OLG Hamburg, Urteil vom 03.04.1984 - 12 UF 16/84
b-c. Heranziehung des Hilfebedürftigen zu den Kosten der Anstaltspflege im Hinblick auf seine Unterhaltspflicht unter Belassung
eines Freibetrags in Höhe des Unterhaltsbeitrags, wenn andernfalls die Unterhaltsgläubigerin sozialhilfebedürftig würde,
(c) das gilt selbst dann, wenn er die Unterhaltsgläubigerin nicht überwiegend unterhält, diese aber darüberhinaus ihren Anspruch
auf Geschiedenen-Witwenrente verlieren würde.
Fundstellen: DRsp V(545)85b-c, FamRZ 1984, 905
Normenkette: BSHG § 79 Abs.1 Nr.3, § 81 Nr.5, § 84, § 85 Nr.3 S.2
Der gegenüber seiner geschiedenen Ehefrau (Bekl.) unterhaltspflichtige Kl. begehrt nach Einlieferung in ein psychiatrisches
Krankenhaus die Feststellung, daß er keinen Unterhalt mehr schulde, weil seine Einkünfte zur Deckung der Anstaltskosten nicht
ausreichten. Die Bekl. begehrt mit Widerklage den vollen Unterhalt, weil sie sonst den Anspruch auf Witwenrente verlöre. Das
Gericht hat der Widerklage stattgegeben.
»... Der Kl. ist auch unter Berücksichtigung der einschlägigen Vorschriften des BSHG in der Lage, der Bekl. den im Scheidungsvergleich vereinbarten Unterhalt weiterzuzahlen, so daß der Bekl. die Ansprüche auf
die Geschiedenen-Witwenrente erhalten bleiben.
Bei Gewährung von Hilfe in besonderen Lebenslagen wird der Hilfesuchende unter Belassung von bestimmten Freibeträgen zu den
Kosten herangezogen. Im Fall der Anstaltspflege, die dem Kl. gewährt wird (§ 68
BSHG), steht dem Hilfeempfänger gemäß §§ 79, 81 Nr. 5 BSHG ein Freibetrag in Höhe des dreifachen Regelsatzes zu, also in Nordrhein-Westfalen 3 x 345 DM. Hinzu kommt gemäß § 79 Abs. 1 Nr. 3
BSHG ein Zuschlag von 80 % des Regelsatzes im Hinblick auf die Unterhaltspflicht gegenüber der gesch. Ehefrau. Es ist daher insgesamt
von einer Freigrenze von 1311 DM auszugehen. Gemäß § 84
BSHG kann das diese Freigrenze übersteigende Einkommen je nach Angemessenheit ganz oder teilweise zur Kostendeckung herangezogen
werden. Im Fall des Kl. dürfte die volle Ausschöpfung des den Freibetrag übersteigenden Einkommens angemessen sein. Bei Anstaltsunterbringung
wird zusätzlich zu dem Kostenbeitrag nach § 84
BSHG noch die häusliche Ersparnis gemäß § 85 Nr. 3 BSHG abzuführen sein. Diese häusliche Ersparnis kann vielleicht mit 80 % des Regelsatzes angenommen werden. Bei Anwendung dieser
Grundsätze bliebe dem Kl. der in der Anstalt nur geringe Bedürfnisse hat, so viel, daß er den verlangten Unterhalt von 408,74
DM zahlen könnte.
Ob § 85 überhaupt neben § 84
BSHG angewendet werden kann, ist umstritten. Die herrschende Meinung in der Literatur und die Oberverwaltungsgerichte haben sich
für eine Anwendung des § 85 neben § 84 ausgesprochen (Nachweise bei Mergler/Zink, 3. Aufl. 1983, Anm. Nr. 15 ff. zu § 84
BSHG). Nach § 85 Nr. 3 Satz 2 BSHG soll bei Personen, die wie der Kl. längere Zeit der Anstaltspflege bedürfen, noch »darüber hinaus« in angemessenem Umfang
die Aufbringung der Mittel verlangt werden können. Dies gilt indessen nur, »solange sie nicht einen anderen überwiegend unterhalten«.
Doch selbst wenn nur ein Unterhaltsbeitrag geleistet wird, soll dem Hilfeempfänger dieser Unterhaltsbeitrag als Freibetrag
jedenfalls dann belassen werden, wenn der Unterhaltsgläubiger sonst sozialhilfebedürftig würde (Knopp/Fichtner, 5. Aufl. 1983,
Rz. 5 zu § 85
BSHG).
Die Unterhaltszahlung des Kl. ist höher, als das eigene Renteneinkommen der Bekl., so daß der Kl. den überwiegenden Unterhalt
leistet, sofern die Wohngeldzahlung von 134 DM unberücksichtigt bleibt. Doch selbst wenn wegen der Wohngeldgewährung nicht
mehr davon gesprochen werden könnte, daß der Kl. die Bekl. überwiegend unterhält, muß ihm nach § 85 Nr. 3 Satz 2 BSHG der an die Bekl. nach Maßgabe des Scheidungsfolgenvergleichs zu zahlende Unterhaltsbeitrag von 408,74 DM als Freibetrag belassen
werden, wenn die Bekl. bei Einstellung dieser Zahlungen sozialhilfebedürftig und überdies noch die Ansprüche auf die Geschiedenen-Witwenrente
verlieren würde. In eine solche Lage soll der Unterhaltsgläubiger nach den Vorstellungen des Gesetzgebers, der durch die Schaffung
der Freibeträge Grenzen der Inanspruchnahme des Hilfebedürftigen geschaffen hat, nicht geraten. Der Kl. hat daher weiter 25
% seines Einkommens an die Bekl. als Unterhalt abzuführen. ...«
An dem Ergebnis, daß der Kl. verpflichtet ist, den Unterhalt an die geschiedene Ehefrau weiter zu zahlen, würde sich selbst
dann nichts ändern, wenn das Sozialamt durch einen förmlichen Bescheid das gesamte Einkommen des Kl. bis auf einen Taschengeldbetrag
zur Erstattung der Krankenhauskosten herangezogen hätte. Dann müßte von einer fiktiv gegebenen Leistungsfähigkeit des Kl.
ausgegangen werden, weil der Kl. gegen den Bescheid des Sozialamts hätte Rechtsmittel einlegen müssen. Die Bekl. konnte den
Vorrang ihres Unterhaltsanspruchs vor dem Erstattungsanspruch des Sozialhilfeträgers nach den §§ 49, 50 SGB-I auch tatsächlich
durchsetzen.