Sozialhilferecht: Guthaben eines nicht zuteilungsreifen Sparvertrags als einsetzbares Vermögen
Tatbestand:
Die Kläger begehren von der Beklagten weitere Hilfe zum Lebensunterhalt für einen Zeitraum, in dem die Klägerin zu 2. Inhaberin
eines Bausparvertrages mit einem Guthaben von ca. 7.000 DM war. Das VG wies die Klage ab. Die Berufung der Kläger blieb ohne
Erfolg.
Entscheidungsgründe:
Die Kläger haben keinen Anspruch auf weitere Hilfe zum Lebensunterhalt für die Zeit von September 1992 bis April 1994.
Dem geltend gemachten Anspruch steht jedenfalls entgegen, dass die Kläger in dem streitigen Zeitraum die erforderlichen Mittel
(u.a.) aus dem ... Vermögen der Klägerin ... beschaffen konnten, ... zu dem nach § 88 Abs. 1 BSHG das gesamte verwertbare Vermögen gehört. Dieses überstieg bereits Anfang September 1992 erheblich die Vermögensschongrenze
von 4.200,00 DM (§ 88 Abs. 2 Nr. 8 BSHG, § 1 Abs. 1 Nr. 1a) und 3 der Verordnung zur Durchführung des § 88 Abs. 2 Nr. 8 BSHG vom 11.02.1988, BGBl. I S. 150, i.d.F. der Änderungsverordnung vom 23.10. 1991, BGBl. I S. 2037). Der übersteigende Betrag war höher als der durch das Einkommen nicht gedeckte Bedarf für den Monat September 1992 von ca.
1.245 DM.
Die Klägerin verfügte im streitigen Zeitraum über einen Bausparvertrag mit einem Guthaben von ca. 7.000 DM zum 1. 9.1992,
das in der Folgezeit stetig anstieg. Dieses Guthaben war auch verwertbar, obwohl der Bausparvertrag seinerzeit nicht zuteilungsreif
war.
Vermögen ist jedenfalls dann als verwertbar anzusehen, wenn sein Wert in angemessener Frist eingesetzt werden kann, um den
Bedarf des Hilfe Suchenden zu befriedigen. Es kommt demnach nicht allein darauf an, ob dem Vermögen zuzuordnende Forderungen
bereits fällig sind, sondern darauf, ob der Vermögenswert tatsächlich zur Bedarfsdeckung eingesetzt werden kann. Dies ist
regelmäßig der Fall, wenn der Vermögenswert durch Veräußerung, Beleihung oder auf andere Weise in Geld umgewandelt und so
realisiert werden kann.
Vgl. OVG NRW, Urteil vom 2.5.1994 - 8 A 3646/92 -, FEVS 45, 326, 328.
Hiervon ausgehend war das Bausparguthaben seinerzeit verwertbar, denn die Klägerin hätte die Möglichkeit gehabt, den Bausparvertrag
zu kündigen. Nach der Auskunft der Bausparkasse vom 29.10.1999 wäre ihr dann ein Betrag von 6.959,42 DM ausgezahlt worden.
Allerdings hätte die Klägerin diesen Betrag nicht in voller Höhe zur Deckung des Lebensunterhaltes ihrer Familie einsetzen
können. Vielmehr hätte sie bei einer vorzeitigen Rückzahlung der Bausparbeiträge die ggf. in der Vergangenheit erhaltenen
Arbeitnehmer-Sparzulagen und Wohnungsbau-Prämien zurückzahlen müssen und Beträge, die evt. als Sonderausgaben nach §
10 EStG in der jeweils geltenden Fassung vom Einkommen abgesetzt worden waren, ggf. nachversteuern müssen. Nur in Höhe der Differenz
zwischen Auszahlungsbetrag und Arbeitnehmer-Sparzulage zuzüglich Sparprämien und nachzuzahlenden Steuern war mithin verwertbares
Vermögen vorhanden.
Vgl. OVG NRW, Urteil vom 2.5.1994 - 8 A 3646/92 -, FEVS 45, 326, 330.
(wird ausgeführt)
Der Berücksichtigung des Bausparguthabens steht nicht § 88 Abs. 3 S. 1 BSHG entgegen. Danach darf die Sozialhilfe nicht abhängig gemacht werden vom Einsatz oder der Verwertung eines Vermögens, soweit
dies für den, der das Vermögen einzusetzen hat, und für seine unterhaltsberechtigten Angehörigen eine Härte bedeuten würde.
Die Verwertung des Bausparguthabens hätte für die Kläger jedoch keine Härte in diesem Sinne bedeutet.
Der Begriff der Härte im Sinne des § 88 Abs. 3 BSHG kann nur im Zusammenhang mit den vorangehenden Vorschriften des Bundessozialhilfegesetzes über das Schonvermögen zutreffend
bestimmt werden. Die Vorschriften über das Schonvermögen sollen gewährleisten, dass die Sozialhilfe nicht zu einer wesentlichen
Beeinträchtigung der vorhandenen Lebensgrundlagen führt. Dem Sozialhilfeempfänger (und seinen Angehörigen) soll ein gewisser
Spielraum in seiner wirtschaftlichen Bewegungsfreiheit erhalten bleiben. Überdies soll verhindert werden, dass die Sozialhilfe,
die im Idealfall lediglich eine vorübergehende Hilfe ist, zu einem wirtschaftlichen Ausverkauf führt, damit den Willen zur
Selbsthilfe lähmt und zu einer nachhaltigen sozialen Herabstufung führt. Das Ziel der Härtevorschrift kann kein anderes sein.
Wenn der Gesetzgeber eine Härtevorschrift einführt, so regelmäßig deshalb, weil er mit den Regelvorschriften zwar dem diesen
zugrunde liegenden typischen Lebenssachverhalt gerecht werden kann, nicht aber dem atypischen. Da die atypischen Fälle, eben
wegen ihrer besonderen Ausgestaltung, nicht mit den abstrakten Merkmalen der Gesetzessprache erfasst werden können, muss der
Gesetzgeber neben den Regeltatbestand einen Ausnahmetatbestand setzen, der zwar in den einzelnen Merkmalen unbestimmt ist,
jedoch bei einer sinngerechten Anwendung zu einem Ergebnis führt, das dem Regelergebnis in seiner grundsätzlichen Zielsetzung
gleichwertig ist. Damit wird aber auch bei der Härtevorschrift des § 88 Abs. 3 BSHG nicht von den Grundvorstellungen über den Zweck des Schonvermögens abgegangen. Lediglich die abstrakte Umschreibung dessen,
was Schonvermögen ist und was demzufolge dem Einzelnen zu belassen ist, um das Ziel der Sozialhilfe zu erreichen, wird durch
die Härtevorschrift aufgelockert. Hiernach kommt es bei der Bestimmung des Begriffs der Härte darauf an, ob die Anwendung
der Regelvorschriften zu einem den Leitvorstellungen des § 88 Abs. 2 BSHG nicht entsprechenden Ergebnis führen würde.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 26.1.1966 - V C 88.64 -, BVerwGE 23, 149 = FEVS 14, 81, 89; Urteil vom 29.4.1993 - 5 C 12. 90 -, BVerwGE 92, 254 = FEVS 44, 177, 178; OVG NRW, Urteil vom 19.11.1993 - 8 A 278/92 -, FEVS 45, 58, 60f.; Urteil vom 2.5.1994 - 8 A 3646/92 -, FEVS 45, 326, 331.
Nach diesen Grundsätzen steht das Verlangen nach Verwertung des Bausparguthabens in Übereinstimmung mit den Leitvorstellungen
des § 88 Abs. 2 BSHG.
Insbesondere liegt keine Härte darin, dass die Klägerin bei vorzeitiger Kündigung des Bausparvertrages die erhaltenen Arbeitnehmer-Sparzulagen
zurückzuzahlen gehabt hätte und bei der Berechnung des auszuzahlenden Betrages ein Kündigungsabzug von 1 % gemacht worden
wäre. Diese wirtschaftlichen Einbußen begründen keine Härte im Sinne von § 88 Abs. 3 BSHG, denn diese Vorschrift hat weder den Zweck, einem Hilfebedürftigen die (weitere) Vermögensbildung zu ermöglichen, noch den
Zweck, ihn von den Risiken der von ihm gewählten Kapitalanlage freizustellen. Es gehört zu den allgemeinen Lebensrisiken,
für andere (spätere) Zwecke angespartes Kapital vorzeitig und unter Inkaufnahme eines Verlustes zur Deckung unerwarteten Bedarfs
einsetzen zu müssen. Das Risiko der Kapitalanlage zu tragen, ist nicht Sache der Sozialhilfe. Vielmehr entspricht es der Verpflichtung
des Hilfe Suchenden, sich nach Kräften selbst zu helfen (§ 2 Abs. 1 BSHG), vorhandenes Vermögen zur Selbsthilfe auch dann einzusetzen, wenn es nicht bestmöglich verwertet werden kann. Eine andere
Betrachtungsweise würde dazu führen, dass auf Kosten der Sozialhilfe Vermögen gebildet würde.
Vgl. OVG NRW, Urteile vom 19.11.1993 - 8 A 278/92 -, FEVS 45, 58, 61f. und vom 2.5.1994 - 8 A 3646/92 -, FEVS 45, 326, 333.
Es ist Ausdruck des Risikos der frei gewählten Kapitalanlage, wenn die Lösung aus einem langfristigen Bausparvertrag nur unter
Hinnahme der oben beschriebenen Verluste möglich ist. Der einprozentige Kündigungsabzug, den die Bausparkasse vorgenommen
hätte, ist zudem schon von der Höhe her nicht so gravierend, dass von einer Härte gesprochen werden könnte. In Anwendung des
§ 88 Abs. 1 und 3 BSHG werden Betroffenen - insbesondere bei der vorzeitigen Auflösung von Lebensversicherungen - erheblich höhere Verluste zugemutet.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 19.12.1997 - 5 C 7.96 -, FEVS 48, 145, 151; OVG NRW, Urteil vom 19.11.1993 - 8 A 278/92-, FEVS 45, 58, 61.
Soweit die Klägerin Arbeitnehmer-Sparzulagen im Nachhinein verlieren würde, kann hierin schon deshalb keine Härte liegen,
weil diese Vorteile nicht auf eigener Leistung beruhen.
Vgl. OVG NRW, Urteil vom 2.5.1994 - 8 A 3646/92 -, FEVS 45, 326, 333; VGH BW, Urteil vom 20.9.1989 - 6 S 3013/87 -, FEVS 39, 293, 296.
Es ist unerheblich, ob das die Vermögensschongrenze übersteigende verwertbare Vermögen der Klägerin ausgereicht hätte, den
geltend gemachten zusätzlichen Sozialhilfeanspruch über den gesamten hier streitigen Zeitraum zu decken. Nach § 88 Abs. 1 BSHG einzusetzendes Vermögen steht, soweit und solange es (noch) nicht eingesetzt oder verwertet wurde, dem Bezug von Sozialhilfe
auch dann entgegen, wenn es nicht den Bedarf für den gesamten Bedarfszeitraum gedeckt hätte. Denn für die Beurteilung der
Hilfebedürftigkeit im maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt kommt es stets auf die tatsächlichen Verhältnisse der Einsatzpflichtigen
an, hier also darauf, ob und in welcher Höhe die Kläger jeweils Vermögen tatsächlich hatten. Eine Betrachtungsweise, bei der
angesichts eines Streits über die Einsetzbarkeit und Verwertbarkeit des einzusetzenden Vermögens dieses als zwischenzeitlich
verbraucht fingiert wird, findet im Gesetz keine Stütze. Die Herkunft des Vermögens spielt für seinen Einsatz regelmäßig keine
Rolle, so dass es auch unerheblich ist, ob der Hilfe Suchende sein Vermögen etwa durch eine äußerst sparsame Lebensführung
bisher vor einer Verwertung bewahrt hat. Deshalb lässt sich auch eine Härte im Sinne des § 88 Abs. 3 BSHG nicht damit begründen, dass das Vermögen, dessen Einsatz verlangt wird, noch vor Ablauf des Bedarfszeitraums aufgebraucht
gewesen wäre, wenn es zu Beginn der Hilfebedürftigkeit verwertet worden wäre.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 19.12.1997 - 5 C 7.96 -, FEVS 48, 145, 152 f.