Gründe
I.
Streitig ist die Feststellung der aufschiebenden Wirkung einer Klage gegen einen Erstattungsbescheid und einen Erstattungs-
und Aufrechnungsbescheid bei endgültiger Festsetzung von Leistungen gemäß § 41a Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II).
Mit Bescheiden vom 30. Mai 2018 forderte der Antragsgegner nach endgültiger Festsetzung der Leistungsansprüche der Antragsteller
für die Zeit vom 1. November 2017 bis zum 30. April 2018, die Antragsteller zur teilweisen Erstattung der ihnen vorläufig
gewährten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II in Höhe von insgesamt 1.090,80 EUR auf. In Bezug auf den Antragsteller zu 1. rechnete der Antragsgegner zudem die überzahlten
Leistungen in Höhe von monatlich 37,40 EUR auf. Beide Bescheide enthielten in ihrer Rechtsbehelfsbelehrung keinen Hinweis
auf die seit 1. Januar 2018 in §
84 Abs.
1 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) aufgenommene Möglichkeit, den Widerspruch auch in elektronischer Form nach §
36a Abs.
2 des
Ersten Buches Sozialgesetzbuch (
SGB I) einzureichen.
Mit Schreiben vom 19. Juli 2018 erhoben die Antragsteller Widerspruch gegen die Bescheide vom 30. Mai 2018. Der Antragsgegner
erkannte die aufschiebende Wirkung der Widersprüche an. Er wies jedoch mit Schreiben vom 20. Juli 2018 darauf hin, dass die
Widersprüche nicht fristgemäß erhoben worden seien, die Rechtsbehelfsbelehrung nicht zu beanstanden sei und Gründe für eine
Wiedereinsetzung nicht ersichtlich seien. Die Antragsteller teilten mit Schreiben vom 2. August 2018 mit, dass die Widersprüche
nicht verfristet seien und verwiesen auf §
66 SGG i.V.m. §
84 SGG.
Mit Bescheiden vom 21. August 2018 verwarf der Antragsgegner die Widersprüche als unzulässig. Die Widersprüche seien erst
nach Ablauf der Widerspruchsfrist (2. Juli 2018) eingegangen. Es seien keine Gründe erkennbar, die das Fristversäumnis rechtfertigten
und eine Wiedereinsetzung ermöglichten.
Daraufhin erhoben die Antragsteller am 2. September 2018 Klage vor dem Sozialgericht Kiel erhoben. Nachdem der Antragsgegner
den Antragstellern am 4. September 2018 mitteilte, dass er die aufschiebende Wirkung der Klage nicht anerkenne, haben die
Antragsteller am selben Tag Eilrechtsschutz vor dem Sozialgericht Kiel beantragt mit dem sie die Feststellung der aufschiebenden
Wirkung der Klage begehren. Sie sind der Auffassung, dass die vom Antragsgegner verwendete Rechtsbehelfsbelehrung unrichtig
sei, da auf die Möglichkeit der Einreichung des Widerspruchs in elektronischer Form nicht hingewiesen werde.
Mit Beschluss vom 24. September 2018 hat das Sozialgericht Kiel den Antrag abgelehnt. Die Rechtsmittelbelehrung sei nicht
fehlerhaft. Der Antragsgegner habe nicht darüber belehren müssen, dass der Rechtsbehelf auch im Wege der elektronischen Kommunikation
eingelegt werden kann. Die Bescheide vom 30. Mai 2018 seien mit verfristeten Widersprüchen angefochten und bindend geworden.
Ein Fall des §
66 Abs.
2 Satz 1
SGG liege nicht vor, da die Rechtsbehelfsbelehrung nicht unrichtig sei. Es könne dahinstehen, ob die Rechtsprechung des BSG mit Blick auf die Neufassung des §
84 SGG weiterhin Bestand haben könne. Vorliegend halte der Antragsgegner nicht die technischen Möglichkeiten bereit, um einen Widerspruch
auch in elektronischer Form einlegen zu können. Nach Überzeugung der Kammer müsse eine Behörde jedenfalls, wenn sie keinen
Zugang für die Übermittlung elektronischer Dokumente bereithalte bzw. sie konkret für das Widerspruchsverfahren den elektronischen
Rechtsverkehr noch nicht eröffnet habe, in ihrer Rechtsbehelfsbelehrung auf diese Möglichkeit nicht hinweisen.
Mit ihrer am 25. Oktober 2018 erhobenen Beschwerde verfolgen die Antragsteller ihr Begehren weiter. Der Antragsgegner kommuniziere
seit langer Zeit über EGVP. Die entsprechende Adresse sei im Verzeichnis aufgeführt.
Die Antragsgegner beantragen,
unter Aufhebung des Beschlusses des Sozialgerichts Kiel wird festgestellt, dass die Klage zum Az. S 34 AS 564/18 gegen den Erstattungsbescheid vom 30. Mai 2018 bzw. den Erstattungs- und Aufrechnungsbescheid vom 30. Mai 2018 in der Fassung
der Widerspruchsbescheide vom 21. August 2018 aufschiebende Wirkung hat.
Der Antragsgegner beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Er hält den erstinstanzlichen Beschluss für zutreffend. Er nutze den EGVP ausschließlich zur Kommunikation mit der Sozialgerichtsbarkeit.
Es handele sich innerhalb der Bundesagentur für Arbeit um eine sog. Übergangslösung, die ca. Mitte 2019 abgelöst werden solle.
Der Antragsgegner habe einen (allgemeinen) Zugang nicht eröffnet. Er verfüge insbesondere nicht über ein DE-Mail-Postfach.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge
des Antragsgegners verwiesen.
II.
Die zulässige, insbesondere statthafte (§§
172 Abs.
3 Nr.
1,
144 Abs.
1 Satz 1 Nr.
1 SGG) Beschwerde ist begründet.
Vorläufiger Rechtsschutz nach §
86b Abs.
1 Satz 1 Nr.
2 SGG (analog) ist auch dann statthaft, wenn es um die Feststellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs bzw. der Klage
geht, weil die Behörde zu Unrecht diesem bzw. dieser keine aufschiebende Wirkung beigemessen hat (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt,
SGG, 12. Aufl. 2017, §
86b Rn. 5, 15).
Die in der Hauptsache erhobene (reine) Anfechtungsklage (S 34 AS 564/18) gegen den Erstattungsbescheid vom 30. Mai 2018 bzw. den Erstattungs- und Aufrechnungsbescheid vom 30. Mai 2018 in der Fassung
der Widerspruchsbescheide vom 21. August 2018 hat aufschiebende Wirkung, so dass eine Vollstreckung bzw. Aufrechnung aus den
angefochtenen Bescheiden für die Dauer des Klageverfahrens nicht in Betracht kommt.
Widerspruch und Anfechtungsklage gegen einen Erstattungsbescheid im Sinne des § 41a SGB II sowie gegen eine verfügte Aufrechnung sind nicht von der Ausnahmereglung des §
86a Abs.
2 Nr.
4 SGG i.V.m. § 39 Nr. 1 SGB II erfasst. Sie haben nach der Grundregel des §
86a Abs.
1 SGG aufschiebende Wirkung.
Die aufschiebende Wirkung tritt nach allgemeiner Auffassung unabhängig von der Begründetheit der Klage ein. Der Betroffene
soll bis zur endgültigen Klärung geschützt werden (siehe nur Harks in Hauck/Behrend,
SGG, Sept. 2018, §
86a Rn. 27; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt,
SGG, 12. Aufl. 2017, §
86a Rn. 10; Binder in Lüdtke/Berchtold,
SGG, 5. Aufl. 2017, §
86a Rn. 11 jeweils mit weiteren Nachweisen). Umstritten ist, ob die aufschiebende Wirkung auch bei unzulässigen Rechtsbehelfen
eintritt. Mit dem BSG geht der Senat jedoch davon aus, dass das im Rahmen der Anfechtungsklage als Zulässigkeitsvoraussetzung erforderliche Vorverfahren
(§§
54 Abs.
1,
78 SGG), auch wenn der Antragsgegner die Widersprüche der Antragsteller als unzulässig, zurückgewiesen hat, durchgeführt wurde und
die Zulässigkeit der Klage insoweit außer Frage steht (BSG, Urteil vom 24. November 2011 - B 14 AS 151/10 R - juris Rn. 9). Besondere Anforderungen, insbesondere hinsichtlich des Prüfungsumfangs, an die Durchführung eines Vorverfahrens
stellt §
78 Abs.
1 SGG nicht, weil andernfalls die Zulässigkeit der Klage des Adressaten eines belastenden Verwaltungsakts von der Rechtmäßigkeit
des weiteren Verhaltens der Behörde bzw. der zuständigen Widerspruchsbehörde abhängig wäre (BSG, a.a.O.). Mithin ist die Frage, ob der Aufhebung der angefochtenen Bescheide die Bindungswirkung (§
77 SGG) entgegensteht, weil die Antragsteller nach Auffassung des Antragsgegners die Widerspruchsfrist (§
84 SGG) nicht gewahrt haben, eine solche der Begründetheit.
Der Senat weist darüber hinaus auf Folgendes hin: Nach der Rechtsprechung des BSG bedarf es auch einer Belehrung über den wesentlichen Inhalt der bei Einlegung des Rechtsbehelfs zu beachtenden Formvorschriften
(BSG, Urteil vom 14. März 2013 - B 13 R 19/12 R - juris). Seit dem 1. Januar 2018 ist in §
84 Abs.
1 SGG (Art. 18 Nr. 3 i.V. m. Art. 33 Abs. 1 des Gesetzes zur Einführung der elektronischen Akte in der Justiz und zur weiteren Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs
vom 5. Juli 2017, BGBl. I 2208, 2222, 2228) ausdrücklich bestimmt, dass der Widerspruch " in elektronischer Form nach § 36a Absatz 2 des Ersten Sozialgesetzbuch
", eingereicht werden kann. Damit wird deutlich, dass die elektronische Form zumindest seit dem 1. Januar 2018 neben der Schriftform
und der mündlichen Form (zur Niederschrift) als gleich gewichtige Form sowie als weiterer Regelweg zu sehen ist (anders noch
zur alten Rechtslage BSG, a.a.O. - juris Rn. 21) und in die Rechtsbehelfsbelehrung grundsätzlich aufzunehmen ist.
Etwas anderes dürfte nur dann gelten, wenn - wie auch das Sozialgericht zu Recht ausgeführt hat - der Empfänger einen für
die Übermittlung elektronischer Dokumente erforderlichen Zugang nicht eröffnet hat (siehe §
36a Abs.1
SGB I). Dies dürfte im Falle des Antragsgegners jedoch nicht der Fall sein. Zwar weist er auf seiner Internetseite (www.jobcenter-kreis-ploen.de)
ausdrücklich darauf hin, dass u.a. Rechtsbehelfe nicht per E-Mail rechtswirksam eingereicht werden können. Durch diesen Hinweis
gibt der Antragsgegner allerdings nicht zum Ausdruck, dass er den nach §
36a Abs.
1 SGB I erforderlichen Zugang nicht eröffnet hat. Dieser Hinweis entspricht vielmehr den Vorgaben des § 84 Abs. 1 in Verbindung mit §
36a Abs.
2 SGB I. Danach ist ein per einfacher E-Mail eingelegter Widerspruch nicht formgerecht und mithin unwirksam. Erforderlich sind eine
qualifizierte elektronische Signatur oder die in §
36a Abs.
2 Satz 4
SGB I genannten Alternativen.
Dass der Antragsgegner den Zugang (im Sinne der Nutzung von EGVP) nach eigenem Vorbringen nur eröffnet hat, um auf einfachere
Weise mit den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit zu kommunizieren, dürfte unerheblich sein. Auf diese Argumentation könnte
sich der Antragsgegner allenfalls dann berufen, wenn er zur Eröffnung eines Zugangs nicht verpflichtet wäre. Davon ist allerdings
nicht ohne Weiteres auszugehen. Zwar folgt eine solche Verpflichtung nicht schon aus § 2 Abs. 1 E-Government-Gesetz (EGovG),
weil die Verwaltungstätigkeit im Bereich der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II aus dessen Geltungsbereich gerade ausgenommen ist (§ 1 Abs. 5 Nr. 3 EGovG). Eine solche Verpflichtung dürfte jedoch aus § 52b Abs. 1 Landesverwaltungsgesetz (LVwG SH) folgen, der mit Wirkung vom 1. Januar 2018 bestimmt, dass jede Behörde einen Zugang für die Übermittlung elektronischer
Dokumente eröffnet.
Zwar könnte die Anwendbarkeit des § 52b LVwG SH mit der Argumentation in Zweifel gezogen werden, dass das LVwG SH nur für die öffentlich-rechtliche Verwaltungstätigkeit der Träger der öffentlichen Verwaltung im Land Schleswig-Holstein
gelte (§ 1 Abs. 1 Satz 1 LVwG SH), zu denen neben den Gebietskörperschaften auch sonstige der Aufsicht des Landes unterstehende öffentlich-rechtliche Rechtsträger
oder nichtrechtsfähige Vereinigungen gehörten (vgl. § 2 Abs. 2 und 3 LVwG SH), während jedoch die gemeinsamen Einrichtung wegen der Einrichtung des elektronischen Rechtsverkehrs nicht der Aufsicht
des Landes, sondern der Aufsicht des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) unterliege (§§ 47 Abs. 3 Satz 1, 44c Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 SGB II). Dies würde nach Ansicht des Senats jedoch zu kurz greifen, weil einerseits der Bundesgesetzgeber das SGB II aus dem Geltungsbereich des EGovG nur ausgenommen hat, um "der besonderen Form der Mischverwaltung nach Artikel
91e GG Rechnung" zu tragen und "durch die einheitliche Regelung für das gesamte SGB II de[n] gebotenen Gleichklang zwischen gemeinsamen Einrichtungen und zugelassenen kommunalen Trägern" zu gewährleisten (BT-Drucks.
17/11473, 33). Dies setzt aber nachgerade zwingend voraus, dass zumindest der Bundesgesetzgeber von der Anwendbarkeit der
Verwaltungsverfahrens- bzw. E-Government-Gesetze der Länder ausgegangen ist. Für die Richtigkeit dieser Annahme - bezogen
hier speziell auf die Rechtslage in Schleswig-Holstein - spricht, dass § 47 Abs. 3 Satz 1 SGB II die Aufsicht im Aufgabenbereich der Trägerversammlung dem BMAS nur im Einvernehmen mit der zuständigen obersten Landesbehörde
überträgt und überdies durch die Pflicht zur Beteiligung des Kooperationsausschusses (§ 47 Abs. 3 Satz 2 SGB II; vgl. auch § 18b SGB II), von dessen Empfehlung das BMAS nur aus wichtigem Grund abweichen darf (§ 47 Abs. 3 Satz 3 SGB II), so weitgehende Beteiligungsrechte des jeweiligen Landes begründet worden sind, dass im materiellen Sinne von einer Co-Aufsicht
gesprochen werden kann, die ausreichen dürfte, um die Anwendbarkeit des LVwG SH zu begründen.
Danach dürften die Widersprüche gemäß §
66 Abs.
2 Satz 1
SGG fristgemäß erhoben worden sein.
Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung des §
193 SGG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§
177 SGG).