Sozialhilferecht: Umfang des notwendigen Lebensunterhalts, Teppichboden
Tatbestand:
Der Kläger steht zusammen mit seiner Ehefrau und seinen 1977, 1981 und 1989 geborenen Kindern in der sozialhilferechtlichen
Betreuung des Beklagten.
Die Familie des Klägers mietete eine im zweiten Obergeschoß eines 1981 errichteten Hauses gelegene Wohnung an. Der Kläger
informierte den Beklagten, daß der Vormieter für den Teppichboden 800,-- DM verlange, und bat zu prüfen, inwieweit diese Kosten
übernommen werden könnten, da er sonst gezwungen sei, einen neuen Teppichboden zu beantragen, weil der vorhandene Fußbodenbelag
aus PVC nicht ausreiche.
Der Beklagte lehnte diesen Antrag mit der Begründung ab, daß die Ausstattung einer Wohnung mit einem Teppichboden nicht zum
notwendigen Lebensunterhalt gehöre. Widerspruch, Klage und Berufung hatten keinen Erfolg.
Entscheidungsgründe:
Maßgebender Zeitpunkt für die rechtliche Beurteilung des Antrages des Klägers ist der Mai 1988, denn bei der Verfolgung eines
Anspruches auf eine einmalige Sozialhilfeleistung ist wie bei laufenden Sozialhilfeleistungen auf den Zeitpunkt der letzten
verwaltungsbehördlichen Entscheidung -- das ist hier der Widerspruchsbescheid des Beklagten vom 30.5.1988 -- abzustellen.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 16.11.1978 -- 5 C 19.77 --, FEVS 27, 265, 273 = ZfSH 1979, 218; OVG NW, Urteil vom 26.10.1987 -- 8 A 2385/86 --, FEVS 37, 458, 459.
Daraus folgt, daß es für die rechtliche Beurteilung des Antrages des Klägers nicht auf das nach Erlaß des Widerspruchsbescheides
geborene dritte Kind ankommt.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf die begehrte Beihilfe aus § 11 Abs. 1 Satz 1 BSHG. Danach ist Hilfe zum Lebensunterhalt dem zu gewähren, der seinen notwendigen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend
aus eigenen Kräften und Mitteln, vor allem aus seinem Einkommen und Vermögen, beschaffen kann. Die begehrte Leistung kann
nicht zugesprochen werden, weil die Ausstattung der neu bezogenen Wohnung mit einem Teppichboden nicht zum notwendigen Lebensunterhalt
gehört. Der notwendige Lebensunterhalt umfaßt gemäß § 12 Abs. 1 Satz 1 BSHG besonders Ernährung, Unterkunft, Kleidung, Körperpflege, Hausrat, Heizung und persönliche Bedürfnisse des täglichen Lebens.
Die Ausstattung der Wohnung mit einem Teppichboden fällt nicht darunter.
Bei der Auslegung des Begriffs des notwendigen Lebensunterhaltes ist vor allem zu berücksichtigen, daß es gemäß § 1 Abs. 2 Satz 1 BSHG Aufgabe der Sozialhilfe ist, dem Empfänger der Hilfe die Führung eines Lebens zu ermöglichen, das der Würde des Menschen
entspricht.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 22.5.1975 -- V C 43.74 --, BVerwGE 48, 237, 238 = FEVS 24, 1, 3 = ZfSH 1977, 76; Urteil vom 3.11.1988 -- 5 C 69.85 --, BVerwGE 80, 349, 351 = FEVS 38, 89, 90 = ZfSH/SGB 1989, 140 = NJW 1989, 924; Urteil vom 14.3.1991 -- 5 C 70.86 --.
Aus der Aufgabenstellung der Sozialhilfe nach § 1 Abs. 2 Satz 1 BSHG folgt für die Auslegung des Begriffes des notwendigen Lebensunterhaltes außerdem, daß bei der Hilfegewährung auf die jeweils
herrschenden Lebensgewohnheiten und Erfahrungen Rücksicht zu nehmen ist
vgl. BVerwG, Urteil vom 22.4.1970 -- V C 98.69 --, BVerwGE 35, 178, 180 = FEVS 17, 321, 323 = ZfSH 1970, 234
und die Hilfe es ihrem Empfänger ermöglichen soll, in der Umgebung von Nichthilfeempfängern ähnlich wie diese zu leben.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 11.11.1970 -- V C 32.70 --, BVerwGE 36, 256, 258 = FEVS 18, 86, 89 = ZfSH 1971, 30.
Dieser Maßstab eignet sich allerdings nicht dazu, der Sozialhilfe die Gewährleistung eines sozialen Mindeststandards und eine
höchstmögliche Ausweitung der Hilfen aufzugeben.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 3.11.1988 -- 5 C 69.85 --, aaO.
Vielmehr muß die Sozialhilfe nur im Rahmen dessen, was zur Führung eines menschenwürdigen Lebens gehört, dem Hilfeempfänger
Lebensgewohnheiten und Lebensumstände der übrigen Bevölkerung und eine Gleichstellung mit ihr ermöglichen.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 14.3.1991 -- 5 C 70.86 --.
Entscheidend ist letztlich, ob der in Rede stehende Bedarf unter Beachtung der allgemeinen Zielsetzung der Sozialhilfe im
Einzelfall (vgl. § 3 Abs. 1 BSHG) für den Hilfesuchenden von existentieller Bedeutung ist.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 13.9.1985 -- 5 C 113.83 --, BVerwGE 72, 113, 117 = FEVS 35, 17, 21; OVG NW, Urteile vom 6.12.1988 -- 8 A 1201/87 --, und vom 24.4.1990 -- 8 A 1712/88 --.
Dagegen kommt es entgegen der Ansicht des Klägers nicht auf die "Ausstattungsdichte" (deutscher) Haushalte mit dem begehrten
Gegenstand als Indiz für die in der Bevölkerung anzutreffende Auffassung über dessen Notwendigkeit an, denn Art, Form und
Maß der Sozialhilfe richten sich -- wie bereits erwähnt -- nach den Besonderheiten des Einzelfalles. Dies verbietet von vornherein
eine auf einen bestimmten Gegenstand (hier: Teppichboden) bezogene unterschiedslose Hilfegewährung mit der Begründung, viele
andere Wohnungen seien bereits damit ausgestattet, weshalb der Teppichboden generell zum notwendigen Lebensunterhalt des §
12 BSHG zähle.
Vgl. in diesem Zusammenhang BVerwG, Urteil vom 4.6.1981 -- 5 C 12.80 --, BVerwGE 62, 261, 266 = FEVS 29, 372, 377 = ZfSH 1981, 340 und Urteil vom 3.11.1988 -- 5 C 69.85 --, aaO.
Bei Anwendung der vorgenannten Kriterien hat es der Beklagte zu Recht abgelehnt, eine Beihilfe für die Ausstattung der neuen
Wohnung mit einem Teppichboden zu zahlen. Dieser gehört regelmäßig nicht zum sozialhilferechtlichen notwendigen Hausrat.
Vgl. OVG NW, Urteil vom 25.7.1984 -- 8 A 2783/83 --, Beschluß vom 24.1.1986 -- 8 B 2393/85 --, Beschluß vom 21.12.1990 -- 24 A 1022/87 -- und OVG Berlin, Urteil vom 12.9.1985 -- OVG 6 B 74/84 --, FEVS 35, 339.
Im Fall des Klägers liegen keine besonderen Umstände vor, die eine vom Regelfall abweichende Beurteilung gebieten, auch nicht
mit Rücksicht darauf, daß der Kläger sich nur noch darum bemüht, die Kosten für die Ausstattung der beiden Kinderzimmer bewilligt
zu bekommen. Die beiden berücksichtigungsfähigen Kinder des Klägers waren im Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides
10 bzw. 7 Jahre alt, mithin nicht mehr im "Krabbelalter", das möglicherweise die Ausstattung der Wohnung mit einem Teppichboden
hätte rechtfertigen können.
Vgl. OVG NW, Urteil vom 25.7.1984 -- 8 A 2783/83 --.