Prozeßführungsbefugnis des Unterhaltsberechtigten bei Bezug von Sozialhilfe
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig, hat aber in der Sache keinen Erfolg.
A.
I.
Entgegen der Auffassung des Beklagten ist der Kläger aktivlegitimiert.
1. Zwar trifft es zu, dass die Unterhaltsansprüche des Klägers trotz fehlender Überleitung gem. § 91 Abs. 1 des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) in seiner vom 27.06.1993 an geltenden Fassung auf den Träger der Sozialhilfe, die Stadt ... übergegangen sind, die während
des vorliegend streitbefangenen Unterhaltszeitraums dem Kläger Hilfe zum Lebensunterhalt in einer den vorliegend geltend gemachten
Unterhalt übersteigenden Höhe geleistet hat.
2. Entgegen der von beiden Parteien vertretenen Auffassung geht der Unterhaltsanspruch eines Hilfeempfängers nicht nur für
die Zeit ab Inkrafttreten des Gesetzes am 27.06.1993, sondern rückwirkend für die Zeit davor auf den Sozialhilfeträger über,
sofern die Voraussetzungen des § 91 Abs. 3
BSHG erfüllt sind (vgl. OLG Hamburg, FamRZ 1994, 126; OLG Köln, FamRZ 1994, 970; Scholz, FamRZ 1994, 1; Künkel, FamRZ 1994, 540 ff., 549; a.A. OVG Münster, FamRZ 1994, 594, 595). Das folgt aus dem Fehlen einer Übergangsvorschrift sowie aus einem Vergleich mit der früheren gesetzlichen Regelung.
Nach dieser wirkte der Zugang der seinerzeit erforderlichen Überleitungsanzeige zurück, wenn der Unterhaltspflichtige in Verzug
geraten war (§§
1613 Abs.
1
BGB, 91 Abs. 2
BSHG a.F.). Dieselbe Regelung enthält die Neufassung des § 91 Abs. 3
BSHG (vgl. OLG Hamburg, aaO.).
3. Soweit demgegenüber auf den Wortlaut der gesetzlichen Neuregelung in § 91 Abs. 1 S. 1 BSHG verwiesen wird, wonach der Übergang von Ansprüchen kraft Gesetzes voraussetzt, dass der Hilfeempfänger nach Bürgerlichem
Recht einen Unterhaltsanspruch für die Zeit hat, für die Hilfe gewährt "wird" (OVG Münster, aaO.), überzeugt das nicht. Aus
dem Gebrauch der Gegenwartsform in § 91 Abs. 1
BSHG kann ein entsprechender Wille des Gesetzes nicht entnommen werden. Die in Abs. 3 der erwähnten Bestimmung (unter bestimmten
Voraussetzungen) angeordnete Rückwirkung des Übergangs des Unterhaltsanspruchs trotz des Gebrauchs der Gegenwartsform zeigt,
dass diese kein zur Verneinung des Übergangs hinsichtlich rückständiger Unterhaltsansprüche geeignetes Kriterium sein kann.
Lassen sich aus dem Gebrauch der Gegenwartsform schon allgemein keine Schlüsse auf den Willen des Gesetzgebers entnehmen,
den Übergang auf Fälle zukünftiger Gewährung von Sozialhilfe zu beschränken, gilt das erst recht hinsichtlich der in der Bestimmung
gar nicht angesprochenen Frage einer eventuellen Beschränkung des Übergangs auf Sozialhilfeleistungen seit dem 27.06.1993.
Allerdings könnte eine Rückwirkung des Übergangs jedenfalls auf den Beginn des vorliegend streitbefangenen Unterhaltszeitraums
an insoweit fehlendem Verzug scheitern. Eine Rückwirkung nach § 91 Abs. 3
BSHG findet nämlich - außer in dem vorliegend nicht gegebenen Fall, dass dem Unterhaltspflichtigen der Bedarf unverzüglich nach
Kenntnis des Trägers der Sozialhilfe schriftlich mitgeteilt wurde - nur "unter den Voraussetzungen des Bürgerlichen Rechts"
statt. Der Beklagte ist indessen entgegen seiner Auffassung hinsichtlich der erstinstanzlich zuerkannten monatlichen Unterhaltsbeträge
von 410,00 DM vom 01.01.1993 bis zum 11.02.1993 und von 500,00 DM für die Zeit danach wirksam durch das vorgerichtliche, einen
Betrag von 410,00 DM anmahnende Schreiben vom 09.12.1992 bzw. durch Zustellung des bezifferten Antrags in Höhe von 500,00
DM im PKH-Prüfungsverfahren gemahnt worden. Die Wirksamkeit dieser Mahnungen scheitert entgegen der Auffassung des Beklagten
nicht daran, dass durch Beschluss des Amtsgerichts Hagen vom 05.05.1989 - 8 VIII 3989 - eine Gebrechlichkeitspflegschaft angeordnet
worden ist, die gem. Art. 9 § 1 Abs. 1 Satz 1 Betreuungsgesetz mit Wirkung zum 01.01.1992 in eine Betreuung nach dem Betreuungsgesetz mit dem Aufgabenbereich der Vermögenssorge umgewandelt worden ist. Das Bestehen einer Betreuung berührt ebenso wie seinerzeit
eine Gebrechlichkeitspflegschaft die Geschäftsfähigkeit und die Prozessfähigkeit des Pfleglings nicht (vgl. Palandt/Diederichsen,
54. Aufl., § 1896 Rdn. 2 m.w.N.). Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger ungeachtet der bei ihm vorliegenden Behinderung sich
mit der Wirkung der Geschäftsunfähigkeit in einem die freie Willensbestimmung ausschließende nicht nur vorübergehenden Zu
stand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befand und befindet 104 Ziff. 2
BGB), haben sich für den Senat nicht er geben.
4. Sind die streitbefangenen Unterhaltsansprüche danach in vollem Umfang auf den Träger der Sozialhilfe übergegangen, hat
das gem. §
265 Abs.
2 Satz 1
ZPO - bis auf den Umstand, dass der Kläger seinen Antrag in einen solchen auf Zahlung an die Stadt ... umzustellen hatte, was
er - hinsichtlich des gesamten geltend gemachten Unterhalts - auch getan hat) auf den Prozess insoweit keinen Einfluss, als
der Übergang nach Rechtshängigkeit erfolgt ist (vgl. OLG Hamburg, aaO.). Vorliegend ist die Rechtshängigkeit erst am 06.12.1993,
also nach Inkrafttreten der Änderung des Bundessozialhilfegesetzes eingetreten, da die Klageschrift im Hinblick auf die lange
Dauer des Prozesskostenhilfeprüfungsverfahrens erst an diesem Tage zugestellt worden ist.
5. Für die Zeit davor würden sich keine Bedenken ergeben, hätte der Kläger entsprechend einem ihm gem. §
139
ZPO erteilten Hinweis sich die auf den Träger der Sozialhilfe kraft Gesetzes übergegangenen Unterhaltsansprüche treuhänderisch
rückübertragen lassen (vgl. OLG Stuttgart, FamRZ 1994, 384, 385; OLG Düsseldorf, FamRZ 1994, 970).Statt dessen hat er lediglich ein Schriftstück der Stadt ... vorgelegt, das sich ungeachtet der von dieser telefonisch angekündigten
treuhänderischen Rückübertragung nach seinem Wortlaut auch bei großzügiger Auslegung lediglich als Ermächtigung darstellt,
die streitbefangenen Unterhaltsbeträge in eigenem Namen unter Zahlung an das Sozialamt einzuklagen.
6. Ob in Fällen der vorliegenden Art die gewillkürte Prozessstandschaft zulässig ist, ist umstritten (u.a. dagegen: OLG Hamburg,
FamRZ 1988, 843 sowie FamRZ 1990, 417, 418; OLG Hamm, 2. Familiensenat, FamRZ 1990, 1369, 1370; Seetzen, NJW 1978, 1350, 1353; Scholz, aaO. S. 5; dafür: erkennender Senat, FamRZ 1979, 1058; KG FamRZ 1988, 300). Der Streit ergibt sich im Wesentlichen daraus, dass nach allgemeinen zivilprozessualen Grundsätzen eine gewillkürte Prozessstandschaft
nur statthaft ist, wenn der zur Beitreibung der Ansprüche Ermächtigte ein eigenes schutzwürdiges Interesse daran hat, die
Forderung im eigenen Namen einzuklagen (vgl. BGH, JZ 1963, 222 f.), wobei ein solches Interesse voraussetzt, dass die begehrte Entscheidung die eigene Rechtslage des Prozessführenden beeinflusst
(BGH, NJW 1981, 26 40). Daran mag es fehlen, wenn wie vorliegend - der in der Vergangenheit aufgetretene Bedarf durch Sozialhilfeleistungen
gedeckt worden ist und die Erfüllung der auf den Träger der Sozialhilfe übergegangenen Unterhaltsrückstände dem Ermächtigten
weder Vorteile bringt noch die Nichtzahlung dieser Unterhaltsrückstände sich für ihn nachteilig auswirkt.
Ob die von der Gegenmeinung (KG, FamRZ 1988, 300, 301) als Argument angeführte größere Sachnähe des Hilfeempfänge s die Beiahung der gewillkürten Prozessstandschaft rechtfertigt,
mag zweifelhaft sein. Immerhin hat der Sozialhilfeträger umfassende Möglichkeiten, den Sachverhalt aufzuklären und insbesondere
Art und Höhe der Einkünfte s wie des Vermögens des Unterhaltsschuldners und unter Umständen sogar dessen Aufenthalt zu ermitteln.
Diese Möglichkeiten sind soweit sogar weitreichender als die den Hilfeempfängern selbst zustehenden Auskunftsansprüche, die
sich lediglich auf Einkommen und Vermögen beziehen (vgl. OLG Hamburg, FamRZ 1990, 417, 418). Zweifelhaft mag ebenfalls sein, ob die Zulässigkeit der Prozessstandschaft pauschal ohne Berücksichtigung des Einzelfalls
lediglich aus Gründen der Prozessökonomie bejaht werden kann (vgl. OLG Hamm, 5. Familiensenat, FamRZ 1979, 1058; KG, FamRZ 1988, 300, 302). Indessen können die aufgeworfenen Fragen dahingestellt bleiben. Jedenfalls der vorliegende Fall bietet für den Senat
keine Veranlassung, entgegen seiner bisherigen ständigen Rechtsprechung, die Zulässigkeit der gewillkürten Prozessstandschaft
zu verneinen. Jedenfalls aus den besonderen Gründen des hier zur Beurteilung stehenden Einzelfalls ist sie unter Berücksichtigung
des auch im Zivilprozess herrschenden Grundsatzes von Treu und Glauben aus Gründen der Prozessökonomie zu bejahen. Der Zeitraum,
für den diese Frage von Bedeutung ist, ist nämlich im Vergleich zum Unterhaltsbegehren insgesamt verhältnismäßig kurz und
ist überhaupt auch nur deshalb entstanden, weil das vom 29.01.1993 datierende Prozesskostenhilfegesuch zum Zeitpunkt der erwähnten
Gesetzesänderung am 27.06.1993 noch nicht positiv beschieden (und die Klage deshalb zu diesem Zeitpunkt nicht bereits zugestellt)
war, da eine dem Kläger erteilte Auflage eher hätte ergehen können und die Prozesskostenhilfe zunächst nicht mit der Begründung
einer wegen der Anordnung der Pflegschaft fehlende Prozessfähigkeit hätte zurückgewiesen werden dürfen.
a) Der Beklagte stellt zu Unrecht eine Unterhaltsbedürftigkeit des Klägers in Abrede. Dieser leidet - was der Beklagte auch
nicht substantiiert bestreitet - unter einem frühkindlichen mit einer spastischen Lähmung verbundenen Hirnschaden sowie unter
einer Hirnzyste, wobei das Hirnwasser mittels eines Katheters in den Bauchraum abgeleitet werden muss. Im Senatstermin hat
sich bei der Anhörung des Klägers und seiner ihm als Betreuerin beigeordneten Mutter aufgrund ihrer glaubhaften Angaben ergeben,
dass wegen einer cerebralen Krampfbereitschaft von ihm weiterhin ständig Medikamente eingenommen werden müssen und er wegen
seiner Erkrankung mit der linken Hand nicht arbeiten kann. Dass er unter diesen Umständen auf dem normalen Arbeitsmarkt nicht
zu vermitteln ist, vermag der Senat auf Grund eigener Sachkenntnis ohne Einholung eines Sachverständigengutachtens zu beurteilen.
Ersichtlich kommt für ihn keine andere Tätigkeit als die gegenwärtig in einer Behindertenwerkstatt ausgeübte in Betracht,
in der es möglich ist, ihn - anders als im normalen Produktionsprozess - jeweils mit seiner Behinderung gerecht werdenden
Aufgaben zu betrauen. Dafür, dass der Kläger in einer anderen Behindertenwerkstatt, sollte eine solche von seinem und dem
Wohnort seiner ihn betreuenden Mutter überhaupt in zumutbarer Zeit erreichbar sein, höhere als die in dem angefochtenen Urteil
mit 345,38 DM zugrundegelegten (und vom Kläger selbst in der Berufungserwiderung mit 311,02 DM bezifferten) Einkünfte erzielen
könnte, fehlen jegliche Anhaltspunkte.
b) Dass das Familiengericht den vorliegend dem Beklagten nunmehr nur noch geltend gemachten Mindestbedarf - ohne den behinderungsbedingten
Mehrbedarf - entsprechend Ziffer 26 der Hammer Leitlinien mit 950,00 DM angesetzt hat, ist nicht zu beanstanden und wird vom
Beklagten auch nicht angegriffen.
c) Leistungen des Sozialamtes werden entgegen der Auffassung des Beklagten nicht auf den Bedarf angerechnet (vgl. BGH FamRZ
1992, 41; FamRZ 1993, 417,419). Das folgt aus der durch § 2
BSHG angeordneten Subsidiarität dieser Leistungen. Ob für Hilfen in besonderen Lebenslagen Ausnahmen gelten (vgl. OLG Hamm, FamRZ
1987, 742), kann dahingestellt bleiben. Hält man Pflegegeld gem. § 69
BSHG sowie die Hilfe zur Weiterführung des Haushalts gem. § 70
BSHG nicht für subsidiär, steht eine Anrechnung jedenfalls die Vorschrift des §
1610 a
BGB entgegen. Im Zweifel - für das Gegenteil wäre der Beklagte darlegungs- und beweispflichtig - übersteigen entsprechende Leistungen
nicht den dem Kläger entstandenen Aufwand.
d) Danach ist von dem nach Abzug des Kindergeldes in Höhe von 70,00 DM verbleibenden Bedarf von 880,00 DM lediglich das dem
Kläger für seine Arbeit in der Behindertenwerkstätte gezahlte Entgelt in Abzug zu bringen. Auch wenn man ungeachtet der vom
Kläger vorgelegten Verdienstbescheinigungen von dem vom Amtsgericht zugrundegelegten Einkommen von 345,38 DM ausgeht und vom
Kläger in der Berufungsinstanz in Ansatz gebrachte berufsbedingte Aufwendungen von 30,00 DM unberücksichtigt lässt, wird der
erstinstanzlich titulierte Betrag von 500,00 DM (bzw. von 410,00 DM) nicht unterschritten.
Die Auffassung des Beklagten, er sei zur Zahlung des titulierten Unterhalts nicht leistungsfähig, lässt sich aufgrund der
von ihm überreichten Unterlagen nicht nachvollziehen.
1) Dem von ihm für 1993 errechneten Einkommen von 3.775,00 DM (insoweit bestehen bereits gegen den Abzug eines Spesenzuschusses
von 300, 00 DM in voller Höhe Bedenken) ist die im Jahre 1993 geflossene Steuererstattung hinzuzurechnen. Aus dem vom Beklagten
im Senatstermin überreichten Steuerbescheid vom 21.06.1993 ist zu entnehmen, dass die Differenz zwischen den vom Lohn abgesetzten
und den festgesetzten Beträgen 6.244,39 DM betragen hat (wovon 4.672,68 DM bereits vorher erstattet und 1.571,71 DM aufgrund
des erwähnten Bescheides zu zahlen waren, der sich als Abänderung eines bereits zuvor ergangenen Bescheides darstellt. Von
dem sich nach Hinzurechnung des monatsanteiligen Steuererstattungsbetrages von 520,00 DM ergebenden Einkommen von 4.295,00
DM können ungeachtet bestehender Bedenken vom Beklagten geltend gemachte Fahrtkosten von 411,00 DM, Darlehensraten in Höhe
von 660,00 DM sowie Kindesunterhaltsleistungen für nichteheliche Kinder ... und ... in Höhe von je 250,00 DM abgezogen werden
(Ergebnis: 2.724,00 DM), ohne dass der im Verhältnis zum volljährigen Kläger zu beachtende Selbstbehalt von 1.600,00 DM des
Beklagten bei Zahlung des monatlichen Unterhalts von 500,00 DM gefährdet wäre.
2) Nichts anderes gilt für das Kalenderjahr 1994, für das der Beklagte ein Einkommen von 3.741,62 DM errechnet hat. Dass etwa
mit einer deutlich niedrigeren Steuererstattung zu rechnen wäre, hat der Beklagte nicht dargelegt.
3) Entsprechendes gilt für das Kalenderjahr 1994, für das im Hinblick auf eine eingetretene Gehaltserhöhung eher mit höheren
als mit niedrigeren Einkünften zu rechnen ist. Soweit der Beklagte insoweit auf eine zusätzliche Unterhaltsverpflichtung gegenüber
einem weiteren außerehelichen Kind verweist, ergibt sich aus den von ihm vorgelegten Unterlagen, dass er insoweit Zahlungen
noch nicht erbracht, sondern seine Vaterschaft bestritten hat.
B. Die Kostenentscheidung folgt aus §
97 Abs.
1
ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus §
708 Ziff. 10
ZPO.