Sozialhilferecht: Vermögenseinsatz bei eigenem Kfz und Schonvermögen
Gründe:
Hilfe zum Lebensunterhalt ist gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 BSHG dem zu gewähren, der seinen notwendigen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, vor
allem aus seinem Einkommen und Vermögen beschaffen kann. Soweit minderjährige unverheiratete Kinder, die - wie die Klägerin
zu 2) - dem Haushalt eines Elternteiles angehören, den notwendigen Lebensunterhalt aus ihrem Einkommen und Vermögen nicht
beschaffen können, sind gemäß § 11 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 BSHG auch das Einkommen und das Vermögen des Elternteiles zu berücksichtigen.
Das Einkommen der Klägerinnen reichte zwar nicht aus, den Lebensunterhalt zu decken, soweit er hier streitig ist.
Die Klägerin zu 1) verfügte jedoch über Vermögen. Dessen Verwertung hätte zusammen mit dem Einkommen ausgereicht, den Lebensunterhalt
zu decken.
Die Klägerin war während des gesamten hier streitigen Zeitraums Eigentümerin des Kraftfahrzeugs Fiat Panda.
Die Klägerin mußte dieses Kraftfahrzeug durch Verkauf verwerten und den Erlös zur Deckung ihres Lebensunterhalts und desjenigen
der Klägerin zu 2) einsetzen. Gemäß § 88 Abs. 1 BSHG gehört zum Vermögen im Sinne des § 11 Abs. 1 BSHG das gesamte verwertbare Vermögen. Dazu gehört auch ein Kraftfahrzeug.
Die Sozialhilfe darf zwar gemäß § 88 Abs. 2 Nr. 3 BSHG nicht abhängig gemacht werden vom Einsatz oder von der Verwertung eines angemessenen Hausrats; dabei sind die bisherigen
Lebensverhältnisse des Hilfesuchenden zu berücksichtigen. Ein Kraftfahrzeug - auch in der Größenordnung eines Fiat Panda -
kann aber nicht als angemessener Hausrat angesehen werden, weil ein Kraftfahrzeug heutzutage praktisch zur Grundausstattung
jedes Haushalts gehöre (vgl. BVerwG Beschluß vom 8.7.1991 - 5 B 56.91 -). Für Fahrten zum Kinderarzt oder zur Kinderspielgruppe mußten die Klägerinnen deshalb öffentliche Verkehrsmittel benutzen.
Das vorhandene Kraftfahrzeug war nicht von einer Verwertung auszunehmen, um ihne weiterhin die Bequemlichkeit zu ermöglichen,
Kinderarzt und Kinderspielgruppe mit einem eigenen Kraftfahrzeug ohne Zeitverlust aufsuchen zu können.
Die Sozialhilfe darf ferner gemäß § 88 Abs. 2 Nr. 4 BSHG nicht abhängig gemacht werden vom Einsatz oder von der Verwertung von Gegenständen, die zur Aufnahme oder Fortsetzung der
Erwerbstätigkeit unentbehrlich sind. Das Kraftfahrzeug war nicht unentbehrlich, um zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit Vorstellungstermine
wahrnehmen zu können. Auch zu solchen Vorstellungsterminen hätte die Klägerin zu 1) mit einem öffentlichen Verkehrsmittel
anreisen können.
Die Sozialhilfe darf zwar schließlich gemäß § 88 Abs. 2 Nr. 8 BSHG nicht abhängig gemacht werden vom Einsatz oder von der Verwertung kleinerer Barbeträge oder sonstiger Geldwerte. Ein Kraftfahrzeug
fällt darunter jedoch nicht. § 88 Abs. 2 Nr. 8 BSHG spricht nur von Barbeträgen oder sonstigen Geldwerten. Sonstige Geldwerte sind etwa Bankguthaben oder Wertpapiere. § 88 Abs. 2 Nr. 8 BSHG spricht dagegen nicht von sonstigen kleineren Vermögenswerten. § 88 Abs. 2 BSHG kennt keine allgemeine Vermögensfreigrenze. § 88 Abs. 2 BSHG liegt eine gegenständliche Betrachtungsweise zugrunde, keine wertmäßige Betrachtungsweise. § 88 Abs. 2 BSHG nimmt nur bestimmte, genau bezeichnete Gegenstände vom Vermögenseinsatz oder von der Verwertung aus (vgl. BVerwG, Beschluß
vom 3.12.1991 - 5 B 61.90 -).
Allerdings darf die Sozialhilfe auch nicht vom Einsatz oder von der Verwertung eines Vermögens abhängig gemacht werden, soweit
dies für den, der das Vermögen einzusetzen hat, und für seine unterhaltsberechtigten Angehörigen eine Härte bedeuten würde.
Es würde für die Klägerinnen jedoch keine Härte bedeuten, wenn sie das vorhandene Kraftfahrzeug durch Verkauf verwerten müßten.
Das VG meint, eine Verwertung des Kraftfahrzeugs widerspreche den Leitvorstellungen des § 88 Abs. 2 BSHG, denn - so das VG - die Klägerin zu 1) habe aus dem Verkauf des Kraftfahrzeugs allenfalls einen Erlös von etwa 1.000,-- DM
erzielen können und dieser Erlös sei als kleiner Barbetrag gemäß § 88 Abs. 2 Nr. 8 BSHG geschützt. Sei das Ergebnis der Verwertung Schonvermögen, also nicht zum Lebensunterhalt einzusetzen, so sei - wie das VG
schlußfolgert - die Verwertung sinnlos und stelle eine Härte im Sinne des § 88 Abs. 3 Satz 1 BSHG dar.
Die Auffassung des VG träfe nur zu, wenn der Erlös aus einem Verkauf des Kraftfahrzeugs tatsächlich als kleiner Barbetrag
gemäß § 88 Abs. 2 Nr. 8 BSHG von einem Einsatz für den Lebensunterhalt ausgenommen wäre. Das trifft indes nicht zu. Ist ein Vermögensgegenstand - wie
hier das Kraftfahrzeug - nicht nach § 88 Abs. 2 BSHG geschützt, muß er verwertet und muß der Erlös aus einer Verwertung zum Lebensunterhalt eingesetzt werden (§ 11 Abs. 1 BSHG). Die Verwertung ist kein Selbstzweck. Das Gesetz verlangt die Verwertung zur Sicherstellung des Lebensunterhalts. Damit
bestünde ein Wertungswiderspruch, wenn das Gesetz einerseits die Verwertung zur Sicherung des Lebensunterhalts verlangt, andererseits
aber dieses Ergebnis vereitelt, indem es den Erlös aus der Verwertung vom Einsatz für den Lebensunterhalt ausnimmt. Dieser
sonst eintretende Wertungswiderspruch ist bei zweckgerechter Auslegung dadurch zu vermeiden, daß der Erlös aus der Verwertung
eines Vermögensgegenstandes, dessen Verwertung durch § 11 Abs. 1, § 88 Abs. 2 BSHG gefordert ist, nicht gemäß § 88 Abs. 2 Nr. 8 BSHG vom Einsatz für den Lebensunterhalt ausgenommen wird. Die in § 88 BSHG angesprochene Verwertung und der Einsatz von Vermögen bilden eine Einheit; beides darf nicht auseinandergerissen werden.
Ist Vermögen nach den Vorschriften des BSHG zu verwerten, ist auch der Erlös aus dieser Verwertung einzusetzen. Bei einer anderen Betrachtung erlangte § 88 Abs. 2 Nr. 8 BSHG die Funktion einer vom Gesetz ersichtlich nicht gewollten allgemeinen Vermögensfreigrenze. Daß die Klägerin bei einem Verkauf
ihres Kraftfahrzeugs nur einen Erlös von 1.000,-- DM erzielen könnte, der unter der Grenze des kleinen Barbetrages läge, diesen
Erlös aber für ihren Lebensunterhalt einsetzen muß, ist mithin eine Folge davon, daß der Gesetzgeber in § 88 Abs. 2 BSHG nur einzelne Vermögensgegenstände hat schützen wollen.
Die Verwertung eines Gegenstandes, der nicht dem Katalog des § 88 Abs. 2 BSHG unterfällt, widerspricht danach auch dann nicht den Leitvorstellungen des Gesetzgebers, wenn der Erlös unter der Grenze des
kleinen Barbetrages nach § 88 Abs. 2 Nr. 8 BSHG liegt.