichtet, die Bescheide über die pauschale Lohnsteuer gemäß §
40a EStG für die Jahre 2005 bis 2008 zu ändern und die festgesetzte Lohnsteuer für die oben näher bezeichneten Beschäftigten bis zum
in §
3 Nr 26
EStG geregelten Höchstbetrag von EUR 1.848 (bis 30.6.2006) bzw. EUR 2.100 um jeweils 2% zu reduzieren. Die in Streit stehenden
Arbeitsentgelte seien nach §
3 Nr
26 EStG steuerfreie Einnahmen. Sie zählten gemäß §
14 Abs.
1 Satz 3
SGB IV nicht zum Arbeitsentgelt iS des §
14 Abs.
1 Satz 1
SGB IV, das Bemessungsgrundlage der pauschalen Lohnsteuer gemäß §
40a Abs
2 EStG sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des übrigen Vorbringens der Beteiligten wird auf den weiteren Inhalt
der Gerichts-, Verwaltungs- und der beigezogenen Gerichtsakte des FG Köln (Aktenzeichen (Az) 6 K 116/13) Bezug genommen, die sämtlich Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe
A. Die Berufung ist - soweit der Senat über sie noch zu entscheiden hat - begründet. Entgegen der Auffassung des SG hat der Kläger gegen die Beklagte einen Erstattungsanspruch in Höhe von EUR 4.778,64.
I. Gegenstand des Berufungsverfahrens ist ausweislich des in der (letzten) mündlichen Verhandlung gestellten Sachantrags nur
noch ein Anspruch des Klägers auf Erstattung überzahlter (Arbeitgeber-)Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von EUR 4.778,64.
Soweit der Kläger darüber hinaus zunächst einen Anspruch auf Erstattung weiterer EUR 4.550,68 geltend gemacht hatte, hat er
die Berufung durch die Beschränkung des Sachantrags teilweise (konkludent) zurückgenommen. Damit ist das angefochtene Urteil
insoweit rechtskräftig geworden und der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt.
II. Die (Rest-)Klage ist zulässig und begründet.
1. Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage statthaft, §
54 Abs
4 SGG. Es kann dahin stehen, ob der Kläger gegen die im Schreiben der Beklagten vom 13.1.2011 zum streitigen Erstattungsanspruch
getroffene Regelung fristgerecht Widerspruch eingelegt hat. Die Beklagte hat eine etwaige Fristversäumnis geheilt, indem sie
- zulässigerweise - den mit dem Widerspruch weiter verfolgten Erstattungsanspruch materiell geprüft und damit der materiellen
Gerechtigkeit den Vorrang eingeräumt hat. Daran ist das Gericht gebunden (BSG SozR 1500 §
84 Nr 3; Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer.
SGG. 11. Aufl. 2014, §
84 Rdnr 7 mwN; Erkelenz in: Jansen. Kommentar zum
SGG. 4. Aufl. 2012, §
84 Rdnr 6).
Eine Beiladung Dritter (Fremdversicherungsträger; Beschäftigter) ist nicht notwendig, §
75 Abs
2 SGG. Dies beruht darauf, dass solche Dritte an dem streitigen Rechtsverhältnis nicht in dem Sinne beteiligt sind, dass die Entscheidung
auch Ihnen gegenüber nur einheitlich ergehen kann. Die Beschäftigten des Klägers, für die die streitigen Arbeitgeberbeiträge
entrichtet worden sind, sind nicht selbst Versicherte, die aus den Beiträgen unmittelbar Ansprüche erwerben, sondern nach
§§
7 Abs
1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (
SGB V) bzw 5 Abs
2 Satz 1 Nr 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (
SGB VI) in der bis zum 31.12.2012 geltenden Fassung versicherungsfrei. Daraus folgt, dass kein Mitgliedschaftsverhältnis gegenüber
Fremdversicherern besteht. Die Beklagte verteilt die vereinnahmten Arbeitgeberbeiträge vielmehr nach dem gesetzlich vorgegebenen
Schlüssel, § 28k
SGB IV.
2. Die (Rest-)Klage ist begründet. Entgegen der Auffassung des SG ist der Kläger durch den Bescheid vom 13.1.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.4.2012 (§
95 Sozialgerichtsgesetz (
SGG)) beschwert, weil dieser Bescheid rechtswidrig ist, soweit die Beklagte darin die Erstattung überzahlter Arbeitgeberbeiträge
in Höhe von EUR 4.778,64 ablehnt, §
54 Abs
2 S 1
SGG. Der Anspruch des Klägers auf Erstattung zu Unrecht entrichteter Beiträge in Höhe von EUR 4.778,64 folgt aus §
26 Abs
2 i.V.m. Abs
3 S 1
SGB IV.
Nach §
26 Abs
2 1. Halbsatz, Abs
3 Satz 1
SGB IV sind zu Unrecht entrichtete Beiträge demjenigen zu erstatten, der die Beiträge getragen hat. Aktivlegitimiert ist danach
hier (ausschließlich) der Kläger.
Zu Unrecht entrichtet sind Beiträge, wenn und soweit sie zum Zeitpunkt der Beitragsentrichtung (vgl. zu diesem maßgeblichen
Zeitpunkt: Bundessozialgericht ( BSG), Urt vom 25.1.1995, Az 12 RK 51/93 = SozR 3-2400 § 26 Nr 6; BSG, Urt vom 30.6.1997, Az 8 RKn 3/96 = SozR 3-2400 §
26 Nr 8; KomGRV Stand Oktober 2015. §
26 SGB I Rdnr 4, 4.1) ohne Rechtsgrund gezahlt wurden. Ohne Rechtsgrund sind Beiträge gezahlt, wenn für die Zahlung weder ein formaler
noch ein materieller Rechtsgrund bestand. So liegt der Fall hier.
Ein formeller Rechtsgrund für die Beitragszahlung fehlt. Ein solcher liegt vor, wenn der Beitragszahlung ein (bestandskräftiger)
Verwaltungsakt des Sozialversicherungsträgers zugrunde liegt. Die Beklagte hat einen Beitragsbescheid über die Höhe der vom
Kläger 2006-2008 zu zahlenden Beiträge indes nicht erlassen.
Der Kläger war auch materiell-rechtlich nicht verpflichtet, für die Jahre 2006-2008 Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von
EUR 4.778,64 zu entrichten. Soweit der Kläger in dieser Höhe für die Jahre 2006-2008 pauschale Sozialversicherungsbeiträge
von 28% (bis 30.6.2006: 23%) der streitigen Arbeitsentgelte an die Beklagte als Einzugsstelle (§ 28i Satz 5
SGB IV) entrichtet hat, schuldete er diese Beiträge bereits im Zeitpunkt der Entrichtung nicht, da es sich bei dem zugrunde gelegten
Entgelt nicht um (beitragspflichtiges) Arbeitsentgelt handelt.
Der Begriff des Arbeitsentgelts ist geregelt in §
14 SGB IV (i.d. hier maßgeblichen, bis zum 21.4.2015 gültigen Fassung, fortan: aF). Nach §
14 Abs
1 Satz 1
SGB IV aF sind Arbeitsentgelt alle laufenden oder einmaligen Einnahmen aus einer Beschäftigung, gleichgültig, ob ein Rechtsanspruch
auf die Einnahmen besteht, unter welcher Bezeichnung oder in welcher Form sie geleistet werden und ob sie unmittelbar aus
der Beschäftigung oder im Zusammenhang mit ihr erzielt werden. Kraft gesetzlicher Fiktion gelten steuerfreie Aufwandsentschädigungen
und die in §
3 Nrn 26 und 26a
EStG genannten steuerfreien Einnahmen nicht als Arbeitsentgelt, §
14 Abs
1 Satz 3
SGB IV aF.
Bei den streitigen, vom Kläger 2006 - 2008 der Beitragsbemessung zugrunde gelegten Entgelten handelt es sich um steuerfreie
Einnahmen nach §
3 Nr 26
EStG. Nach dieser Vorschrift sind steuerfrei u.a. Einnahmen aus nebenberuflichen Tätigkeiten als Übungsleiter, Ausbilder, Erzieher,
Betreuer oder vergleichbaren nebenberuflichen Tätigkeiten [ ...] im Dienst oder im Auftrag einer unter § 5 Abs 1 Nr 9 KStG fallenden Einrichtung zur Förderung gemeinnütziger, mildtätiger und kirchlicher Zwecke (§§
52 bis
54 Abgabenordnung) bis zur Höhe von jährlich EUR 1.848 (bis 2006; §
3 EStG in der Fassung vom 22.12.2005) bzw. EUR 2.100 (von 2007 bis 2012; §
3 EStG in der Fassung vom 10.10.2007). Sind diese Kriterien erfüllt, handelt es sich kraft Gesetzes um steuerfreie Einnahmen. Eines
rechtsgestaltenden Aktes (Antragstellung; ausdrückliche Geltendmachung des Arbeitgebers oder des Arbeitnehmers) bedarf es
nicht. Die Beitragspflicht entfällt (oder reduziert sich) kraft Gesetzes. Der Kläger hat deshalb nicht - wie die Beklagte
und das SG meinen - "einen Wechsel in der Beurteilung vorgenommen und die rückwirkende Steuerfreiheit nach §
3 Nr 26
EStG in Anspruch genommen". Die Steuerfreiheit dieser Einnahmen braucht nicht "in Anspruch genommen" zu werden; entweder sie besteht
oder sie besteht nicht. Der Kläger hat lediglich die Berücksichtigung geltenden Rechts bei der Beitragsbemessung begehrt.
Soweit das SG darauf abstellt, der Kläger habe zum Zeitpunkt der Entrichtung der Pauschalbeiträge von der Möglichkeit Gebrauch gemacht,
die gezahlte Aufwandsentschädigung nach §
40a Abs
2 EStG pauschal zu besteuern, hat dies keine Auswirkungen auf Beitragspflicht oder -höhe, sondern lediglich auf die Art der Abführung
und die Höhe der zu entrichtenden Lohnsteuer. Macht der Steuerschuldner von dieser Möglichkeit Gebrauch, so hat er (lediglich)
eine einheitliche Pauschsteuer mit einem Pauschsteuersatz von 2% zu erheben und abzuführen. Die Frage, wie hoch das zu versteuernde
Einkommen (also auch, ob steuerfreie Einnahmen nach §
3 EStG vorliegen) ist, ist vorab zu klären und besteht unabhängig von der Steuererhebung und dem Steuersatz.
Zwischen den Beteiligten steht aufgrund des rechtskräftigen Urteils des FG Köln vom 26.02.2015 fest, in welcher Höhe die streitigen
Arbeitsentgelte der Regelung des §
3 Nr
26 EStG unterfallen und damit steuerfrei und gleichzeitig beitragsfrei sind, §
14 Abs
1 Satz 3
SGB IV aF. Zwar ist Gegenstand der materiellen Rechtskraft grundsätzlich nur die Urteilsformel; die sie tragenden Erwägungen (der
Sachverhalt und dessen rechtliche Bewertung) nehmen jedoch an der Rechtskraftwirkung teil. Jedenfalls kommt die der Rechtskraft
innewohnende Präklusionswirkung zum Tragen, die besagt, dass die Beklagte mit allem tatsächlichen Vorbringen ausgeschlossen
ist, das in Widerspruch zu dem rechtskräftigen Urteil steht (Keller in: Meyer-Ladewig/Keller /Leitherer. AaO, § 141 Rdnrn
6c, 7 mwN). Vor diesem Hintergrund kann dahin stehen, ob und in welchem Umfang Sozialleistungsträger (und die Gerichte der
Sozialgerichtsbarkeit) eine eigene Prüfung steuerrechtlicher Fragen auch dann vornehmen, wenn die zuständige Finanzbehörde
(oder ein Finanzgericht) bereits bestandskräftig (rechtskräftig) entschieden hat (vgl dazu Werner in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-
SGB IV, 3. Aufl. 2016, §
14 SGB IV, Rdnrn 297ff mwN). Denn eine Bindungswirkung (mindestens aber eine Tatbestandswirkung, vgl Werner. AaO, Rdnr 297 aE) besteht
jedenfalls dann, wenn die zuständige Einzugsstelle - wie hier - gleichzeitig zuständige Finanzbehörde ist.
Diesem Ergebnis steht kein "das Sozialversicherungsrecht prägender Grundsatz der Unveränderlichkeit eines abgewickelten Versicherungsverhältnisses"
entgegen. Dabei kann dahinstehen, ob das geltende Recht einen solchen Topos überhaupt kennt. Aus dem Gesetz ergibt er sich
jedenfalls (unmittelbar) nicht. Soweit die Beklagte und das SG ihn aus der höchstrichterlichen Rechtsprechung herleiten wollen, bliebe die genaue Reichweite eines solchen Rechtsgrundsatzes
zu bestimmen. Dies ist hier jedoch nicht erforderlich. Denn die der höchstrichterlichen Rechtsprechung zugrunde liegenden
Fallgestaltungen unterscheiden sich wesentlich von der vorliegenden. Im Gegenteil steht mit dieser höchstrichterlichen Rechtsprechung
in Einklang, dass Beiträge zu Unrecht entrichtet werden, wenn eine Beitragsschuld objektiv nicht besteht, (zB) weil §
14 Abs
1 Satz 3
SGB IV aF nicht beachtet wird (so im Ergebnis auch: LSG Rheinland-Pfalz, Urt v 27.9.2010, Az L 4 R 437/10 und Urt vom 13.11.2013, Az L 4 R 28/12, letzteres allerdings aufgehoben und zurückverwiesen durch BSG, Urt v 16.12.2015, Az B 12 R 11/14 R, das diese Frage - noch - offengelassen hat).
Die höchstrichterliche Rechtsprechung besagt, dass Beitragserstattungen grundsätzlich nicht (mehr) verlangt werden können,
wenn sich die Tatsachen- oder Rechtslage nachträglich - auch rückwirkend - ändert; dann nämlich sind die Beiträge ursprünglich
zu Recht entrichtet worden (BSG, Urt vom 25.01.1995, Az 12 RK 51/93 = BSGE 75, 298, 301 = SozR 3-2400 § 26 Nr. 6; BSG, Urt vom 30.11.1978, Az 12 RK 26/78 = SozR 2200 § 160 Nr 7). Aus Gründen der Rechtssicherheit kann danach im Sozialversicherungsrecht grundsätzlich nicht hingenommen werden, dass
nach Auszahlung des Arbeitsentgelts und dessen Nachweis gegenüber der Einzugsstelle die Bestimmung über die endgültige Höhe
des Arbeitsentgelts und damit die Höhe der Beiträge von ungewissen, in der Zukunft liegenden Ereignissen abhängt. In der Sozialversicherung
müssen die Versicherungsträger anhand von gemeldetem und gezahltem Arbeitsentgelt das versicherte Risiko zum Zeitpunkt der
Beschäftigung bestimmen können.
Eine rückwirkende Veränderung der Beitragslast kommt nach der Rechtsprechung des BSG allerdings in Betracht, wenn damit einer von Anfang an bestehenden, aber erst nachträglich erkannten Beitragspflicht oder
Beitragsfreiheit Geltung verschafft wird (BSG, Urt vom 12.12.1990, Az 12 RK 35/89 = BSGE 68, 82 = SozR 3-2200 § 381 Nr. 1; BSG, Urt vom 17.12.1996, Az 12 RK 45/95 = BSGE 79, 302 = SozR 3-2500 § 251 Nr. 1 = SozR 3-2500 § 192 Nr 5). Danach löst (allein) der Zufluss des Arbeitsentgelts ausnahmsweise keinen
Beitragsanspruch aus, soweit es sich um eine irrtümliche Zahlung handelt, zB auf Grund eines Bankirrtums oder eines Arbeitgeberversehens
(vgl. BSG, Urt vom 07.02.2002, Az B 12 KR 13/01 R = SozR 3-2400 § 14 Nr. 24; BSG, Urt vom 16.12.2015, Az B 12 R 1/14 R, s. Terminbericht vom 16.12.2015).
Um einen solchen Ausnahmefall handelt es sich hier. Anders als in dem Urteil des BSG vom 30.11.1978 (Az 12 RK 26/78 = SozR 2200 § 160 Nr 7), auf das sich die Beklagte beruft, waren die streitigen Beiträge nicht zunächst rechtmäßig gezahlt und erst im Nachhinein
beitragsfrei gestellt worden. Tatsächlich sind die streitigen Arbeitsentgelte bereits nach dem im Zeitpunkt der Zahlung geltenden
Recht von Anfang an (teilweise) beitragsfrei gewesen. Bereits zum Zeitpunkt der Beitragsentrichtung lagen objektiv alle für
die Bestimmung der Beitragsschuld erheblichen Tatsachen vor. Bereits zum Zeitpunkt der Beschäftigung und Zahlung der streitigen
Arbeitsentgelte konnte die zutreffende Beitragshöhe ohne Weiteres ermittelt werden. Die geschuldeten Arbeitsentgelte haben
sich auch in der Folgezeit nicht (nachträglich) geändert. Des Eintritts weiterer Bedingungen (etwa Prüfung und Beanstandung
im Rahmen einer Betriebsprüfung; Entscheidung einer Finanzbehörde) oder rechtsgestaltender Erklärungen, die eine endgültige
Bestimmung der Beitragshöhe erst zu einem (ungewissen) späteren Zeitpunkt möglich machten, bedurfte es nicht. Auch hat sich
für den streitigen Zeitraum von 2006 bis 2008 die Rechtslage nicht - rückwirkend - geändert. Der Kläger hat der Beklagten
lediglich irrtümlich ein zu hohes (steuer- und beitragspflichtiges) Arbeitsentgelt gemeldet, weil er §
3 Nr 26
EStG übersehen und folglich der Beklagten irrtümlich ein zu hohes beitragspflichtiges Arbeitsentgelt gemeldet hat. Er hat damit
(lediglich) das Berechnungselement "Arbeitsentgelt" falsch bestimmt.
Die Erstattung scheitert nicht an den Verfallklauseln des §
26 Abs
2 Satz 1 Halbs 2
SGB IV. Danach ist eine Erstattung ausgeschlossen, wenn der Versicherungsträger bis zur Geltendmachung des Erstattungsanspruchs
auf Grund dieser Beiträge (1. Alt) oder für den Zeitraum, für den die Beiträge zu Unrecht entrichtet worden sind (2. Alt),
Leistungen erbracht oder zu erbringen hat. Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Die vom Kläger nach § 28i Satz 5
SGB IV i.V.m. §
249b Satz 1
SGB V und §
172 Abs
3 Satz 1
SGB VI geleisteten Beiträge haben keine individuellen Auswirkungen auf die Beschäftigten, für die sie gezahlt werden. Leistungsansprüche,
die der Versicherungsträger zu erfüllen hätte, können Versicherte daraus nicht herleiten. Diese genannten Normen regeln eine
(einseitige) Pflicht des Arbeitgebers zur Beitragstragung, ohne dass eine leistungsbegründende Mitgliedschaft der Arbeitnehmer
entsteht. §
26 Abs
1 Satz 2
SGB IV gilt ohnehin nicht, da §
26 Abs
1 SGB IV Beanstandungsschutz nur zugunsten Versicherter regelt (KomGKV. §
26 Rdnr 2 mwN); deshalb ist ohne Belang, dass anlässlich der Betriebsprüfung 2009 keine Beanstandung erfolgt ist.
Es kann dahin stehen, ob sich die Beklagte (konkludent) auf Verjährung berufen hat und nach Treu und Glauben berufen darf.
Der Erstattungsanspruch ist jedenfalls nicht verjährt. Nach §
27 Abs
2 Satz 1
SGB IV verjährt der sich aus §
26 Abs
2 SGB IV ergebende Anspruch auf Erstattung von zu Unrecht entrichteter Beiträge in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in
dem die Beiträge entrichtet worden sind. Der streitige Erstattungsanspruch des Klägers für die 2006 bis 2008 entrichteten
Beiträge konnte damit frühestens mit Ablauf des Jahres 2010 verjähren. Der Lauf der Verjährungsfrist wurde jedoch gehemmt
durch den schriftlichen Erstattungsantrag des Klägers vom 18.12.2009, der am 23.12.2009 bei der Beklagten einging, bzw. sodann
(erneut) durch die am 23.5.2012 erfolgte Klageerhebung, vgl. §
27 Abs
3 Satz 1
SGB IV i.V.m. §
204 Abs
1 Nr
1 BGB.
Der Erstattungsanspruch ist auch in der zuletzt noch geltend gemachten Höhe begründet. Die streitigen Arbeitsentgelte unterfallen
bis zur Höhe von EUR 1.848 (bis 2006) bzw EUR 2.100 (2007 - 2008) der Regelung des §
3 Nr 26
EStG. Der ausgeurteilte Betrag ergibt sich aus den vom Kläger mit Schriftsatz vom 18.12.2015 für die Jahre 2006 bis 2008 vorgelegten
zutreffenden Berechnungen. Dabei sind von den streitigen Arbeitsentgelten für die Zeit bis 30.6.2006 (in Höhe von EUR 2.110,01)
23%, für die restlichen Arbeitsentgelte bis zum 31.12.2008 (in Höhe von EUR 15.333,08; dabei ist berücksichtigt, dass im Jahr
2008 für die Beschäftigten Mohamad und Neuhaus die Arbeitsentgelte nur bis zum Grenzbetrag von EUR 2.100 steuer- und beitragsfrei
waren) 28% zu erstatten. Die auf der entsprechenden Entscheidung des FG fußenden Berechnungen des Klägers, gegen die von der
Beklagten keine Einwendungen vorgebracht worden sind, sind nicht zu beanstanden.
B. Die Kostenentscheidung beruht auf §
197a Abs
1 Satz 1
SGG i.V.m. §
154 Abs
1 und
2 Verwaltungsgerichtsordnung (
VwGO). Der Senat hat das Verhältnis des Obsiegens und Unterliegens im Hinblick auf die teilweise Berufungsrücknahme berücksichtigt.
C. Der Senat hat die Revision wegen der - durch den Terminbericht zur Entscheidung des 12. Senats vom 16.12.2015 ebenfalls
nahe gelegten - grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zugelassen, §
160 Abs
2 Nr
1 SGG.
D. Der Streitwert für die zweite Instanz wird für die Zeit bis zur teilweisen Zurücknahme der Berufung (17.12.2015) auf EUR
9.396,32, für die Zeit danach (ab dem 18.12.2015) auf EUR 4.778,64 festgesetzt (§
197a Abs
1 Satz 1
SGG i.V.m. § 52 Abs 3 Gerichtskostengesetz). Einer nochmaligen Staffelung für die Zeit vom 18. - 22.12.2015 (unter Einbeziehung auch des Jahres 2005) bedurfte es nicht,
weil der Kläger mit der Klage von vornherein nur die ab 2006 überzahlten Beiträge begehrt hat und der Senat daher insoweit
nicht von einer - unzulässigen - Klageänderung ausgeht.