Anspruch eines behinderten Menschen auf Befreiung von der Eigenbeteiligung für die Nutzung des besonderen Fahrdienstes (Telebus);
Auswirkungen des Erhalts von Blindepflegegeld für den Anspruch auf Befreiung von der Eigenbeteiligung für die Nutzung eines
besonderen Fahrdienstes (Telebus)
1. Ernstliche Richtigkeitszweifel (§
124 Abs.
2 Nr.
1 VwGO) bestehen dann, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung der angegriffenen Entscheidung
mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird und nicht nur die Begründung, sondern auch die Richtigkeit des Ergebnisses
der Entscheidung Zweifeln unterliegt.
2. Das in Artikel
3 Abs.
3 Satz 2
GG bzw. Artikel
11 Satz 1 VvB festgelegte Verbot, Behinderte zu benachteiligen soll den Schutz des allgemeinen Gleichheitssatzes nach Artikel
3 Abs.
1 GG bzw. Artikel
10 Abs.
1 VvB für bestimmte Personengruppen dahingehend verstärken, dass der staatlichen Gewalt insoweit engere Grenzen vorgegeben
werden, als die Behinderung nicht als Anknüpfungspunkt für eine - benachteiligende - Ungleichbehandlung dienen darf.
3. Der allgemeine Gleichheitssatz des Artikels 3 Abs. 1
GG bzw. des Artikels 10 Abs. 1 VvB verbietet es, dass eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten
anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass
sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten.
4. Der Bezug des Blindenpflegegeldes stellt einen hinreichend gewichtigen sachlichen Anknüpfungspunkt für die Ungleichbehandlung
gegenüber solchen Heimbewohnern dar, die den Barbetrag nach § 35 Abs. 2 SGB XII erhalten.
5. Das Blindenpflegegeld dient jedenfalls auch der Förderung der Mobilität der Betroffenen, da Kontakt zur Umwelt und Teilnahme
am kulturellen Leben typischerweise durch Besuche von Veranstaltungen oder bei Personen erfolgen.
Zwar verfolgt das Blindenpflegegeld neben der Mobilitätsförderung auch andere Zwecke, es obliegt jedoch der freien Entscheidung
des Blindenpflegegeldempfängers, in welchem Umfang und zu welchen der verschiedenen Zwecke er das als Pauschale gewährte Geld
verwendet. Der Leistungsempfänger hat es damit selbst in der Hand, die Zwecke, zu denen er das Geld verwenden will, zu bestimmen.
6. Grundsätzliche Bedeutung kommt einer Rechtssache zu, wenn sie eine für das erstrebte Rechtsmittelverfahren erhebliche Rechtsfrage
aufwirft, die im Interesse der Einheitlichkeit oder Fortbildung des Rechts obergerichtlicher Klärung bedarf. Zur Darlegung
der grundsätzlichen Bedeutung ist gemäß §
124a Abs.
4 Satz 4
VwGO eine solche bestimmte ungeklärte und entscheidungserhebliche Rechts- oder Tatsachenfrage zu formulieren. Weiter ist die Entscheidungserheblichkeit
der betreffenden Frage im Berufungsverfahren aufzuzeigen sowie anzugeben, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende
Bedeutung bestehen soll. Es ist darzulegen, in welchem Sinne und aus welchen Gründen die Beantwortung der Frage zweifelhaft
und streitig ist.
Gründe
Das Verwaltungsgericht hat mit Urteil vom 20. Februar 2008 die Klage abgewiesen, mit der die Klägerin sich gegen mehrere Bescheide
wendet, mit denen ihr die Berechtigung zur Nutzung des besonderen Fahrdienstes für behinderte Menschen (sog. Telebus) entzogen
wurde, weil sie die insoweit vorgesehene Eigenbeteiligung nicht gezahlt hatte, und außerdem ihr Antrag auf Befreiung von der
Eigenbeteiligung abgelehnt wurde. Sie vertritt die Auffassung, nicht zur Zahlung einer Eigenbeteiligung verpflichtet zu sein.
Der gegen das Urteil gerichtete und auf die Gründe des §
124 Abs.
2 Nr.
1 und
3 VwGO gestützte Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
1.
Die Klägerin zeigt mit ihren Darlegungen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angegriffenen Urteils auf (§
124 Abs.
2 Nr.
1 VwGO). Ernstliche Richtigkeitszweifel bestehen dann, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung
der angegriffenen Entscheidung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt werden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23. Juni
2000 - 1 BvR 830/00 -, NVwZ 2000, S. 1163, 1164) und nicht nur die Begründung, sondern auch die Richtigkeit des Ergebnisses der Entscheidung Zweifeln unterliegt. Das ist
hier nicht der Fall.
Zu Recht ist das Verwaltungsgericht im Ergebnis davon ausgegangen, dass eine rechtswidrige Ungleichbehandlung der Klägerin
gegenüber anderen Heimbewohnern nicht vorliegt. Zwar ist die Klägerin von der Eigenbeteiligung des besonderen Fahrdienstes
letztlich nur deshalb nicht gemäß § 13 Abs. 2 der Verordnung über die Vorhaltung eines besonderen Fahrdienstes vom 31. Juli
2001 (GVBl. S. 322), zuletzt geändert durch Verordnung vom 22. Juni 2005 (GVBl., S. 342) - VOVbF - befreit, weil sie Blindenpflegegeld
nach dem Landespflegegeldgesetz bezieht und damit den Anspruch auf den Barbetrag nach § 35 Abs. 2 SGB XII einbüßt (§ 72 Abs.
4 Satz 1 und 3 SGB XII). Hierin liegt jedoch weder ein Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot des Artikels 11 Satz 1 VvB
bzw. des Artikels 3 Abs.
3 Satz 2
GG noch gegen den allgemeinen Gleichheitssatz in Artikel
3 Abs.
1 GG bzw. Artikel
10 Abs.
1 VvB. Das in Artikel
3 Abs.
3 Satz 2
GG bzw. Artikel
11 Satz 1 VvB festgelegte Verbot, Behinderte zu benachteiligen soll den Schutz des allgemeinen Gleichheitssatzes nach Artikel
3 Abs.
1 GG bzw. Artikel
10 Abs.
1 VvB für bestimmte Personengruppen dahingehend verstärken, dass der staatlichen Gewalt insoweit engere Grenzen vorgegeben
werden, als die Behinderung nicht als Anknüpfungspunkt für eine - benachteiligende - Ungleichbehandlung dienen darf (BVerfG,
Beschluss vom 8. Oktober 1997 - 1 BvR 9/97 -, BVerfGE 96, 288 ff.). Der allgemeine Gleichheitssatz des Artikels 3 Abs. 1
GG bzw. des Artikels 10 Abs. 1 VvB verbietet es, dass eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten
anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass
sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten (BVerfG, Urteil vom 17. November 1992 - 1 BvL 8/87 -, BVerfGE 87, 234). Daran gemessen liegt hier keine Benachteiligung oder sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung vor.
Anknüpfungspunkt der VOVbF für die Heranziehung der Klägerin zur Eigenbeteiligung bei der Nutzung des besonderen Fahrdienstes
ist nicht ihre Blindheit, sondern der Bezug des Blindenpflegegeldes. Dies stellt einen hinreichend gewichtigen sachlichen
Anknüpfungspunkt für die Ungleichbehandlung gegenüber solchen Heimbewohnern dar, die den Barbetrag nach § 35 Abs. 2 SGB XII
erhalten. Denn das Blindenpflegegeld in der von der Klägerin bezogenen Höhe (234,00 Euro) übersteigt den Barbetrag nach §
35 Abs. 2 SGB XII von 89,50 Euro um 144,50 Euro. Der Klägerin stehen damit deutlich mehr Mittel zur Verfügung als Heimbewohnern,
die lediglich den Barbetrag nach § 35 Abs. 2 SGB XII erhalten. Dies rechtfertigt es, auch im Lichte des verfassungsrechtlich
verbürgten Benachteiligungsverbotes wie des allgemeinen Gleichheitssatzes der Klägerin - wie allen anderen Heimbewohnern,
die den Barbetrag nicht erhalten - die in § 13 Abs. 2 Satz 2 und 3 VOVbF vorgesehene Eigenbeteiligung abzuverlangen.
Dem lässt sich nicht entgegenhalten, die Klägerin sei gehindert, das Blindengeld zweckentsprechend zu verwenden, wenn sie
es für die Eigenbeteiligung zur Benutzung des besonderen Fahrdienstes aufwenden müsse. Das der Klägerin nach § 1 Abs. 1 des
Landespflegegeldgesetzes gewährte Blindenpflegegeld dient - ebenso wie die Blindenhilfe nach § 72 SGB XII - dem Ausgleich
der durch die Blindheit bedingten Mehraufwendungen. Unter Mehraufwendungen in diesem Sinne ist in erster Linie der finanzielle
Aufwand zu verstehen, den die durch die Blindheit hervorgerufene Pflege verursacht. Dazu gehört allerdings auch der finanzielle
Aufwand, der nicht unmittelbar durch die eigentliche Pflege entsteht, der aber gleichfalls auf die Blindheit zurückzuführen
ist, z.B. besondere und zusätzliche Kleidung, Blindenschriften oder Blindenliteratur, soweit diese Mittel nicht bereits der
Eingliederung des Blinden in das gesellschaftliche Leben dienen (VGH Mannheim, Urteil vom 20. Februar 1998 - 6 S 1090/96 -, Rn. 28 bei [...] m.w.N. zum zweckgleichen § 1 Abs. 1 des Baden-Württembergischen Landesblindenhilfegesetzes). Dem Blinden
soll dadurch die Möglichkeit eröffnet werden, sich trotz Blindheit mit seiner Umgebung vertraut zu machen, mit eigenen Mitteln
Kontakt zur Umwelt zu pflegen und am kulturellen Leben teilzunehmen (BVerwG, Urteil vom 14. Mai 1969 - V C 167.67 -, Rn. 18 bei [...]). Das Blindenpflegegeld dient damit jedenfalls auch der Förderung der Mobilität der Betroffenen, da Kontakt
zur Umwelt und Teilnahme am kulturellen Leben typischerweise durch Besuche von Veranstaltungen oder bei Personen erfolgt.
Dabei liegt die Annahme nahe, dass der Blinde durchaus häufiger etwa Aufwendungen für Taxifahrten zu tätigen haben wird, um
ein mit einem Sehenden annähernd vergleichbares Maß an Mobilität zu erreichen. Die hier in Rede stehende Nutzung des besonderen
Fahrdienstes ist mit der Nutzung eines Taxis vergleichbar. Diese Annahme rechtfertigt sich einerseits aus dem Umstand, dass
die Eigenbeteiligung der Höhe nach beim durchschnittlichen Benutzer ein Ausmaß erreicht, das den finanziellen Aufwand für
gelegentliche Taxifahrten nicht übersteigt: Für Bezieher von Sozialleistungen beträgt die Eigenbeteiligung für die ersten
acht Fahrten 1,53 Euro je Fahrt, für die nächsten acht Fahrten sind 3,50 Euro je Fahrt zu entrichten und ab der 17. Fahrt
beträgt die Eigenbeteiligung 7,00 Euro. Zum anderen erscheint die Vergleichbarkeit mit Taxifahrten, die den Kontakt zur Umwelt
und der Teilnahme am kulturellen Leben dienen, gerechtfertigt, weil die Eigenbeteiligung letztlich ausschließlich für Freizeitfahrten
in Rede steht, denn für Arzt-, Rehabilitations- und Arbeitsfahrten besteht die Möglichkeit der Erstattung der Fahrtkosten
durch andere Kostenträger.
Dass die Klägerin mitunter einen nicht unbeträchtlichen Teil ihres Blindenpflegegeldes für den besonderen Fahrdienst einsetzt,
rechtfertigt keine andere Einschätzung. Zwar verfolgt das Blindenpflegegeld neben der Mobilitätsförderung auch andere Zwecke,
die die Klägerin aufgrund der in manchen Monaten relativ hohen Aufwendungen für den Fahrdienst nicht mehr in gleichem Maße
verfolgen kann. Es obliegt jedoch der freien Entscheidung des Blindenpflegegeldempfängers, in welchem Umfang und zu welchen
der verschiedenen Zwecke er das als Pauschale gewährte Geld verwendet. Der Leistungsempfänger hat es damit selbst in der Hand,
die Zwecke, zu denen er das Geld verwenden will, zu bestimmen. Im Übrigen verbleibt der Klägerin auch bei Berücksichtigung
der Eigenbeteiligung regelmäßig noch immer ein Anteil ihres Blindenpflegegeldes, der deutlich über dem Barbetrag des § 35
Abs. 2 SGB XII liegt. Sie hatte etwa im Juli 2005 40,24 Euro, im September 2005 6,12 Euro, im April 2006 68,50 Euro, im Mai
2006 41,74 Euro und im Mai 2006 10,65 Euro für die Eigenbeteiligung des besonderen Fahrdienstes aufzuwenden (Bl. 15 und 91
R der Streitakte sowei Bl. 5 der "Prozesshandakten 900 K 06").
Sollte sich gleichwohl im Einzelfall herausstellen, dass die Grenzen der zumutbaren Eigenbeteiligung aufgrund besonderer Umstände
überschritten sind, steht es dem Betroffenen frei, sich deswegen an die gemäß § 13 Abs. 10 der VOVbF für Härtefälle zuständige
Stelle zu wenden.
2.
Auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung (§
124 Abs.
2 Nr.
3 VwGO) kann sich die Klägerin ebenfalls nicht berufen. Grundsätzliche Bedeutung kommt einer Rechtssache zu, wenn sie eine für das
erstrebte Rechtsmittelverfahren erhebliche Rechtsfrage aufwirft, die im Interesse der Einheitlichkeit oder Fortbildung des
Rechts obergerichtlicher Klärung bedarf (OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 28. Oktober 2005 - OVG 5 N 45.05 -, Rn. 16 bei [...]). Zur Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung ist gemäß §
124a Abs.
4 Satz 4
VwGO eine solche bestimmte ungeklärte und entscheidungserhebliche Rechts- oder Tatsachenfrage zu formulieren. Weiter ist die Entscheidungserheblichkeit
der betreffenden Frage im Berufungsverfahren aufzuzeigen sowie anzugeben, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende
Bedeutung bestehen soll. Es ist darzulegen, in welchem Sinne und aus welchen Gründen die Beantwortung der Frage zweifelhaft
und streitig ist (OVG Lüneburg, Beschluss vom 3. Juli 2006 - 5 LA 347/04 - zum gleichlautenden §
78 Abs.
3 Nr.
3 AsylVfG, Rn. 5 bei [...] m.w.N.).
Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Dabei kann dahinstehen, ob es den Darlegungsanforderungen genügt, wenn - wie hier
- im Zulassungsantrag keine Rechts- oder Tatsachenfrage ausdrücklich formuliert wird, sondern lediglich die Frage des "Anwendungsbereichs
und damit der Verfassungsmäßigkeit" einer Regelung (hier des § 13 Abs. 2 VOVbF) aufgeworfen wird. Jedenfalls bedarf es zur
Klärung der insoweit zumindest sinngemäß gestellten Frage, ob § 13 Abs. 2 VOVbF auch Heimbewohner erfasst, die Blindenpflegegeld
und deswegen keinen Barbetrag nach § 35 Abs. 2 SGB XII erhalten, nicht der Durchführung eines Berufungsverfahrens. Die Frage
lässt sich aus den unter 1. dargelegten Gründen vielmehr ohne weiteres aus dem Gesetz beantworten.
3.
Die Kostenentscheidung folgt aus §
154 Abs.
2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß §
188 Satz 2
VwGO nicht erhoben.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§
152 Abs.
1 VwGO).