Sozialhilferecht: Hilfeanspruch bei mehrmonatigem Auslandsaufenthalt
Tatbestand:
Der Kläger, ein im Jahre 1914 in Niedersachsen geborener, alleinstehender Rentner, begehrt die Verpflichtung der Beklagten,
Leistungen der ergänzenden Hilfe zum Lebensunterhalt, die er neben einer geringen Rente und Wohngeldzahlungen seit 1979 laufend
bezieht, ihm auch während mehrmonatiger Auslandsaufenthalte zu gewähren. Er ist Mieter einer Zweizimmerwohnung mit Ofenheizung
in Hamburg 50, für die in dem hier maßgeblichen Zeitraum eine Miete von monatlich 267,28 DM zu entrichten war. Sein Beitrag
zur Krankenversicherung der AOK betrug 160,80 DM im Monat.
Der Kläger gibt an, seit 1963 immer wieder als Missionar in Italien tätig zu sein. Er habe damals die Stimme Gottes vernommen
und sich seitdem der Bibelarbeit verschrieben. In den ersten Jahren seines Aufenthalts in Italien habe er in einem Kombiwagen
geschlafen; seit 1977 besitze er eine Unterkunft in Torre del Greco bei Neapel, in der er während seiner Italienaufenthalte
in den Wintermonaten eines jeden Jahres wohne. Er lebe sehr bescheiden, habe seit Jahren nicht mehr geraucht und sei daher
in der Lage, aus angespartem Geld jährlich eine Reise nach Italien zu finanzieren. In seiner hiesigen Wohnung heize sein Bruder
während seiner Abwesenheit ab und zu, und auch in Italien müsse er etwas heizen. Er betrüge das Sozialamt also nicht im Hinblick
auf das ihm gewährte Kohlengeld. Im übrigen müsse er in Italien ebenso seinen Lebensunterhalt bestreiten wie in Hamburg. Als
Urlaub seien seine Aufenthalte in Italien nicht anzusehen; er arbeite dort den ganzen Tag, oft bis spät in die Nacht. Er sehe
nicht ein, warum er nicht wenigstens den Mietzuschuß und Hilfe für die Krankenkassenbeiträge vom Sozialamt erhalte. Dies sei
günstiger, als wenn die Beklagte später Arzt- und Krankenhauskosten übernehmen müsse. Auch eine Aufgabe der Wohnung für etwa
ein halbes Jahr sei unwirtschaftlich, da Einlagerungskosten und Kosten für das Anmieten einer neuen Wohnung entstünden.
Die Beklagte, die im Jahre 1986 erstmals von Auslandsaufenthalten des Klägers erfahren hatte, stellte daraufhin die Sozialhilfeleistungen
für die Monate seiner Ortsabwesenheit ein. Seine dagegen gerichtete, die Leistungen für die Monate Februar bis einschließlich
April 1986 betreffende Klage wies das Verwaltungsgericht Hamburg durch Urteil vom 18. Mai 1988 ab (8 VG 2664/87).
Im Oktober 1986 und im Oktober 1987 begab sich der Kläger jeweils bis zum April des folgenden Jahres wiederum nach Italien;
während dieser Zeit erhielt er keine Sozialhilfeleistungen.
Mit Schreiben seines Prozeßbevollmächtigten vom 13. Dezember 1988 beantragte er, ihm auch im Dezember des Jahres und in den
folgenden Monaten, in denen er sich erneut in Italien aufhalten werde, Sozialhilfe zu gewähren. Die entgegenstehende Auffassung
des Sozialhilfeträgers und des Verwaltungsgerichts Hamburg in dem Urteil vom 18. Mai 1988 überzeuge nicht und müsse überprüft
werden.
Durch Bescheid vom 4. August 1989 lehnte die Beklagte eine Hilfegewährung unter Hinweis auf die seit dem Urteil des Verwaltungsgerichts
unveränderte Rechtslage und mit Bezug auf § 97 Abs. 1 Satz 1 BSHG ab. Der dagegen erhobene Widerspruch wurde durch Widerspruchsbescheid vom 25. Juli 1990 zurückgewiesen: Die Beklagte sei
nach § 97 Abs. 1 BSHG während der Auslandsaufenthalte des Klägers für eine Leistungsgewährung nicht zuständig. Dabei komme es nur darauf an, ob
der Kläger rein körperlich in Hamburg anwesend sei, nicht darauf, ob er hier seinen gewöhnlichen Aufenthalt oder Wohnsitz
habe. Eine Leistungsgewährung nach § 119 BSHG scheide ebenfalls aus.
Bereits am 18. Juli 1989 hatte der Kläger wegen der Nichtgewährung weiterer Hilfe Untätigkeitsklage erhoben. Er vertritt die
Rechtsansicht, daß ein vorübergehender Auslandsaufenthalt den Anspruch auf Sozialhilfeleistungen nicht berühre.
Er hat beantragt,
ihm ergänzende Hilfe zum Lebensunterhalt für die Monate Dezember 1988 bis Anfang April 1989 zu gewähren.
Die Beklagte hat
Klagabweisung beantragt.
Das Verwaltungsgericht hat durch Gerichtsbescheid vom 26. Oktober 1990 die Klage abgewiesen: Der Kläger besitze keinen Anspruch
auf Sozialhilfe während er sich im Ausland aufhalte, da die Beklagte nach § 97 Abs. 1 Satz 1 BSHG dann nicht mehr zuständig sei. Diese Rechtsfolge sei vom Gesetzgeber gewollt und verstoße nicht gegen höherrangiges Recht.
Die Frage, ob Hilfe nach § 15 a BSHG zu gewähren sei, stelle sich vorliegend nicht, da der Kläger seine sämtlichen laufenden Kosten gedeckt habe. Das Verwaltungsgericht
hat sich im übrigen auf Präjudizien (Urt. d. VG Hamburg, v. 19.9.1986 - 5 VG 3065/86 - und das dazu ergangene Berufungsurteil
v. 20.11.1987 - OVG Bf I 9/87 - sowie den Beschluß des BVerwG v. 8.11.1988 - BVerwG 5 ER 226.88), die den Beteiligten zuvor übermittelt worden waren, bezogen.
Gegen den am 10. November 1990 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 4. Dezember 1990 Berufung eingelegt: Es sei
zu bemängeln, daß das Verwaltungsgericht nicht klargestellt habe, daß es sich bei dem geltend gemachten Bedarf - Miet- und
Krankenversicherungskosten während seiner Abwesenheit in Italien - um einen sozialhilferechtlich anzuerkennenden notwendigen
Bedarf handele. Die Frage, ob die Kosten für eine zeitweise nicht genutzte Wohnung zum Sozialhilfebedarf gehörten, werde vor
allem für Strafgefangene erörtert. Selbst wenn man solche Mietkosten nicht zum notwendigen Lebensunterhalt im Sinne des §
12 BSHG zähle, könnten sie doch zumindest als Kosten der Unterkunftssicherung gemäß § 15 a BSHG übernommen werden. Auch die Krankenversicherungskosten könnten - wenn man nicht schon richtigerweise § 13 BSHG für einschlägig halte - nach § 15 a BSHG übernommen werden, da der Verlust des Krankenversicherungsschutzes eine vergleichbare Notlage darstelle. Weder werde dieser
notwendige Unterhaltsbedarf vom ausländischen Fürsorgeträger nach den Vorschriften des Europäischen Fürsorgeabkommens übernommen
noch sei § 119 BSHG einschlägig, weil er einen gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland nicht begründet habe. Zuständig sei vielmehr gemäß §
30 SGB I der Sozialhilfeträger des Wohnsitzes bzw. des gewöhnlichen Aufenthalts. Insoweit beziehe er sich auf die Ausführungen von
Schuler (Das internationale Sozialrecht der Bundesrepublik Deutschland). Der Anwendung des §
30 SGB I stehe auch nicht nach §
37 SGB I die Vorschrift des § 97 BSHG entgegen, weil diese Vorschrift erkennbar nur die örtliche Zuständigkeit zwischen inländischen Sozialhilfeträgern regele
und sicherstelle, daß jederzeit ein Sozialhilfeträger schnellstmöglich greifbar sei. Es würde geradezu eine Perversion dieser
Vorschrift darstellen, wenn man aus ihr die Ablehnung eines materiell begründeten Sozialhilfeanspruchs ableitete. Vielmehr
gebiete ihr Zweck das Gegenteil, da auch bei vorübergehender inländischer Ortsabwesenheit nach gängiger Verwaltungspraxis
der bisherige "Heimat"- Hilfeträger zuständig bleibe.
Der Kläger beantragt,
unter Aufhebung des angefochtenen Gerichtsbescheides und unter Aufhebung der Bescheide vom 4. August 1989 und vom 25. Juli
1990 die Beklagte zu verpflichten, ihm für die Zeit vom 1. Dezember 1988 bis zum 7. April 1989 laufende Hilfe zum Lebensunterhalt
(Miet- und Krankenversicherungskosten) zu bewilligen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Beteiligten, die angefochtene Entscheidung sowie die Sozialhilfeakten
S. 01.03.14 (Band I + II) und die Akte 8 VG 2664/87 Bezug genommen.
Die Beteiligten haben ihr Einverständnis dazu erklärt, ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung, über die gemäß §
101 Abs.
2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entschieden werden kann, hat in der Sache keinen Erfolg.
Die Klage, mit der der Kläger Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt für die Zeit vom 1. Dezember 1988 bis zum 7. April
1989 begehrt, ist zulässig. Ihr steht nicht die Rechtskraft (§
121 VwGO) des verwaltungsgerichtlichen Urteils vom 18. Mai 1988 (8 VG 2664/87) entgegen, da sich jenes Urteil auf Leistungen für einen
anderen Zeitraum bezieht, mag auch die materiellrechtliche Streitfrage in jenem und dem vorliegenden Verfahren dieselbe sein.
Die Klage ist indes nicht begründet. Der geltend gemachte Anspruch, der darauf gerichtet ist, Leistungen für die hiesige Unterkunft
sowie die Übernahme der Krankenversicherungsbeiträge bewilligt zu erhalten, ist nicht gegeben.
a) Ein Unterkunftsbedarf (§ 12 Abs. 1 BSHG), der durch Leistungen für die Wohnung in Hamburg zu decken wäre (§ 3 RegelsatzVO), läßt sich nicht feststellen. Dies setzte voraus, daß die hiesige Wohnung "notwendig" im Sinne des § 12 Abs. 1 BSHG ist. Eine nicht bewohnte Unterkunft ist indes regelmäßig nicht notwendig, da der Hilfesuchende seinen Unterkunftsbedarf bereits
auf andere Weise deckt. Leistungen könnten allerdings in Betracht kommen, wenn die Abwesenheit des Hilfesuchenden von der
Wohnung ihrerseits sozialhilferechtlich "notwendig" oder durch sonstige zwingende Gründe bedingt ist. Daher kann etwa für
Strafgefangene oder bei einem notwendigen Krankenhaus- bzw. Kuraufenthalt und auch in Umzugsfällen die Übernahme von Kosten
einer nicht (mehr) bewohnten Unterkunft notwendig werden (vgl. VGH Mannheim, Urt. v. 20.10.1971, FEVS Bd. 19 S. 149; Urt.
v. 12.3.1975, FEVS Bd. 23 S. 425; OVG Berlin, Urt. v. 14.9.1978, FEVS Bd. 27 S. 142; Beschluß v. 13.2.1979, FEVS Bd. 28 S.
407; VGH München, Beschluß v. 22.1.1980, FEVS Bd. 29 S. 14; OVG Hamburg, Beschluß v. 28.2.1990 - OVG Bs IV 452/89 -). Auf welche Hilfenormen in derartigen Fällen der entsprechende Anspruch zu stützen wäre, kann offenbleiben, denn weder
ist der Aufenthalt des Klägers in Italien sozialhilferechtlich "notwendig" noch liegen sonstige dringende Gründe dafür vor,
die es rechtfertigen könnten, Leistungen für die hiesige, in dem hier maßgeblichen Zeitraum nicht genutzte Wohnung zu gewähren.
Der Italienaufenthalt des Klägers weist keinen Bezug zu einer Hilfeart des Bundessozialhilfegesetzes auf, so daß es auch nicht
möglich ist, die begehrten Leistungen für die Unterkunft - wie in den angeführten Beispielsfällen - als Hilfen, die im Gefolge
der Reise oder der Abwesenheit notwendig werden, zu deuten. Für eine normale Urlaubsreise sieht das Bundessozialhilfegesetz keine Hilfe - also auch keine Folge-Hilfen - vor (OVG Hamburg, Urt. v. 20.10.1989, NVwZ-RR 1990 S. 567). Für die Notwendigkeit einer Erholungsreise (§ 36 BSHG) fehlt es an jeglichen Anhaltspunkten. Auch für sonstige Titel des Bundessozialhilfegesetzes (§§ 39, 72, 75), nach denen u.a. wohnungssichernde Maßnahmen in Betracht kommen können, liegen die Voraussetzungen ersichtlich nicht
vor. Dies gilt insbesondere auch für § 15 a BSHG. Danach müßten die begehrten Leistungen für die Unterkunft zur Sicherung der hiesigen Unterkunft "gerechtfertigt" sein. Das
ist indes nicht der Fall. Allerdings beruht diese Annahme nicht auf dem Umstand, daß es vorliegend nicht um Mietschulden geht,
so daß die Sicherung der Unterkunft unter diesem Aspekt nicht in Frage steht. Es wäre allerdings grundsätzlich auch denkbar,
§ 15 a BSHG heranzuziehen, um ausnahmsweise - wie etwa bei Strafgefangenen (vgl. VGH München, a.a.O.) - schon die laufende Miete einer
nicht genutzten Wohnung übernehmen zu können. Dann müßten jedoch die Gründe für die Abwesenheit des Hilfesuchenden die Mietübernahme
rechtfertigen. Dies läßt sich für den Italienaufenthalt des Klägers, der - wie gesagt - weder sozialhilferechtlich notwendig
ist noch auf sonstigen unabwendbaren Umständen beruht, nicht feststellen. Der Kläger benutzt seine Wohnung vielmehr aus Gründen
nicht, die seiner freien Entscheidung über die Art seiner Lebensführung entspringen. Dies vermag einen sozialhilferechtlichen
Bedarf - auch einen "Ausnahme"-Bedarf nach § 15 a BSHG - nicht zu begründen. Mithin stellt sich das Problem, welche rechtlichen Konsequenzen aus dem Auslandsaufenthalt des Klägers
zu ziehen wären, insoweit nicht; auch ein Aufenthalt (von entsprechender Dauer) an einem anderen Ort im Bundesgebiet würde
unter den gegebenen Umständen einen Anspruch auf Mietkostenübernahme für die hiesige Wohnung entfallen lassen.
b) Ein Anspruch nach § 13 BSHG auf Übernahme der Krankenversicherungsbeiträge besteht ebenfalls nicht. Allerdings ist ein sozialhilferechtlicher Bedarf
insoweit in dem Sinne zu bejahen, als der Kläger auch während seines Italienaufenthalts einen Krankenversicherungsschutz benötigt
und somit Beiträge bezahlen muß. Das Vorliegen eines Bedarfs (im gegenständlichen Sinne) bedeutet indes nicht zwangsläufig,
daß der angegangene Sozialhilfeträger zu seiner Deckung finanzielle Hilfe leisten muß. Zum einen ist - neben der finanziellen
Hilfsbedürftigkeit des Hilfesuchenden - Voraussetzung, daß der Sozialhilfeträger zuständig ist, und zum anderen muß der Hilfefall
überhaupt vom Geltungsbereich des Bundessozialhilfegesetzes erfaßt werden. Beides wäre nicht weiter problematisch, wenn der
Kläger etwa in Bayern missionarisch tätig wäre. Zwar wäre die Beklagte dann ebenfalls nicht passiv legitimiert (vgl. dazu
BVerwG, Urt. v. 4.2.1988, BVerwGE Bd. 79 S. 46, 48); örtlich zuständig wäre vielmehr der dortige Sozialhilfeträger (§ 97 Abs. 1 Satz 1 BSHG). Es bestünden aber keine Zweifel daran, daß der Bedarf grundsätzlich in den Geltungsbereich des Bundessozialhilfegesetzes
fällt. Anders ist es hingegen, wenn der Hilfefall - wie hier - im Ausland auftritt, da die monatlich zu zahlenden Krankenversicherungsbeiträge
das Krankheitsrisiko während des Italienaufenthalts abdecken sollen. Da im Ausland zahlreiche Bedarfe im Sinne des Bundessozialhilfegesetzes
und auch finanzielle Bedürftigkeit festzustellen sein dürften, liegt es auf der Hand, daß der Geltungsbereich des Bundessozialhilfegesetzes
alle diese im Ausland auftretenden Bedarfe nicht erfassen kann. So liegt es auch im Falle des Klägers. Dies beruht auf folgenden
Erwägungen:
Das Bundessozialhilfegesetz enthält - anders als etliche andere Sozialleistungsgesetze (vgl. etwa § 6 SGB VIII, § 1
BKGG, §
1 Abs.
1 OEG, §
4 BAföG, § 1 WoGG) - keine ausdrückliche Vorschrift über seinen Geltungsbereich und damit keine ausdrückliche Vorschrift darüber, wie Sachverhalte
mit Auslandsberührung (international-rechtlich) zu beurteilen sind (vgl. zum Internationalen Verwaltungsrecht Schuler, Das
internationale Sozialrecht der Bundesrepublik Deutschland; Steinmeyer in: v. Maydell/Ruland, Sozialrechtshandbuch, Abschn.
29; Burdenski/v.Maydell/Schellhorn, GK -
SGB I, 2. Aufl., §
30). Daher wäre an sich §
30 SGB I einschlägig (so offenbar Steinmeyer, a.a.O., Rdnr. 32; Burdenski/ v. Maydell/Schellhorn, a.a.O., Rdnr. 50), dessen Voraussetzungen
der Kläger erfüllen dürfte, sofern sich nicht dem Sozialhilferecht eine abweichende Regelung entnehmen läßt, die nach §
37 SGB I dem allgemeinen Prinzip des Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts als Anknüpfungspunkt für eine Leistungsberechtigung
nach § 30 Abs. 1 SGB vorgeht. Als eine derartige abweichende Bestimmung erweist sich der aus den Strukturprinzipien des Sozialhilferechts
abzuleitende Grundsatz, wonach der Hilfesuchende seinen tatsächlichen Aufenthalt im Bundesgebiet haben muß.
Aus § 97 Abs. 1 Satz 1 BSHG allein läßt sich dies allerdings noch nicht mit hinreichender Deutlichkeit entnehmen, da sich die Vorschrift nur mit Fragen
der örtlichen Zuständigkeit befaßt (a.A. aber Jehle/Schmitt, Sozialhilferecht, Teil B (
SGB I), § 30 Anm. B II, 2 a; Schmitt, BSHG, § 97 Rdnr. 1 u. 2; Schnapp, in: BochKomm., SGB-AT, § 30 Rdnr. 14; Schellhorn, Praktische Sozialhilfe, Gruppe II, ABC der Sozialhilfe,
Stichwort: Sozialgesetzbuch, S. 916 u. 935). Auch das sog. Territorialitätsprinzip eignet sich grundsätzlich nicht, den Geltungsbereich
eines Sozialleistungsgesetzes im international-rechtlichen Sinne zu begrenzen (Steinmeyer, a.a.O., Rdnr. 17; Burdenski/v.Maydell/Schellhorn,
a.a.O., Rdnr. 25; BSG, Großer Senat, Beschluß v. 21.12.1971, BSGE Bd. 39 S. 280, 284). Dem Territorialitätsprinzip steht es nicht entgegen, Sachverhalte, die sich im Ausland realisieren, unter das inländische
Recht fallen zu lassen (vgl. Steinmeyer, a.a.O., Rdnr. 17). Da der aus dem Territorialitätsprinzip abzuleitende territoriale
Anknüpfungspunkt für den Geltungsbereich des inländischen Rechts sowohl im tatsächlichen als auch im gewöhnlichen Aufenthalt
im Inland liegen könnte, kann das Territorialitätsprinzip den Geltungsbereich eines Gesetzes nicht abschließend bestimmen;
es kann allenfalls als Indiz dafür herangezogen werden, daß sich die im jeweiligen Gesetz geregelten Sachverhalte grundsätzlich
im Inland verwirklichen müssen, um von dem Gesetz erfaßt zu werden.
Aus dem systematischen Zusammenhang der Vorschriften der §§ 119 und 120 Abs. 1 BSHG ist das Erfordernis eines tatsächlichen Aufenthalts im Inland ebenfalls nur andeutungsweise ableitbar. Der hier vorliegende
Fall eines vorübergehenden Aufenthalts eines Deutschen im Ausland ist in beiden Vorschriften nämlich nicht Regelungsgegenstand.
Aus ihnen lassen sich nur folgende (Umkehr-)Schlüsse ziehen:
Durch § 119 Abs. 1 und 2 BSHG wird der Geltungsbereich des §
30 SGB I für das Sozialhilferecht zunächst erweitert, indem der gewöhnliche Aufenthalt im Ausland für die Leistungsberechtigung ausreicht.
Darüber hinaus läßt sich diesen Bestimmungen, die die "Sozialhilfe für Deutsche im Ausland" abschließend regeln, entnehmen,
daß der gewöhnliche Inlandsaufenthalt eines Deutschen für die Sozialhilfeberechtigung im Ausland nicht ausreicht, wenn er
sich dort nur tatsächlich (vorübergehend) aufhält. Allerdings ließe sich entgegenhalten, daß der Fall des tatsächlichen Aufenthalts
eines Deutschen im Ausland nicht regelungsbedürftig war, weil §
30 SGB I diesen Fall schon umfaßt. Aus § 119 Abs. 3 Satz 2 BSHG und aus § 5 (insbesondere dessen Absatz 4) Konsulargesetz ergibt sich indes, daß eine Notlage bei nur vorübergehendem Aufenthalt im Ausland dadurch abgewendet werden soll, den Hilfesuchenden
ins Inland "heimzuführen", weil Sozialhilfe ansonsten nur als Hilfe für im Inland tatsächlich anwesende Personen gedacht ist
(vgl. Mergler/Zink, BSHG, 4. Aufl. Einführung Rdnr. 18 d; § 120 Anm. 1). Dieser Grundsatz ist für Ausländer in § 120 Abs. 1 BSHG ausdrücklich normiert. Das spricht dafür, bei Deutschen - abgesehen von der Regelung des § 119 BSHG - ebenfalls einen tatsächlichen Aufenthalt im Inland zu verlangen. Alle diese Gesichtspunkte weisen letztlich auf ein entsprechendes
Strukturprinzip der Sozialhilfe hin, das sich mit folgenden Erwägungen begründen läßt:
Sozialhilfe ist Hilfe in einer gegenwärtigen konkreten Notlage (vgl. BVerwG, Urt. v. 13.1.1983, BVerwGE Bd. 66, S. 335, 340
f.; Urt. v. 4.2.1988, BVerwGE Bd. 79 S. 46, 49). Bereits dieser Umstand verlangt bei gleichsam natürlicher Betrachtungsweise nach einer engen räumlichen Verbindung
zwischen Hilfesuchendem und dem Leistungsträger. Sozialhilfe ist gegenwärtige Hilfe, sie stellt keine rentengleiche Dauerleistung
dar, sie ist stark einzelfallgeprägt (§ 3 Abs. 1 BSHG) und in ihren Formen (§ 8 BSHG) nicht standardisiert. Dies alles erfordert es, daß sich der Hilfesuchende im Inland aufhalten muß, da gleichsam täglich
beurteilt werden muß, welche Hilfe jeweils notwendig ist. Während eines Auslandsaufenthalts des Hilfesuchenden könnte der
Träger der Sozialhilfe diese Prüfungen nicht anstellen. Es ist darüber hinaus notwendig, ständig den Nachrang der Sozialhilfe
(§ 2 Abs. 1 BSHG) im Auge zu behalten, wobei hinzukommt, daß die vorrangigen Hilfemöglichkeiten äußerst vielgestaltig sein können und von
der Selbsthilfe über die Hilfe anderer bis hin zu z.B. unerwarteten Erbschaften und Lotteriegewinnen reichen können. Die Bedarfsermittlung
kann gleichfalls von vielen tatsächlichen Gegebenheiten abhängen, die nur aufgrund engen Kontakts zum Hilfesuchenden zutreffend
vorgenommen werden kann. Schließlich können die Formen der Hilfe von Einzelfallbesonderheiten abhängen. Persönliche Hilfe
und Sachleistungen z.B. können nur im Inland erbracht werden und fordern also zwingend die Anwesenheit des Hilfesuchenden
(vgl. zur Notwendigkeit effektiver Leistungskontrolle auch BVerfG, Beschluß v. 10.11.1981, BVerfGE Bd. 59 S. 52, 62).
Diese Deutung des Wesens der Sozialhilfe sieht sich allerdings dem Einwand ausgesetzt, daß die Sozialhilfe in der Wirklichkeit
in vielen Fällen andere Züge erhalten habe: Sie kann im Einzelfall faktisch zu einer Art Dauerleistung geworden sein und auch
Bedarfe betreffen, die feststehen und schließlich auch nur in Form der Geldleistung zu decken sind. In dieser Weise dürfte
auch der Kläger seine Hilfeansprüche verstehen. Er meint, an seiner Miete, seinem vom Regelsatz abgedeckten Bedarf und seinen
Krankenversicherungsbeiträgen ändere sich während seines Auslandsaufenthalts nichts. Dies mag im Ergebnis zutreffen. Der Kläger
übersieht dabei indes, daß es in der Sozialhilfe auf die täglich vorzunehmende tatsächliche Überprüfbarkeit der jeweiligen
Anspruchsvoraussetzungen ankommt und dies den tatsächlichen Aufenthalt des Hilfesuchenden im Inland erfordert (ähnlich im
Arbeitslosenhilferecht, wobei dort aber aufgrund der "Urlaubsverordnung", Aufenthalts- Anordnung in der Fassung vom 9.3.1990, ANBA 1990 S. 600, eine Abwesenheit von drei Wochen unschädlich ist).
Diese Strukturprinzipien, denen normative Kraft zukommt (BVerwG, Urt. v. 15.12.1983, BVerwGE Bd. 68 S. 285, 288 f.), läßt Schuler (a.a.O. S. 756 ff.) außer Betracht. Daher kann seinen Erwägungen nicht gefolgt werden.
Die hier vertretene Auffassung führt zwar dazu, daß Hilfeempfänger von dem Recht auf grenzüberschreitende Freizügigkeit nach
Art.
2 Abs.
1 GG - Art.
11 Abs.
1 GG garantiert Freizügigkeit nur innerhalb des Bundesgebietes - faktisch nicht Gebrauch machen können, wenn sie nicht den Anspruch
auf Leistungen der Sozialhilfe verlieren wollen. Unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten ist diese Folge indes nicht
zu beanstanden. Die Begrenzung der Leistungsberechtigung auf im Inland tatsächlich anwesende Personen beruht auf Erwägungen,
die sachgerecht und vom Leistungsrecht der Sozialhilfe her zwingend erforderlich sind. Wegen der Einkommensabhängigkeit und
der umfassenden Selbsthilfeverpflichtung ist in der Sozialhilfe ein enger, ständiger Kontakt zwischen den Behörden und dem
Hilfeempfänger unerläßlich. Es verstößt auch nicht gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, die Gewährung von Sozialhilfe
- das letzte Netz der sozialen Sicherheit - an derart strenge Voraussetzungen zu knüpfen. Es mag sein, daß der Kläger - wie
viele andere Betroffene auch - nicht einzusehen vermag, warum er sich nicht vorübergehend im Ausland aufhalten darf, wenn
dies doch - so sein Einwand - den Staat keinen Pfennig mehr koste. Bei dieser Argumentation wird stillschweigend vorausgesetzt,
daß die Sozialhilfeleistungen schon den Charakter einer wirtschaftlichen Grundsicherung mit Dauerwirkung angenommen haben.
Dies ist indes selbst in Fällen der vorliegenden Art, in denen ein Rentner vermutlich bis zu seinem Lebensende ergänzende
Hilfe zum Lebensunterhalt beziehen wird, nicht anzunehmen. Solange die Sozialhilfe als konkrete Notlagenhilfe verstanden wird,
ist die tatsächliche Nähe des Hilfesuchenden zu dem Sozialhilfeträger unverzichtbar und unter allen verfassungsrechtlichen
Aspekten unbedenklich.