Höhe des Schmerzensgeldes und Haftunsgverteilung bei einem Verkehrsunfall zwischen PKW und Fahrradfahrer aufgrund von Geschwindigkeitsüberschreitung
in einem für PKWs und Fahrradfahrer gesperrtem Bereich
Tatbestand:
Die Parteien streiten um Ansprüche aus einem Verkehrsunfall. Zwecks Vermeidung von Wiederholungen nimmt der Senat zunächst
Bezug auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils (Bl. 76 - 91, Bd. II. d. A.).
Das Landgericht hat die Beklagten unter Zugrundelegung einer Haftungsquote von 80 % antragsgemäß verurteilt.
Gegen das Urteil richten sich die Rechtsmittel der Parteien.
Der Kläger behauptet, er sei mit seinem Fahrrad aus der A. Straße gekommen und habe beabsichtigt, die H. Straße zu überqueren.
Dass er die H. Straße auf dem Fahrradweg aus dem Stadtzentrum kommend in Richtung Süd befahren habe, sei falsch.
Das Landgericht habe bei der Bemessung von Schmerzensgeld und Schmerzensgeldrente die Totalverweigerung der Beklagten zu 2.
nicht gebührend berücksichtigt. Dass die Beklagten nach Abschluss der ersten Instanz 100.000,00 DM gezahlt haben, könne sich
zu ihren Gunsten nicht auswirken, denn der Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz sei maßgeblich. In Abwägung aller
Umstände hätte dem Kläger ein Schmerzensgeld in Höhe von insgesamt mindestens 800.000,00 DM und eine monatliche Schmerzensgeldrente
in Höhe von mindestens 1.000,00 DM zugesprochen werden müssen. Mit derartigen Beträgen wäre der von der Rechtsprechung aktuell
vorgegebene Rahmen vollständig ausgeschöpft worden.
Er trage am Unfallgeschehen keine Mithaftung. Ob er mit seinem Fahrrad in den gesperrten Baustellenbereich eingefahren sei,
könne dahinstehen. Ein solcher Verstoß gegen die Bestimmungen der Straßenverkehrsordnung sei jedenfalls nicht mit ursächlich für den Unfall gewesen. Die von der Beklagten zu 2. gefahrene Geschwindigkeit von 64
bis 69 km/h, die der Sachverständige festgestellt habe, hätte von vorn herein jeden Versuch, den Unfall zu vermeiden, scheitern
lassen. Im Übrigen begehre er im Wege der Klageerweiterung wegen Erhöhung der Pflegesätze im Jahre 1999 auf 6.808,77 DM und
im Jahr 2000 auf 6.919,64 DM einen weiteren Betrag für ungedeckte Pflegekosten von 5.031,48 DM.
Zwischen den Instanzen zahlte die Beklagte zu 2. unter dem 29.03.2001 einen Gesamtbetrag von 131.492,79 DM. Hinsichtlich des
Klagantrags zu Ziff. 1 in Höhe von 100.000,00 DM nebst 4 % Zinsen = 10.922,22 DM und hinsichtlich des Klagantrags zu Ziff.
3 in Höhe von 18.776,25 DM nebst 1.652,84 DM Zinsen erklärten sie übereinstimmend die Erledigung.
Der Kläger beantragt letztlich,
unter Abänderung des angefochtenen Urteils,
1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn einen Schmerzensgeldbetrag zu zahlen, der weitere 700.000,00 DM
nicht unterschreiten sollte nebst 4 % Zinsen seit Rechtshängigkeit der Klage bis 30.04.2000 und 7,5 % Zinsen seit 01.05.2000,
2. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn eine rückständige Schmerzensgeldrente in Höhe von insgesamt 50.500,00
DM für die Zeit vom 15.10.1996 bis 31.12.2000 nebst 4 % Zinsen auf 21.500,00 DM seit Rechtshängigkeit der Klage sowie 4 %
Zinsen auf je 1.000,00 DM seit dem 01.07.1998, 01.08.1998, 01.09.1998, 01.10.1998, 01.11.1998, 01.12.1998, 01.01.1999, 01.02.1999,
01.03.1999, 01.04.1999, 01.05.1999, 01.06.1999, 01.07.1999, 01.08.1999, 01.09.1999, 01.10.1999, 01.11.1999, 01.12.1999, 01.01.2000,
01.02.2000, 01.03.2000 und 01.04.2000 und 7,5 % Zinsen auf je 1.000,00 DM seit dem 01.05.2000, 01.06.2000, 01.07.2000, 01.08.2000,
01.09.2000, 01.10.2000, 01.11.2000 und 01.12.2000 zu zahlen,
2. die Beklagten ferner als Gesamtschuldner zu verurteilen, an den Kläger eine monatliche Schmerzensgeldrente, fällig am 01.
eines jeden Monats im Voraus beginnend mit dem 01.01.2001 in Höhe von monatlich 1.000,00 DM zu zahlen,
3. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an den Kläger 128.337,36 DM nebst 4 % Zinsen auf 39.700,56 DM seit dem
07.07.1998 und auf je 2.954,56 DM seit dem 01.07.1998, 01.08.1998, 01.09.1998, 01.10.1998, 01.11.1998, 01.12.1998,
01.01.1999, 01.02.1999, 01.03.1999, 01.04.1999, 01.05.1999, 01.06.1999,
01.07.1999, 01.08.1999, 01.09.1999, 01.10.1999, 01.11.1999, 01.12.1999,
01.01.2000, 01.02.2000, 01.03.2000, 01.04.2000,
sowie 7,5 % Zinsen auf je 2.954,56 DM seit dem 01.05.2000, 01.06.2000,
01.07.2000, 01.08.2000, 01.09.2000, 01.10.2000, 01.11.2000 und dem 01.12.2000 zu zahlen,
und hilfsweise
die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Stadt D., Sozialamt, F. Straße 8, D., vertreten durch den Oberbürgermeister
122.814,44 DM sowie an den Kläger weitere 5.522,92 DM nebst 4 % Zinsen auf 39.700,56 DM seit dem 07.07.1998 und auf je 2.954,56
DM seit dem 01.07.1998, 01.08.1998, 01.09.1998, 01.10.1998, 01.11.1998, 01.12.1998,
01.01.1999, 01.02.1999, 01.03.1999, 01.04.1999, 01.05.1999, 01.06.1999,
01.07.1999, 01.08.1999, 01.09.1999, 01.10.1999, 01.11.1999, 01.12.1999,
01.01.2000, 01.02.2000, 01.03.2000, 01.04.2000,
sowie 7,5 % Zinsen auf je 2.954,56 DM seit dem
01.05.2000, 01.06.2000, 01.07.2000, 01.08.2000, 01.09.2000, 01.10.2000, 01.11.2000 und dem 01.12.2000 zu zahlen,
4. festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, dem Kläger ab 01.01.2001 die ihm durch Besuche
seiner Eltern entstehenden Fahrtkosten für wöchentlich zwei Besuche im Pflegeheim zu erstatten, bis der Kläger oder seine
beiden Eltern versterben,
5. festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, dem Kläger die durch Unterbringung und Pflege
auf Grund des Verkehrsunfalls vom 15.10.1996 ab 01.01.2001 entstandenen und künftig entstehenden Kosten, soweit diese nicht
durch Leistungen der Pflegeversicherung gedeckt sind, zu erstatten.
Im Übrigen beantragt er die Berufung der Beklagten zurückzuweisen und sie im Wege der Klageerweiterung als Gesamtschuldner
zu verurteilen, weitere 5.031,48 DM nebst 4 % Zinsen seit Rechtshängigkeit der Klageerweiterung zu zahlen,
hilfsweise,
die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, diesen Betrag an die Stadt D., Sozialamt, zu zahlen.
Die Beklagten beantragen,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen, soweit
1. die Beklagten als Gesamtschuldner zur Zahlung eines Schmerzensgeldes von mehr als 100.000,00 DM nebst 4 % Zinsen seit dem
07.07.1998 und
2. zur Zahlung einer monatlichen Schmerzensgeldrente sowie zur Zahlung eines Schadensersatzbetrages inclusive Verzinsung von
mehr als 20.570,57 DM verurteilt worden;
3. soweit festgestellt wurde, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind,
a) dem Kläger ab dem 01. Januar 2001 die ihm durch die Besuche seiner Eltern entstehenden Fahrtkosten für wöchentlich zwei
Besuche im Pflegeheim des Klägers zu erstatten, bis der Kläger oder seine beiden Elternteile versterben, soweit dies über
einen wöchentlichen Betrag in Höhe von 17,60 DM in der Zeit vom 01.01.2001 bis zum 31.05.2001 und von 5,87 DM ab dem 01.06.2001
hinausgeht;
b) dem Kläger die durch Unterbringung und Pflege auf Grund des Verkehrsunfalls vom 15. Oktober 1996 ab dem 01. Januar 2001
entstehenden Kosten zu erstatten, soweit diese nicht durch Leistungen der Pflegeversicherung gedeckt sind und über einen monatlichen
Betrag von 400,00 DM hinausgehen.
Die Beklagten wiederholen und vertiefen dazu ihr erstinstanzliches Vorbringen.
Sie tragen ergänzend vor:
Das Landgericht habe fehlerhaft eine überwiegende Haftung der Beklagten zu 80 % gesehen. Eine derartige überwiegende Haftung
sei insbesondere im Hinblick auf die Verstöße des Klägers gegen die StVO (Verletzung des Durchfahrtsverbots, der Regeln über die Vorfahrt und das Wenden, die unsachgemäße Beleuchtung des Fahrrads
und seinen Alkoholeinfluss) nicht gerechtfertigt. Überdies greife zu Lasten der Beklagten zu 2. nicht der Vorwurf, die zulässige
Höchstgeschwindigkeit überschritten zu haben.
Wenn sich das Gericht erster Instanz wegen des Vorwurfs der Geschwindigkeitsüberschreitung auf die Aussagen des Sachverständigen
W. stütze, sei das nicht nachzuvollziehen. Der Sachverständige habe keine eigenen Messungen vorgenommen, sondern die nicht
maßstabsgerechte polizeiliche Verkehrsunfallskizze zu Grunde gelegt. Die dortigen Daten werden mit Nichtwissen bestritten.
Bestritten werden ebenfalls die vom Sachverständigen getroffenen Feststellungen zur Vermeidbarkeit des Unfalls für die Beklagte
zu 2.
Zu Lasten des Klägers müsse ebenfalls berücksichtigt werden, dass er entgegen der Auffassung des Landgerichts nicht mit einer
ordnungsgemäßen vorderen Beleuchtung gefahren sei. Das Gutachten bestätige lediglich, dass die Schlussleuchte ordnungsgemäß
beleuchtet gewesen sei. Der Kläger sei insbesondere auch im Hinblick auf seine Zick-Zack-Bewegung nicht früher wahrnehmbar
gewesen. Insgesamt wiegen die Verstöße des Klägers weit höher als die der Beklagten zu 2.; eine Haftungsverteilung von 2/3
zu Lasten des Klägers und 1/3 zu Lasten der Beklagten zu 2. sei gerechtfertigt.
Hinsichtlich der Fahrtkosten sei der Beklagten zu 1. ein Rechenfehler unterlaufen. Sie habe nach Maßgabe des Berufungsantrags
zu 4 a in der Zeit vom 01.01. bis 31.05.2001 wöchentliche Fahrtkosten in Höhe von 17,60 DM beglichen. Tatsächlich stünden
dem Kläger selbst bei Vorliegen eines Anspruchsgrundes maximal die ab 01.07.2001 gezahlten wöchentlichen Fahrtkosten zu.
Die Notwendigkeit der Fahrtkosten werde im Übrigen bestritten, da eine Verbesserung des Gesundheitszustandes des Klägers bedauerlicherweise
nicht zu erwarten sei.
Der Kläger sei zur Geltendmachung seines Eigenanteils an seinem Pflegeaufwand nicht legitimiert, denn er hätte Leistungen
der Sozialhilfe in Anspruch nehmen können. Nach § 116 SGB X würden die ihm zustehenden Ansprüche auf Schadensersatz auf den Träger der Sozialversicherung übergehen. Dieser sei verpflichtet,
Leistungen an den Kläger nach dem BSHG zu erbringen; ein Recht zur Darlehensgewährung habe ihm nicht zugestanden, weil der Kläger über kein Vermögen verfüge. Ein
Anspruch auf Schadensersatz sei kein Vermögen in dem Sinne der Bestimmungen des BSHG. Überdies sei kein Abzug für ersparte Aufwendungen vorgenommen worden. Der Kläger erspare Kosten für Miete und Verpflegung,
denn er sei in einem Pflegeheim untergebracht. Die konkrete Ersparnis betrage monatlich wenigstens 1.000,00 DM.
Der den Pflegekosten zu Grunde liegende monatliche Pflegesatz sei in Höhe von 6.654,65 DM überhöht; Aufwendungen seien daher
nur dann erforderlich und zu ersetzen, wenn sie von einem verständigen und wirtschaftlich denkenden Menschen in der Lage des
Geschädigten genauso gemacht worden wären. Die vom Kläger zu zahlenden Pflegekosten seien objektiv übersetzt; er habe keine
Vergleichsangebote vor dem Abschluss des Pflegevertrags mit dem Seniorenheim in D. eingeholt. Hätte er dies getan, wären wesentlich
günstigere Pflegesätze in Höhe von jedenfalls maximal 5.500,00 DM pro Monat ermittelt worden.
Auch das vom Landgericht zugesprochene Schmerzensgeld sei weit überhöht. Es liege beim Kläger kein so genanntes Lockend-In-Syndrom,
sondern ein Verletzungsbild vor, dass dem eines appallischen Syndroms gleiche. Das Gutachten des Sachverständigen Prof. M.
enthalte keine nachweisbaren Tatsachen über den Umfang der Wahrnehmungsfähigkeit des Klägers; der Gutachter habe lediglich
Vermutungen geäußert. Der Kläger sei nicht in der Lage, Kontakt mit seiner Umwelt aufzunehmen.
Die Beklagten meinen, ein Schmerzensgeld von insgesamt 300.000,00 DM bei uneingeschränkter Haftung sei höchstens gerechtfertigt,
was bei einer Haftungsquote zu Lasten des Klägers von 2/3 dem geleisteten Schmerzensgeldbetrag von 100.000,00 DM rechtfertige.
Der Vorwurf, die Schadensregulierung verzögert zu haben, gehe fehl.
Ein Anspruch auf eine Schmerzensgeldrente neben dem Schmerzensgeld sei nicht gerechtfertigt. Voraussetzungen dafür seien lebenslange
schwere Dauerschäden, die immer wieder als schmerzlich empfunden werden.
Wegen des Vorbringens der Parteien im Einzelnen wird im Übrigen auf die vorgetragenen und gewechselten Schriftsätze verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufungen der Parteien sind zulässig, denn sie sind statthaft, form- und fristgerecht eingelegt und auch begründet worden
(§§
511, 511 a, 516, 519, 519 a
ZPO).
Die Berufung der Beklagten zu 1. und 2. bleibt im Wesentlichen erfolglos; der Senat hat jedoch bei seiner Entscheidung berücksichtigt,
dass die Beklagte nach Verkündung des angefochtenen Urteils Zahlungen in Höhe von über 131.000,00 DM an den Kläger geleistet
hat.
Die Berufung des Klägers hat im Umfange der Klagerweiterung überwiegend Erfolg; im Übrigen verbleibt es beim angefochtenen
Urteil, wobei, wie ausgeführt die nach Zahlung der Beklagten erklärte Erledigung des Rechtsstreits Berücksichtigung gefunden
hat.
Das Landgericht hat die Beklagten zu Recht verurteilt, an den Kläger Schadensersatz, (die Beklagte zu 2. aus den §§
7 Abs.
1,
18 Abs.
1, 11
StVG, 3, 39 i. V. m. den Zeichen 600 und 250 StVO und §
823 I
BGB; die Beklagte zu 1. als Haftpflichtversicherer der Beklagten zu 1. aus § 3 Nr. 1 PflVG und als Gesamtschuldner aus §
840 BGB, 3 Nr. 2 PflVG) und Schmerzensgeld sowie Schmerzensgeldrente aus §§
823, 847,
843 BGB zu zahlen.
Die Beklagte zu 2. hat für die Unfallfolgen beim Kläger einzustehen, denn beim Betrieb ihres PKW, den sie gefahren hat, sind
dem Kläger Sach- und Gesundheitsschäden entstanden, für die sie als Halter (§
7 StVG) und als Fahrzeugführer (§
17 StVG) auf Schadensersatz haftet.
Ihre Haftung ist nicht nach §
7 Abs.
2 StVG ausgeschlossen, denn der Unfall stellt für sie kein unabwendbares Ereignis dar. Sie hat unter Außerachtlassung jeglicher
im Straßenverkehr gebotener Sorgfalt die H. Straße in D. in einem für sie als PKW-Fahrerin gesperrten Bereich und mit überhöhter
Geschwindigkeit befahren. Die Beklagte zu 2. hat mit ihrem Fahrzeug ab Einmündung K. weg die H. Straße befahren, obgleich
diese Straße durch links und rechts neben dem Fahrbahnrand aufgestellten Absperrschranke (Zeichen 600 der StVO) und das Durchfahrtsverbotszeichen (Zeichen 250) für den gesamten Straßenverkehr mit Ausnahme von Handfahrzeugen gesperrt
war und Krafträder und Fahrräder lediglich geschoben werden durften. Dass diese Vorschriften der Straßenverkehrsordnung nicht hätten Anwendung finden dürfen, wie die Beklagten versuchen darzustellen, vermag der Senat nicht nachzuvollziehen.
Auch ein durch Verkehrseinrichtungen i. S. v. § 43 StVO gesperrter Teil einer Straße bleibt Bestandteil des öffentlichen Straßenverkehrs. Etwas anderes gilt nur dann, wenn ein Baustellenbereich
durch feste bauliche Einrichtungen, z. B. Bauzäune, abgegrenzt ist. Nur derartige Einrichtungen nehmen dem abgegrenzten Straßenraum
die Zugehörigkeit zum öffentlichen Verkehrsgrund. Hier indes handelt es sich um durch Absperrgeräte nach § 43 StVO vorübergehend eingerichtete Absperrungen, die nur teilweise die Benutzung untersagen (vgl. BayObLG, VRS 68, 139).
Dass sich die Beklagte auch bewusst war, über 250 m in einem für sie gesperrten Bereich zu fahren, stellt die Berufung im
Übrigen nicht in Zweifel.
Dem Landgericht ist aber darin zu folgen, dass die Beklagte zu 2. diesen abgesperrten Verkehrsraum mit überhöhter Geschwindigkeit
befahren hat, und zwar nicht unter 64 km/h und, dass diese Geschwindigkeit kausal für den Unfall geworden ist. Der Unfall
hätte nämlich nach dem überzeugenden und auch nachvollziehbaren Gutachten des Sachverständigen W., dass das Landgericht zu
Recht seiner Entscheidung zu Grunde gelegt hat, bei einer Geschwindigkeit von 55 - 60 km/h räumlich vermieden werden können.
Die von der Berufung am Gutachten W. geäußerte Kritik ist bereits deshalb unbeachtlich, weil sie unsubstantiiert ist. Denn
die Beklagte zu 2. behauptet lediglich, die dem Gutachten zu Grunde liegenden Vermessungen seien nicht vom Sachverständigen
selbst vorgenommen worden, dieser habe sich nur auf die polizeiliche Verkehrsunfallskizze und die darin enthaltenen Angaben
verlassen. Sie bestreitet also mit Nichtwissen, dass die in der Unfallskizze enthaltenen Angaben den tatsächlichen Verhältnissen
am Unfallort zur Unfallzeit entsprochen haben und die Richtigkeit der von den Polizeibeamten vermessenen Bremsspuren. Dieses
Bestreiten der Beklagten mit Nichtwissen ist unbeachtlich, denn die Beklagte war selbst Unfallbeteiligte und am Unfallort
bei der Vermessung durch die Polizeibeamten zugegen, so dass ihr ein substantiiertes Bestreiten abzuverlangen war. Im Übrigen
hatte sie selbst Einsicht in die Ermittlungsakten und daher genaue Kenntnis von dem in der Unfallskizze zu Grunde gelegten
Vermessungswerten. Wer derartige Kenntnis von einem Lebenssachverhalt hat, kann mit Nichtwissen nicht gehört werden (vgl.
Zöller/Greger,
ZPO, 22. Aufl., §
138 Rn. 13).
Von dem Gutachten W. insbesondere dessen Ergebnis, dass die Beklagte zu 2. mit einer Geschwindigkeit von nicht unter 64 km/h
gefahren ist und der Unfall bei 55 - 56 km/h räumlich und bei einer Geschwindigkeit von 57 bis 63 km/h zeitlich vermeidbar
gewesen wäre, geht der Senat daher auch aus. Wegen der Begründung im Einzelnen verweist der Senat auf die umfassende Darstellung
im angefochtenen Urteil (Seiten 22 bis 26).
Wenn das Landgericht im Ergebnis des Gutachtens davon ausgeht, dass die überhöhte Geschwindigkeit der Beklagten zu 2) unfallursächlich
geworden ist, ist dem beizupflichten, eben weil nach dem Gutachten bei Einhaltung der amtlich festgelegten Höchstgeschwindigkeit
der Unfall vermeidbar gewesen wäre. Was die Beklagten mit ihren Ausführungen zum Schutzzweck des § 3 StVO hiergegen zu erinnern versuchen, ist nicht nachvollziehbar noch dazu - wie ausgeführt worden ist - derartig abgesperrter
Verkehrsraum zum Bereich des öffentlichen Verkehrs gehört und hier, da amtlich nichts anderes festgelegt ist, die allgemeine
Geschwindigkeitsregelung gilt. Selbst wenn die für den übrigen Verkehrsraum festgelegte Höchstgeschwindigkeit nicht gelten
würde, wie die Beklagten behaupten, stünde dennoch fest, dass der Unfall bei angemessener Geschwindigkeit vermeidbar gewesen
wäre.
Die Einschätzung, die Beklagte zu 2) hat sich angesichts ihres Befahrens eines gesperrten Verkehrsraums mit überhöhter Geschwindigkeit
nicht wie ein besonders sorgfältiger und umsichtig fahrender Verkehrsteilnehmer verhalten, ist daher völlig zutreffend. Hinzu
kommt, dass sie - und auch das spricht für die Geltung des § 3 StVO - mit Fußgängern, Handfahrzeugen und der Straßenbahn hätte jederzeit rechnen müssen.
Zuzustimmen ist dem Landgericht auch insoweit, als es entgegen der Auffassung der Beklagten nicht auf die Geltung der Vorfahrtsregeln
kapriziert, die hier im Bereich des Unfallorts ersichtlich nicht gelten.
Was die Beklagten im Übrigen mit ihren Ausführungen zum Vertrauensgrundsatz und zur Geltung des § 9 StVO zu erinnern versuchen, greift nicht.
Dem Landgericht ist auch darin beizupflichten, dass das Verhalten des Klägers mitursächlich für den Unfall gewesen ist, weil
er sich mit seinem Fahrrad fahrend gleichfalls im abgesperrten Bereich der H. Straße bewegt hat. Denn auch für ihn galt, das
durch das Verkehrszeichen 250 und die Absperrschranke bestimmte Benutzungsverbot dieses Straßenbereichs. Dieser Verstoß ist
vom Landgericht zu Recht bei der Mithaftung berücksichtigt worden. Er wiegt allerdings weit geringer als der Verstoß der Beklagten
zu 2), denn sie hat verbotswidrig den gesamten gesperrten Bereich über eine Distanz von etwa 250 m mit überhöhter Geschwindigkeit
und einem Pkw befahren, der Fahrrad fahrende Kläger hat allerdings den Bereich allenfalls 10 m benutzt. Er musste in diesem
Bereich allenfalls mit dem Verkehr von Straßenbahnen rechnen, für die das Verbot der Benutzung nicht galt. Derartige Fahrzeuge
unterscheiden sich aber, wie das Landgericht zutreffend bemerkt, bereits durch ihre Größe, ihren Geräuschpegel und die Geräuschart
erheblich von einem PKW.
Für eine Erhöhung des Haftungsanteils des Klägers bringt ansonsten die Berufung der Beklagten nichts Neues oder Erhebliches
vor.
Insbesondere gilt das für die Behauptung, der Kläger sei nicht mit einem ordnungsgemäß beleuchteten Fahrrad gefahren. Das
Landgericht hat dazu bereits ausführlich und auf der Grundlage des technischen Gutachtens der DEKRA Automobil GmbH vom 05.06.2000
Stellung genommen. Nach diesem steht jedenfalls zweifelsfrei fest, dass die Schlussleuchte des Fahrrads im Zeitpunkt des Unfalls
geleuchtet hat. Da sowohl Schlussleuchte wie auch Scheinwerferlampe nach dem Gutachten technisch in Ordnung waren, beide Beleuchtungseinrichtungen
von einem Dynamo aus betrieben worden und auch die Verbindungskabel unversehrt sich am Dynamo befanden, konnte das Landgericht
nach der Lebenserfahrung davon ausgehen, dass auch der Scheinwerfer Licht nach vorn abgestrahlt hat.
Selbst wenn der Scheinwerfer dennoch kein Licht nach vorn abgestrahlt haben sollte, würde dies nicht zu einem höheren Mitverschuldensanteil
beim Kläger führen. Denn angesichts der Übrigen am Fahrzeug befindlichen Leuchten und der Reflektoren am Lenker und den Rädern
sowie der in Betrieb befindlichen Straßenbeleuchtung hätte die Beklagte - den behaupteten Zick-Zack-Kurs des Klägers im Bereich
der Absperrung bis zum Anstoß als richtig unterstellt sehen können und müssen.
Hinzukommt, dass sich im Ergebnis die Beklagten mit ihrer Argumentation selbst in Übereinstimmung mit dem landgerichtlichen
Urteil befinden, wenn sie behaupten, das Fahrrad sei frühestens im Zeitpunkt der vom Kläger vorgenommenen Wendung erkennbar
gewesen. Zu diesem Zeitpunkt wäre bei Einhaltung der festgelegten Höchstgeschwindigkeit der Unfall für die Beklagte zu 2),
wie das Landgericht weiter ausführt, vermeidbar gewesen.
Mit dem Landgericht ist auch davon auszugehen, dass sich aus den wohl geringen Alkoholbeeinflussung des Klägers - er trankt
zwei Glas Bier - für ein erhöhtes Mitverschulden nichts herleiten lässt. Das wäre nur dann der Fall, wenn sich der Alkoholgenuss
erwiesenermaßen - und das ist bereits nach dem Vortrag der Beklagten nicht der Fall - auf den Unfall ausgewirkt hätte. Denn
in die Abwägung dürfen nur solche Tatbeiträge eingebracht werden, die sich tatsächlich auf die Schädigung ausgewirkt haben;
die für die Abwägung maßgeblichen Umstände müssen also feststehen (vgl. BGH VersR 95, 357).
Die angefochtene Entscheidung erweist sich auch hinsichtlich des ausgeurteilten Schadensersatzes als zutreffend.
Insbesondere ist den Beklagten nicht darin zu folgen, dass das Landgericht fehlerhaft die Aktivlegitimation des Klägers bezüglich
seines Eigenanteils am Pflegeaufwand bejaht hat, weil diese Ansprüche auf den Träger der Sozialversicherung kraft Gesetzes
insoweit übergegangen seien, als dieser zur Leistung verpflichtet gewesen wäre und die Voraussetzung für die Darlehenshingabe
nach § 89 BSHG nicht vorliegen würden. Es lag nämlich, wie das Landgericht zutreffend ausführt, kein Fall des § 116 I SGB X vor, weil der Träger der Sozialhilfe nicht zur Leistungserbringung verpflichtet war. Seine Verpflichtung hätte nur dann bestanden,
wenn der Kläger über einzusetzendes Vermögen im Sinne von § 88 BSHG nicht verfügt hätte und bedürftig im Sinne der Regelungen des BSHG gewesen wäre. Der Kläger war jedoch bei Darlehnsgewährung im sozialhilferechtlichen Sinne vermögend. Denn zum Vermögen gehören
insbesondere auch Ansprüche auf Schadensersatz, die realisierbar sind. Das ist für den Bereich des Prozesskostenhilfeverfahrens
- §
115 Abs.
2 ZPO verweist auf die Regeln des BSHG - anerkannt (vgl. Zöller/Philippi,
ZPO, 22. Aufl. §
115 Rziff. 50 m. N.) und wird vom Senat auch so praktiziert. Dass ein realisierbarer Schadensersatzanspruch - in welcher Höhe
auch immer - bestanden hat, haben die Beklagten ernsthaft nicht in Frage gestellt.
Die Darlehensgewährung ist daher zu Recht.
Im Übrigen liegt für einen Abzug für Eigenersparnis an Miete und Verpflegung hier nichts vor. Denn der Kläger hat in Folge
des Unfalls exorbitante und nicht gedeckte Pflegekosten lebenslang, was einem Abzug für Eigenersparnis entgegensteht. Diese
Auffassung hält auch einer Plausibilitätskontrolle auf der Grundlage der grundsätzlichen Erwägungen der Rechtsprechung des
BGH stand, wonach eine Vorteilsanrechnung aus der Sicht des Geschädigten zumutbar sein, dem Zweck des Schadensersatzes entsprechen
muss und den Schädiger nicht unbillig entlasten darf (vgl. Palandt/Heinrichs,
BGB, 60. Aufl., vor § 249/Rziff. 189).
Der Einwand der Beklagten, der geltend gemachte und zugesprochene Pflegesatz sei überdies überhöht, der Kläger bzw. dessen
Vertreter hätten aus Gründen ihrer Schadensminderungspflicht vor Abschluss des Pflegevertrages mit dem Seniorenzentrum der
AWO in D. bei anderen Pflegeheimen nach preiswerteren Angeboten Ausschau halten müssen und dabei erheblich günstigere Angebote
finden können, ist unsubstantiiert. Die Beklagten haben nämlich nicht konkret vorgetragen, dass in der örtlichen Nähe der
Eltern des Klägers eine etwa gleich-wertige Unterbringung, Pflege und Betreuung zu wesentlich günstigeren Kosten vorhanden
gewesen ist. Dabei hätten sie etwaige Mehraufwendungen der Eltern für Fahrtkosten auch gegenrechnen müssen. Das ist unterblieben
und daher der Einwand nicht zu berücksichtigen.
Der Berechnung des Landgerichts hinsichtlich des Teils der ungedeckten Pflegekosten folgt der Senat. Allerdings ist hier zu
berücksichtigen, dass - von den Beklagten nicht widersprochen - eine Erhöhung der Pflegesätze eingetreten ist und zwar auf
6.808,77 DM zum 01.01.1999 und auf 6.919,64 DM ab 01.01.2000 bis 31.12.2000. Das führt zu einer weiteren Belastung von 5.031,48
DM, was unbestritten ist, und damit bei einem Haftungsanteil der Beklagten von 80 % zu einer Erhöhung um 4.025,18 DM. Insofern
war der Schadensersatzbetrag, der nach dem angefochtenen Urteil 116.001,52 DM beträgt, um diesen Betrag zu erhöhen.
Schließlich folgt der Senat auch insoweit dem Landgericht als es ein Schmerzensgeld für den Kläger in Höhe von 600.000,00
DM zugesprochen hat. Das gilt ebenso für die monatliche Schmerzensgeldrente von 750,00 DM. Um Wiederholungen zu vermeiden,
verweist der Senat auf die umfassende und zutreffende Begründung im landgerichtlichen Urteil (Bl. 108 - 116 II d. A.).
Bei der Beurteilung der Erkrankung des Klägers ist das Landgericht zu Recht von dem Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr.
med. M., Medizinische Hochschule H. ausgegangen, der beim Kläger ein Locked-In-Syndrom diagnostiziert und überzeugend den
Unterschied zu dem von den Beklagten behaupteten apallischen Syndrom dahin beschrieben hat, dass auch ein am Locked-In-Syndrom
leidender Patient, der sich nicht mehr bewegen könne und bewusstlos wirke, seine Umgebung wahrnehmen und achtlos gemachte
Kommentare und Bemerkungen verstehen könne. Wie der Gutachter ausführt, weise der Kläger in gewissen Grenzen Empfindungen,
wie Angst, Freude und Schmerz auf und sei in der Lage, auf Aufforderung die Augen zu öffnen und zu schließen und könne derartigen
Befehlen folgen.
Hierneben hat das Landgericht zutreffend in seine Beurteilung zur Höhe des Schmerzensgeldes und der Schmerzensgeldrente, für
die es nach §
287 ZPO besonders freigestellt ist (vgl. BGH VersR 1988, 943) einfließen lassen, dass das Leben des damals 24-jährigen Klägers für immer zerstört ist, er immer auf fremde Hilfe angewiesen
ist, sich selbst keinen Wunsch erfüllen kann und nichts mehr verwirklichen kann was junge Menschen seines Alters können. Der
BGH hat darauf orientiert, dass gesundheitliche Beeinträchtigungen von erheblichem Ausmaß (schwerer Hirnschaden, der zu weitgehendem
Verlust der Wahrnehmungs- und Empfindungsfähigkeit führt) nach eigenständiger Bewertung verlangt und lediglich symbolhafte
Wiedergutmachungen verbietet (vgl. BGHZ 120, 1 - 9). Das gilt angesichts der schwersten Verletzungen beim Kläger hier ebenso. Dabei kommt hinzu, dass wegen der körperlichen
Beeinträchtigungen durch den Unfall beim Kläger bereits gesundheitliche Komplikationen eingetreten sind und solche auch in
Zukunft nicht auszuschließen sind. Nekrotische Defektzonen am linken Fuß und an der linken Kniekehle wurden festgestellt,
ein vereiterter Lungenflügel musste entfernt werden.
Schließlich hat das Landgericht bei der Bemessung des Schmerzensgeldes und der Rente zu Recht nicht außer Acht gelassen, dass
die Beklagte zu 1. mit der Schadensregulierung erheblich zögerlich gewesen ist, obgleich selbst von ihrem Standpunkt aus wenigstens
hätte Teilzahlungen, und zwar weit vor einen gerichtlichen Spruch, tätigen müssen. Sie hat aber erst nach Vorliegen der angefochtenen
Entscheidung insgesamt 131.492,79 DM gezahlt.
Mit der Höhe des ausgeurteilten Schmerzensgeldes und der Schmerzensgeldrente ist aus der Sicht des Senates allen Umständen
- auch dem Mitverschulden des Klägers, dass neben anderen nur ein Bemessungselement ist (vgl. BGH NZV 1991, 305) - gebührend Rechnung getragen worden. Ausgeurteiltes Schmerzensgeld und Schmerzensgeldrente sprengen auch nicht die Grenzen
des Entschädigungssystems (vgl. OLG Frankfurt, VersR 96, 1509); die Nachteile, die sich möglicherweise für die Versichertengemeinschaft
ergeben könnten, sind vertretbar. Im Übrigen bewegt sich das Landgericht im Rahmen der neueren Schadensersatzrechtsprechung
bei schwersten Verletzung mit schweren dauerhaften Beeinträchtigungen.
So hat erst kürzlich das Landgericht München I (vgl. ZFS 2001, 359 m. w. N.) in einer Verkehrsunfallsache, bei der ein 48-jähriger
Hauptschullehrer (ähnlich) schwerste Verletzungen erlitt (schweres hirnorganisches Psychosyndrom mit Funktionsausfall der
Großhirnrinde, zentraler Sprachstörung mit inkompletter Lähmung aller Extremitäten) und hinzukommenden Folgen, Schadensersatz
in Höhe von etwa 1.000.000 DM - aufgeteilt in 750.000 DM Schmerzensgeld und 1.500 DM Rente - zugesprochen.
Die weiteren Entscheidungen beruhen auf §§
91,
92,
91 a, 708 Nr. 10,
711, 546
ZPO.