Sozialhilferecht: Zuständigkeit für die Übernahme von Bestattungskosten
Tatbestand:
Die im Jahre 1912 geborene Hilfeempfängerin lebte in der Einrichtung der Klägerin in N (Landkreis). Das Landessozialamt gewährte
ihr bis zum Jahre 1986 Eingliederungshilfe. Nach der Änderung des Niedersächsischen Gesetzes zur Ausführung des Bundessozialhilfegesetzes
leistete der Beklagte ab 1. Januar 1986 die Hilfe. Die Hilfeempfängerin starb am 15. Mai 1989; ihr Leichnam wurde am 18. Mai
1989 auf dem Friedhof der Einrichtung bestattet. Die Klägerin zeigte den Tod der Hilfeempfängerin dem Beklagten am 22. Mai
1989 an. Am 3. Juni 1989 bat sie ihn, die nicht gedeckten Kosten der Beerdigung zu tragen. Der Beklagte lehnte den Antrag
mit Bescheid vom 2. August 1989 ab (ebenso verfuhr der Beigeladene). Den Widerspruch der Klägerin wies der Beklagte mit Bescheid
vom 31. Oktober 1981 zurück; er führte aus, der Bestattungsort liege im Zuständigkeitsbereich des Beigeladenen; dieser sei
für die Hilfe örtlich zuständig.
Das Verwaltungsgericht hat der Klage mit Urteil vom 30. August 1990 stattgegeben. Es hat ausgeführt, in entsprechender Anwendung
des § 100 Abs. 2 BSHG müsse der Träger der Sozialhilfe, der den Heimaufenthalt finanziert habe, die Kosten der Beerdigung tragen.
Mit seiner Berufung macht der Beklagte geltend, die vom Verwaltungsgericht gefundene Auslegung des § 100 BSHG gehe über den Wortlaut dieser Vorschrift hinaus.
Er beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichts zu ändern und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das Urteil des Verwaltungsgerichts.
Der Beigeladene stellt einen Antrag nicht.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und die Verwaltungsvorgänge
verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist nicht begründet.
Der Beklagte ist zuständig, die begehrte Hilfe zu gewähren.
§ 97 Abs. 1 Satz 2 BSHG schreibt vor: In den Fällen des § 15 ist örtlich zuständig der Träger, in dessen Bereich der Bestattungsort liegt; § 100 Abs. 2 BSHG bleibt unberührt. Dort ist gesagt: In den Fällen des Abs. 1 Nr. 1 und 5 erstreckt sich die Zuständigkeit des überörtlichen
Trägers auf alle Leistungen an den Hilfeempfänger, für welche die Voraussetzungen nach diesem Gesetz gleichzeitig vorliegen,
sowie auf die Hilfe nach § 15; dies gilt nicht, wenn die Hilfe in einer Einrichtung zur teilstationären Betreuung gewährt
wird.
Das Land Niedersachsen hat im Niedersächsischen Gesetz zur Ausführung des Bundessozialhilfegesetzes in der Fassung der Bekanntmachung
vom 12. November 1987 (Nds. GVBl. S. 206 - Nds. AG BSHG -) die Ermächtigung des § 100 Abs. 1 BSHG ausgeschöpft. § 3 Abs. 2 Nds. AG BSHG sieht vor: Die örtlichen Träger sind bei Hilfeempfängern, die das 60. Lebensjahr vollendet haben, auch in den Fällen des
§ 100 des Bundessozialhilfegesetzes zuständig. Damit ist gesagt, daß für diesen Personenkreis der örtliche Träger der Sozialhilfe
umfassend zuständig ist, die in § 100 BSHG beschriebenen Hilfen zu gewähren. Grund für diese Regelung war nämlich (Landtagsdrucksache 10/4510), die umfassende Zuständigkeit
des örtlichen Trägers der Sozialhilfe für die "60jährigen und älteren" zu begründen. Dabei hat der Gesetzgeber gesehen (aaO
S. 12), daß diese Absicht erforderte, die sachliche Zuständigkeit in § 3 Nds. AG BSHG neu zu regeln. Von diesem Verständnis her ist diese Bestimmung dahin zu verstehen, daß ein einziger Träger der Sozialhilfe
zuständig sein soll, den gesamten Hilfefall zu regeln. Sinn und Zweck der Vorschrift ist es also, die gesamte Kompetenz des
§ 100, die vor dieser Regelung in einer Hand vereinigt war, auf den örtlichen Träger der Sozialhilfe zu übertragen, soweit
es um die Hilfe für die Hilfeempfänger geht, die das 60. Lebensjahr vollendet haben und in Einrichtungen leben.
Die Vereinbarung über die Zuständigkeit für die Hilfegewährung in Heimen, Anstalten, gleichartigen Einrichtungen und Pflegestellen,
in denen Sozialhilfe gewährt wird - Goslarer Vereinbarung - (Amtsblatt für den Regierungsbezirk Braunschweig (1480, 81)),
vermag nicht die gesetzliche begründete Zuständigkeit zu Lasten der Klägerin zu verrücken.
Der Beklagte kann sich nicht mit Erfolg auf § 5 BSHG berufen und deshalb die Hilfe versagen. Der Senat hält an seiner Auffassung (Urt. v. 4. April 1984 - 4 OVG A 38/82 -) fest, § 5 BSHG sei auf die Vorschrift des § 15 BSHG nicht anzuwenden. Denn § 15 BSHG setzt Hilfsbedürftigkeit des "Verpflichteten" nicht voraus, regelt also nicht einen typischen Sozialhilfeanspruch. Auch wäre
es mit dem Wesen des Sterbefalles nicht zu vereinbaren, von den "Verpflichteten", also in der Regel den nächsten Angehörigen
des Verstorbenen, zu verlangen, daß sich diese noch vor der Beerdigung wegen der Kosten an das Sozialamt wenden. Das Strukturprinzip
des Sozialhilferechtes, das § 5 BSHG ausdrückt - keine Hilfe für die Vergangenheit -, ist deshalb auf § 15 BSHG nicht anzuwenden. Dann kommt es nicht darauf an, ob es auch "Verpflichtete" geben mag, denen es zuzumuten wäre, sich noch
vor der Beerdigung des Verstorbenen an das Sozialamt zu wenden. Aus diesen Gründen schließt sich der Senat nicht der abweichenden
Meinung des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts (Urteil vom 28.4.1989, FEVS 39, 144) an.
Zu Recht hat das Verwaltungsgericht angenommen, die Klägerin sei aufgrund einer vertraglichen Vereinbarung mit der verstorbenen
Hilfeempfängerin "Verpflichtete". Die Zulässigkeit solcher vertraglichen Verpflichtungen ist allgemein anerkannt (vgl. etwa
Art. 15 AG
BGB). Zu Recht hat das Verwaltungsgericht die vertraglichen Beziehungen zwischen der Klägerin und der verstorbenen Hilfeempfängerin
dahin gewürdigt, daß sich die Klägerin verpflichtet habe, die Kosten der Bestattung zu tragen.
Zu Recht gehen die Beteiligten auch davon aus, es sei der Klägerin nicht zuzumuten, diese Kosten zu tragen. Der Senat versteht
den Begriff der Zumutbarkeit als unbestimmten Rechtsbegriff, dessen Anwendung das Gericht in vollem Umfang zu kontrollieren
hat. Zuzumuten aber ist es der Klägerin nicht, die Kosten zu tragen, weil sie derartige Kosten in ihren Pflegesätzen nicht
berücksichtigt (fraglich ist auch, ob sich das mit § 93 BSHG und den Vorschriften des Heimgesetzes vereinbaren ließe.
Zum Zinsanspruch hat das Verwaltungsgericht das Erforderliche gesagt.